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Deutsches Institut für Entwicklungspolitik / Latest News

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Publikationen des German Institute of Development and Sustainability (IDOS)
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Die Antwort der EU auf die „Flüchtlingskrise": ein Jahr nach dem Gipfel von Valletta

lun, 14/11/2016 - 11:44
Im November 2015 trafen sich die Staats- und Regierungschefs der EU und Afrikas in Valletta, Malta, um eine gemeinsame Antwort auf die Flüchtlingskrise zu finden, durch die die europäische Politik massiv unter Druck geraten war. Ein Jahr danach zeigt der in Valletta gegründete EU Emergency Trust Fund for Africa (EUTF) einige beunruhigende Tendenzen in der Antwort Europas auf den Flüchtlingsstrom und bei der zukünftigen Ausrichtung seiner Entwicklungspolitik. Dabei ergibt sich eine interessante Möglichkeit, die Dinge auf eine andere Art zu regeln. Der EUTF geht von der Prämisse aus, dass sich die nicht planbare Migration durch Entwicklungszusammenarbeit und Unterstützung der afrikanischen Staaten beim Migrationsmanagement eindämmen lässt. Es gibt jedoch keinerlei Hinweise darauf, dass ein Mangel an Entwicklungsprojekten eine Migration auslösen würde. Hingegen hat sich gezeigt, dass Auswanderungsbestrebungen mit dem Wirtschaftswachstum zunehmen. Des Weiteren scheint die Vorstellung, dass sich die komplexen politischen, sozialen und ökonomischen „Ursachen” der Migration durch einen kurzfristig angelegten Treuhandfonds mit einem begrenzten Budget beeinflussen lassen, in hohem Maße unrealistisch. Vielen der an dem EUTF direkt beteiligten Akteure ist es daher auch bewusst, dass eine Ursachenbekämpfung nicht das eigentliche Ziel des EUTF sein kann. Anstatt dessen wird diese Unterstützung als eine politische Geste verstanden, der Migrationszusammenarbeit mit Afrika einen Durchbruch zu verschaffen. Diese Schwerpunktsetzung auf Gewährung von Starthilfen für die afrikanische Zusammenarbeit nimmt innerhalb des Migrationsmanagements der EU eine zunehmend zentrale Stellung ein. Deutlich wird dies durch die in der letzten Zeit abgeschlossenen „Migrationsverträge“, mit deren Hilfe über den EUTF Fördermittel bereitgestellt werden, die an eine Zusammenarbeit im Migrationsmanagement gebunden sind. Auch diese eher begrenzte Transaktionszielstellung des EUTF scheint hinsichtlich der relativ geringen zur Verfügung stehenden Geldmenge (dem EUTF stehen 1,982 Milliarden Euro zur Verfügung, die um weitere 500 Millionen für die Umsetzung der Migrationsverträge aufgestockt wurden) sowie in Anbetracht der komplexen politischen, ökonomischen und sicherheitspolitischen Faktoren, die die afrikanische Migrationspolitik maßgeblich beeinflussen, fraglich zu sein. Der EUTF stellt dabei einige besorgniserregende Tendenzen in der EU-Entwicklungspolitik heraus. Da der größte Teil der Finanzen des EUTF aus dem europäischen Entwicklungsfonds und anderen Entwicklungsinstrumenten stammen, haben andere Entwicklungsorganisationen Bedenken dahingehend angemeldet, dass hier finanzielle Mittel zur Förderung der Migrations- und Sicherheitsinteressen der EU in einer Weise verwendet werden, dass dadurch die Definition der eigentlichen Entwicklungshilfe verwässert wird. Offensichtlich scheint der EUTF von den Effizienzgrundsätzen und den Entwicklungsverpflichtungen der EU weit entfernt zu sein. Eigentum, Partnerschaft oder Ausrichtung spielen dort eine geringe Rolle. Die Gelder werden dabei eher nach dem Umfang der Migration als nach Bedarf verteilt, denn diese Programme werden von den Europäern gestaltet, verwaltet und realisiert, sind eng mit den Interessen der EU verknüpft und auf die Wahrnehmung dieser Interessen ausgelegt. Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass diese Merkmale Bestandteil der künftigen EU-Entwicklungszusammenarbeit sein werden. Daraus lässt sich ableiten, dass der EUTF in starkem Maße von den Kernprinzipien der Entwicklungszusammenarbeit abweicht, was sich letztlich für die Interessen der EU bzw. ihrer Partner nicht förderlich auswirken wird. Die bis dato umgesetzten EUTF-Maßnahmen haben Schwächen bei den EU-Verfahrensweisen und Spannungen unter den Mitgliedsstaaten offengelegt. Es fehlte dabei an einer konsequenten strategischen Ausrichtung und an Überblick, was angesichts der politischen Brisanz und der Geschwindigkeit der Implementierung des EUTF problematisch ist. Ein Kritikpunkt ist dabei, dass die Auswahl der Projekte und Projektverantwortlichen nicht immer nach den Kriterien erfolgte, die den Zielstellungen des Treuhandfonds bzw. den örtlichen Gegebenheiten am besten entsprochen hätten, sondern sich oftmals nach den Wünschen der Lobbys der Mitgliedsstaaten zur Finanzierung ihrer Projektagenturen richtete. Obwohl der EUTF eine ganze Reihe von Schwächen offenbart, heißt das jedoch nicht, dass er nichts zu bieten hätte. Der EUTF schafft ein Mehrwertpotential in Sachen Flexibilität und Innovation sowie die Möglichkeit, mit unterschiedlichen Arbeitsweisen zu experimentieren, ohne dabei den Beschränkungen der traditionellen Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit unterworfen zu sein. Dabei ist jedoch ein stärkeres Augenmerk auf die Analyse, den Lerneffekt und das Feedback zu legen. Sowohl die EU-Kommission als auch die Mitgliedsstaaten sollten sich aktiv bemühen, nach Projekten Ausschau zu halten, aus denen sich neue Erkenntnisse über die mit der Migration verbundenen Probleme und fliehende Bevölkerungsgruppen gewinnen lassen. Wenn es dem EUTF gelingt, stichhaltige Belege dafür vorzulegen, wie sich durch eine Analyse der Entwicklungszusammenarbeit die Probleme der Migration effizienter eindämmen lassen, könnte dies dazu beitragen, die EU-Migrationspolitik stärker auf die Entwicklungsziele auszurichten. Des Weiteren könnte es auch ein Impuls für eine Umgestaltung der Entwicklungsinstrumente und Programme der EU dahingehend sein, dass sie angemessen ausgestattet werden, um besser mit den komplexen und sich rasant ändernden Herausforderungen der Migrationsproblematik umzugehen.

Klimakonferenz in Marrakesch: Lackmustest für das Pariser Abkommen

lun, 07/11/2016 - 10:00
Bonn, Marrakesch, 07.11.2016. Das Pariser Klimaabkommen wurde im vergangenen Dezember weltweit als historischer Erfolg gefeiert. Ob es aber auch Geschichte schreiben wird, entscheidet sich durch seine erfolgreiche Umsetzung. Darum geht es, wenn ab heute bis zum 18. November in Marrakesch die erste Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) seit dem Pariser Klimagipfel von 2015 zusammentritt. Die Klimakonferenz in Marrakesch bietet somit den ersten ernsthaften Lackmustest für die in Paris getroffenen Entscheidungen.

Die in Rekordzeit erfolgte Ratifizierung des Pariser Abkommens ist ein ermutigendes Signal: die Staatengemeinschaft meint es ernst mit dem Klimaschutz. So konnte das Pariser Abkommen noch vor der Konferenz von Marrakesch völkerrechtlich in Kraft treten. Die Umsetzung seiner Inhalte wird aber dadurch nicht zum Selbstläufer. Deren transformativer Anspruch bedeutet eine radikale Abkehr vom „business as usual,“ nicht zuletzt in den Schlüsselsektoren Energie, Landwirtschaft, Verkehr und Städtebau. Kleinteilige Schritte reichen nicht aus, wenn die gravierendsten Folgen des durch den Menschen verursachten Klimawandels noch abgewendet werden sollen.

Klimawandel und Klimapolitik haben weitreichende Implikationen, die praktisch alle Bereiche menschlicher Entwicklung betreffen: von der Landwirtschaft über die Energieversorgung bis hin zu Artenschutz und Migration. Das Pariser Abkommen muss daher im Einklang mit den Nachhaltigkeitszielen (SDGs) der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung umgesetzt werden. Das gilt nicht zuletzt hinsichtlich der notwendigen Anpassung an die Folgen des Klimawandels, ohne die wichtige Ziele etwa bei der Wasserversorgung (SDG 6), der Infrastruktur (SDG 9) oder dem Schutz von Ökosystemen (SDG 15) nicht zu erreichen sein werden.

Im Sinne gemeinsamer, aber unterschiedlicher Verantwortlichkeiten der Staaten für den globalen Klimaschutz und im Rahmen der zum Pariser Gipfel vorgelegten nationalen Klimapläne (nationally determined contributions, NDCs) muss nun jedes Land seinen eigenen Politik- und Technologiemix finden, um globale Klima- und nationale Entwicklungsziele sinnvoll zu verzahnen. Dies erfordert neben nüchterner Berechnung und technokratischer Planung vor allem die Moderation politischer Interessenkonflikte, insbesondere in der nationalen Umsetzung. Die aktuelle Auseinandersetzung um den deutschen Klimaschutzplan beweist dies eindrücklich.

Um nationalen und lokalen Akteuren wegweisende Impulse für eine erfolgversprechende Umsetzung der Pariser Beschlüsse zu geben, sollten die Vertragsstaaten in Marrakesch insbesondere dreierlei erledigen:

  1. Erstens sollten sie verbindliche, langfristige Umsetzungsstrategien für die unterschiedlichen Themenstränge des Pariser Abkommens erarbeiten, nicht zuletzt hinsichtlich der Finanzierung und des Technologietransfers und im Sinne einer klimasensiblen globalen Investitionspolitik.
  2. Zweitens sollten sie die Mechanismen ausformulieren, mittels derer sie regelmäßig ihre nationalen Klimapläne verbessern wollen ("ratcheting up"), um das übergeordnete Ziel erreichen zu können, die durchschnittliche globale Erwärmung bei 1,5°C oder maximal 2°C zu stabilisieren.
  3. Drittens sollten sie auf Basis der vor wenigen Wochen beschlossenen Finanzierungs-"Roadmap" weiter konkretisieren, wie die gegenüber den Entwicklungsländern bereits gemachten Zusagen von 100 Milliarden US-Dollar jährlich ab 2020 eingehalten werden – und wie insbesondere genug Geld für Anpassung mobilisiert werden soll und die globalen Finanzflüsse mit einer klimagerechten Entwicklung in Einklang zu bringen sind.

Unter diesen Voraussetzungen kann die Umsetzung des Pariser Abkommens tatsächlich einen grundlegenden, weltweiten Strukturwandel befördern. Werden gleichzeitig die SDGs klimagerecht umgesetzt, kann die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft im Sinne einer nachhaltigen globalen Entwicklung gelingen.

Besonders erfolgsversprechend wäre es dahingehend, ehrgeizige, multilateral verhandelte Ziele mit langfristiger Vision, wie sie das Pariser Abkommen und die Agenda 2030 repräsentieren, systematisch mit den vielzähligen Initiativen nicht-staatlicher Akteure zu kombinieren. Schon heute schreiten viele Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen, aber auch und lokale Akteure wie Städte, den Regierungen mit innovativen "climate actions" voran. Wenn diese "Bottom Up"-Dynamik in Marrakesch besser mit den schwerfälligen Prozessen der UN-Klimapolitik verzahnt und im Sinne der globalen Ziele gebündelt werden könnte, dann wäre eine weitere wichtige Voraussetzung geschaffen, die Transformation zu einer klimagerechten menschlichen Entwicklung zu beschleunigen.

Die Vertragsstaaten sind hier klar in der Bringschuld, bilanzieren sie doch auch nicht-staatliche Fortschritte gerne als Erfolge nationaler Umsetzung. Die marokkanische Umweltministerin Hakima El Haite betonte als Gastgeberin des diesjährigen Klimagipfels bereits beim Petersberger Klimadialog der Bundesregierung im Sommer, dass Marrakesch "die Konferenz der Umsetzung und der Unterstützung" werden solle. Die Zeit ist reif, den Worten Taten folgen zu lassen.

„Aufstrebende“ Mächte – kann man sie noch so nennen?

lun, 31/10/2016 - 10:00
Bonn, 31.10.2016. Die Schwellenländer schwächeln: China befindet sich wirtschaftlich in einem „neuen Normalzustand“, der deutlich weniger dynamisch ist – und bewegt sich politisch erkennbar rückwärts. Brasilien ist seit Monaten innenpolitisch gelähmt und ging gerade durch die schwerste Rezession seit langem. Südafrika stagniert wirtschaftlich und demokratische Institutionen werden durch Nepotismus unterhöhlt. Die Türkei ist innenpolitisch und wirtschaftlich in Folge des Putsches bis ins Mark erschüttert… Die Liste ließe sich fortsetzen. Dies sollen „aufstrebende“ Mächte sein?! Um in der globalen Politik von wachsendem Gewicht zu sein, bedarf es zwei grundlegender Dinge: Willen und Fähigkeit zum globalen Engagement. Aufstrebende Mächte sind eine soziale Kategorie, keine absolute Größenordnung. Es wäre naiv zu glauben, dass der Aufstieg zu globaler Bedeutung eine ununterbrochene Erfolgsgeschichte ist. Daher sind Wirtschaftskrisen, ebenso wie politische Krisen, kein unmittelbares „Ausschlusskriterium“. Nach den fetteren Jahren wird allerdings deutlich, dass es verschiedene Kategorien aufstrebender Mächte gibt. China und Indien werden allein aufgrund ihrer Größe auch künftig globale Bedeutung haben. Dies bedeutet: Wachstum, aber auch eine langsamere Wirtschaftsentwicklung, haben Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. China und Indien werden inzwischen und künftig gebraucht werden – sowohl für Problemlösungen in der globalen Wirtschaft sowie für alle Nachhaltigkeitsfragen, die die Belastungsgrenze des Planeten betreffen, als auch für die Gestaltung von Frieden und Sicherheit über ihre Region hinaus. Ganz gleich, ob wir dies nun immer wollen oder nicht: Ihr Handeln oder Nicht-Handeln hat größere Konsequenzen. China und Indien sind etablierte Mächte, und weder für sie noch für uns wird es ein Zurück in die Welt des 20. Jahrhunderts geben. Für alle Staaten in einer Größenordnung kleiner als China und Indien gilt, dass wir sie als „aufstrebende Mächte“ sehen, wenn sie für globale Problemlösungen zunehmend wichtig werden. In der internationalen Zusammenarbeit sind vor allem nationale Beiträge zur Bereitstellung öffentlicher, globaler Güter gefragt. Über die Agenda 2030 mit ihren universellen Zielen für nachhaltige Entwicklung wird dies inhaltlich breit angestrebt. Doch wie ist die Realität? Die Diskussion um veränderte Machtverhältnisse darf nicht allein verengt auf das Wirtschaftswachstum betrachtet werden, sondern auch mit Blick auf den jeweiligen CO2-Ausstoß oder Erfolge in der Armutsbekämpfung. Umgekehrt gilt: Staaten können ein großes Konfliktpotential haben und damit selbst ein bedeutsames globales Problem darstellen. Das macht sie aber nicht notwendigerweise zu einer „aufstrebenden Macht“. Kaum jemand würde das sich einigelnde Nordkorea, immerhin eine Atommacht, in dieser Kategorie sehen. Staaten wie Brasilien, Indonesien, Mexiko, Pakistan, Nigeria, Äthiopien oder auch Ägypten, haben jeweils eine hohe Bevölkerungszahl. Nicht bei jedem der genannten denken wir aber an die Bezeichnung „aufstrebende Macht“. Jeweils einzeln betrachtet, sind sie nicht zwangsläufig unverzichtbar für globale Problemlösungen. Dies gilt trotz ihrer Bedeutung in ihren jeweiligen Regionen vor allem mit Blick auf eine Reihe von Problemen wie regionale Sicherheit, ökologische Vielfalt, oder auch mit Blick auf die (zum Teil ausbleibenden) Erfolge in der Reduzierung der absoluten Armut im Land. Äthiopien kann beispielsweise ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum von jährlich über 10 Prozent vorweisen und ist auch für die regionale Sicherheitspolitik bedeutsam. Dies führte bisher jedoch (noch) nicht zu einem klaren Willen oder einer verstärkten Fähigkeit, sich über die eigene Region hinaus diplomatisch oder wirtschaftlich zu engagieren. Diesen wichtigen Unterschied illustriert auf andere Weise auch Südafrika. Zugegeben, das Land hat kaum Wirtschaftswachstum und zunehmend politische Probleme. Aber es hat einen erkennbaren Willen, sich auch in globalen Foren wie der Welthandelsorganisation oder den G20 und den BRICS zu engagieren. Zudem ist dieser Wille auch mit Fähigkeiten verbunden: Südafrika verfügt über einen effektiven Staat, der Planungen auch umsetzen kann.
Ja, die Schwellenländer – vor allem die BRICS, aber auch beispielsweise die Türkei – schwächeln, und ihr Aufstieg ist nicht „unfallfrei“. Aber wir sollten nicht den Fehler machen, zu glauben, dass aufstrebende Mächte als Schwellenländer auf eben jener „Schwelle“ verharren. In der Tat sind Wirtschaftskrisen ein Risiko für die Anerkennung als aufstrebende Macht, weil ohne wirtschaftliche Basis und ohne internationale Vernetzung langfristig die Fähigkeiten zu globalem Engagement nachlassen werden. Aber wir brauchen diese aufstrebenden Mächte bereits heute als wichtige Partner. Als solche sollten wir ihnen im Umgang miteinander auf Augenhöhe begegnen statt sie abzuschreiben.

Wirtschaftspartnerschaftsabkommen: Warum brauchen sie so lange?

lun, 24/10/2016 - 09:00
Bonn, 24.10.2016. Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPAs) sind Handelsabkommen, die zwischen der EU und der Gruppe der afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten (AKP), die sich in einen regionalen wirtschaftlichen Integrationsprozess befinden, ausgehandelt werden. Am 10. Oktober 2016 trat das WPA mit der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC) in Kraft. Es gehört damit zu nur zweien von sieben WPAs mit AKP-Regionen, mit deren Umsetzung nach Unterzeichnung und Ratifikation begonnen wurde: Die Ratifizierung des ostafrikanischen WPA wurde verschoben; das westafrikanische WPA steckt in Verhandlungen fest; und in den übrigen Regionen sind regionale WPAs chancenlos, da viele Entwicklungsländer bilaterale Abkommen mit der EU geschlossen oder sich für Alternativen entschieden haben. 14 Jahre nach Beginn der Verhandlungen zeichnen sich einige Trends ab, die zu der Langwierigkeit der WPA Verhandlungen beigetragen haben. Erstens gab es einen Mangel an Begeisterung und politischem Willen der AKP-Regierungen. Viele vertraten die Ansicht, dass WPAs in ihrer derzeitigen Form nicht ihren langfristigen Entwicklungsinteressen dienen, schlechte Handelsbedingungen festschreiben und ihre Industrialisierung untergraben. Diese Skepsis wurde durch die Tendenz der EU verstärkt, WPAs als Mittel zur Durchsetzung einer erweiterten WTO-Agenda zu nutzen, um die eigenen langfristigen Handelsinteressen zu verfolgen. Angesichts der Tatsache, dass die Entwicklungsländer die Einführung von Bestimmungen zu Dienstleistungen, Investitionspolitik, staatlichem Beschaffungswesen und geistigem Eigentum auf globaler Ebene bisher abgelehnt hatten, erzeugte der Versuch der EU, diese in WPAs aufzunehmen, erheblichen Widerspruch. Zweitens wirkten geostrategische Überlegungen als weiterer Dämpfer für WPAs. Der zunehmende Handel mit China verleiht afrikanischen Ländern eine stärkere Verhandlungsposition gegenüber Europa. Zugleich wurden die TTIP- und TTP-Abkommen vom europäischen und amerikanischen Wunsch genährt, China von Schlüsselmärkten fernzuhalten und sich einen Vorsprung bei der Schaffung globaler regulatorischer Standards zu verschaffen. In einer sich so entwickelnden geopolitischen Landschaft gibt es für AKP-Staaten Anreize abzuwarten – in der Hoffnung, dass sich die Machtverhältnisse zu ihren Gunsten ändern. Drittens behinderten begrenzte institutionelle Kapazitäten den Verhandlungsfortschritt. Es ist für Entwicklungsländer schwierig, gleichzeitig Verhandlungen in der WTO, auf regionaler und kontinentaler Ebene und mit der EU zu führen. WPA-Prozesse sollten partizipativ sein und eine Bandbreite nicht-staatlicher Akteure aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft umfassen. Doch begrenzte Kapazitäten behinderten die gesellschaftliche Beteiligung in vielen Ländern und Regionen. Dies führt zu einer mangelnden Berücksichtigung wichtiger gesellschaftlicher Interessen und ist ein Problem für die Ratifizierung und Umsetzung von WPAs. Auf regionaler Ebene machten schwache Institutionen und ein Mangel an Erfahrungen es schwer, heterogene nationale Präferenzen zu überwinden und kohärente regionale Positionen zu formulieren. In einigen Regionen mangelte es an Feedback zwischen regionalen Unterhändlern und nationalen Ministerien, vor allem in jenen, die einen supranationalen Verhandlungsansatz wählten (Westafrika und Karibik). Vorwürfe wurden laut, die Verhandlungen seien von professionellen Verhandlungsführern ‚gekapert‘ worden. Die derzeitigen Schwierigkeiten in Westafrika, wo Nigeria sich weigert, ein Abkommen zu unterschreiben, das nach seiner Auffassung nicht in seinem Interesse ist, könnten darauf zurückzuführen sein. Schließlich trug ein hohes Maß gesellschaftlicher Opposition gegen WPAs, sowohl in der AKP-Region als auch in Europa, dazu bei, die Verhandlungen weit über die anfängliche Frist von 2007 hinaus zu verlängern. Kritiker behaupten, dass WPAs den wirtschaftspolitischen Spielraum beschränken, die lokale Produktion drastisch verringern und die Bemühungen Afrikas untergraben, regionale Integration zu erreichen. In einigen Ländern wie Nigeria und Uganda ist heftige Einflussnahme von Wirtschaftsverbänden und zivilgesellschaftlichen Akteuren ein Faktor für das Zögern beim Vorantreiben der WPAs. Da die Welt sich erheblich verändert hat, seit die WPAs vor 14 Jahren angestoßen wurden, kann man sich fragen, ob die Abkommen noch zweckmäßig sind. Wenn TTIP und TTP umgesetzt werden, werden die AKP-Staaten den von ihnen ausgehandelten Nutzen schwinden sehen. Für Staaten mit bedeutenden Exporten nach Großbritannien verringert der Brexit den Wert von WPAs zusätzlich, sodass sie sich fragen könnten, ob die von ihnen gemachten Konzessionen es wirklich wert sind. Auch wenn die Verhandlungen jetzt vorbei sind, werden die Ratifizierungs- und Umsetzungsprozesse, ganz zu schweigen von den Überprüfungsklauseln und Halbzeitüberprüfungen, zweifellos davon geprägt sein, dass die EU und die AKP-Staaten auch künftig strittige Handelsfragen erneut aufnehmen werden. Diese Kolumne ist am 24.10.2016 auch bei Euractiv erschienen.

UN-Gipfel für Wohnen und nachhaltige Stadtentwicklung: Was steht auf dem Spiel?

lun, 17/10/2016 - 09:00
Bonn, 17.10.2016. Vom 17.-20. Oktober 2016 findet in Quito, Ecuador, die dritte Konferenz der Vereinten Nationen für Wohnen und nachhaltige Stadtentwicklung (Habitat III) statt, auf der zentrale Entscheidungen für das städtische Leben in den nächsten Jahrzehnten getroffen werden. Sie gilt auch als „Umsetzungskonferenz“ nach dem Beschluss der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung und des Pariser Klimaabkommens. Damit sich diese Erwartung erfüllen kann, müssen in Quito die Grundlagen für die „Lokalisierung“ der globalen Nachhaltigkeitsziele gelegt werden, also deren Umsetzung und Erfolgsbeobachtung in Städten und Kommunen. Städte spielen für nachhaltige Entwicklung weltweit eine zentrale Rolle. Mehr als 50 % der Weltbevölkerung sind bereits in Städten beheimatet, bis zum Jahr 2050 werden es zwei Drittel sein. 90 % des bis 2050 zu erwartenden Anstiegs der Stadtbevölkerung erfolgt in Schwellen- und Entwicklungsländern. Die Infrastrukturen für die Versorgung dieser Menschen müssen größtenteils noch gebaut werden, sonst werden globale Ziele der Armutsminderung verfehlt. Folgen Städtebau und Stadtplanung jedoch den Leitbildern der letzten Jahrzehnte werden zunehmend Flächen und Ressourcen verbraucht. Damit ist es unmöglich, innerhalb der Zwei-Grad-Grenze der Erderwärmung zu bleiben. Die wenigsten Städte verfügen allerdings über die Mittel, zur Lösung solch komplexer globaler Entwicklungsaufgaben beizutragen. Insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern fehlt es vielerorts an fachlichen- und Entscheidungskompetenzen auf lokaler Ebene, oft aufgrund unzureichender rechtlicher und finanzieller Rahmenbedingungen für die Dezentralisierung und kommunale Selbstverwaltung. In den wenigsten Ländern werden Anliegen der zivilgesellschaftlichen- und Basisgruppen hinreichend in die Stadtentwicklung einbezogen. Chancen der Zusammenarbeit mit dem Privatsektor, etwa in den Bereichen Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel sowie Digitalisierung, werden nur selten genutzt. Auch in den internationalen Politikprozessen werden Städte unzureichend einbezogen. Insbesondere die Anliegen der Klein- und Mittelstädte werden vernachlässigt, obwohl gerade diese am schnellsten wachsen und daher vor besonderen Herausforderungen stehen, ihrer Bevölkerung Grundversorgung, Teilhabe und sozialen Zusammenhalt zu ermöglichen. Die Habitat III Konferenz bietet eine echte Chance, die entwicklungspolitische Bedeutung von Städten international ins Bewusstsein zu rücken und künftig in Handlungskonzepten für nachhaltige Entwicklung zu berücksichtigen. Zum einen spiegelt sich dies im Prozessverfahren wider. Bei der Vorbereitung der Konferenz konnten sich Städte erstmals umfangreich in die Verhandlungen des Entwurf des Abschlussdokuments der Konferenz einbringen: die „ New Urban Agenda“. Auf der Konferenz selbst fokussieren zahlreiche Veranstaltungen auf Fragen der Umsetzung, viele davon auf Initiative oder mit Beteiligung städtischer Akteure. Zum anderen zeigt sich die starke entwicklungspolitische Gewichtung von Städten auch in den Inhalten des Endentwurfs der New Urban Agenda. Deren Implementierung trage zu einer beteiligungsorientierten und lokalen Umsetzung  der Agenda 2030 bei. Um eine effektive Umsetzung zu gewährleisten, müssten auf allen Regierungs- und Verwaltungsebenen günstige Rahmenbedingungen geschaffen werden, zum Beispiel plädiert die New Urban Agenda für Dezentralisierung und Subsidiarität. Prozesse zur Beobachtung des Umsetzungserfolges der New Urban Agenda sollen an die Erfolgskontrolle der Agenda 2030 gebunden werden. Auch hier werden Lokalregierungen als aktive Partner im Prozess anerkannt. Doch all das scheint ohne klare Aussagen und Details zur Lokalisierung, also der Umsetzung und Erfolgsüberwachung der Agenda 2030 in Städten und Kommunen, noch ungenügend. Die Konferenz muss daher Folgendes anstoßen:

  • Lokalregierungen treten in den Dialog mit der Zivilgesellschaft, dem Privatsektor und anderen Interessengruppen, um gemeinsam Visionen zu formulieren, Prioritäten zu setzen und ortspezifische Strategien zu formulieren.
  • Durch die Beteiligung in Städteverbänden oder kommunalen Partnerschaften werden Erfahrungen ausgetauscht und gemeinsames Lernen ermöglicht.
  • Die Nationalregierungen schaffen die notwendigen Rahmenbedingungen, so dass die Städte und Stadtregionen in der Lage sind, eigene Lösungen zu entwickeln und umzusetzen.
  • Durch ein verstärktes Mitspracherecht auf internationaler Ebene sind Städte aller Größenordnungen und ihre Vertreterverbände in der Lage, ihre Herausforderungen und Interessen geltend zu machen.

Es steht daher viel auf dem Spiel. Denn wenn in dieser Woche nicht die Weichen dafür gestellt werden, den ‚Megatrend Urbanisierung‘ für eine nachhaltige globale Entwicklung zu nutzen, könnte diese Chance auf Dauer vertan sein – Habitat IV findet erst im Jahr 2036 statt. Daher muss sich auch Deutschland in Quito jetzt dafür einsetzen, die volle Wirkungskraft von Städten zu stärken.

Vom Welthungertag zum Welternährungstag

mar, 11/10/2016 - 15:58
Bonn, 12.10.2016. Am 16. Oktober ist es wieder soweit: Die Weltgemeinschaft erinnert am Welternährungstag an die Menschen, die auch in Zeiten des globalen Überflusses noch hungern. 1945 wurde an diesem Tag die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) gegründet. Seitdem ist die Zahl der Hungernden erschreckend konstant – etwa 800 Millionen bis eine Milliarde Menschen leiden weltweit an Unterernährung. Nur weil sich die Weltbevölkerung mittlerweile verdreifacht hat, ist der Anteil der Hungernden von etwa 35 % auf 11 % zurückgegangen. Doch ist dies wirklich ein Erfolg? Mittlerweile leben auch in Entwicklungsländern mehr Über- als Unterernährte. In Südasien und in Subsahara-Afrika jedoch sind sowohl die Anzahl als auch der Anteil der Hungernden immer noch besonders hoch. Diese Zahlen selbst sind bereits skandalös. Dazu kommt, dass in den globalen Überschussregionen wie Nord- und Südamerika die „moderne“ Nahrungsmittelproduktion mit großen Maschinen, Mineraldünger und chemischem Pflanzenschutz an biologische, ökologische und gesellschaftliche Grenzen kommt. Andererseits werden in vielen armen Ländern die natürlichen Ressourcen durch Übernutzung auf niedrigem Produktivitätsniveau zerstört. Wasser für die Bewässerung etwa wird vielerorts knapp. Die Agrar- und allgemeine Biodiversität schwindet. Der Klimawandel bedroht die Landwirtschaft ausgerechnet in den ärmsten, subtropischen Weltregionen am stärksten. Krisen und Konflikte erschüttern die Selbsthilfekräfte ganzer Nationen. Hinzu kommen verstärkt Preisschwankungen auf den internationalen Agrarmärkten. Mit der Bioökonomie (Nutzung von Biomasse für Energie oder als Ersatz für Öl in der Petrochemie) entsteht neue Konkurrenz für Nahrungsmittel. Doch einfache Schuldzuweisungen und schnelle Lösungen gibt es nicht. Einerseits zeigt sich seit Gründung der FAO, dass es bisher keinen grundsätzlichen Mangel an Nahrung gab, sondern nur jeweils örtliche, zeitliche und personenbezogene Verteilungsprobleme. Aber ohne einen kontinuierlichen Anstieg der Nahrungsmittelproduktion ist der globale „Angebotsvorsprung“ schnell aufgebraucht. Und auch die Verteilung der Nahrungsmittel ist kein leicht lösbares Problem. In den reichen Ländern ist eine stärkere ökologische Ausrichtung der Agrarproduktion notwendig. Dadurch sinkt jedoch die Produktivität, was zu steigenden Agrarpreisen national und auf dem Weltmarkt führt. In armen Ländern kann dies zu weiterem Hunger bei armen Konsumenten führen. Die Bekämpfung der Nahrungsmittelverschwendung sowie der Verzicht auf Fleischkonsum könnten dieses Defizit ausgleichen. Anders sieht es allerdings bei der steigenden Nachfrage der kommenden Jahrzehnte in den Entwicklungsländern aus, die weit über dem liegt, was derzeit im Überschuss oder einsparbar ist. Die weltweite Agrarproduktion muss daher weiter steigen. Die Reserven dafür sind vor allem in den ärmeren Entwicklungsländern zu finden, wo die Erträge oft bei nur 20-30 % des realistisch gegebenen Potentials liegen und die vermeidbaren Nahrungsmittelverluste ähnliche Größenordnungen aufweisen. Darüber hinaus braucht es eine drastische Erhöhung des Anteils der Nahrungsproduktion, der auf den Markt angeboten wird, um die wachsenden Städte zu versorgen. Der Schlüssel sind die Kleinbauern. Sie stellen immer noch zwei Drittel aller Hungernden. Können sie ihre Produktion steigern, hat dies zwei ernährungssichernde Effekte: Es wird mehr Nahrung produziert, und die bäuerlichen Haushalte erzielen höhere Einkommen. Dies kann nur gelingen, wenn sie – und ihre organisierten Strukturen – massive Unterstützung erhalten; Einerseits durch die Bereitstellung von kurzfristige Betriebsmitteln wie Düngemitteln, langfristige Investitionen wie Maschinen, (leichtere) Kreditvergaben, und andererseits aber auch durch gute (forschungsbasierte) Beratung. Dies alles muss in eine förderliche Agrarpolitik, in ländliche Entwicklungs- und kohärente Makropolitiken eingebettet sein. Die Produktion muss standortgerecht und nachhaltig sein. Dabei sind teilweise auch große Betriebe nützlich: Sie können mehr Risiken auf sich nehmen, für mehr Stabilität sorgen und die Organisation der Wertschöpfungsketten vorantreiben. Die kleinbäuerliche Produktion werden sie aber auf absehbare Zeit nicht ersetzen können. Flankiert werden muss dies von sozialen Sicherungsprogrammen sowohl für die temporär und chronisch Armen ohne Land als auch für die Kleinbauern selbst. Längerfristig müssen auch Arbeitsplätze außerhalb der Landwirtschaft geschaffen werden, um die steigende Zahl junger Menschen zu beschäftigen. Auch auf internationaler Ebene muss gehandelt werden: Freier Agrarhandel und regulierte Absicherungsmöglichkeiten gegen Ernteschwankungen, der Ausbau der internationalen Agrarforschung mit einer guten Verknüpfung in nationale Systeme, ernährungsorientierte Leitplanken für die Bioökonomie, Maßnahmen zur Sicherung der Biodiversität, die Einrichtung internationaler sozialer Sicherungssysteme für das Auffangen der großen, transnationalen Krisen. Weitere Anstrengungen zur Bekämpfung des Klimawandels sind Voraussetzungen dafür, dass auch der Aufbau einer „Klima-smarten“ Landwirtschaft gelingt. Nur dann können wir es noch schaffen, bis zum Jahr 2030 den Hunger weitgehend auszurotten. Erst dann sollten wir wirklich von einem Welternährungstag sprechen und diesen gebührend feiern.

Kooperation mit Afrika – ein strategisches Thema der Kanzlerin!

lun, 10/10/2016 - 12:48
Bonn, 10.10.2016. Noch vor wenigen Jahren wäre die Aufmerksamkeit undenkbar gewesen, die der afrikanische Kontinent gegenwärtig erfährt. Die deutsche und europäische Politik sind angesichts anhaltender Flucht- und Migrationsbewegungen aus verschiedenen Teilen Afrikas erheblich unter Druck geraten. Die gerade begonnene Afrikareise von Bundeskanzlerin Angela Merkel steht daher im Zeichen der Flüchtlingspolitik. Es sei eine „strategisch hochwichtige Frage“, wie wir in Zukunft mit unserem afrikanischen Nachbarkontinent umgehen, erklärte die Kanzlerin in der vergangenen Woche. Entwicklungsminister Müller fordert einen „Marshallplan“ für Afrika. Finanzminister Schäuble will im Rahmen der deutschen G20-Präsidentschaft 'Compacts' mit afrikanischen Ländern schließen, um Investitionen zu erhöhen. Die Zeit, in der Afrika jenseits der Entwicklungspolitik ein politisches Randthema war, scheint damit vorbei zu sein. Dieses gewachsene Interesse an der Kooperation mit Afrika lässt sich nur zum Teil durch die Diskussionen zu Flucht und Migration erklären. So hat das wirtschaftliche Interesse an der Kooperation aufgrund von stetigem Wirtschaftswachstum in Afrika seit 2000 zugenommen. Daneben gibt es ein stärkeres Bewusstsein, dass nachhaltige Entwicklung in Deutschland und Europa sehr eng mit nachhaltiger Entwicklung in Afrika zusammenhängen. Wie die Kanzlerin vor ihrer Abreise betonte: „Wenn wir deutsche Interessen verfolgen wollen, müssen wir realistischerweise sagen, dass auch das Wohl Afrikas im deutschen Interesse liegt.“ Neben Mali und Niger wird Kanzlerin Merkel die Afrikanische Union (AU) in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba besuchen. In Mali beteiligen sich deutsche Soldaten an verschiedenen Missionen zur Stabilisierung des Landes. Durch Niger führen wichtige Transitstrecken für Flüchtlinge und Migranten. In Äthiopien wird Merkel vermutlich v.a. die AU besuchen, da die äthiopische Regierung nun den Ausnahmezustand ausgerufen hat, nachdem bei monatelangen Protesten hunderte Demonstranten durch den unverhältnismäßigen Einsatz der Sicherheitskräfte ums Leben gekommen sind. Nach ihrer Rückkehr wird sie zudem noch die Staatsoberhäupter von Tschad und Nigeria in Berlin treffen. Der Aufbau besserer Lebensbedingungen und die Reduzierung von Fluchtursachen wie Repression und Bürgerkriege sind keine kurzfristig erreichbaren Ziele. Schnelle Lösungen, die die Zahl der nach Europa drängenden Menschen rasch abnehmen lässt, sind nicht möglich, wie auch die Kanzlerin betonte. Wichtige Orientierungspunkte für deutsche Afrikapolitik sollten sein: Eine Kombination aus kurz- und längerfristig angelegten Kooperationsansätzen ist ein wichtiger Beitrag, um Herausforderungen in fragilen und post-Konflikt Ländern zu begegnen. Zu Recht betont die Kanzlerin gleichermaßen die Rolle der Entwicklungszusammenarbeit, die eher langfristige Perspektiven hat, und die auf kurzfristige Unterstützung ausgerichtete humanitäre Hilfe. Für beide Bereiche mehr Mittel sinnvoll einzusetzen, ist daher eine kluge Investition in die Zukunft. Insbesondere in autoritär geführten Ländern stellt sich die Frage nach angemessenen Kooperationsstrategien. In einigen Ländern wie Ghana, Mauritius oder zuletzt Nigeria haben sich demokratische Strukturen gefestigt. In der Mehrheit der Länder ist der Grad der politischen Freiheiten seit 2005 zurückgegangen, etwa in Äthiopien. Studien belegen, dass Demokratieförderung einen wichtigen Beitrag leisten und bspw. in Nachkriegsländern, die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Konfliktausbruches reduzieren kann. Die Bundesregierung sollte daher die Förderung nachhaltiger Wirtschaftsentwicklung und sicherheitspolitische Kooperation sehr eng mit Demokratieförderung verknüpfen. Die Stärkung regionaler Organisationen ist in der Kooperation mit Afrika sehr wichtig, sowohl um Frieden und Sicherheit als auch sozio-ökonomische Entwicklung zu fördern. Europa hat zuletzt vermehrt auf bilaterale Kooperation gesetzt (beispielsweise bei den EU-Migrationspartnerschaften, die auch bei der Reise der Kanzlerin ein wichtiges Thema sind). Die AU und andere Regionalorganisationen sollten jedoch weiter wichtige Partner bleiben. Der Besuch der Kanzlerin bei der AU ist deshalb ein richtiges Zeichen. Ein gemeinsames Auftreten und Wirken der europäischen Partner ist unabdingbar. Zum einen gilt es, Kräfte in der Kooperation gemeinsam einzusetzen, um mehr Wirkungen zu erzielen. Beispielsweise in der Entwicklungszusammenarbeit, in der Förderung von Frieden und Sicherheit oder von Demokratie und Menschenrechten müssen die EU und ihre Mitgliedsstaaten stärker an einem Strang ziehen. Zum anderen sind vielfach afrikanische Partner durch die zersplitterten Kooperationsansätze unnötig belastest. Auch hier sollte Deutschland weiter eine konstruktive Rolle bei der besseren Verzahnung u.a. der EU-Entwicklungszusammenarbeit spielen. Die Reise der Kanzlerin ist ein positives Signal für die Stärkung der Kooperation mit afrikanischen Ländern. Allerdings wird nachhaltige Entwicklung in Afrika auch durch Politik innerhalb von Deutschland und Europa beeinflusst. Deutsche und europäische Konsummuster und Produktionsstandards, Energie- und Klimapolitik, Agrarpolitik oder Steuer- und Finanzpolitik haben maßgeblichen Einfluss auf nachhaltige Entwicklungschancen in Afrika. Im Sinne der Nachhaltigen Entwicklungsziele fängt erfolgreiche deutsche und europäische Afrikapolitik daher 'zu Hause' an.

Müssen wir den Freihandel überdenken?

mer, 28/09/2016 - 13:29
Bonn, 04. Oktober 2016. Sigmar Gabriel hat jüngst die Transatlantische Partnerschaft (TTIP) für gescheitert erklärt und auch das kanadische Abkommen CETA schlägt hohe Wellen. Die Skepsis an Freihandelsabkommen ist auf einem historischen Hoch. Und nicht nur das. Auch die Zustimmung zu freiem Handel generell sinkt und Globalisierungskritiker in weiten Teilen der Welt bekommen Aufwind – sogar unter ehemaligen Freihandelschampions wie Deutschland. Wie kann man diese Trends erklären?

Erstens: Handelsregeln dringen immer weiter in sensible nationale Politikbereiche vor. In Deutschland und der EU steht vor allem im Fokus der Debatte: Neuere Handelsregeln gehen häufig weit über den Abbau von Zöllen hinaus und betreffen auch Themen wie Verbraucher- und Umweltschutz. Durch TTIP sollen beispielsweise Standards, die sich zwischen den USA und der EU unterscheiden, durch regulatorische Kooperation angeglichen werden. Einigen sich die Verhandler auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, ginge das zu Lasten dieser Standards. Obwohl führende Politiker betonen, dass europäische Standards nicht gesenkt werden sollen – die Befürchtungen der Zivilgesellschaft sind massiv. Verbraucher- und Umweltschutz sollte in den Verhandlungen ernst genommen werden und nicht wirtschaftlichen Interessen zum Opfer fallen. Handelsabkommen sollten vielmehr dazu genutzt werden, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Sinne des globalen Gemeinwohls zu reformieren. Doch auch bei den klassischeren Fragen der Handelspolitik gibt es Raum für Diskussionen – nicht zuletzt aus der Perspektive der Entwicklungsländer.

Zweitens: Die positiven Auswirkungen des Freihandels sind hinter den Erwartungen einiger Länder zurückgeblieben.

Seit langem gelten Exporte als Wachstumsmotor. Die verstärkte globale Fragmentierung der Produktion bietet den Verfechtern der Marktliberalisierung ein weiteres stichhaltiges Argument: Um in globalen Wertschöpfungsketten wettbewerbsfähig zu sein, müssen auch importierte Zwischengüter kostengünstig verfügbar sein – eine klare Absage an Importzölle und den Schutz heimischer Industrien. Tatsächlich bieten globale Wertschöpfungsketten gerade für Entwicklungsländer große Chancen: Durch die Verwendung ausländischer Zwischenprodukte können sie die Teile des Produktionsprozesses übernehmen, die sie am besten her- oder bereitstellen können – ohne selbst eine ganze Industrie aufbauen zu müssen. Allerdings sind viele Entwicklungsländer vor allem in Niedriglohnsegmenten aktiv, z.B. dem Zusammennähen von Textilien. Kritiker betonen, dass der Freihandel Entwicklungsländer in ihrem aktuellen komparativen Vorteil, z.B. dem Export von Rohstoffen und dem einfachen Zusammenbauen importierter Zwischengüter, gefangen hält und dass Handels- und Investitionsabkommen ein „Upgrading“ zu höherwertigen Gütern und komplexeren Produktionsschritten erschweren. Es ist deshalb wichtig, eine Balance zu finden zwischen dem Abbau von Handelsbarrieren und der Wahrung eines gewissen Politikspielraums zur Umsetzung nationaler Entwicklungsstrategien.

Drittens: Nicht alle Menschen haben vom Freihandel profitiert. Freihandel führt zu Veränderungen der Wirtschaftsstruktur: Spezialisieren Länder sich gemäß ihres komparativen Vorteils, werden diejenigen Sektoren wachsen, die die relativ günstigeren Produktionsfaktoren intensiv einsetzen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Arbeitsplätze dort verloren gehen, wo Produktionsschritte günstiger im Ausland durchgeführt werden können – z.B. das Zusammenbauen des iPhones in China. Die effizientere Verteilung von Produktion bringt also Gewinner und Verlierer hervor. Gleichzeitig sorgt sie für niedrigere Preise, die allen Konsumenten zu Gute kommen. Jüngste Forschungsergebnisse zeigen allerdings, dass die armen Bevölkerungsschichten aufgrund unterschiedlicher Konsummuster weniger vom Freihandel profitiert haben als die reichen. Die Preise von Gütern und Dienstleistungen, die vornehmlich von reicheren Bevölkerungsschichten konsumiert werden, sind stärker gefallen als zum Beispiel von Agrarprodukten, für die die ärmere Bevölkerung einen großen Anteil ihres Einkommens aufwendet. Unterm Strich gilt jedoch: Der Wohlfahrtsgewinn durch Freihandel ist groß genug, dass die Gewinner die Verlierer kompensieren und am Ende alle profitieren könnten. In Zukunft sollten den unterschiedlichen Auswirkungen des Freihandels besser Rechnung getragen und angemessene Politikmaßnahmen diskutiert werden.

Der Freihandel war in den letzten Jahrzehnten ein wichtiger Treiber ökonomischer Entwicklung. Wir sollten ihn in Zeiten von düsteren weltwirtschaftlichen Wachstumsprognosen nicht begraben. Aber wir brauchen eine neue Form des Freihandels. Einen Freihandel, der einer zum Teil berechtigten Kritik Sorge trägt. Damit das gelingt, sollte der internationale Handel auch im Einklang mit den globalen Nachhaltigkeitszielen stehen – ökonomisch, sozial und ökologisch. Die G20 ist ein wichtiger Akteur, um dieses Ziel umzusetzen.

Der UN-Gipfel zu Flucht und Migration: Warme Worte – und sonst?

lun, 26/09/2016 - 09:25
Bonn, 26.09.2016. Angesichts von über 65 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen weltweit befassten sich am vergangenen Montag die Vereinten Nationen auf einem eigenen Gipfel mit großen Flucht- und Migrationsbewegungen. In ihrer „New Yorker Erklärung“ bekennen sich die UN-Mitgliedsstaaten zu einer stärkeren Unterstützung der Staaten, die besonders viele Flüchtlinge aufnehmen, zu einem besseren Schutz der Rechte von Flüchtlingen und Migranten sowie zu verbesserten Integrationsmaßnahmen – all das freilich ohne rechtliche Verbindlichkeit. Nicht wenige Kritiker betrachten den UN-Gipfel deshalb lediglich als einen „Gipfel der warmen Worte“ und Absichtserklärungen, der aber keinerlei Wirkungen entfalten wird. Der Gipfel ist aber auch Ausgangspunkt zweier Prozesse, einem zu Flucht und einem zu Migration, die in den nächsten zwei Jahren in zwei entsprechende Abkommen münden sollen. Es wäre außerordentlich wichtig, dass diese Abkommen dann tatsächlich einen internationalen Rahmen bilden, um Flüchtlingskrisen besser und fairer zu begegnen und internationale Migration gerechter zu gestalten. Denn bislang gibt es keine globale Regelung zur Steuerung von Migration – und jene für Flüchtlinge funktioniert nicht.  Die Genfer Flüchtlingskonvention gehört zu den ältesten Errungenschaften der Vereinten Nationen. Unter dem Eindruck millionenfacher Flucht und Vertreibung in Europa einigte sich die internationale Gemeinschaft 1951 auf verbindliche Regeln für den Umgang mit Menschen, die aus politischen Gründen vertrieben wurden. Doch das so etablierte globale Flüchtlingsregime lieferte schon damals keine Antwort auf große kriegsbedingte Massenbewegungen, wie sie etwa die indische Teilung 1947 nach sich zog. Der große Zuwachs an Geflüchteten in den letzten Jahren hat diese Schwächen besonders deutlich gemacht. So sind die Lasten bei der Aufnahme der Flüchtlinge äußerst ungerecht verteilt. Eine Handvoll zumeist eher armer Länder – wie Jordanien, Pakistan oder Äthiopien – hat über die Hälfte der derzeit etwa 21 Millionen internationalen Flüchtlinge weltweit aufgenommen. Die meisten von ihnen leben schon seit Jahren außerhalb ihrer Herkunftsländer. Umso bitterer ist es, dass sich die allermeisten Staaten dauerhaften Lösungen, die die Lebenssituation und die Perspektiven der Flüchtlinge maßgeblich verbessern würden, verweigern. Eine reguläre Integration wird den Geflüchteten oft verweigert. Die Größenordnungen der Umsiedlungen sind kaum der Rede wert: So wurden nicht einmal 5.000 der in 2015 anvisierten 160.000 Flüchtlinge innerhalb der EU umgesiedelt, um dadurch vor allem Italien und Griechenland zu entlasten. Die Unterstützung von Flüchtlingen in den Hauptaufnahmeländern ist zudem geprägt von chronischer Mittelknappheit, starker Konkurrenz der UN-Organisationen untereinander, mangelhafter Einbindung lokaler Organisationen und einer unzureichenden Verknüpfung mit Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit. Noch schwieriger stellt sich die Lage für die rund 180 Millionen internationalen Migrantinnen und Migranten dar, die ihr Land nicht als Flüchtlinge vor Bedrohung und Gewalt verlassen haben, sondern auf der Suche nach neuen Lebensperspektiven für sich oder ihre Angehörigen zu Hause, etwa durch Rücküberweisungen. Im Gegensatz zum Flüchtlingsregime, aber auch zu vielen anderen globalen Themen wie dem Weltklima, dem Welthandel oder dem internationalen Postverkehr, gibt es keinen globalen Rahmenvertrag für eine Steuerung von Migration zwischen Staaten. Die globale Migrationsgovernance ist ein Flickenteppich aus regionalen Abkommen und den Mandaten unterschiedlicher internationaler Organisationen, die das Thema Migration nur in Teilaspekten berühren. Auch wenn sich in den letzten 20 Jahren die Wahrnehmung des Migrationsthemas gewandelt hat und Migration heute von den meisten Experten grundsätzlich positiv und als Chance für Entwicklung gesehen wird, leben viele internationale Migranten unter sozial, wirtschaftlich und rechtlich prekären Bedingungen. Versuche in der Vergangenheit, zumindest rechtliche Mindeststandards zu etablieren, scheiterten stets am Widerstand vor allem der Industrienationen. Eine zuletzt in vielen Ländern zu beobachtende Zunahme von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus verschärft die Lage zusätzlich. Doch es gibt erste kleine Schritte für eine bessere globale Steuerung von Flucht und Migration: Die Vereinten Nationen haben auf dem New Yorker Gipfel die Internationale Organisation für Migration (IOM), die zentrale Organisation für Migrationssteuerung zwischen Staaten, in das UN-System aufgenommen. Auch hat die Staatengemeinschaft nach US-Angaben dieses Jahr bereits 4,5 Milliarden US-Dollar mehr als 2015 für die Flüchtlingshilfe zur Verfügung gestellt. Diese und weitere kleine Schritte werden notwendig sein, um bis 2018 den Boden für weiterreichende internationale Abkommen zu bereiten. Dabei wird man wohl Pragmatismus walten lassen müssen, wenn unter dem Leitbild einer geteilten internationalen Verantwortung weitere Fortschritte erreicht werden sollen. Manche Staaten, wie Australien, Ungarn oder Polen, werden ihre ablehnende Haltung zur Aufnahme von Flüchtlingen einstweilen kaum aufgeben. Doch wenn diese Länder zumindest zu einer adäquaten und regelmäßigen finanziellen Beteiligung an der Flüchtlingshilfe verpflichtet werden könnten, wäre schon ein nächster Schritt getan.

Jörn Grävingholt und Benjamin Schraven sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn.

Umgang mit Autokratien: Helfen die globalen Nachhaltigkeitsziele?

ven, 16/09/2016 - 14:10
In der Agenda 2030 mit ihren globalen Zielen für Nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) hat die Staatengemeinschaft den Versuch unternommen, universelle Governance-Standards zu definieren. Das Ziel 16 – welches „effektive, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen” sowie „partizipative Entscheidungsfindung” fordert – birgt das Potenzial, sich zu einer nützlichen Richtlinie für internationales Handeln gegenüber politischen Regimen jedweder Couleur zu entwickeln. Von „Good Governance“ zu SDG 16 Lange Zeit gab es keinen allgemein gültigen Standard, an dem staatliche politische Prozesse gemessen werden konnten, lediglich auf regionaler Ebene, wie z.B. in der Afrikanischen Union. Auf die Begriffe Governance und Good Governance berief sich die internationale Politik zwar hauptsächlich in der Demokratieförderung oder in der Diskussion um die Bereitstellung öffentlicher Güter. Die Grundidee war hier zum einen, dass bestimmte Prinzipien wie die Universalität der Menschenrechte oder Rechenschaftslegung unterstützt werden. Jedoch sollten keine vorgefertigten politischen Modelle gefördert werden („no blueprints“). Doch zum anderen stellte die Governance-Förderung darauf ab, dass diese öffentlichen Güter wie zum Beispiel Gesundheitsversorgung, Bildung oder Umweltschutz sowohl von staatlichen als auch nichtstaatlichen, insbesondere privatwirtschaftlichen, Akteuren bereitgestellt werden. Durch diesen Fokus auf Public-Private-Partnerships wurde die Diskussion um universell gültige Standards der Politikgestaltung vermieden. Während die allgemeine Idee von Public-Private-Partnerships durch SDG 17 gestärkt wird („multi-stakeholder cooperation“), spricht SDG 16 explizit an, wie staatliche Institutionen und politische Prozesse organisiert werden sollen. Damit geht SDG 16 über die Idee von „Good Governance“ hinaus und bezieht sich direkt auf die Art und Weise wie politische Prozesse gestaltet werden sollen. SDG 16 formuliert, dass (politische) Institutionen „auf allen Ebenen“ „effektiv, rechenschaftspflichtig und inklusiv“ sowie Entscheidungsfindung „partizipativ“ stattfinden soll. Somit werden zwei wichtige Dimensionen politischer Systeme (Institutionen und Prozesse) direkt angesprochen. SDG 16 bietet damit eine Grundlage für internationales Handeln bezüglich nationaler politischer Ordnungen, also auch für den Umgang mit autoritären Regimen. Ein wackliges, aber – immerhin – ein Fundament Die Basis für eine internationale Antwort auf autokratische Regierungen mittels der SDGs steht – jedoch auf wackligen Beinen. Denn die Schlüsselbegriffe der „effektiven, rechenschaftspflichtigen und inklusiven Institutionen“ und „partizipativen Entscheidungsfindung auf allen Ebenen“ sind offen für Interpretationen. Diese Mehrdeutigkeit ist nicht per se von Nachteil, denn sie eröffnet die Möglichkeit, unterschiedliche kulturelle und historische Traditionen zu berücksichtigen, ohne die zugrunde liegenden Prinzipien – die sich in den Adjektiven ausdrücken – zu opfern. Ob ein partizipativer Prozess am besten über Kommunalwahlen oder direktdemokratisch über das Abhalten öffentlicher Diskussionen mit Konsensfindung durch traditionelle Autoritäten geschieht, ist dann zweitrangig – solange alle Menschen möglichst diskriminierungsfrei teilhaben können. Alle politischen Akteure – inklusive der Zivilgesellschaft – sind nun gefordert die in SDG 16 angelegten Prinzipien in konkrete Politiken zu übersetzen. Dies ist von autoritären Regierungen kaum zu erwarten. Umso mehr muss sich die Governance-Förderung explizit der Frage stellen wie eine Öffnung politischer Institutionen in autoritären Kontexten auf der Grundlage von SDG 16 erwirkt werden kann. Auslegung – offen und werteorientiert Wenn in der Außen- und Entwicklungspolitik Deutschlands, die eigenen Werte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte nicht verraten werden sollen, muss ein Spagat gelingen: Einerseits müssen politische Strategien offen sein für lokale und kulturell geprägte Umsetzungen der Governance-Prinzipien. Andererseits müssen sie erkennen, wann diese Prinzipien Ungerechtigkeit, Willkür und Ausbeutung verstärken anstatt sie abzubauen. Aufgrund dieser Erkenntnis können dann diejenigen lokalen Kräfte unterstützt werden, welche sich für tatsächlich effektive, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen einsetzen. Das SDG 16 stellt damit keinen klaren Bezugsrahmen für einen entschiedenen und konfliktträchtigen Wandel hin zur weltweiten Einführung der Demokratie dar. Aber es gibt ein substantielles Ziel vor, das lokal angepasst und dessen Erreichen international unterstützt werden kann. Es fordert auf, sich intensiv mit den Gegebenheiten zu beschäftigen, legitime Interessen abzuwägen und schnelle Schlussfolgerungen zu vermeiden. Zum Beispiel wäre die Bekämpfung von religiös motivierten Parallelstrukturen durch die demokratisch gewählte Regierung in der Türkei dabei nicht von vorneherein zu verurteilen – so denn sie nach rechtsstaatlichen Verfahren abläuft („rechenschaftspflichtige Institutionen“). Zu diesem Thema veranstaltet das DIE eine Podiumsdiskussion am 27.09.2016.

Priority setting – or rather not? Positive concerns for SDGs

lun, 12/09/2016 - 11:06
Bonn, 12 September 2016. No priority is the priority – this seems to be the modus operandi for the implementation of the Sustainable Development Goals (SDGs) adopted in September of last year. No doubt, it is essential to understand that in today’s world of interconnected complex systems, the causes of some of the major economic and social failures can be traced to alarming environmental distress such as climate change. There is not much leeway to deny that we are living in the Anthropocene – the epoch in which human activity is primarily responsible for the changes in the Earth’s climate and biodiversity.  Climate change threatens livelihoods. This needs to be addressed immediately. However, the legitimate question of whether and how to prioritize the various development goals of the agenda’s three pillars – economic, social and environmental sustainability – arises particularly in the developing and least developed countries. For a resource constrained developing country, a value-based development standard like the Agenda 2030 is in the end a critical economic challenge. While it is crucial to understand the ethical merit behind the idea ‘no priority is the priority’, it is not very difficult to recognize a natural pattern of crudely ordering these three pillars of development: For the developing world the priority is economic first, then social and then environmental. Any other understanding of development priority – or even an emphasis on holistic development – requires strong democratic leadership and coherent policy dialogues; not only between the developing countries and the international institutions like the International Monetary Fund (IMF), the World Bank (WB) or the United Nations. This dialogue also has to occur within these international institutions. Many developing countries have reservations about the transition towards a green economy. This stance was reflected for instance in the 2011 five-year growth strategy document of Pakistan. It focused on achieving economic growth by enhancing productivity through better governance, market development, and competitiveness. There was a very limited emphasis on social inclusion. Sustainability measures were not mentioned at all. Although the recent roadmap document Pakistan 2025 raises the issue of inclusive growth and environmental concerns, it still conforms to the priority order mentioned above. The set of macroeconomic policy measures that has been prescribed by the IMF and WB to achieve economic growth in developing countries – known as the Washington Consensus – does squeeze the budget for social progress. Austerity measures have been highly criticized by economists like Amartya Sen and Paul Krugman in the context of the potential exit of Greece from the Eurozone and the impending Brexit. This debate becomes particularly relevant in the context of the Agenda 2030. Amartya Sen has repeatedly been arguing in favour of an increase in social sector spending in order to create ‘capability’ in developing countries. He argues that India cannot develop with an uneducated and unhealthy labour force. India and Pakistan ranked 130 and 147 respectively out of 188 countries in the 2014 Human Development Index. Yet India has cut its already very low budget allocation to health and education in the past two years. In July this year, at the meeting of the G20 finance ministers and central bank governors in Chengdu (China), the IMF suggested that countries like the United States and Germany should spend more on infrastructure to help boost global growth. This statement can indicate a strengthening of fiscal policy responses globally, which is an important step towards a coherent international policy effort for achieving the SDGs. Having no priority in implementing the SDGs leaves space for economic growth to be the means and eventually the ‘end in itself’. The strong possibility is that the holistic development we are aspiring to achieve by 2030, will be impossible without a prioritization of the 17 ambitious SDGs. And without the notion of priority it may also be very confusing and chaotic for the implementing authorities – no matter how specialized they are. The ‘no priority policy’ can also be stressful to the local needs and preferences springing from culture, history, and traditions. Bhutan for instance – the only carbon negative country in the world – had the clear preference of achieving ‘happiness’ over economic growth; a choice that is fundamental and inspiring. The country invested and financed innovatively in ensuring good health and education to its citizens. The country has achieved one of the highest per capita gross national income (US$ 2409 in 2014) in South Asia over the past decade and a half.  We can overlook the problem of priority in implementing the SDGs in developing countries and continue to campaign for no priorities. But in the end, the resource constraints will reveal the preference, which may not be the outcome that we are aspiring to. Therefore, the ideal would be to recognize the priority problem and undertake an analytical scrutiny for a probable weighing scheme. The task will be to map the universal goals to national needs. This exercise is complex and challenging. But can we afford to delay it? Sayan Samanta is an Indian researcher based in Bonn. His current research interest is the role of normative standards in achieving human well-being. He is an alumnus of the Managing Global Governance (MGG) Programme.

G20-Gipfel in Hangzhou – was ist zu erwarten?

ven, 02/09/2016 - 15:25
Bonn, 02.09.2016. Am 4. und 5. September 2016 treffen sich die Staats- und Regierungschefs der G20 zu ihrem jährlichen Gipfel, dieses Mal im chinesischen Hangzhou. Die Messlatte für die chinesische G20-Präsidentschaft war von Anfang hoch angesetzt. Auch die chinesische Regierung startete ambitioniert. Es ging ihr nicht allein darum, eine breite Palette von technisch anmutenden Vereinbarungen auf den Weg zu bringen, die in einer Vielzahl von ministerialen Arbeitsgruppen vorbereitet wurden. Sie will sich darüber hinaus auch als globale Gestaltungsmacht mit einer langfristigen Vision präsentieren. Ungeachtet der hohen Erwartungen, sind die Voraussetzungen für einen wegweisenden Abschluss der chinesischen G20-Präsidentschaft denkbar schlecht. Zunächst muss die G20 Antworten auf das stagnierende weltwirtschaftliche Wachstum und einen schwächelnden Welthandel finden. China selbst befindet sich derzeit in einer schwierigen wirtschaftlichen Übergangsphase und will als Vorbild für andere G20-Länder bei der Umsetzung struktureller Reformen gelten. Für wachstumsfördernde Fiskal- und Geldpolitik bestehen nirgends große Spielräume mehr. Von Europa, in dem vor allem Deutschland die strukturpolitische Agenda vertritt, sind keine Wachstumsimpulse zu erwarten. Mit der Brexit-Entscheidung der britischen Bürger wurde weitere Unsicherheit geschaffen, so dass das europäische Integrationsprojekt fundamental in Frage steht. Lateinamerika wird in Hangzhou mit neuen wirtschaftsliberalen Strategien vertreten sein, die gegenwärtig in Brasilien und Argentinien mit schweren Rezessionen verbunden sind. Die USA befinden sich in einem Wahlkampf, in dem sich die weitverbreitete Unzufriedenheit mit der Globalisierung wie auch in Europa in einem neuen nationalistischen Diskurs entlädt. Zudem befinden wir uns in einer Phase akuter sicherheitspolitischer Krisen, in deren Folge aktuell etwa 60 Millionen Menschen auf der Flucht sind. In diesem Umfeld wird es für die G20 nur schwer möglich sein, sich wieder – wie in der globalen Finanzkrise – überzeugend als weltwirtschaftliche Krisenfeuerwehr zu positionieren. Vor diesem Hintergrund ist es ein wichtiges Signal, dass die chinesische Präsidentschaft die Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung zu einer Priorität gemacht hat und sich damit eher an langfristiger Nachhaltigkeit als an kurzfristiger Krisenbekämpfung orientiert. Die Agenda 2030, die von einem Gipfel der Staats- und Regierungschefs bei den Vereinten Nationen im September 2015 verabschiedet wurde, enthält einen Katalog von 17 Zielen, die weltweit eine umfassende ökonomische, ökologische und soziale Entwicklung ermöglichen sollen. Die Staats- und Regierungschefs werden in Hangzhou einen Aktionsplan der G20 für die Umsetzung der Agenda 2030 annehmen. In diesem geht es nicht nur um die Umsetzung der  Agenda-Ziele in Entwicklungsländern, sondern – ihrem Anspruch auf Universalität entsprechend – auch in den G20-Ländern selbst. Damit verleiht die chinesische Präsidentschaft der G20 einen normativen Bezugsrahmen, den es in dieser Form bisher nicht gab. Damit ist das Thema Globalisierung allerdings nicht vom Tisch. Es wird von der G20 erwartet, dass sie eine Antwort auf die Frage gibt, wie die Bürger in Industrie- und Entwicklungsländern von offenen Grenzen für Handel und Investitionen profitieren können. Es ist erstaunlich, dass dieses zentrale Thema erst seit diesem Jahr in einer eigenen Arbeitsgruppe in der G20 diskutiert wird. Über Jahre bestimmten ritualisierte Bekenntnisse zur Welthandelsorganisation die Gipfelsprache. Zugleich nahmen die protektionistischen Maßnahmen der G20-Länder von Jahr zu Jahr zu. Die neue Arbeitsgruppe hat sich auf Pläne zur Reduzierung handelsbeschränkender Maßnahmen, zur Erhöhung der Transparenz von regionalen Handelsabkommen und einer Liste von neun Prinzipien zur internationalen Investitionspolitik geeinigt. Wer verfolgt, wie kontrovers in Deutschland über das Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) gestritten wird, dem wird die Tragweite dieses Dialogs auf internationaler Ebene bewusst. Allerdings muss der Konsens in der G20 zukünftig erst noch mit konkreten Maßnahmen unterfüttert werden. Dies gilt im Übrigen auch für die Klimapolitik: Es wird von den G20-Ländern erwartet, dass sie das Pariser Klimaabkommen vom November 2015 in Kürze ratifizieren, damit es in Kraft treten kann. Noch wichtiger ist indes, dass sie durch überzeugende eigene Politiken zur Erreichung des Zwei-Grad-Ziels beitragen. Hier tut sich eine Kluft zwischen globalen Vereinbarungen und tatsächlicher politischer Umsetzung von Zusagen auf, die viele Beobachter – nicht zuletzt die auf langfristige Berechenbarkeit setzende Privatwirtschaft – zunehmend an der Glaubwürdigkeit von Gipfelerklärungen zweifeln lässt. Damit wandert der Blick vom G20-Gipfel in Hangzhou zum nächsten Gipfel, dann unter deutscher Präsidentschaft, in Hamburg. Die Erwartungen an Deutschland werden ähnlich hoch sein wie im Falle Chinas. Da Deutschland ab Mitte 2017 in den Wahlmodus wechseln wird, findet der Gipfel bereits Anfang Juli statt. Es bleibt nicht viel Zeit, um die unter chinesischer Präsidentschaft begonnenen Großprojekte, wie die Umsetzung der Nachhaltigkeitsagenda, fortzusetzen und die nicht erledigten Aufgaben – der Abbau von Subventionen für fossile Energien ist nur ein Beispiel – endlich anzugehen.

Süd-Süd-Kooperation: Worte, nur Worte?!

lun, 01/08/2016 - 10:00
Bonn, 01.08.2016. Im Entwicklungskooperationsforum der Vereinten Nationen (UNDCF) und der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) wurde letzte Woche über ein Konzept zur Messung von Süd-Süd-Kooperation (SSC) diskutiert. Es geht darum, den Beitrag der Entwicklungs- und Schwellenländer zur Agenda 2030 zu bestimmen. Bisher scheiterte eine einheitliche Datenerhebung an fehlenden Definitionen und Standards sowie mangels Einigung über die Plattform, auf der die Daten erhoben und bereitgestellt werden können.

Die Diskussion zur Datenerhebung für die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) hat begonnen. 22 Länder, darunter Deutschland, berichten bereits in diesem Jahr den aktuellen Stand der Umsetzung ihrer Nachhaltigkeitsziele an das High Level Political Forum in New York. Sie unterstützen damit die in der Agenda 2030 verankerte Forderung nach Rechenschaftsplicht, Transparenz und Verantwortung. Die Datenlage ist größtenteils unbefriedigend – sowohl für den Norden als auch den Süden. Diese gemeinsamen Schwierigkeiten bei der Messung bieten eine einmalige Möglichkeit für gegenseitiges Lernen zwischen verschiedenen Akteuren auf technischer Ebene, denn sie unterstützen die Vertrauensbildung für Klärungen auf politischer Ebene. Sollten die Länder des Südens nicht bald zu einer Einigung auf ihre Definition kommen, wird sich dieses Gelegenheitsfenster schließen.

Bisher argumentieren die Akteure der SSC vor allem politisch. Sie betonen, dass Süd-Süd-Kooperationen zwischen Entwicklungs- und Schwellenländern fundamental anders sind als Nord-Süd-Kooperation. Das Verständnis von SSC beruht insbesondere auf der Rolle, die Handel und Investitionen sowie Technologietransfer durch Länder in einem ähnlichen Entwicklungsstadium für jeweils beide Partner haben können. Dies geht über die reine Entwicklungshilfe durch Unterstützung und Darlehen hinaus. Allerdings wird in der Abgrenzungsdiskussion oft vergessen, dass auch der Norden mehr Beiträge leistet als der Entwicklungsausschuss der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit „offizieller Entwicklungshilfe“ erfasst.

Wenn die Schwellenländer eine breite Definition ihrer Zusammenarbeit bevorzugen, sollte dies angesichts des breiten Zielsystems der SDGs von allen Akteuren unterstützt werden. Die OECD beispielsweise diskutiert ein erweitertes Konzept zur Erfassung der Finanzströme, in dem auch die Süd-Süd-Kooperationen als wichtiger ergänzender Bestandteil zur traditionellen ODA-Konzeption dargestellt wird. Die Diskussion im Norden dient dazu, Klärungen über einzelne Elemente zu erzielen.

Auch für SSC geht es um Klärung, nicht um das Überstülpen „nördlicher“ Konzepte. Süd-Süd-Kooperation kann und soll explizit zum unmittelbaren gegenseitigen Nutzen sein. Aber sind damit automatisch der gesamte Handel und alle Investitionen als SSC zu erfassen? Oder braucht es Leitlinien, wie ausgewogen der gegenseitige Nutzen sein kann und soll? Es bleibt in der Süd-Süd-Zusammenarbeit völlig unklar, wann die Balance kippt und wir nicht mehr über SSC, sondern von reinen Investitionen zur Generierung von Gewinn sprechen. Zu diesen offenen Fragen kommen noch  unterschiedliche Interessen innerhalb „des Südens“. Zwar bedarf es eines Erfassungsspielraums, der die besonderen Gegebenheiten der beteiligten Länder berücksichtigt, man kann sich aber nicht einmal auf grundlegende Definitionen einigen. Eine Erhebung von SSC ist, neben meist mangelhafter statistischer Kapazität in den Ländern, daher oft unmöglich. Um Vergleichbarkeit schaffen zu können, müssten Mindeststandards für einzelne Elemente, wie z.B. Investitionen, formuliert werden.

Welche Plattform ist geeignet, um die Daten zu erheben und bereit zu stellen? Akteure der SSC lehnen die OECD als „Organisation des Nordens“ ab. Während einige Schwellenländer die Notwendigkeit der globalen Erhebung grundsätzlich in Frage stellen, betonen andere Länder, eine Datenerhebung – und damit Rechenschaftslegung – wäre nur auf Ebene der Vereinten Nationen legitimiert. Sie betrachten die Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UNDESA) als mögliche Plattform, die bereits Daten zu Süd-Süd- Entwicklungszusammenarbeit (SSDC) erhoben und in Berichten des UNDCF vorgelegt hat – mangels Alternativvorschlägen angelehnt an OECD-Standards . Die G77-Länder und China unterstützen zudem die UNCTAD politisch. Sie wird traditionell als die Organisation der Entwicklungs- und Schwellenländer angesehen und hat bereits seit einigen Jahren das Mandat, eine statistische Datenbank zur Erhebung von SSC zu entwickeln. Die Umsetzung scheiterte bisher an fehlenden einheitlichen Standards.

Konzepte, die maßgeblich durch Industriestaaten gestaltet werden, bewerten Akteure des Südens als politisch schwierig. Die Schwellenländer betonen immer wieder, die Konzeption ihrer Zusammenarbeit könne nur von ihnen selbst entwickelt werden. Ihre Uneinigkeit wird die Forderung nach Rechenschaft und Transparenz jedoch nicht verringern. Die OECD wird weiter an einer Konzeption zur Schätzung der Süd-Süd Kooperation arbeiten. Wenn die Länder des Südens hier nicht ins Hintertreffen geraten wollen, sollten sie zügig eine eigene Definition von Süd-Süd-Kooperation und deren Bestandteilen klären.

What does Brexit mean for TTIP?

mer, 13/07/2016 - 09:30
Manchester, Ghent, 13 July 2016. While dust is slowly settling after British voters opted to leave the European Union last week, it is time to discuss the broader implications of this massive decision. There have been worried (or gleeful) claims from several quarters that Brexit represents the end of Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP), a controversial free trade agreement currently under negotiation between the EU and the US. We are already seeing signs, however, that these conclusions may be prematurely drawn. While the agreement may be delayed past 2017/18 (something it should be said, was already on the cards before the referendum) TTIP is far from dead. Rather, Brexit may strengthen the resolve of those wishing to negotiate the agreement in the interest of European unity.

The first intervention in this respect has come from United States Trade Representative Mike Froman, who the day after the referendum emphasised that the ‘economic and strategic rationale for T-TIP remains strong’. Of course, much depends on the next US Administration, set to take over in January 2017: but while both Donald Trump and Hilary Clinton have been critical of the current trade agenda, politicians of all stripes have been known to backtrack from primary rhetoric. Barack Obama went on to pursue an ambitious free trade agreement agenda after being very critical of NAFTA during the 2008 primary season (as indeed was then Senator Hillary Clinton).

Trade Commissioner Cecilia Malmström also used a recent speech to the Atlantic Council to emphasise that ‘the rationale of TTIP remains as strong today as it was [before the referendum]’. Reading the fine print of the speech certainly does not suggest a climb-down from key EU positions, such as on government procurement or investment protection. But Malmström also stressed a desire to complete the agreement quickly, as the EU was ‘prepared to make the political choices needed’.

Given that the EU’s leverage in the negotiations has been weakened after the Brexit referendum, this sort of statement does potentially read like a willingness to make concessions. Given the UK’s economic importance, the EU’s market for US products has thus potentially shrunk considerably, making the EU a less attractive trade partner. And the exclusion of the City of London may mean one bone of contention (US insistence on not discussing the regulation of financial services in TTIP) is removed, or at least likely to have its significance reduced (as there are indeed others wanting to take London’s place as the European centre for financial services).

If we examine the broader EU political landscape, the ‘euro-realists’ may be winning out. While the term has been used before, it has more recently been associated with the European Conservatives and Reformists (ECR) Group in the European Parliament, whose vision is to reform the EU by further liberalising the Single Market. They especially want to fight the ‘hidden protectionism that is to be found in national labour laws or trade union practices’ which ‘weakens Europe’s ability to compete on the global market’.

While it might seem that the euro-realist project has been dealt a blow by Brexit, as the ECR would lose its UK Conservative MEPs (the largest delegation in the group) and the UK’s seat in the Council, its ideas seem to be winning the struggle about how to interpret and learn from the UK’s referendum. Notwithstanding calls to respond with closer integration, those in key positions seem to be advocating for a ‘realist’ rather than a ‘utopian’ reaction. The President of the European Council Donald Tusk criticised notions of having ‘more Europe’, saying that ‘promoting them only leads to the strengthening of Eurosceptic moods’.
The long-standing, powerful German finance minister Wolfgang Schäuble also called for the curbing of Brussels: ‘now is the time for pragmatism’.

Notwithstanding hopes by ‘Lexiteers’ and some on the Left outside of the UK, a ‘Social Europe’ that promotes fair working conditions and social protection seems to have only become harder to achieve post-Brexit. If euro-realism becomes the new common sense in Europe, the conclusion of TTIP might become more likely. TTIP would liberalise trade with the US and could indirectly lead to further deregulation of the Single Market, in line with the euro-realist vision. As the ‘pragmatic’ left in Europe would be put further on the defensive, some here might be tempted to abandon their reservations regarding TTIP in order to show that the EU can still deliver. Also in the UK, Brexit has been followed by calls to stay attractive to business by further deregulating working conditions and lowering corporate taxes, and pursuing more liberal trade agreements around the world.

Those who would like to see the EU and the UK deliver a fairer economy and society are likely to be alarmed by the ascendance of such ideas post-Brexit.

Gabriel Siles-Brügge is lecturer in Politics at the University of Manchester. Ferdi De Ville is Associate Professor at Ghent University. They are the authors of ‘TTIP: The truth about the Transatlantic Trade and Investment Partnership’ (translated into German).

Fragmentierte Entwicklungszusammenarbeit im Zeitalter der 2030 Agenda

lun, 11/07/2016 - 09:30
Wie steht es um die Umsetzung der 2030 Agenda für nachhaltige Entwicklung? Dieser Frage stellen sich ab heute die Staatenvertreter bei der Tagung des hochrangigen Politischen Forums (High-level Political Forum, HLPF) für Nachhaltige Entwicklung in New York. Für die Zukunft der Agenda enorm relevant, aber auf der Tagesordnung weitgehend unberücksichtigt, ist ein als ‚Fragmentierung‘ bezeichnetes Phänomen. Es beschreibt eine zunehmende Vervielfältigung der Entwicklungsakteure bei gleichzeitiger Atomisierung von Zielen, Modalitäten, Instrumenten und Projekten. Verbunden damit sind enorme finanzielle Einbußen durch hohe Transaktionskosten, etwa weil Ähnliches von vielen Akteuren parallel anstatt gemeinsam angegangen wird oder verringerte Wirkungen eintreten, wenn die Effekte von Projekten sich gegenseitig aufheben. Teilweise kann Fragmentierung aber auch mehr Angebotsvielfalt erzielen, wie etwa durch innovative Süd-Süd-Kooperationsansätze. Diese Debatten beleuchten wir in einem aktuellen Sammelband zum Thema „The Fragmentation of Aid“. Transnationale Zusammenarbeit unter den Bedingungen von Fragmentierung In einer ständig wachsenden Zahl von Politikfeldern ist transnationale Zusammenarbeit unter den Bedingungen von „Fragmentierung“ heute weitgehend Realität. Ein Mantra der 2030 Agenda war daher von Beginn an die Integration verschiedener Politikfelder in einem umfassenden Ansatz. Der Begriff „Fragmentierung“ verweist auf die erheblichen negativen Aspekte der Komplexität in der Entwicklungszusammenarbeit, aber auch anderen Politikfeldern, die grenzüberschreitend tätig sind. Die zunehmende Notwendigkeit, Globalisierungsprozesse zu bewältigen und zu regulieren, hat historisch betrachtet zur Gründung einer Reihe von internationalen Institutionen geführt. In der Entwicklungszusammenarbeit ist die Anzahl bilateraler Geber weltweit von rund einem Dutzend in 1960 zu derzeit über 60 angestiegen; zudem gibt es deutlich über 250 multilaterale Geber. Einer der letzten Neuzugänge war die asiatische Infrastrukturinvestmentbank. Entwicklungszusammenarbeit und Partnerländer können allerdings auch von einem Ansatz profitieren, der mehr Wettbewerb aufgrund größerer Vielfalt umfasst. Das Potenzial für gegenseitiges Lernen, Innovation und wettbewerbsfähige Auswahl unter den verschiedenen Bereitstellern von Entwicklungszusammenarbeit kann sich erhöhen. Fragmentierte 2030 Agenda? Für die Umsetzung der 2030 Agenda sind zwei Aspekte bedeutsam: Die Verhandlungen über die Nachhaltigkeitsziele waren erstens von der Zielvorgabe getragen, soziale, wirtschaftliche und Umweltaspekte zu intergieren. Gleichwohl dürfen bei 17 Zielen, 169 Zielvorgaben und 230 Indikatoren die inhärenten Zielkonflikte nicht im Sinne eines falsch verstandenen Integrationskonzeptes schöngefärbt werden. Wie das Beispiel des Anbaus von Palmöl auf Landwirtschaftsflächen zur Kraftstoffsubstitution zeigt, besteht zwischen einzelnen Indikatoren durchaus ein Spannungsverhältnis. Für die Ziele der 2030 Agenda kennzeichnend ist, dass sie mehrheitlich hochkomplexe, Sektor übergreifende und langfristige Probleme angehen. Unter diesen Vorzeichen wird es zukünftig von zentraler Bedeutung sein, zwischen bestehenden Institutionen Multi-Akteursnetzwerke zu knüpfen, um bestehende Fragmentierungen zu überwinden; im Sinne transnationaler Zusammenarbeit sollten diese auch zivilgesellschaftliche und andere Akteure mit einbinden. Zweitens sind Entwicklungspartner und Partnerregierungen gefordert, neue Ansätze zu entwickeln und technische Instrumente anwenden, um der zunehmenden Fragmentierung zu begegnen. In der Europäischen Union zählt hierzu beispielsweise der „Verhaltenskodex für Komplementarität und Arbeitsteilung in der Entwicklungspolitik“; bei den Vereinten Nationen gibt es das „Joint Programming“ oder den „Delivering as One“–Ansatz. Gleichwohl ist die Gegenüberstellung von spezialisierten Entwicklungsorganisationen, etwa den „Ein-Themen-Fonds“ wie dem Globalen Fond zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria einerseits, und den Gemischtwarenläden des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen andererseits, künstlich. Statt „Entweder-Oder“ geht es um „Sowohl-als-Auch“. Hier liegen demnach die Grenzen, Herausforderungen der Fragmentierung, die in politischen, wirtschaftlichen, und anderen Interessen begründet sind, mit überwiegend technischen Ansätzen effektiv zu begegnen. Mit schwindender Unterstützung auf politischer Ebene steigt gleichzeitig (erneut) der Druck, die eigene „Daseinsberechtigung“ in der Entwicklungszusammenarbeit in den Vordergrund zu stellen. Die separate Kennzeichnung nationaler Geberbeiträge konterkariert Konsolidierungs- und Harmonisierungsbemühungen und befördert Fragmentierung potentiell weiter. Der Brexit dürfte den Bemühungen, Entwicklungszusammenarbeit besser zu koordinieren, zusätzlich zuwider laufen. Fragmentierung aktiv anzugehen liegt daher vielfach nicht im Interesse entwicklungspolitischer Akteure. Bei geschätzten Kosten von drei bis fünf Billionen USD pro Jahr für die Umsetzung der 2030 Agenda könnten durch einen effizienteren und effektiveren Einsatz der Mittel enorme Summen eingespart werden. Sich im Zeitalter der 2030 Agenda vom ersten Jahr an intensiv mit der Fragmentierungsproblematik auseinanderzusetzen, ist daher ein drängendes Gebot der Stunde.

Nach Panama: Internationale Kooperation in Steuerfragen muss Entwicklungsländer stärker einbeziehen

lun, 04/07/2016 - 10:06
Bonn, 04.07.2016. Zwei große Mechanismen schmälern das Steueraufkommen in Entwicklungs- und Schwellenländern: Reiche Individuen entziehen sich ihrer Steuerpflicht, indem sie Gelder ins Ausland abziehen und falsche Angaben zu Einkommen und Vermögen machen. Große, international operierende Unternehmen nutzen zwischenstaatliche Gesetzes- bzw. Regulierungslücken und verlagern Gewinne („Steuersubstrat“) künstlich in Staaten mit besonders niedriger Steuerquote. So unterschiedlich beide Verhaltensmuster auch sind, berühren sie sich doch in einem wichtigen Punkt: Firmen wie die Kanzlei Mossack Fonseca und Länder wie Panama stellen für Steuervermeidung wie auch Steuerhinterziehung Know-how und Infrastruktur bereit. Sie sind Teil eines internationalen Systems, dessen einziger Zweck darin besteht, die Steueranstrengungen der Staaten zu unterlaufen. Nutznießer sind die free rider im Weltsystem – Steueroasen, korrupte Eliten, kriminelle Banden und am Rande der Legalität operierende Unternehmen. Es gibt bis heute kaum gesicherte Erkenntnisse über das Ausmaß, in dem Entwicklungsländer unter Steuervermeidung und Steuerhinterziehung leiden. Die vorhandenen Studien lassen aber zwei generelle Aussagen zu: Erstens sind die ärmeren Länder im Verhältnis zu ihrer Wirtschaftskraft und ihrem Steueraufkommen stärker betroffen als die reichen Industrienationen. Das liegt vor allem daran, dass sie von Kapitalimporten und von Steuerzahlungen weniger großer Unternehmen abhängen. Auch niedrige staatliche Leistungsfähigkeit und die politische Einflussnahme nationaler Eliten spielen eine Rolle. Zweitens hat sich die Summe der in Steueroasen versteckten Finanzvermögen und der jährlichen Kapitalabflüsse aus Entwicklungs- und Schwellenländern seit der Weltwirtschaftskrise 2009 wohl weiter erhöht. Dies widerspricht dem zuweilen erweckten Eindruck, die im Rahmen der OECD, der EU und der G20 beschlossenen Maßnahmen, beispielsweise für einen verbesserten Informationsaustausch zwischen Steuerbehörden, hätten bereits zu einer effektiven Einhegung des Problems geführt. Ob und wann die neuen Maßnahmen tatsächlich greifen, ist zur Stunde noch offen. Besonders multinationale Unternehmen machen sich das Geschäftsmodell der Steueroasen und Lücken im internationalen Steuersystem zunutze, um ihre Steuerlast drastisch zu senken. Einige Praktiken sind dabei kaum zu identifizieren, geschweige denn zu korrigieren. Schon Industrieländer sind z.B. damit überfordert, die interne Preisgestaltung multinationaler Konzerne für Finanzdienstleistungen und immaterielle Vermögenswerte zu überwachen. Viele Entwicklungsländer stellt dies vor noch größere Herausforderungen. Andere Probleme sind leichter zu identifizieren, erfordern aber zu ihrer Behebung ein hohes Maß an bilateraler Kooperationsbereitschaft und staatlicher Kapazität. Die Auswirkungen sind gravierend: Den betroffenen Staaten fehlen notwendige Ressourcen zur Umsetzung entwicklungspolitischer Ziele. Außerdem haben öffentliche Investitionen (z.B. in Energie, Transport, Kommunikation) oft wichtige Hebelwirkung auf das Investitionsverhalten privater Kapitalgeber. Ein als unfair wahrgenommenes Steuersystem kann die Legitimität des Staates stark gefährden.  Um die Leistungsfähigkeit von Steuerbehörden in Entwicklungsländern zu stärken, muss die bilaterale Zusammenarbeit ausgebaut werden. Hierüber herrscht in der Entwicklungspolitik ein breiter Konsens. Von großer Bedeutung ist dabei der Aufbau von Datenbanken und Informationssystemen. Das beinhaltet in vielen Fällen auch eine Stärkung der nationalen Statistikbehörden und einen verbesserten Informationsaustausch zwischen den staatlichen Behörden. Außerdem ist der öffentliche Zugang zu Daten über multinationale Konzerne, große Rohstoffprojekte usw. wichtig. International werden heute vielfältige Anstrengungen unternommen, Regulierungslücken zu schließen. Viele Maßnahmen müssen jedoch in bilateralen Vereinbarungen zwischen Staaten umgesetzt werden. Dazu gehört z.B. der automatische Austausch von Steuerinformationen. Ärmere Entwicklungsländer sind durch das Prinzip der Reziprozität aber überfordert. Hier sollten die Industrieländer in Vorleistung treten. Wichtiger noch: Bilateral verankerte Maßnahmen sind eher darauf ausgerichtet, ausgefeilte Modelle der Steuerhinterziehung und –vermeidung durch ebenso komplexe Mechanismen der Regulierung und Kooperation einzufangen. Es ist aber fraglich, ob Entwicklungsländer mit eingeschränkter Staatskapazität in der Lage sein werden, diesen Weg mitzugehen. Entwicklungsförderlich wären multilaterale Ansätze, welche die Besteuerung von Unternehmen auf eine einheitliche Grundlage stellen und dafür Sorge tragen, dass die notwendigen Daten international gesammelt und bereitgestellt werden. Ein solcher Ansatz hätte das Potenzial, Besteuerung stärker an wirtschaftlichen Aktivitäten auszurichten, Steuerhinterziehung und –vermeidung zu erschweren und gleichzeitig die weniger leistungsfähigen Staaten zu entlasten. Auch Deutschland mit seiner starken Exportwirtschaft hätte durch mehr Transparenz und eine vertiefte internationale Kooperation in Steuerfragen mittelfristig mehr zu gewinnen als zu verlieren.

Was nun? Europäische Außen- und Entwicklungspolitik nach dem Brexit

lun, 27/06/2016 - 11:49
Bonn, 27.06.2016. Wenn die EU-Staats- und Regierungschefs sich morgen in Brüssel treffen, ist die Stimmung vermutlich auf dem Tiefpunkt angekommen. Die Briten haben sich mit einer knappen Mehrheit von 52 Prozent dafür ausgesprochen, die EU zu verlassen. Die ‚Leave‘-Stimmen konzentrierten sich auf England und Wales; Schottland und Nordirland haben mit großer Mehrheit für den Verbleib in der EU gestimmt. Mehr ältere als jüngere Briten waren für den Brexit. Leider gab es in Großbritannien am Ende keinen Hexenmeister, der die Geister, die David Cameron rief, wieder eingefangen und den wildgewordenen Besen unter Kontrolle gebracht hätte. Der Prozess zeigt außerdem, dass Referenden nur bedingt geeignet sind, sehr komplizierte und weitreichende Entscheidungen zu treffen. Ob und wann Großbritannien den Austritt aus der EU nach Artikel 50 des Lissabon Vertrages einleitet ist unklar. In jedem Fall haben die Briten Europa in eine Krise gestürzt. Implikationen eines möglichen Brexit Was bedeutet der mögliche Brexit für die europäische Außen- und Entwicklungspolitik? Sicher ist im Augenblick eigentlich nur, dass die nächsten Wochen und Monate von großer Unsicherheit geprägt sein werden. Die Verhandlungen werden sich vermutlich zunächst stark auf den internen Markt und Subventionen aus den Agrar- und Kohäsionspolitik konzentrieren, weniger auf Außenpolitik, Entwicklungspolitik oder Handelsabkommen wie die Wirtschaftlichen Partnerschaftsabkommen (EPAs). Die EU wird auf Monate erst einmal mit sich selbst beschäftigt sein. Dies ist umso bedauerlicher, weil wir ein starkes sowie transfomiertes Europa dringender brauchen denn je. In Zeiten weit fortgeschrittener Globalisierung und enger internationaler Verflechtungen können einzelne Mitgliedstaaten (einschließlich der „big three“ – UK, Deutschland und Frankreich) im Alleingang auf der internationalen Bühne immer weniger ausrichten. Umso paradoxer erschien das Argument der ‚vote leave‘-Kampagne, Großbritannien würde durch den Austritt international ‚zu alter Größe‘ zurückfinden. Nicht zuletzt US-Präsident Obama hatte die Briten bei seinem jüngsten Besuch daran erinnert, dass sie als Teil der EU deutlich mehr internationalen Einfluss haben, als wenn sie sich wechselnde Koalitionen suchen müssten. „The European Union does not moderate British influence – it magnifies it“, hielt Obama den Brexit-Befürwortern entgegen. Wer am Ende Recht behält, wird die Zeit zeigen. Brexit auch als Chance? Es wäre zu hoffen, dass die EU aus der Not eine Tugend macht und den Brexit als Chance nutzt, in der Außen- und Entwicklungspolitik enger zusammenzuarbeiten. Bei der Bekämpfung des Terrorismus, der Fluchtursachen, der Beendigung von Konflikten, der Reduzierung staatlicher Fragilität und Armut durch Entwicklungs-, Außen-, Sicherheitspolitik und anderer Politikbereiche können einzelne EU-Mitgliedsländer allein kaum etwas ausrichten. Erst durch enge europäische Kooperation und die Nutzung komparativer Vorteile einzelner Akteure kann Europa international einen Unterschied machen.  Bei der Verabschiedung des Klimaabkommens im Dezember in Paris oder bei den Verhandlungen zur 2030 Agenda für nachhaltige Entwicklung im September in New York hat Europa durch gemeinsames Auftreten eine wichtige und konstruktive Rolle gespielt. Der Erfolg dieser Abkommen und damit die Möglichkeit, globale Herausforderungen positiv zu beeinflussen, hängen auch davon ab, ob Europa selbst mit gutem Beispiel vorangeht. Großbritannien hat die Außen- und Entwicklungspolitik maßgeblich mit beeinflusst. Als zweitgrößter Geber weltweit ist das Vereinigte Königreich ein Schwergewicht und einer der tonangebenden Staaten in der strategischen Ausrichtung der Entwicklungspolitik. Die Briten standen einer engeren europäischen Zusammenarbeit in der Entwicklungspolitik in vielen Fällen skeptisch gegenüber und präferierten kleinere, sogenannte ‚like-minded‘-Gruppen. Nach dem jetzt wahrscheinlich anstehenden Austritt werden sich die ‚Machtgleichgewichte‘ in der europäischen Entwicklungspolitik neu justieren. Neuere Mitgliedsstaaten wie Polen und mittel- und osteuropäische Länder sollten dabei eine wichtigere Rolle spielen. In jedem Fall wird Deutschland international deutlich mehr Verantwortung übernehmen müssen. Europa hat in den vergangenen Monaten einen Prozess angestoßen, neue gemeinsame Visionen für europäisches Außenhandeln zu definieren. Die neue EU-Globalstrategie, die die hohe Vertreterin der Kommission, Federica Mogherini, im vergangenen Jahr erarbeitet hat, soll den EU- Außenbeziehungen eine gemeinsame Richtung geben. Die Strategie soll morgen beim Treffen des Europäischen Rates gebilligt werden. In der Entwicklungspolitik haben jüngst Diskussionen zur Revision des Europäischen Konsens für Entwicklung begonnen. Der Konsens, bei dem sich die Kommission, das Europäische Parlament und die Mitgliedsstaaten 2005 zum ersten Mal auf eine gemeinsame Perspektive für europäische Entwicklungspolitik einigten, soll grundlegend überarbeitet werden. Diese Strategieprozesse sollten wegen des möglichen Brexit nicht aufgegeben werden. Im Gegenteil: Der Vertrag von Lissabon hat 2009 den Versuch unternommen, die EU besser in die Lage zu versetzen, international gemeinsam zu handeln. Er hat die europäische Außenpolitik institutionell gestärkt. Gerade jetzt muss die EU sich außenpolitisch besser aufstellen. Die EU muss deutlich machen, dass sie einen positiven und nachhaltigen Beitrag zur Lösung der vielfältigen Krisen und Konflikte in ihrer Nachbarschaft und zur Bearbeitung globaler Herausforderungen leisten kann.

Langfristig, mühsam, ohne Erfolgsgarantie – und doch notwendig: Die entwicklungspolitische „Bekämpfung“ von Fluchtursachen

lun, 20/06/2016 - 09:41
Der heutige Weltflüchtlingstag kommt mit einem neuen traurigen Rekord daher: Ende 2015 waren 65 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht – so viele wie nie. Aber auch trotz stark gestiegener Flüchtlingszahlen in Deutschland und Europa bleibt die so genannte globale Flüchtlingskrise vor allem eine Krise der armen Länder dieser Welt. Die allermeisten der weltweit Fliehenden kommen nicht nur aus Entwicklungs- und Schwellenländern. Ein Großteil von ihnen verlässt auch das eigene Herkunftsland oder die Herkunftsregion nicht. Von Pakistan und dem Iran über Jordanien, den Libanon und Äthiopien bis Nigeria oder Kolumbien – die Liste der Länder, die die meisten Flüchtlinge und Binnenvertriebenen beherbergen, liest sich wie ein Querschnitt durch den globalen Süden. Schlägt deshalb nun die „Stunde der Entwicklungspolitik“, wenn es darum geht die Ursachen von Flucht und Vertreibung zu bekämpfen? Welches sind eigentlich die Kernursachen – und was kann und sollte Entwicklungspolitik zu ihrer „Bekämpfung“ tun?

Der Hauptgrund für Flucht und Vertreibung sind zweifellos bewaffnete Konflikte. Daneben sind Terror, Repression, Hunger oder Naturkatastrophen weitere Fluchtursachen. Größere Fluchtbewegungen aber entstehen zumeist erst durch das gleichzeitige Auftreten mehrerer dieser Faktoren.

Die Zahl und Intensität bewaffneter Konflikte hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Die Anzahl der Menschen, die pro Jahr in kriegerischen Auseinandersetzungen rund um den Globus getötet werden, hat sich seit 2010 auf etwa 200.000 Tote vervierfacht. Die Flüchtlingskrise ist daher in erster Linie eine Krise der internationalen Friedens- und Sicherheitspolitik. Zwei Ursachenbündel kommen zusammen: innergesellschaftliche Auseinandersetzungen um Macht, Anerkennung und Chancen zum einen; und eine Außenwelt, die teils aus Desinteresse, teils aus Eigennutz nicht alles unternimmt, um Aggressoren den Zugang zu Waffen und Finanzen zu verwehren, sondern oft das Gegenteil bewirkt. Konflikte und Kriege wie in Syrien, Afghanistan oder dem Südsudan allein mit dem westlichen Lebensstil und seinen Auswirkungen auf Entwicklungsländer, der Geo- oder Nahostpolitik der USA oder internationalen Waffenexporten erklären zu wollen, griffe also zu kurz. Dennoch kann Entwicklungspolitik eine wichtige Rolle als Stimme im Interesse der betroffenen Zivilbevölkerungen spielen und – auch im Sinne eines aufgeklärten Eigeninteresses – dafür werben, die Vermeidung von gewaltsamen Konflikten zur Richtschnur allen politischen Handelns zu machen.

Darüber hinaus zielt Entwicklungspolitik meist direkt auf die Verminderung innergesellschaftlicher Konflikte ab. Kriege und Bürgerkriege resultieren oftmals aus einer Verzahnung unterschiedlichster Faktoren, die ökonomischer, sozialer, historischer, ethnischer bis hin zu (geo-)politischer Natur sein können. Entwicklungspolitik hat zum Ziel, zur Transformation solcher strukturellen Konfliktlagen beizutragen.

Es wäre aber so verlockend wie falsch, davon auszugehen, dass Entwicklungspolitik schnell und einfach etwas gegen die Ursachen von Flucht und Vertreibung bewirken kann. Entwicklungspolitik wirkt langfristig. Kurzfristig kann – und muss – Leid gemindert und Schlimmeres verhindert werden. So muss es etwa darum gehen, Flüchtlingen in den Hauptaufnahmeländern eine bessere Zukunftsperspektive zu geben. Dabei gilt es, lokale Verwaltungen einzubinden, aufnehmende Kommunen und Länder zu unterstützen – nicht zuletzt auch um Konflikte zwischen Flüchtlingen und Alteingesessenen zu verhindern – und Menschen in Lagern nicht nur zu „verwalten“, sondern sie aktiv teilhaben zu lassen. Dabei muss gar nicht der Gedanke im Vordergrund stehen, dass Menschen ohne Aussicht auf ein festes Gehalt, bessere medizinische Versorgung oder eine bessere schulische Bildung für ihre Kinder nach Europa „weiterfliehen“ könnten. Die meisten Flüchtlinge verfügen dafür ohnehin nicht über die notwendigen (finanziellen) Mittel.

Langfristig muss die internationale Entwicklungszusammenarbeit vor allem zukünftigen Konflikt- bzw. Fluchtursachen entgegenwirken. Hierzu muss neben dem Kampf gegen Armut, Hunger und Umweltzerstörung auch die Schaffung funktionierender politischer Strukturen – die keine Bevölkerungsgruppen von der Möglichkeit der Teilhabe ausschließen und dem friedlichen Zusammenleben der Menschen verpflichtet sind – stärker in den Vordergrund gestellt werden. Krisenprävention und Friedensförderung sollten als entwicklungspolitische Schwerpunktthemen gestärkt werden. Auch die Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit muss wieder eine größere Rolle spielen.

Im weltweiten Maßstab scheint die Demokratie als Herrschaftsform seit Jahren auf dem Rückzug zu sein, während Bürgerkriege und Gewalt zunehmen. Das zeigt: Wenn es an demokratischer Teilhabe mangelt, können Staaten schnell instabil werden und Konflikte leicht eskalieren. Allzu lange haben westliche Geberländer autoritäre Regime im Nahen Osten und Afrika unterstützt, um sich so kurzfristige politische Stabilität zu erkaufen. Zukünftig muss es darum gehen, die Wohlfahrt und Teilhabe der Bürger in diesen Ländern zu verbessern. Das heißt, dass Geberländer in diesen Staaten viel stärker mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten müssen. Das alles ist langwierig, zäh und gewährt leider keinerlei direkte Erfolgsgarantien. Dennoch ist es unabdingbar, um auf Dauer Krisen, Kriegen und Massenflucht entgegenzuwirken. --
Die Kolumne ist ebenfalls auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. (DGVN) erschienen.

No elephants in the room?

mar, 14/06/2016 - 09:51
Bonn, 14 June 2016. Surprisingly, reports and even opinion pieces on the first high-level meeting of the Global Partnership for Effective Development Cooperation (GPEDC) – the main forum for debates on development cooperation – in Mexico City in 2014 ignored one basic fact: Main stakeholders of the partnership did not show up (China and India) or were present just as an observer (Brazil). Some others (like South Africa) joined the meeting but seemed to have clear reservations as well. Against this background, the Mexico meeting was only partly successful since an inclusive and more legitimate basis of the Global Partnership was the main rationale to transform the former aid effectiveness platform organized by the respective working group of the OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development) into a quite new format which is jointly driven by the United Nations Development Program (UNDP) and the OECD. We are now approaching the second high-level meeting of the platform, which will take place from 28 November to 1 December 2016 in Nairobi, Kenya. So, how did the context change since the Mexico meeting? What is on the agenda for Nairobi? Are we going to see all ‘big elephants’ in the conference hall? Changing context In basic terms, two aspects need to be highlighted. Firstly, the 2030 Agenda for Sustainable Development is now providing an important narrative on global development. The potential of this narrative goes well beyond the Millennium Development Goals and their traditional focus on developing regions: All main stakeholders accept the universal nature of the 2030 Agenda, which provides a strong legitimacy. The 2030 Agenda is at the core of major efforts including development cooperation platforms like the GPEDC, the United Nations Development Cooperation Forum (DCF) and activities under the umbrella of the OECD. From a development cooperation perspective, the 2030 Agenda has advantages and disadvantages at the same time: ‘Development’ is not any longer a challenge just for ‘developing regions’ but for all countries of the world. This leads to more vagueness in terms of responsibilities. Thus, development cooperation actors are struggling with the question: How to adjust to the new agenda? Who is in charge for the follow-up and the monitoring? Secondly, important rising powers are still pushing for a concept for South-South-Cooperation (SSC) which is distinctive from the OECD aid approach. This, for example, became tangible during the second global conference on SSC hosted by India in March 2016. However, contours and criteria are evolving but remain quite vague. Individual countries like China will use the 2030 Agenda to guide their SSC. Harmonisation on SSC still to needs be pushed for. The different approaches of rising powers to the GPEDC point to this challenge as well. Why to care about GPEDC? Is the changing context leading to different views of rising powers on the GPEDC? Our assumption is that a partial membership to the Global Partnership high-level meeting remains likely. Participation in this forum seems to still not be a high priority for all rising powers and different perceptions on the legitimacy of the platform might continue to exist. Against this backdrop we propose to reflect on three aspects: First, all stakeholders – rising powers, OECD countries, recipients of SSC and development cooperation – should reflect on a truly ‘global’ cost-benefit analysis of participation and non-participation in the GPEDC. Second, rising powers should be more explicit about requirements for such a global platform. What is needed and how can we use or further develop an existing mechanism? Third, Kenya as the upcoming host country for the High Level Meeting of the GPEDC and other steering committee members should come up with new initiatives and brainstorm with rising power government and non-governmental representatives about a restart of the ‘global spirit’ of the GPEDC. In our view the international community is in need of a well functioning platform which should cover all aspects of development cooperation and SSC. We do not assume that all countries can agree on standards and norms in all areas. However, the need for a joint dialogue platform is striking. Stephan Klingebiel is Head of the Department Bi- and Multilateral Development Cooperation at the German Development Institute / Deutsches Institut for Entwicklungspolitik (DIE), a regular Visiting Professor at Stanford University and a Senior Lecturer at the Philipps University Marburg. Li Xiaoyun is a professor and former dean of China Agricultural University’s College of Humanities and Development, president of the China International Development Research Network (CIDRN) and chairman of the Network of Southern Think-Tanks (NeST).

Das Pariser Abkommen: Planen allein reicht nicht – jetzt muss auch etwas passieren!

lun, 06/06/2016 - 10:31
Bonn, 06.06.2016. Nach den Verhandlungen für das historische Klimaabkommen in Paris im letzten Dezember, der denkwürdigen Unterzeichnungszeremonie in New York und viel Schulterklopfen trafen sich in den letzten Wochen die Klimaakteure erneut in Bonn. Die jüngste Klimarunde der UNFCCC mit ca. 1900 Regierungsvertretern, 1500 Beobachtern und 100 Medienvertretern begann, darüber zu diskutieren, wie das Pariser Abkommen in die Tat umzusetzen sei. Natürlich sind die Auslegung des Klimaabkommens und die Umsetzungsplanung der internationalen Bürokratie ein wichtiger nächster Schritt. Aber er wird vermutlich nicht ausreichen, um zu verhindern, dass die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit an Schwung verliert. Neben all den Gesprächen muss jetzt gehandelt und die Umsetzung der geplanten Treibhausgasminderungsbeiträge (Nationally Determined Contributions – NDCs) begonnen werden.

In fünf Monaten öffnet die nächste Klimakonferenz in Marrakesch ihre Tore. Bis dahin müssen die Regierungen Ergebnisse vorweisen können, denn eins ist sicher: Die festgelegten Klimaziele ohne substanzielle Beiträge aus der Privatwirtschaft zu erreichen ist ausgeschlossen. Tatsächlich haben ganze Branchen, private und institutionelle Investoren die Klimaverhandlungen mit großem Interesse verfolgt. Mehr noch: Sie haben nicht nur schweigend zugesehen, sondern erstaunlicherweise ihre Bereitschaft betont, aktiv zu werden, – letztlich eine völlig logische Reaktion. Mehr als alle anderen wollen Privatunternehmen Geld verdienen. Und wenn sie ein starkes Signal erhalten, dass die Wirtschaft einen Wandel erleben wird, ist eine Anpassung an das neue Unternehmensumfeld in ihrem eigenen Interesse. Ganz entscheidend ist es deshalb, dass die Regierungen nun beweisen, dass ihr Bekenntnis zur geplanten Dekarbonisierung ernst gemeint und verlässlich ist. Sie müssen den Privat- und Finanzsektor überzeugen, dass die Zukunft grünen Technologien und grünem Wirtschaften gehört, dass sich globale Wachstumsmodelle verändern werden und dass es kein Zurück mehr gibt – für niemanden.

November ist nicht mehr weit. Daher müssen wir das aktuelle diplomatische Konzept, einen weiteren Katalog globaler, nationaler, regionaler und lokaler Pläne zu erarbeiten, mit praktischem Handeln ergänzen! Parallel zur UNFCCC-Konferenz hat eine kleine Gruppe aus Experten verschiedenster Länder praktikable Lösungen und tragfähige Modelle für eine Ausweitung privater Klimaschutzinvestitionen entwickelt. Im Rahmen des Practitioners' Dialogue on Climate Investments (PDCI) vom 23. bis 25. Mai in Bonn erarbeiteten Fachleute unterschiedlicher Hierarchieebenen des öffentlichen, privaten, akademischen und Finanzsektors mehrere konkrete Modell-Projekte, zum Beispiel: die Wiederaufbereitung von Abwässern stark umweltbelastender Industrien (Pharmazie) in Andhra Pradesh, ein Energiespeichersystem für Mininetze und dezentrale Stromversorgung in Indonesien, eine nachhaltige Finanzpolitik für Banken und Finanzinstitutionen in Bangladesh, ein Kreditgarantieprogramm für Klima-Investitionsvorhaben in Pakistan, eine Technologie zur beschleunigten Steigerung der Energieeffizienz auf den Philippinen u. v. a m.

Der PDCI ist ein gutes Beispiel dafür, wie effektiv internationale Konferenzen sein können, wenn das Konzept nicht bloß aus einer Aneinanderreihung von Diskussionsrunden besteht – in den meisten Fällen dominiert von ausschließlich grauhaarigen Männern und unterschwelligen  Machtdemonstrationen, Eigenwerbung und Zuweisungen von Verantwortlichkeiten. Der Schlüssel für schnelles Handeln ist ein Konzept aus gegenseitigem Coaching, der Erkenntnis, dass wir viel voneinander – insbesondere auch von Entwicklungsländern – lernen können, sofortigem Handeln (ohne lange Debatten) und der Offenheit für unverbrauchte, innovative und pragmatische Ideen der Akteure.

Die Umsetzung der meisten entwickelten Modell-Projekte wird bis Jahresende anlaufen. Ebenso sind die Regierungen aufgerufen, ohne Wenn und Aber zu bestätigen, dass sie entschlossen sind, den Klimawandel aufzuhalten, indem sie den Worten Taten folgen lassen. Die Mitglieder des PDCI hatten viele Vorschläge für konkretes Regierungshandeln: (i) Instrumente für eine Risikominimierung bereitstellen, (ii) stabile Investitionsbedingungen schaffen und sichern, (iii) standardisierte Verfahren für die Projektbewertung entwickeln, (iv) in Machbarkeitsstudien und Pilotvorhaben investieren, (v) Fonds mit geringem Volumen auflegen und Projekte bündeln, (vi) wenn staatliche Gelder in Projekte fließen, die Projektdaten veröffentlichen, (vii) die richtige Regulierungfür Pensionskassen festlegen, (viii) die Festsetzung des Kohlenstoffpreises auf die G20-Agenda setzen. Am wichtigsten ist jedoch, dass die Regierungen jetzt aktiv werden und nicht abwarten, bis die nächste Runde an Plänen perfektioniert ist. Der Privat- und der Finanzsektor brauchen ein klares Signal, dass sich Wirtschaftsmodelle seit Paris definitiv geändert haben.

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