∎ Europas Außen- und Sicherheitspolitik soll effektiver werden. Hierfür muss die exekutive Eigenverantwortlichkeit der EU-Regierungen groß und ihre europarechtliche Einhegung möglichst gering sein – diese Sichtweise ist nur scheinbar plausibel. Allein eine rechtsstaatlich verankerte EU-Außen- und -Sicherheitspolitik ist realistisch und nachhaltig.
∎ Die EU steht unter dem Druck, einerseits menschenrechtliche Standards zu erfüllen, andererseits Forderungen nach Begrenzung von Migration. Dabei werden drei Trends evident: Erstens trifft die EU neue Arrangements mit Drittstaaten, um Migration zu kontrollieren. Zweitens setzt sie GASP‑/GSVP-Missionen für die Grenzsicherung ein. Drittens agieren die EU-Agenturen Frontex und Europol immer häufiger in der EU-Nachbarschaft.
∎ Die aktuellen Trends in der EU-Außen- und -Sicherheitspolitik stellen eine Herausforderung für den Schutz der Grundrechte dar. Zum Beispiel bleiben GSVP-Missionen, wie die EU-Operation »Sophia« im Mittelmeer, von der gerichtlichen Kontrolle durch den Europäischen Gerichtshof weitgehend ausgenommen.
∎ Beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und beim Internationalen Strafgerichtshof sind gegen Italien und die EU bereits Klagen eingereicht worden wegen Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen in Libyen. Wer das internationale Recht nicht respektiert, bedroht zugleich die innerstaatliche Rechtsstaatlichkeit. Das gilt auch für die EU.
∎ Die EU sollte den Prozess eines formellen Beitritts zur Europäischen Menschenrechtskonvention wieder aufnehmen. Die rechtlichen Grenzen und die Leistungsfähigkeit der EU-Außen- und -Sicherheitspolitik würden klarer gezogen. Die deutsche Ratspräsidentschaft 2020 sollte sich dafür einsetzen, die europäische Außen- und Sicherheitspolitik rechtsstaatlich zu verankern.
Im Dezember 2018 haben 152 Staaten der Vereinten Nationen (VN) den Globalen Pakt für sichere, geordnete und geregelte Migration angenommen. Mit dem sogenannten Migrationspakt haben sie erstmals ihre Absicht erklärt, bei der Bewältigung migrationspolitischer Herausforderungen enger kooperieren zu wollen. In dem Dokument sind 23 Ziele genannt, die die Herkunfts-, Transit- und Zielländer beim Umgang mit Migranten und Flüchtlingen leiten sollen. Wenn bei der Steuerung und Gestaltung der globalen Wanderungsbewegungen praktische Fortschritte erreicht werden sollen, setzt dies ein zweifaches – nach innen und nach außen gerichtetes – Engagement der beteiligten Staaten voraus. Dementsprechend sollte die Bundesregierung den Pakt nutzen, um mit Blick nach innen weiteren Reformbedarf zu identifizieren und um auf internationaler Ebene Partner für strategisch ausgewählte Schlüsselthemen zu gewinnen. Eine Gelegenheit für beides bietet das im Pakt vorgesehene Überprüfungsverfahren, dessen Herzstück das International Migration Review Forum (IMRF) ist.
Die Umsetzung des Friedensabkommens zwischen der kolumbianischen Regierung und den FARC-EP-Rebellen kommt nur schleppend voran. In viele Regionen sind neue bewaffnete und kriminelle Gruppen eingedrungen. Dort häufen sich die Morde an demobilisierten Angehörigen der Guerilla sowie an Personen, die sich für den Friedensprozess einsetzen. Wichtige Bestimmungen des Abkommens werden bislang nicht wirksam angewendet, weil sie den Interessen des Präsidenten Iván Duque zuwiderlaufen. Zudem belastet die Migrationskrise mit Venezuela die öffentlichen Kassen und erschwert den Weg zu einem friedlichen Zusammenleben in den besonders konfliktsensiblen Grenzregionen. Von »Frieden« kann daher nicht die Rede sein, denn zu ungleich ist die Umsetzung des Abkommens und zu instabil die Sicherheitslage in der Breite des Territoriums. Das Engagement der internationalen Gemeinschaft ist ein wichtiger Beitrag für die Fortsetzung des Friedensprozesses. Es sollte sich aber noch mehr auf die Absicherung von Friedensaktivisten richten.
Der jüngste Streit zwischen Japan und Südkorea über die Entschädigung ehemaliger koreanischer Zwangsarbeiter scheint bekannten Mustern zu folgen. Schließlich sind bilaterale Auseinandersetzungen über die gemeinsame Geschichte – insbesondere über die Phase der japanischen Kolonialherrschaft – nichts Neues. Doch die Spannungen greifen diesmal tiefer und das beidseitige Misstrauen hat ein nie dagewesenes Niveau erreicht. Deutlich angestiegen ist auf japanischer Seite die Frustration über Südkoreas Politik, von der sich die Regierung in Tokio hintergangen fühlt. Unterschiedliche Geschichtsauffassungen sorgen seit jeher für Konflikte, doch aktuelle innenpolitische und regionale Entwicklungen belasten das Verhältnis zusätzlich. In den Führungen der beiden wichtigsten Demokratien Nordostasiens sind in den letzten Jahren Zweifel aufgekommen, ob der jeweils andere noch ähnliche Wertevorstellungen und strategische Ziele vertritt. Das zunehmende Zerwürfnis könnte die regionale Machtbalance in den nächsten Jahren beeinflussen, denn es schwächt die Position der USA in Asien als Bündnispartner Japans und Koreas.
∎ Das Wachstum der chinesischen Wirtschaft wurde seit 2008 durch immer höhere Schulden finanziert. Die Gesamtverschuldung des Landes stieg in dieser Zeit um gut 100 Prozent seiner Wirtschaftsleistung.
∎ Die zunehmende Schuldenlast bedroht die Stabilität der chinesischen Wirtschaft. Eine Finanzkrise in China wiederum hätte gravierende Folgen für die Weltwirtschaft.
∎ Der chinesische Staat reagiert auf das zunehmende Misstrauen der eigenen Bürger durch scharfe Beschränkungen des Kapitalexports.
∎ Peking muss sich zwischen einer Stabilisierung der chinesischen Finanzmärkte und der Förderung des Wirtschaftswachstums entscheiden. Beide Ziele werden sich nicht gleichzeitig erreichen lassen.
∎ Die Kommunistische Partei Chinas versucht angesichts stagnierender Binnennachfrage, das bisherige Wirtschaftsmodell des Landes, das auf immer höherer Verschuldung basiert, zu exportieren. Das Instrument hierzu ist die Belt-and-Road-Initiative (BRI), auch als »Neue Seidenstraße« bezeichnet.
∎ Einige Nehmerländer geraten in eine gefährliche Überschuldungslage, wenn sie Infrastrukturprojekte im Rahmen der BRI finanzieren.
∎ Europäische Länder sollten auf Chinas Strategien reagieren und eine eigene Infrastruktur-Initiative insbesondere für asiatische Entwicklungs- und Schwellenländer starten. Deutschland könnte ein solches Projekt finanzieren, das zunächst ein Volumen von etwa 300 Milliarden Euro haben sollte.
As a traditional frontrunner in international climate policy, the European Union (EU) is under great pressure to meet global expectations. In 2020, it must present its long-term decarbonisation strategy to the United Nations. Political attention has so far focussed on the lack of consensus among the Member States on whether they should adopt the European Commission’s proposed goal of »greenhouse gas neutrality« by 2050. Two aspects of this decision have hardly been debated so far – first, the question of whether this will herald the end of differentiated reduction commitments by Member States, and second, the tightening of the EU climate target for 2030. National governments and climate policymakers will have to take both issues into account.
The Ebola epidemic in the Democratic Republic of the Congo (DRC) highlights the urgent need to strengthen cooperation between security, health, and development actors. As the disease spreads, the World Health Organization (WHO) has declared an international health emergency. In crisis situations like these, the interdependencies between health and security are highly complex. Which population groups and which diseases are perceived as suspected health risks, and why, is a normative question for donor countries. It has political consequences above all for affected developing countries. Where health and security are common goals, it is not enough to contain infectious diseases in developing countries. Instead, resilient, well-functioning, and accessible health systems must be established. This fosters the implementation of the human right to health, creates trust in state structures, and takes into account the security interests of other states. In the United Nations (UN) Security Council, the German government could advocate for policies based on the narrative “stability through health.”
Die Ebolafieber-Epidemie in der Demokratischen Republik Kongo verdeutlicht, wie dringlich es ist, die Zusammenarbeit zwischen Sicherheits-, Gesundheits- und Entwicklungsakteuren auszubauen. Da die Krankheit sich ausbreitet, hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den internationalen Gesundheitsnotstand ausgerufen. In Krisensituationen sind die Zusammenhänge von Gesundheit und Sicherheit hochkomplex. Welche Bevölkerungsgruppen und welche Krankheit mit welcher Begründung als angebliches Gesundheitsrisiko wahrgenommen werden, ist eine normative Frage für Geberländer. Politische Konsequenzen hat sie vor allem für betroffene Entwicklungsländer. Wo Gesundheit und Sicherheit gemeinsame Ziele sind, reicht es nicht aus, nur Infektionskrankheiten in Entwicklungsländern einzudämmen. Vielmehr müssen dort krisenresistente, funktionsfähige und zugängliche Gesundheitssysteme etabliert werden. Dies fördert die Umsetzung des Menschenrechts auf Gesundheit, schafft Vertrauen in staatliche Strukturen und berücksichtigt Sicherheitsinteressen anderer Staaten. Die Bundesregierung könnte sich im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN) für eine Politik unter dem Narrativ »Stabilität durch Gesundheit« einsetzen.
Die seit Mai 2019 erneut amtierende Regierung des indischen Premierministers Narendra Modi und die im August 2018 angetretene Regierung seines pakistanischen Amtskollegen Imran Khan stehen für eine Neuausrichtung der politischen Systeme und der Außenpolitik ihrer Länder. Zugleich verändert die chinesische Seidenstraßeninitiative (Belt and Road Initiative – BRI) fundamental die außenpolitischen Konstellationen Indiens und Pakistans. Welche Szenarien ergeben sich daraus für ihr bilaterales Verhältnis, für regionale Konflikte wie Kaschmir und für regionale Organisationen wie die South Asian Association for Regional Cooperation (SAARC)?
∎ Der KSE-Vertrag ist konzeptionell überholt, sein Anpassungsabkommen politisch gescheitert. In der Nato-Russland-Kontaktzone im baltischen Raum entfaltet er keine stabilisierende Wirkung.
∎ Eine neue gesamteuropäische Rüstungskontrollvereinbarung unter Einschluss osteuropäischer Konfliktgebiete hat wegen prinzipieller Divergenzen auf absehbare Zeit keine Aussicht auf Erfolg.
∎ Es sollte aber im Interesse der Nato und Russlands sein, die Spannungen im baltischen Raum abzubauen. Dazu wäre ein subregionales Stabilitätsregime geeignet, das auf fortbestehende politische Zurückhaltungserklärungen und bewährte Kernelemente der Rüstungskontrolle aufbaut.
∎ Um dies zu verwirklichen, müsste Russland weiterhin bereit sein, in diesem Raum Zurückhaltung zu üben.
∎ In der Nato wird zwar weiterhin der Grundsatz gelten, dass mit Russland kein business as usual möglich ist, solange es sich nicht aus den Konfliktgebieten zurückzieht. Es muss aber klargestellt werden, dass ein subregionales Stabilitätsregime diesem Grundsatz nicht widerspräche, sondern der Sicherheit aller Bündnispartner dient.
∎ Für diese Ausrichtung sollten Deutschland und gleichgesinnte Staaten werben, und zwar sowohl in der Nato als auch im Strukturierten Dialog der OSZE mit Russland, Weißrussland und bündnisfreien Staaten.
∎ Ein subregionales Stabilitätsregime könnte auch als Nukleus betrachtet werden, um mit weiteren maßgeschneiderten Instrumenten ein Netz von Vereinbarungen zu schaffen, die sich gegenseitig ergänzen und in ihrer Gesamtheit die Sicherheit und Stabilität im OSZE-Raum stärken.
Befürworter offensiver Cyber-Operationen argumentieren, dass sie abschreckend auf etwaige Cyber-Angreifer wirken könnten, da die Angreifer mit einem digitalen Gegenschlag rechnen müssten. Diese Vorstellung, die für die neue US Cyber-Doktrin von 2018 bestimmend war, schwingt implizit auch in der Debatte über digitale Gegenangriffe in Deutschland mit. Diesem Kalkül liegt jedoch eine verkürzte Vorstellung von Abschreckung zugrunde. Abschreckung per Androhung von Vergeltung funktioniert im digitalen Raum nach anderen Prinzipien als etwa nukleare Abschreckung. Probleme der Attribution, Demonstration, Kontrollierbarkeit und Glaubwürdigkeit digitaler Fähigkeiten erhöhen die Gefahr, dass Abschreckung scheitert. Daher wäre die deutsche Cyber-Sicherheitspolitik gut beraten, die defensive Cyber-Sicherheit und die Robustheit (Resilienz) von Systemen zu steigern.
Als traditionelle Vorreiterin in der internationalen Klimapolitik steht die Europäische Union unter großem Erwartungsdruck. 2020 muss sie bei den Vereinten Nationen ihre Langfrist-Strategie vorlegen. Die politische Aufmerksamkeit gilt bisher dem fehlenden Konsens unter den Mitgliedstaaten in der Frage, ob sie sich das von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Ziel der »Treibhausgas-Neutralität« bis 2050 zu eigen machen sollen. Zwei Aspekte dieser Ende 2019 anstehenden Entscheidung sind bislang kaum debattiert worden – zum einen die Frage, ob damit das Ende differenzierter mitgliedstaatlicher Reduktionspflichten eingeläutet wird, zum anderen die Verschärfung des EU-Klimaziels für 2030. Beides wird die Bundesregierung bei der Neujustierung der deutschen Klimapolitik mitdenken müssen.
Istanbul’s fiercely fought municipal election is over. The opposition candidate, Ekrem İmamoğlu, won a landslide victory over his rival. The governing Justice and Development Party (AK Party) has arguably suffered its most severe defeat since coming to power in 2002. The repercussions and reverberations of this election will be deeply felt across the political spectrum in Turkey. This election will have a formative impact on this new period of Turkish politics. Turkey has gained new political actors, for example İmamoğlu, as a result of this election. The same election has also further opened the way for contestations on the conservative end of the political spectrum. Former President Abdullah Gül, former Prime Minister Ahmet Davutoğlu, and former Minister of Economy Ali Babacan are set to break away from the AK Party and form their own political movements.
Whether this defeat will lead to a new period of irreversible decline for the ruling AK Party is dependent on what lessons President Recep Tayyip Erdoğan draws from this defeat. Palliative and tactical steps cannot reverse his party’s political decline. Yet, Erdoğan’s ability to undertake necessary reforms and introduce course-rectifying measures is significantly constrained, given the nature of his alliance with the Nationalist Movement Party (MHP), the de-institutionalisation of his party, and the personalisation of power in Turkey. As Erdoğan’s grip on power and Turkish politics is weakened, the search for new political alternatives – both at the nation-wide level more broadly as well as on the conservative end of the political spectrum in particular – will gain momentum. These developments, in return, are sowing the seeds of a new political landscape in Turkey.