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Stiftung Wissenschaft und Politik
Updated: 1 month 2 weeks ago

China’s Guided Memory

Mon, 10/02/2020 - 00:00

In 2019, China commemorated several anniversaries of politically significant events in its recent history: the May Fourth Movement (100 years), the foundation of the People’s Republic of China (70 years), the Tibet Uprising (60 years), the beginning of the reform and opening policy (40 years), and the massacre on Tiananmen Square (30 years). How China officially commemorates these events – or does not – weighs heavily on the country’s domestic and foreign policy. The state-constructed interpretations of his­tory as a claim to power are directed not only at Chinese society, but also at foreign partners interacting with China, especially governments and companies. The conceal­ment of problematic events from the past is alarming, not least because it in­creases the danger that historical mistakes will be repeated.

Der Streit um die Domain .org

Mon, 10/02/2020 - 00:00

Seit 2003 wurde die Web-Domain .org von der Non-Profit-Organisation Public Internet Registry (PIR) verwaltet. Nun soll die PIR an die private Investmentfirma Ethos Capital verkauft werden. Viele zivilgesellschaftliche Organisationen nutzen .org-Domains. Sie fürchten Preissteigerungen, politische Einschränkungen und Sicherheitsrisiken. Mit seinem diplomatischen Gewicht sollte Deutschland diesen Sorgen bei der Entschei­dung über .org Geltung verschaffen. Der Streit um .org hat aber noch eine zweite Dimension: Ein weiteres Mal zeigt sich, dass die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) nicht über die Legitimität verfügt, strittige politische Fragen zu entscheiden. Dieses strukturelle Problem wird sich so bald nicht lösen las­sen. Deutschland sollte sich daher um diplomatische Schadensbegrenzung bemühen, auch in kritischer Auseinandersetzung mit dem ICANN-Vorstand. Die diesjährige Jah­res­hauptversammlung von ICANN in Hamburg bietet dafür eine gute Gelegenheit.

Beyond hard science?

Mon, 10/02/2020 - 00:00
Algorithmen und die Szenario‐Analyse digitaler geopolitischer Konflikte zwischen der EU und China

Frankreichs nukleare Abschreckung im Dienst Europas – Eine deutsche Antwort

Fri, 07/02/2020 - 00:00

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron irritiert – immer wieder: Er will die Europäische Union neu gründen, erklärt die Nato für »hirntot« und wirbt um Russland. Entsprechend hoch waren die Erwartungen an seine Rede zur Verteidigungspolitik: Wird Frankreich seine nukleare Abschreckung ausweiten, den Europäern seinen Nuklearschirm garantieren, sie zur nuklearen Teilhabe einladen?

Ein Angebot an die europäischen Partner

Nichts dergleichen. Als Präsident, der Veränderungen zur Norm erhoben hat, bleibt Emmanuel Macron in Fragen der nuklearen Abschreckung in der Tradition seiner Vorgänger. Die französische Abschreckung bleibt bei der Androhung massiver Repressalien gegen die lebens­wichtigen Zentren des Gegners. Es gilt das Prinzip der »Selbst­genügsamkeit«. Die Entscheidung über den Einsatz der französischen Nuklearwaffen verbleibt beim Staatspräsidenten. Eine Beteiligung Verbündeter sei nicht möglich, da sie dem Prinzip der nationalen Unabhängigkeit widerspräche. Die europäische Dimension des französischen Nukleardispositivs besteht nach Macrons Auffassung in ihrem Beitrag zur europäischen Sicherheit. Frankreichs feste Solidarität mit seinen Alliierten verleihe darüber hinaus auch seinen „vitalen Interessen“ eine europäische Dimension.

Ein konkretes Angebot enthält die Rede des französischen Präsidenten gleichwohl. Emmanuel Macron lädt seine europäischen Partner zu einem strategischen Dialog über die Rolle der französischen Nuklearwaffen ein. Ihm scheint hierfür ein Format vorzuschweben, das sich außerhalb der institutionellen Bahnen von Nato und EU bewegt, analog zu seiner 2017 lancierten Europäischen Interventionsinitiative. Damit ist auch Deutschland gefordert, Stellung zu beziehen. Dabei gilt es, zwei Ebenen zu unterscheiden: die der Verteidigung im engeren Sinne und die europapolitische Dimension.

Die verteidigungspolitische Dimension

Verteidigungspolitisch wäre es ratsam, den französischen Präsidenten dazu zu bewegen, eine engere europäische Zusammenarbeit in der Nuklearwaffenpolitik ins Auge zu fassen. Die Analyse Macrons ist richtig: Europa muss sich in einer Welt verteidigen können, in der Atomwaffen in den letzten Jahren wieder massiv an Bedeutung gewonnen haben. Das gilt umso mehr nach dem Ende des INF-Vertrages. Die USA stehen zwar weiterhin zu ihren Bündniszusagen in der Nato, diese Zusagen haben aber an Glaubwürdigkeit verloren. Das hängt nicht nur mit US-Präsident Trump zusammen. Vielmehr ist Amerika selbst verwundbarer geworden. Der „unipolare Moment“ – als man in Washington noch unangefochten die eigene militärische Überlegenheit zelebrieren konnte – ist längst Geschichte.

Europa braucht somit einen Plan B für die nukleare Abschreckung – nicht, um den nuklearen Schutzschirm der USA zu ersetzen, sondern als zusätzliche Sicherung. Das steht im Übrigen keineswegs im Widerspruch zur Nato. Denn bei jedem ihrer Gipfeltreffen bekräftigt die Allianz, dass das Vereinigte Königreich und Frankreich über eine unabhängige Abschreckung verfügen, die zur Sicherheit der Allianz beiträgt. Nach Russland und den USA ist Frankreich die drittgrößte Atommacht der Welt. Der französische Präsident hat die Hoheit über etwa 300 Nuklearwaffen. Das nukleare Arsenal Frankreichs reicht aus einer verteidigungspolitischen Perspektive somit längst dazu aus, einen Angriff mit Nuklearwaffen auf einen EU-Staat abzuschrecken. Hierzu bedarf es keiner größeren Arsenale wie dem amerikanischen.

Die europapolitische Dimension

Die Antworten auf den strategischen Dialog des französischen Präsidenten müssen aber auch die europapolitischen Konsequenzen seines Vorstoßes im Blick behalten. Die nukleare Frage birgt erhebliches Spaltpotenzial für die Europäische Union und für den europäischen Teil der Nato. Jene Staaten, die sich besonders von Russland bedroht sehen – zuvorderst Polen, Rumänien und die baltischen Staaten – blicken weiterhin für ihren Schutz in erster Linie über den Atlantik. Dabei spielt auch ihr erhebliches Misstrauen gegenüber Deutschland und Frankreich eine wichtige Rolle. Leider haben die jüngsten Äußerungen und Entscheidungen des französischen Präsidenten – wie beispielsweise die Blockade der Erweiterungspolitik – dieses Misstrauen nicht reduziert.

Eine Vergemeinschaftung der französischen Bombe oder Versuche, neue Institutionen der nuklearen Teilhabe oder für nukleare Planungen und Kommandostrukturen in das Gefüge der Europäischen Union zu pflanzen, wären utopisch – und auch Macron hat solchen Überlegungen in seiner Rede erneut eine klare Absage erteilt. Aber auch der Aufbau paralleler ad hoc-Strukturen außerhalb der Nato wäre mehr als problematisch. Solche Strukturen wären eine offene Abkehr von den USA und würden das Bündnis – und damit Europa – tief spalten. Zudem haben die nuklearen Planungsstrukturen der Allianz seit ihrer Schaffung in den 1960er Jahren gut funktioniert. Trotz der Aversionen von US-Präsident Trump gegenüber multilateralen Institutionen haben die USA auch unter seiner Präsidentschaft die gemeinsamen nuklearen Planungsstrukturen im Bündnis nicht in Frage gestellt.

Die deutsche Antwort auf die Einladung des französischen Präsidenten, einen strategischen Dialog über die Rolle der französischen Nuklearwaffen zu führen, sollte somit lauten: Der Dialog über eine europäische nukleare Abschreckung ist richtig und wichtig, er kann jedoch am besten in den seit Jahrzehnten gut etablierten Institutionen der Nato – zuvorderst der der Nuklearen Planungsgruppe (NPG) – stattfinden. Eine Beteiligung Frankreichs an der NPG, die gleichzusetzen ist mit der Bereitschaft des Landes, der Nato seine Nuklearwaffen zur Verfügung zu stellen, würde dem Anliegen, den europäischen Pfeiler in der Nato zu stärken, echte Konturen verleihen. Sie wäre auch für alle europäischen Mitglieder des Militärbündnisses tragfähig. Mag sein, dass eine Beteiligung Frankreichs an den gemeinsamen Nuklearstrukturen der Allianz in Paris weiterhin ein Tabu bleibt. Der von Macron angedachte Dialog sollte jedoch vor Tabus nicht zurückschrecken.

Strategische Rivalität zwischen USA und China

Wed, 05/02/2020 - 00:00

∎ Die Rivalität zwischen den USA und China ist in den letzten zwei Jahren zu einem Leitparadigma der internationalen Beziehungen geworden. Es prägt strategische Debatten ebenso wie reale politische, militärische und wirtschaftliche Dynamiken.

∎ Die sino-amerikanische Konkurrenz um Macht und Status hat verschiedene Dimensionen. Dazu gehören auch wachsende Bedrohungswahrneh­mungen und eine sich verstärkende politisch-ideologische Komponente.

∎ Der amerikanisch-chinesische Handelskonflikt wird politisch instrumen­talisiert und ist eng mit weltordnungspolitischen Fragen verbunden.

∎ Bei der technologischen Dimension geht es nicht nur darum, wer tech­nische Standards setzt, sondern auch um geopolitische Machtprojektion durch »technopolitische Einflusssphären«. Dabei werden Fragen der Technologieentwicklung und -nutzung Teil eines Systemgegensatzes oder systemischen Wettbewerbs.

∎ Die Präsidenten Trump und Xi schüren durch ihre unterschiedlichen Führungsstile bilaterale Konflikte und beschädigen, jeder auf seine Art, internationale Regeln und Institutionen.

∎ Zu den internationalen Auswirkungen der sino-amerikanischen Rivalität gehört, dass sie multilaterale Institutionen untergräbt, etwa die Welt­handelsorganisation. Während sich die USA aus einigen multilateralen Institutionen zurückziehen, baut China seinen Einfluss aus, wie bei den Vereinten Nationen.

∎ Europa muss sich der bipolaren Logik entziehen, nach der es sich zwischen einer amerikanischen und einer chinesischen Wirtschafts- und Technologiesphäre zu entscheiden habe. Es muss eine Chinapolitik ent­wickeln, die als Teil des Strebens nach europäischer Souveränität oder strategischer Autonomie konzipiert wird; dazu bedarf es einer »supra­nationalen Geopolitik«.

Reviewing the HLPF's "format and organizational aspects" - what's being discussed?

Wed, 05/02/2020 - 00:00
Assessing current proposals under debate

The Sino-American World Conflict

Tue, 04/02/2020 - 00:00

∎ The Sino-American conflict syndrome contains several elements. It is based on a regional status competition, which is increasingly becoming global.

∎ This competition for influence has become combined with an ideological antagonism that has recently become more focused on the US side.

∎ Since the United States and China perceive each other as potential mili­tary adversaries and plan their operations accordingly, the security dilemma also shapes their relationship.

∎ The strategic rivalry is particularly pronounced on China’s maritime pe­riphery, dominated by military threat perceptions and the US expectation that China intends to establish an exclusive sphere of influence in East Asia.

∎ Global competition for influence is closely interwoven with the techno­logical dimension of American-Chinese rivalry. It is about dominance in the digital age.

∎ The risk for international politics is that the intensifying strategic rivalry between the two states condenses into a structural world conflict. This could trigger de-globalization and the emergence of two orders, one under the predominant influence of the United States and the other under China’s influence.

Neue Initiativen für eine gelähmte Union

Tue, 04/02/2020 - 00:00

Die Europäische Union ist gezeichnet von einem Jahrzehnt der Krisen. Diskussionen über Reformen in zentralen Politikfeldern sind blockiert. Die neue Kommissions­präsidentin Ursula von der Leyen hat nun für 2020 ambitionierte Vorhaben versprochen, die Klima und Digitalisierung ebenso betreffen wie die globale Positionierung der EU. Zugleich soll eine Konferenz zur Zukunft der EU ins Leben gerufen werden. Wahrscheinlich ist jedoch, dass die fortschreitende Fragmentierung im Europäischen Parlament sowie verhärtete Fronten zwischen Mitgliedstaaten und instabile Machtverhältnisse in mehreren dieser Staaten nur wenige konkrete Fortschritte erlauben. Statt eines neuen (geopolitischen) Auftretens der Union ist eine zusehends stärkere Ausdifferenzierung ihrer Handlungsfähigkeit nach Politikfeldern zu beobachten. Die deutsche Ratspräsidentschaft könnte dem entgegenwirken, indem sie die Suche nach »Paketlösungen« über einen ressortgetriebenen Ansatz in der EU-Politik priorisiert.

Die Türkei verlagert den Schwerpunkt ihrer Außenpolitik

Tue, 04/02/2020 - 00:00

Am 27. November 2019 erklärte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, die Türkei habe einen Vertrag über militärischen Beistand und Zusammenarbeit mit der Regierung von Fayez al-Sarraj in Libyen geschlossen, der die Entsendung türkischer Truppen in das Bürgerkriegsland ermögliche. Diese Mitteilung stieß in West­europa auf nahezu einhellige Kritik. Die Entrüstung wuchs noch, als bekannt wurde, dass die Türkei von ihr kontrollierte und finanzierte islamistische syrische Kämpfer nach Libyen schleust. Meldungen über einen dominanten Einfluss der Muslimbruderschaft auf die libysche Regierung schienen das Bild einer stark islamistisch motivierten türkischen Politik zu vervollständigen.

Doch das Engagement der Türkei in Libyen ist nicht von Ideologie, sondern von strategischen Überlegungen und von ökonomischen Interessen getrieben. Ankara reagiert damit auf seine Isolation im östlichen Mittelmeer, wo sich der Streit um die Aufteilung der Gasressourcen zuspitzt. Gleichzeitig zieht die Türkei Lehren aus dem Krieg in Syrien, der für sie verloren ist, ihr jedoch eine zwar konflikthafte, aber trag­fähige Arbeitsbeziehung mit Russland eingebracht hat. Unter dem Strich manifestiert sich im Libyen-Engagement eine Verlagerung des Schwerpunkts türkischer Außen­politik vom Nahen Osten in das Mittelmeer, ein Schwenk, der Europa und die Nato vor ganz neue Herausforderungen stellen wird.

»Alle zwei Minuten emigriert ein Mensch aus dem Westbalkan in die EU«

Tue, 04/02/2020 - 00:00

Anfang Februar wird die EU-Kommission eine neue »Methodik« für den EU-Erweiterungsprozess mit den Westbalkan-Staaten veröffentlichen. Wieso braucht es nach der Verkündung einer neuen Erweiterungsstrategie 2018 schon wieder ein Update?

Dušan Reljić: Weil es der französische Präsident Emmanuel Macron so will. Mitte November veröffentlichte Frankreich ein Arbeitsdokument mit einem Rundumschlag gegen die bestehende Methode der EU-Erweiterung und eigenen Gegenvorschlägen. Zugleich verhinderte Paris mit Unterstützung aus Dänemark und den Niederlanden, dass die Beitrittsgespräche mit Nordmazedonien und Albanien beginnen. Macron verlangt die Vertiefung der Integration innerhalb der EU, bevor sie erweitert wird. Die meisten EU-Staaten wollen jedoch zumindest einen Beginn der Beitrittsgespräche mit den Regierungen in Skopje und Tirana. Die Europäische Kommission bemüht sich nun um einem Kompromissvorschlag.

Was möchte die EU-Kommission mit der neuen Methodik konkret verändern?
Die Kommission möchte keine »Revolution«, sondern eine »Evolution« des bestehenden Rahmens der Erweiterungspolitik, wie ihre Strategen angekündigt haben. Es ist insofern mit behutsamen, wenig effektiven Änderungen der Verfahren zu rechnen. Die eigentlichen Ursachen der schlechten sozio-ökonomischen und politischen Entwicklung im Westbalkan werden wohl auch diesmal nicht wirksam angegangen. Dafür bedürfte es einer fundamentalen – revolutionären – Veränderung der Erweiterungspolitik. Im Mittelpunkt müssten Bereiche wie Infrastruktur, Bildung, Gesundheit und Einkommen stehen.

Wie sieht die Situation im Westbalkan aus?
Die Region kann trotz oder sogar wegen ihrer starken Anbindung an Deutschland, Italien und andere EU-Kernstaaten nicht genug erwirtschaften, um sich schneller zu entwickeln und gute Lebensbedingungen für die Bevölkerung herzustellen. Dies hat Folgen für die politische Entwicklung: Bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 400 € können Rechtsstaat und liberale Demokratie nicht gedeihen. Armut und Hoffnungslosigkeit sind ein guter Nährboden für Populisten und autoritäre Herrscher, die jetzt fast überall im Westbalkan das Sagen haben.

Woher rührt diese ökonomische Schwäche der Region?
Zum einen hatte es diese Region wegen der Folgen des Krieges um das Erbe Jugoslawiens viel schwerer, wirtschaftlich und politisch Anschluss an die europäischen Vereinigungsprozesse zu gewinnen. Zum anderen hat das von der EU und den internationalen Finanzinstituten wie der Weltbank propagierte »Transitionsmodell« mit wenigen Ausnahmen in Mittelost-und Südosteuropa nicht die gewünschte schnelle Angleichung an Westeuropa gebracht. Im Gegenteil: Der Westbalkan hat mit enormen Handels- und Zahlungsbilanzdefiziten zu kämpfen.

Was heißt das in Zahlen?

Zwischen 2008 und 2018 haben die sechs Volkswirtschaften im Westbalkan, die noch nicht zur EU gehören, ein Minus von 100 Milliarden Euro im Handel mit der EU verzeichnet, an erster Stelle mit Deutschland und Italien. Angesichts der bestehenden Struktur der Wirtschaftsbeziehungen mit der EU wird die Region ein Jahreswachstum von sechs bis acht Prozent nicht erreichen können. Das bräuchte sie aber, um in etwa 30 Jahren mit dem EU-Durchschnitt gleichzuziehen.

Was müsste die EU aus Ihrer Sicht heute tun, um für Besserung zu sorgen?
Der Westbalkan wickelt fast 75 Prozent seines Außenhandels mit der EU ab, mehr als etliche EU-Mitglieder selbst. Auslandinvestitionen, Bankenkapital, Überweisungen der Arbeitsmigranten – alles kommt aus der EU. Nur keine substantielle unentgeltliche Finanzhilfe, um wirtschaftlich aufzuholen und die strukturellen Defizite mit der EU zu beheben. Für »neue« EU-Mitglieder wie Polen oder Tschechien ist Geld aus den Struktur-und Kohäsionsfonds der EU auschlaggebend, um ihre schwächere Position im wirtschaftlichen Austausch mit West-und Nordeuropa zumindest zum Teil auszugleichen. Diese Solidarität muss auch für den Westbalkan gelten.

Mit welcher Begründung?

Die EU hat zum Ziel, für Frieden und Wohlstand auf dem ganzen Kontinent zu sorgen, um die eigene Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung dauerhaft zu festigen. Dabei geht es um die geopolitische und geoökonomische Formung dieses Raumes, eigentlich um die Angleichung der Verhältnisse. Der Westbalkan ist von EU-Staaten umgeben. Er ist der Innenhof der EU, nicht die Nachbarschaft. Und seine politische Entwicklung wurde nach den Kriegen in den neunziger Jahren von der EU und ihren führenden Staaten, vor allem Deutschland, maßgeblich mitbestimmt. Es ist im ureigenen Interesse der EU, in einer Region, mit der sie maßgeblich vernetzt ist, für eine Angleichung der Verhältnisse zu sorgen.

In der EU ist es hoch umstritten, ob die Union weitere Staaten aufnehmen sollte. Was sagen Sie den Skeptikern: Welche Vorteile hätte die EU von einer weiteren Integration der Westbalkanstaaten?

Da der Wohlstand nicht zu ihnen kommt, gehen die Menschen dorthin, wo der Wohlstand ist. Im Jahr 2018 haben etwa 230 000 Bürger der Westbalkanstaaten zum ersten Mal eine Aufenthaltserlaubnis in einem EU-Staat erhalten: alle zwei Minuten einer. Davon profitiert die EU; Südosteuropa leert sich jedoch. Die Menschen dort werden im Durchschnitt immer älter, auch sind sie von den Folgen des Klimawandels und der Umweltzerstörung stärker betroffen als der Norden Europas. Sie werden zusehends in prekären Verhältnissen versinken.

Welchen Ausweg sieht die Bevölkerung des Westbalkans?

Untergehende greifen bekanntlich nach jeder ausgestreckten Hand: Derzeit sehen viele Menschen in der chinesischen 17+1 Initiative – der Teil der Seidenstraßeninitiative, der sich auf Mittel- und Südosteuropa konzentriert – für die Stärkung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Mittel-und Südosteuropas die Chance, doch voranzukommen. Sie hoffen auf anständig bezahlte Jobs, bessere Straßen, schnellere Eisenbahnen, effizientere Energieanlagen und mehr. Dies sollte ein Signal für die EU sein, dass sie ihrem Anspruch, die Verhältnisse und die Zukunft auf dem europäischen Kontinent umfassend zu gestalten, mit den jetzigen Instrumenten immer weniger gerecht wird. Diesen Trend sollte sie durch eine beherzte Neuorientierung ihrer Erweiterungspolitik umkehren.

Das Interview führte Candida Splett von der Online-Redaktion der SWP.

Dieses »Kurz gesagt« wurde auch unter euractiv.de veröffentlicht.

India’s Citizenship Struggle

Mon, 03/02/2020 - 00:00

With the recent reform of India’s citizenship law, the ruling Bharatiya Janata Party (BJP) of Prime Minister Narendra Modi is pushing its Hindu-nationalist agenda. The reform became necessary to fix the shortcomings of the National Register of Citizens (NRC) in the state of Assam and to pave the way for a national citizens’ register. Crit­ics are accusing the government of outright discrimination, against Muslims in par­ticular, because the plan could deprive a large number of people of their right to citizenship and undermine fundamental values of the constitution. The measures have also met with much criticism internationally, including from the United States and the United Nations. India’s foreign minister, Subrahmanyam Jaishankar, has defended the reform plans and referred to China’s handling of domestic political problems. If India were to embark on such a path in the long term, this could pos­sibly spark a discussion on whether, and to what extent, an increasingly Hindu-nationalistic India can still be considered a partner that shares values with the West.

Kooperation mit afrikanischen Staaten: Es geht noch was im UN-Sicherheitsrat

Mon, 03/02/2020 - 00:00

Weltpolitisch begann das neue Jahr turbulent, die Zwischenbilanz der Mitgliedschaft Deutschlands im UN-Sicherheitsrat trat darüber in den Hintergrund. Durchaus positive deutsche Akzente können auch kaum darüber hinwegtäuschen, dass 2019 mit Blick auf die Kernaufgabe des UN-Sicherheitsrates – die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit – ernüchternd war. Bei der Lösung bewaffneter Konflikte mit besonders schweren Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung wie in Syrien oder Jemen hat sich wenig bewegt. Dort, wo sich Konflikte wie in Libyen weiter internationalisiert haben, ist der Spielraum im Sicherheitsrat gering, insbesondere dann, wenn ständige Mitglieder beteiligt sind. Die jüngste Eskalation in der Golfregion nährt die Zweifel daran, ob die USA überhaupt noch ernsthaft auf multilaterale Foren setzen. Wenn neue Resolutionen im Sicherheitsrat verabschiedet werden, sind sie mitunter verwässert oder fallen hinter Formulierungen früherer Beschlüsse zurück. Daran kann auch die Zusammenarbeit zwischen europäischen und afrikanischen Staaten wenig ändern. Es gibt aber eine Reihe von Krisen und Konflikten, zu denen weiterhin relevante Beschlüsse im UN-Sicherheitsrat möglich sind, gerade wenn die nichtständigen Mitglieder gemeinsame Positionen entwickeln.

Potenzial trotz Unterschieden

Besonders bei Fragen von Frieden und Sicherheit in Europa und Afrika gab es 2019 viel Übereinstimmung unter den afrikanischen und europäischen Mitgliedern des Sicherheitsrates. Zwar mögen die Elfenbeinküste und Äquatorialguinea während ihrer Mitgliedschaft (2018-2019) wenig in Erscheinung getreten sein. Südafrika aber, das noch ein weiteres Jahr im Sicherheitsrat vertreten sein wird, strebt weiterhin gemeinsame Positionen und eine bessere Koordinierung zwischen den nichtständigen afrikanischen Mitgliedern (A3) an. Das ähnelt dem Ziel Deutschlands, die europäische Stimme im Sicherheitsrat zu stärken. Während ihrer »Zwillingspräsidentschaft« im März und April 2019 setzten Deutschland und Frankreich die Sahel-Region weit oben auf die Agenda des Sicherheitsrates. Themenschwerpunkte ihres Vorsitzes wie der Schutz von Frauen in Konflikten, ihre Rolle bei der Konfliktbewältigung sowie die Reduzierung von Kleinwaffenhandel sind auch für afrikanische Staaten besonders relevant.

Zum Jahreswechsel sind Tunesien und Niger neu in den Sicherheitsrat gekommen. Beide Staaten sind wichtige, aber auch schwierige Partner deutscher Außenpolitik in ihren jeweiligen Regionen. So hat die Inhaftierung eines Mitgliedes des UN-Expertenteams für Libyen in Tunesien schon vor der Wahl des Landes in den Sicherheitsrat für enorme Irritationen gesorgt. Niger ist ein hybrides Regime mit demokratischen und autoritären Zügen, in dem es immer wieder zu massiven Menschenrechtsverletzungen kommt. Beide Staaten waren zudem lange nicht im Sicherheitsrat vertreten: Niger zuletzt 1980/1981, Tunesien 2000/2001. Die politischen Rahmenbedingungen in beiden Ländern waren damals völlig andere; ihr Verhalten ist daher schwer absehbar. 

Ansatzpunkte für stärkere Kooperation

Worauf kommt es in dieser Ausgangslage an? Auf neue, nichtständige Mitglieder warten viele Herausforderungen. Sie müssen sich schnell in Arbeitsmethoden und Abläufe des Gremiums einarbeiten. Staaten wie Deutschland, die regelmäßiger im Sicherheitsrat vertreten sind, verfügen in der Regel über mehr Personal und Erfahrung. Deutsche Diplomaten sollten daher die Kommunikationskanäle in New York sowie zu den Vertretungen in den jeweiligen Hauptstädten ausbauen, um eigene Erfahrungen mit den unerfahrenen Mitgliedern zu teilen sowie Vorbehalte gegen neue Initiativen auszuloten. Dabei ist Südafrika als potenzielles Bindeglied besonders wichtig, zumal das Land Anfang Februar für ein Jahr den Vorsitz der Afrikanischen Union übernommen hat.

In seinem Abstimmungsverhalten ist Deutschland vor allem auf Einigkeit mit den vier anderen europäischen Mitgliedern bedacht, die keineswegs selbstverständlich ist, wie der Fall Libyen zeigt. Doch bei den 29 verabschiedeten Resolutionen im Jahr 2019, die Länder in Europa oder Afrika betrafen, stimmten europäische und afrikanische Mitglieder stets gleich ab. Lediglich bei zwei Resolutionen zur Westsahara, einer zu Sudan/Südsudan und einer zu Somalia enthielten sich einzelne afrikanische Mitglieder.

Gemeinsam mit den drei afrikanischen Staaten erzielen die europäischen Mitglieder schon acht der neun Stimmen, die für die Verabschiedung einer Resolution nötig sind – wenn gleichzeitig das Veto eines ständigen Mitglieds (P5) ausbleibt. Eine klare Unterstützung durch die A3 kann zudem gerade für die Zustimmung Chinas und Russlands relevant sein.

Neue Impulse in politisch besonders brisanten Krisen mögen kaum zu erwarten sein; in einigen Konflikten und Friedensprozessen gibt es jedoch Spielraum für ein gemeinsames Vorgehen. Dies gilt für solche Fälle in Afrika, die kontinuierlich auf der Agenda des Sicherheitsrates stehen, weil es UN-Missionen vor Ort gibt, und bei denen zugleich die Interessen der P5 nicht zu stark divergieren. Eine solche Konstellation hat es etwa während des Umbruchs im Sudan und bei der Verlängerung der UN-Mission in Darfur gegeben: Hier bezogen die A3 gemeinsame Positionen, die weitgehend mit den europäischen kompatibel waren. In den Friedensprozessen in Mali und der DR Kongo haben jeweils Niger und Südafrika ein starkes regionales Interesse, das eine Chance für gemeinsame Initiativen mit den Europäern bieten könnte.

Niger wird sich voraussichtlich stark an die Positionen Frankreichs anlehnen. Doch es gibt auch Spannungen bei der Frage, wie der Terrorismus in der Sahelzone bekämpft werden soll; hier könnte Deutschland die Debatten mit eigenen Positionen voranbringen. Schwieriger gestaltet sich die Konstellation mit Blick auf Libyen. Tunesien verweigerte die Teilnahme am Berlin-Gipfel, weil es nicht in den Vorbereitungsprozess eingebunden und zu spät eingeladen worden war. Für eine Resolution im Sicherheitsrat zu den Ergebnissen von Berlin wird dies zumindest nicht hilfreich sein, wenn auch die Positionen der ständigen Mitglieder der entscheidende Hemmschuh sein dürften.

Die Bundesregierung sollte vor allem Südafrika als wichtigsten Partner unter den A3 besonders einbinden. Der Besuch von Bundeskanzlerin Merkel in Südafrika in dieser Woche bietet die Chance, die Zusammenarbeit mit Präsident Cyril Ramaphosa zu stärken und Möglichkeiten für europäisch-afrikanische Initiativen im UN-Sicherheitsrat auszuloten.

Taiwans bedrohte Demokratie hält Kurs

Fri, 31/01/2020 - 00:00

Am 11. Januar fanden in Taiwan Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt. Die Insel ist de facto ein souveräner Staat und eine konsolidierte Demokratie, wird jedoch von der Volksrepublik China beansprucht. Die seit 2016 regierende Präsi­dentin Taiwans, Tsai Ing‑wen, und ihre Demokratische Fortschrittspartei (DPP) haben beide Wahlen mit deutlicher Mehrheit gewonnen. Die DPP betont Taiwans De‑facto-Unabhängigkeit. Die größte Oppositionspartei Kuomintang (KMT) steht für eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem chinesischen Festland. Der Wahlkampf war geprägt vom zunehmenden Druck Pekings auf die Insel und von den Protesten in Hongkong. Hongkong dient den Taiwanern als Warnung davor, was passieren könnte, wenn Taiwan sich zu eng ans Festland anlehnt oder sich gar mit ihm vereinigt: Der Inselstaat könnte seine Demokratie und Freiheit verlieren.

EU und Zentralasien: Gemeinsam für mehr Nachhaltigkeit

Mon, 27/01/2020 - 00:00

Das Engagement der Europäischen Union (EU) in den Ländern Zentralasiens (Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbe­kistan) erhält neuen Schwung: durch die Neuauflage der EU-Zentralasienstrategie 2019 und die EU-Asien-Konnektivi­täts­strategie aus dem Jahr 2018. Einen Schwerpunkt bildet die Koope­ration zu nach­haltiger Entwicklung. Die Förderung wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Nach­haltigkeit ist prinzipiell sinnvoll, weil es hier bei den Interessen der EU und der Regie­rungen vor Ort Überschneidungen gibt; außerdem können unmittelbare Vor­teile für die Bevölkerung erzielt werden. Insbesondere die autoritären Staaten Zentral­asiens sind dabei allerdings mit Dilemmata konfrontiert. Zwar können sie davon pro­fitieren, wenn Nachhaltigkeit gefördert wird, fürchten aber eine damit einher­gehende Politi­sierung ökologischer und sozialer Fragen und dadurch entstehende Proteste. Zudem schrecken sie vor umfassenden Strukturreformen zurück und befürchten Wachs­tums­einbußen. Bei der Projektplanung sollte die EU deshalb einen Ansatz wählen, der anhand konkreter Projekte aus unterschiedlichen Politikfeldern demonstriert, wie Nachhaltigkeitsziele partizipativ erreicht und Beschäftigung geschaffen werden kann.

Myanmar: Welche Folgen hat der Richterspruch zum Schutz der Rohingya?

Mon, 27/01/2020 - 00:00

Im Völkermord-Verfahren gegen Myanmar haben die Richter des Internationalen Gerichtshofes das Land am vergangenen Donnerstag dazu verpflichtet, Sofortmaßnahmen zum Schutz der Rohingya zu ergreifen. Welche Folgen hat das für die Rohingya? Was bedeutet es für Regierungschefin Aung San Suu Kyi? Und wie beeinflusst es die Gesellschaft des Landes?

Nützt die richterliche Anordnung den Rohingya?

Der Internationale Gerichtshof verfügt über keinerlei Mittel, etwa eine eigene Polizei, um die Umsetzung von Schutzmaßnahmen zu garantieren. Er ist darauf angewiesen, dass Myanmar selbst tätig wird. Dort aber gibt es wenige, die versuchen werden, den Richterspruch ernsthaft umzusetzen. Große Teile der Bevölkerung sehen diesen als Ergebnis einer islamistischen Verschwörung gegen Myanmar. Die Gewalt gegen die Rohingya wird als rechtmäßige Anti-Terror-Maßnahme gegen die von militanten Gruppen innerhalb der Rohingya ausgehende Bedrohung angesehen. Sollte es hierbei zu Menschenrechtsverletzungen gekommen sein, so auch die Auffassung von Aung San Suu Kyi, sollten diese vor lokalen Militärgerichten verhandelt werden. Zudem werden die Rohingya weithin als illegale Einwanderer aus Bangladesh betrachtet. Schließlich steht der Umsetzung des Richterspruchs auch entgegen, dass der zentrale Akteur bei den Menschenrechtsverletzungen gegen die Bevölkerungsgruppe das Militär ist, das nach wie vor außerhalb der Kontrolle ziviler Institutionen agiert und einen Staat im Staate darstellt. Und so leben heute noch Hunderttausende Rohingya in Flüchtlingscamps in Bangladesh. Den Aufforderungen zur Rückkehr sind aufgrund fehlender Sicherheitsgarantien, Perspektivlosigkeit und mangelnder Bürgerrechte nur einige wenige gefolgt. In Myanmar selbst wurde in den letzten Monaten immer wieder Gewalt gegen Rohingya-Gemeinden verübt, so dass weiterhin Rohingya nach Bangladesh flüchten, wenn auch weniger als in den Vorjahren.

Was bedeutet der Richterspruch für Aung San Suu Kyi?

Auf internationaler Ebene bedeutet der Richterspruch für Aung San Suu Kyi, die einst mit Ghandi und Nelson Mandela verglichen wurde, eine weitere Beschädigung ihres bereits angekratzten Images. Bisher hatte sie jegliche Kritik der Staatengemeinschaft als haltlos abgetan. Im Dezember war sie sogar eigens nach Den Haag gereist, um die Vorwürfe des Völkermords zu entkräften und das eigene Militär und die »nationalen Interessen« zu verteidigen. Nun legt der Richterspruch die Verbrechen gegen die Rohingya offen und weist Schuld und Verantwortung klar der Regierung Myanmars und den staatlichen Sicherheitskräften zu. Dies wirft einen weiteren Schatten auf den Demokratisierungsprozess des Landes, der von vielen Beobachtern als fragil eingeschätzt wird. Im Land selbst hat Suu Kyi jedoch durch ihr offensives Auftreten in Den Haag, das in weiten Teilen der Bevölkerung als Verteidigung der »nationalen Interessen« und der Ehre der Nation wahrgenommen wurde, eher an Ansehen und Zuspruch gewonnen als verloren. Ihr Image als Ikone der Nation und Tochter des Republikgründers General Aung San wurde dadurch gestärkt. Das ist für ihre politische Karriere angesichts der Wahlen Ende 2020 nicht unwichtig.

Wie hängen Völkermord-Prozess und Wahlkampf zusammen?

Denn potentieller Gegenkandidat Suu Kyis wird aller Voraussicht nach ein ehemaliger General und nationalistischer Hardliner sein. Einem solchen Konkurrenten möchte sie mit ihrem harten Auftreten als starke Frau und stolze Nationalistin möglichst wenig Angriffsfläche bieten. Zudem will sie das nach wie vor mächtige Militär und dessen zahlreiche Unterstützer nicht im Vorfeld des Wahlkampfes gegen sich aufbringen. Ihr Verhalten in und um das Verfahren in Den Haag muss daher auch vor dem Hintergrund des beginnenden Wahlkampfes in Myanmar bewertet werden. Aktuellen Umfragen zufolge dürfte die von Suu Kyi geführte National League of Democracy (NLD) abermals die Wahlen gewinnen. Dass die NLD jedoch wie 2015 über eine absolute Mehrheit verfügen wird, ist derzeit unsicher. Vielmehr ist anzunehmen, dass die Partei viele Stimmen aus den Reihen der ethnischen Minderheiten des Landes verlieren wird, die über 30 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Viele dieser Minderheiten führen seit Jahrzehnten einen bewaffneten Kampf für mehr Autonomie und Selbstbestimmung gegen die Zentralregierung und waren in diesem Zusammenhang ähnlichen Behandlungen durch das Militär ausgesetzt wie die Rohingya. 2015 hatten fast alle Angehörigen ethnischer Minderheiten die NLD gewählt, da sie sich von einem Wahlsieg Suu Kyis einen nachhaltigen Friedensprozess und weitreichende Autonomierechte versprochen hatten. Beides ist bislang nicht umgesetzt worden. Das Auftreten der Regierungschefin in Den Haag, insbesondere ihre Verteidigung der Verbrechen des unter den ethnischen Minderheiten verhassten Militärs, dürfte zu einer weiteren Entfremdung beigetragen haben. Dafür spricht unter anderem, dass parallel zur Rohingyakrise die Gewaltkonflikte zwischen Militär und ethnischen Minderheiten in vielen Teilen des Landes eskaliert sind. Von einer Verschlechterung der Sicherheitslage vor den Wahlen ist daher auszugehen. Mehr noch, der von Suu Kyi zur Schau getragene burmesische Nationalismus wird die tiefe Spaltung des Landes entlang ethnischer Zugehörigkeit, deren Überwindung Suu Kyi sich einst zum Ziel gesetzt hatte, weiter verstärken.

Dieser Text ist auch auf Tagesspiegel.de erschienen.

Für eine Kultur völkerrechtlicher Rechtfertigung

Fri, 24/01/2020 - 00:00

International wird eine breite Debatte darüber geführt, ob die gezielte Tötung des iranischen Generals Qasem Soleimani durch eine US-Drohne völkerrechtlich zulässig war. Dabei hat die Trump-Administration bislang kaum Anstrengungen unternommen, diese Operation juristisch plausibel zu begründen. Daran zeigt sich einmal mehr, dass völkerrechtliche Erwägungen für Präsident Donald Trump selbst bei derart wichtigen Entscheidungen keine Rolle spielen. Staaten, die wie Deutschland für eine starke regel­basierte internationale Ordnung eintreten, sollten sich daher umso mehr darum bemühen, dem Völkerrecht Geltung zu verschaffen. Dazu gehört auch, Zweifel an der Rechtmäßigkeit solcher Aktionen gegenüber den Verantwortlichen klar zu benennen, auch wenn es dadurch zu politischen Unstimmigkeiten kommt.

 

EU-Turkey Cooperation over Migration

Fri, 24/01/2020 - 00:00

An immediate backlash followed the interview that Turkish Foreign Minister Mevlüt Cavusoglu gave to the German newspaper Bild the day before German Chancellor Angela Merkel’s visit to Turkey on 24 January to discuss the future of the EU-Turkey Statement as well as the situations in Libya and Syria. At the core of the controversy was Cavusoglu’s criticism against the EU for not keeping its promises in the context of the EU-Turkey Statement: incomplete financial aid, no progress in the modernisation of the Customs Union, and not opening new chapters in the accession negotiations. “Already only for these reasons”, Cavusoglu noted, “Turkey could have opened the borders. We have the right to do this, but we have not done it.”

For Ankara, threats to open the borders have increasingly become a not-so-uncommon diplomatic practice that has led to public anxiety in Germany. The important question here is, however, not whether Ankara would halt the Statement or not. The signals that it is sending to the EU are clear: Ankara wants to keep the cooperation over migration and border security intact. From the perspective of the ruling elites in Ankara, this makes sense for a couple of reasons. First and foremost, Turkey needs the financial and logistical support of the EU to continue improving its capacity for the social and economic participation of refugees into Turkish society. Turkey currently is hosting around 3.5 million Syrian refugees and approximately 600,000 non-Syrian refugees – the largest number of refugees compared to any country in the world. Most are likely to stay, not only because Syria remains in conflict, but also because the decision to return becomes more difficult once children start going to school.

Turkey–EU partnership: Transactionalism

Second, the EU-Turkey Statement is one of the only remaining instruments for Turkey (and also Europe) to continue its partnership. The importance of the Statement has arguably become even greater, especially since the EU’s General Affairs Council decided in June 2018 that accession negotiations with Turkey were effectively frozen. Despite the common perception abroad about Turkey’s increasing level of de-Westernisation, according to a recent survey conducted by Kadir Has University, 51 per cent of those who were surveyed stated that they supported EU membership for Turkey. Except among the supporters of the ultra-nationalist Nationalist Action Party (MHP), more than half of the AKP, CHP, HDP, and Iyi Party constituencies support Turkey’s EU membership.

Last, but not least, the refugee card as a bargaining tool is too precious for Turkey to relinquish. Given the anti-immigrant sentiments in Europe and the lack of unity among member states over a common asylum policy, the EU remains limited to externalisation policies, that is, to outsourcing migration governance to third countries. This naturally comes at the cost of prioritising transactionalism over rule-based cooperation. Turkey is aware of this. In fact, this awareness lies at the core of the controversy that Ankara deliberately created prior to its bilateral and multilateral meetings with European leaders – in an effort to get the most out of the negotiations. The controversy about the transfer of EU funds should also be interpreted in this context. Part of this controversy stems from disagreements over how and when the payments are made. The EU transfers funds on a project basis and in phases. Projects that are contracted as part of the first €3 billion will be complete by 2021, and those that are contracted as part of the second €3 billion will be done by 2025. By the end of 2019, both tranches had been combined, all operational funds were committed, €4.7 billion was contracted, and more than €3.2 billion was disbursed.

Modernisation of the Customs Union: A chance for re-emphasising issues of rule of law?

Given these factors, it is in Ankara’s interest to continue the EU-Turkey cooperation over migration management and border security. The situation seems to be not so different for the EU either, especially because the member states are still divided about common asylum policy and responsibility-sharing. In the likely continuation of the Statement, however, the EU should implement political conditionality on firmer grounds. Two issues are important. The first is that the EU should remind Turkey that the continuation of the Statement is dependent on Turkey’s commitment to the non-refoulement principle under international law. To this end, the EU should consider taking an active role in supporting cooperation with UNHCR and human rights organisations in monitoring the deportation allegations against Turkey. The second is that the EU should also consider the possibility that a stronger emphasis in a renewed Statement on the modernisation of the Customs Union might be an effective instrument to closely link the implementation of the Statement to issues of rule of law.

Indiens Ringen um die Staatsbürgerschaft

Thu, 23/01/2020 - 00:00

Mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts treibt die regierende Bharatiya Janata Party (BJP) von Premierminister Modi ihre hindu-nationalistische Agenda weiter voran. Die Reform wurde notwendig, um die Defizite des Bürgerregisters des Bundes­staats Assam zu beheben und den Weg für ein landesweites Staatsbürgerregister zu ebnen. Kritiker werfen der Regierung vor, dass die Vorhaben vor allem Muslime und Musliminnen diskriminieren, einer großen Zahl von Personen den Anspruch auf die Staatsbürgerschaft entziehen könnten und Grundwerte der Verfassung unter­graben. Die beiden Maßnahmen sind auch international auf viel Kritik gestoßen, unter ande­rem aus den USA und von den Vereinten Nationen. Der indische Außenminister hat die Reformvorhaben verteidigt und auf Chinas Umgang mit innenpolitischen Pro­blemen verwiesen. Sollte Indien dauerhaft einen solchen Weg einschlagen, könnte dies auch eine Diskussion in Gang setzen, ob und inwieweit ein zunehmend hindu-nationalistisch geprägtes Indien noch als ein Wertepartner des Westens gelten kann.

Putins Verfassungsstreich: Die Nachfolgefrage in Russland ist weiterhin offen

Tue, 21/01/2020 - 14:00

Wladimir Putin hat es eilig. Weniger als eine Woche nach seiner Rede zur Lage der Nation, in der der russische Präsident den massivsten Eingriff in die russische Verfassung seit 1993 ankündigte, ist der Gesetzentwurf schon in die Staatsduma eingebracht. Der Zeitplan ist straff: In den nächsten Monaten müssen beide Parlamentskammern und Regionalparlamente darüber abstimmen, im April soll eine Volksbefragung abgehalten werden, und anschließend wird Putin das Gesetz unterzeichnen. Insgesamt bestehen wenig Zweifel, dass das Reformpaket zügig in der aktuellen Form in Kraft tritt.

Viele Beobachter gehen davon aus, dass Putin mit diesem Verfassungsstreich das Startsignal für die »Operation Machterhalt« gegeben hat. Kompetenzen des »Superpräsidenten« sollen nach dieser Interpretation an andere staatliche Institutionen umverteilt werden, so dass Putins Nachfolger im Präsidentenamt deutlich geschwächt anträte. Putin könnte dann nach dem Ende seiner verfassungsgemäß letzten Amtszeit eine andere Position im Staat bekleiden, die es ihm erlauben würde, weiterhin de facto an der Macht zu bleiben und den handverlesenen Nachfolger in Schach zu halten.

Eine genauere Analyse von Putins Vorstoß legt jedoch eine andere Schlussfolgerung nahe: Der sehr starke Präsident verliert durch die Verfassungsänderungen stellenweise Macht, was jedoch wenig ins Gewicht fällt. An anderen Stellen gewinnt er sogar Macht hinzu; Elemente der Gewaltenteilung, des Föderalismus und der kommunalen Selbstverwaltung werden ausgehebelt. In der Summe dürfte das Amt des Präsidenten gestärkt aus der Reform hervorgehen. In seiner Rede an die Nation betonte Putin: »Russland soll eine starke Präsidialrepublik bleiben«. Von einer Parlamentarisierung kann keine Rede sein. Über mögliche Szenarien, welches Amt Putin nach seinem Abtritt vom Präsidentenamt übernehmen könnte, sagt das Reformpaket wenig aus. Putin pokert weiter und hält sich alle Optionen offen. Um welche Änderungsvorhaben geht es konkret?

Die Macht des Präsidenten wird ausgebaut

Die Staatsduma soll in Zukunft nicht mehr nur der Ernennung des Premierministers zustimmen, sondern zusätzlich auch der der Vizepremiers und der Minister. Dies ändert aber nichts an der Vormachtstellung des Präsidenten: Dieser kann auch in Zukunft die Duma auflösen, wenn diese drei Mal die Zustimmung zum vom Präsidenten vorgeschlagenen Premier verweigert. Zwar ist es nicht der Präsident, sondern der Premier, der der Duma laut Gesetzentwurf Vizepremiers und Minister zur Bestätigung vorschlägt. Der Präsident aber, der an das Votum der Duma gebunden ist, bekommt ein neues Druckmittel gegenüber dem Premier: Er kann diesen zukünftig entlassen, ohne dass das ganze Kabinett zurücktreten muss. In seiner Rede zur Lage der Nation hob Putin zur Rolle des Präsidenten zudem hervor, dass dieser Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Chef der Strafvollzugsbehörden bleibt. Zieht man noch in Betracht, dass der Präsident die Richtlinien in der Innen- und Außenpolitik bestimmt und als Schiedsrichter über den Gewalten steht, so bleibt die minimale Umverteilung nahezu folgenlos für die Übermacht des Präsidenten.

Eine weitere scheinbare Umverteilung von Kompetenzen stellt sich ebenfalls als Nebelkerze heraus: Die Leiter der »Machtbehörden«, zu denen für gewöhnlich die Bereiche Militär, Sicherheit und Strafverfolgung gezählt werden, sollen vom Präsidenten neuerdings nach Konsultationen mit dem Oberhaus des Parlaments, dem Föderationsrat, ernannt werden. Da dieser aufgrund der derzeitigen Nominierungsprozedur präsidentenhörig ist, wird der Präsident auch in Zukunft die Kandidaten seiner Wahl ernennen können.

Putins Gesetz sieht ferner vor, den ohnehin auf Moskau zugeschnittenen Föderalismus zu zentralisieren, was die Machtvertikale des Präsidenten stärken wird: Zum einen sollen die regionalen Staatsanwälte künftig nach Konsultationen mit dem Föderationsrat vom Präsidenten ernannt werden. Bisher müssen die Regionalparlamente zustimmen. Außerdem sieht Putin vor, dass ein einheitliches System der öffentlichen Verwaltung geschaffen wird: Die bis dato unabhängigen Kommunen werden der Föderal- und Regionalverwaltung untergeordnet. Auch die Judikative lässt Putin nicht unangetastet: Nach der Reform soll der Präsident veranlassen können, dass Richter des Verfassungsgerichts und des Obersten Gerichtshofs vom Föderationsrat entlassen werden. Bisher waren Disziplinarverfahren der Richterschaft überlassen.

Es stehen innenpolitische Turbulenzen bevor

Eine Änderung, um die sich zurzeit viele Spekulationen ranken, betrifft den Staatsrat, der künftig in der Verfassung verankert wird. Vielfach wird angenommen, dass Putin dem Organ so neue Macht zuweisen will und damit das Amt des Staatsratsvorsitzenden für sich in Betracht zieht. Doch der Verfassungsstatus sagt nichts darüber aus, wie viel Macht der Staatsrat tatsächlich hat; es kommt darauf an, welche Kompetenzen ihm per Gesetz zugeschrieben werden. Derzeit ist er ein vierteljährlich tagendes Gremium für Regionalpolitik, in dem die Gouverneure dem Präsidenten ihre Anliegen in überwiegend »weichen« Politikfeldern vortragen. Zudem ist er vollständig unter präsidialer Kontrolle: Der Präsident hat den Vorsitz, der Sekretär ist ein Präsidentenberater, und organisatorisch wird das Gremium von einer Abteilung des Kremls betreut. Auch nach der Reform soll das Organ weiter vom Präsidenten berufen werden. Kurzum: Bisher ist der Staatsrat kein Ort, in dem Putin dem zukünftigen Präsidenten ein Gegengewicht bieten könnte. Viel wichtiger ist, dass auch der Sicherheitsrat, der über strategische Fragen in den »harten« Bereichen Militär, Geheimdienste und Wirtschaft entscheidet, weiterhin vollständig vom Präsidenten dominiert werden wird; das Reformpaket sieht hier keine Änderungen vor.

Unterm Strich bleibt, dass der Präsident gestärkt aus der Verfassungsreform hervorgehen wird. Über den Putin-Transit kann weiterhin nur spekuliert werden. Sicher wird Putin mit weiteren Überraschungsmomenten aufwarten, davon zeugt der unerwartete Rücktritt der Medwedjew-Regierung. Denkbar sind etwa vorgezogene Duma- oder Präsidentschaftswahlen. Auch Putin selbst ist nicht vor Überraschungen gewappnet, die die raffiniertesten Nachfolgepläne durchkreuzen können. Denn mit dem Verfassungsstreich wird auch eine Zeit innenpolitischer Turbulenzen eingeläutet.

A Stable Countryside for a Stable Country?

Mon, 20/01/2020 - 00:00

∎ Agriculture is central to the stability of Tunisia’s economy and society. The new Deep and Comprehensive Free Trade Agreement (DCFTA) under negotiation with the EU offers opportunities for the agricultural sector, but also presents risks for the country as a whole.

∎ Within Tunisia there is strong emotional resistance to the DCFTA. Its intensity is comparable to the strength of feeling against the Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) in Germany a few years ago.

∎ In addition to criticisms of specific topics in the talks, a string of issues fuel this categorical rejection: wariness of European dominance; negative experiences with transformations in the agricultural sector, especially in relation to land ownership; as well as the tradition – prevalent across North Africa – of securing food security through protectionist trade policy.

∎ Sustainability impact assessments demonstrate positive welfare effects on growth and standard of living – but many concerns about ecological and social repercussions appear justified. Such negative effects can be avoided through concrete solutions within the agreement, and even better through appropriate Tunisian policies.

∎ The EU can address the categorical rejection by almost all stakeholders in Tunisia through better communication during negotiations. As well as appealing for commitment and responsibility on the Tunisian side, it will be important to approach Tunisian sensitivities with awareness and respect.

∎ Above all, Tunisian researchers should be more involved in DCFTA sus­tainability impact assessments and participate in public debate on these studies.

∎ Regardless of the success or failure of the talks, Tunisian agriculture needs to be promoted and developed. The organic sector offers great ex­port opportunities and attractive employment opportunities for young people.

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