In den letzten 15 Jahren hat die EU in vielfachen Krisen ihre Widerstandsfähigkeit bewiesen und wichtige politische Einigungen erzielt, die teilweise über den Rahmen des Lissabon-Vertrags hinausweisen. Dabei spielten – im Sinne eines »flexiblen Krisenfunktionalismus« – exekutive Institutionen, insbesondere der Europäische Rat und die EU-Kommission, eine führende Rolle. Währenddessen wurden programmatische Großprojekte der EU, vor allem in der Klima- und Cyberpolitik, gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren vorangetrieben. Dies zeigt, dass das traditionelle, eher technokratische Integrationsmodell weiterhin Bestand hat. In zehn Einzelbeiträgen zu zentralen politischen Projekten der EU sowie zwei Querschnittsanalysen wird der gegenwärtige Stand der Integration ausgelotet und aufgezeigt, wie den kommenden Herausforderungen begegnet werden könnte oder müsste. Die Entscheidungsfindung in der EU bleibt stark konsensorientiert. Dennoch ist die EU-Politik mit einem wachsenden Maß an Polarisation konfrontiert, insbesondere da, wo Ressourcen mobilisiert und umverteilt werden sollen oder weitreichende exekutive Entscheidungen anstehen. Das derzeitige Rüstzeug der EU reicht für die anstehenden Handlungserfordernisse nicht aus. Zu den vorrangig zu lösenden Aufgaben zählen: Förderung der Rechtsstaatlichkeit, ambitionierte Reformen der Erweiterungspolitik, Stärkung von Kompetenzen und Entscheidungsverfahren sowie Ausgleich des anhaltenden Demokratiedefizits der EU. Jenseits von einzelnen pragmatischen Integrationsschritten im Zuge dauerhaften Krisenmanagements gilt es deshalb, die Legitimität der EU umfassender auszubauen.
The debate in the European Union (EU) on the expansion of majority decision-making is entering a new round. Germany, in particular, is seeking to build a coalition in favour of more majority decisions in light of the, at times, difficult decision-making process concerning foreign and security policy, and the prospect of future EU enlargement. Too often, however, this debate is not taking into account how and with what results majority decisions are being used in other, sometimes equally contested policy areas. An analysis of the public votes since 2010 compiled in the SWP’s new EU Council Monitor shows that EU member states generally strive for consensus, even in majority decisions. Larger groups of member states are almost never outvoted. Still, Hungary and Poland increasingly stand out as two states that are outvoted more often than others, albeit to a slightly lesser degree than the United Kingdom (UK) was before Brexit. One way out of the dilemma between strengthening the EU’s ability to act and protecting vital national interests could be a well-balanced “sovereignty safety net”.
Die Debatte in der Europäischen Union (EU) über die Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen geht in eine neue Runde. Insbesondere Deutschland sucht unter dem Eindruck der teils schwierigen Entscheidungsfindung in der Außen- und Sicherheitspolitik sowie unter der Perspektive künftiger Erweiterungen eine Koalition für mehr Mehrheitsentscheidungen. Unterbeleuchtet ist in der Debatte, wie und mit welchem Ergebnis Mehrheitsentscheidungen in der Praxis genutzt werden. Eine Analyse der im neuen EU Council Monitor der SWP aufbereiteten öffentlichen Abstimmungen im Rat seit 2010 zeigt: Die EU-Mitgliedstaaten streben in der Regel auch bei Mehrheitsentscheidungen einen Konsens an. Größere Gruppen von Mitgliedstaaten werden so gut wie nie überstimmt. Zunehmend ragen aber mit Ungarn und Polen zwei Staaten heraus, die – auf einem etwas niedrigeren Niveau als Großbritannien vor dem Brexit – häufiger überstimmt werden als andere. Ein Ausweg aus dem Dilemma zwischen Handlungsfähigkeit der EU und dem Schutz legitimer nationaler Interessen könnte ein gut ausbalanciertes Souveränitätssicherheitsnetz sein.
The recent political consensus on the European Critical Raw Materials Act (CRMA) marks a significant step towards a common raw materials policy within the European Union (EU). Against the backdrop of increasing geopolitical tensions, the EU aims to bolster its “strategic autonomy” within its raw material supply chains. To achieve this goal, it is essential for the EU and its member states to enhance collaboration with mineral-rich third countries. The current geopolitical environment will require a concerted effort on the part of the EU with respect to its raw material diplomacy, as only through such effective engagement will the EU be able to diplomatically and programmatically implement raw material partnerships that appeal to third countries.