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Deutsches Institut für Entwicklungspolitik / Analysen

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Publikationen des German Institute of Development and Sustainability (IDOS)
Updated: 1 month 2 weeks ago

Afrika ohne Grenzen? Regionalorganisationen und Personenfreizügigkeit in West- und Nordostafrika

Mon, 17/12/2018 - 09:09
Die Vision eines vereinten Afrikas und die Ablehnung der durch die europäischen Kolonialmächte willkürlich gezogenen Grenzen bilden seit Jahrzehnten einen festen Bestandteil panafrikanischer Bestrebungen. Bereits im Abuja-Vertrag aus dem Jahr 1991, durch den die Afrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (African Economic Community, AEC) gegründet wurde, bildete das Erreichen kontinentaler Personenfreizügigkeit ein zentrales Ziel. In den Jahrzehnten darauf wurde es in Abkommen zur afrikanischen Wirtschaftsintegration oder in der Agenda 2063 der Afrikanischen Union (AU) bekräftigt. Im Januar 2018 einigten sich die Mitgliedstaaten der AU schließlich auf das AU-Protokoll zur Freizügigkeit von Personen und zum Recht auf Aufenthalt und Niederlassung. Den kontinentalen Agenden zufolge soll die Umsetzung von Freizügigkeit bei den afrikanischen Subregionen ansetzen. Dies ist nicht zuletzt in deren Historie begründet. So hat die Economic Commmunity of West African States (ECOWAS) mit ihrem Free Movement Protocol schon 1979 Pionierarbeit geleistet. In den folgenden Jahren wurde Personenfreizügigkeit auch in andere afrikanische Regionalisierungsprozesse integriert. So hat sich die East African Community (EAC) zumindest in Teilen auf weitreichende Schritte geeinigt; andere Subregionen (bspw. die nordostafrikanische Intergovernmental Authority on Development, IGAD) arbeiten aktuell auf entsprechende Abkommen hin. Eine Untersuchung des DIE am Beispiel der westafrikanischen ECOWAS und der nordostafrikanischen IGAD zeigt: beide Regionalorganisation haben Schwierigkeiten mit ihren Freizügigkeitspolitiken. Allerdings zeigen sich diese in unterschiedlichen Phasen des politischen Prozesses. In der IGAD-Region konnten sich die Mitgliedstaaten bislang noch auf kein Freizügigkeitsabkommen einigen, dagegen verzögert sich in der ECOWAS-Region die nationale und subnationale Umsetzung formal etablierter Gesetze. Diese Unterschiede lassen sich insbesondere durch historische Pfadabhängigkeiten, divergierende Legalisierungsgrade sowie abweichende Interessenlagen subregionaler Mächte erklären. Schließlich wirken in beiden Regionen interne Kapazitätsprobleme und die wachsende externe Einflussnahme auf innerafrikanische Migrations- und Grenzkontrolle regionaler Freizügigkeit entgegen. Aus entwicklungspolitischer Sicht ist die Unterstützung afrikanischer (sub-)regionaler Freizügigkeit sinnvoll. Folgende Empfehlungen resultieren aus der Analyse:
  • Regionale Kapazitäten fördern: Regionalorganisationen sollten sowohl bei der Formulierung von Freizügigkeitsnormen als auch ihrer Umsetzung auf nationaler und subnationaler Ebene personell und finanziell unterstützt werden.
  • Sicherheits- und Freizügigkeitspolitiken harmonisieren: Europäische Initiativen im Bereich Grenzschutz oder Migrationsmanagement dürfen intraregionale Migration und Freizügigkeitspolitiken nicht unterbinden, sondern müssen Freizügigkeit stärker unterstützen.
  • Sektorübergreifende Anreize bieten: Die Bundesregierung und die Europäische Union sollten Fortschritte bei der Regionalisierung von Freizügigkeitsregimen auch in anderen Bereichen der Zusammenarbeit anregen.
Um die Empfehlungen umzusetzen, ist es darüber hinaus wichtig, die Rolle von Regionalorganisationen auch auf globaler Ebene anzuerkennen und zu konkretisieren.

Armutsorientierte Klimarisikoversicherungen: die Rolle von gemeinschaftsbasierten Organisationen (CBOs)

Mon, 26/11/2018 - 10:20
Angesichts der zunehmenden Wetterextreme, wie Fluten oder Dürren, wird die Frage nach dem Umgang mit Klimarisiken immer dringlicher, vor allem für die am stärksten gefährdeten Länder und Gemeinschaften. Um ihre Verletzlichkeit zu verringern, sind Klimarisikoversicherungen (KRV) zunehmend in den Mittelpunkt klimapolitischer Debatten gerückt. Eine gut konzipierte KRV kann durch finanzielle Unterstützung nach Wetterextremen als eine Art Sicherheitsnetz gegen die Folgen des Klimawandels dienen. Grob zwei Arten von Versicherungsleistungen können unterschieden werden: (traditionelle) Schadenversicherungen und Versicherungen, deren Auszahlung von vorgegebenen Parametern abhängt (bspw. der Niederschlagsmenge), sogenannte indexbasierte Versicherungen. Sowohl Einzelpersonen als auch Gruppen oder Regierungen können Zugang zu Versicherungen haben. Sie nehmen die Versicherungsleistung entweder direkt (vom Versicherer an den Begünstigten) oder indirekt (vom Versicherer über einen Aggregator an den Begünstigten) in Anspruch. Direkte Versicherungslösungen adressieren meist Einzelpersonen auf Mikroebene, indirekte Versicherungen werden entweder auf Meso-Ebene – in Form von Gruppenverträgen durch Risikoaggregatoren – abgewickelt oder auf Makroebene durch den Staat. Eine Herausforderung ist bislang die Inklusion aller Bevölkerungsgruppen. Insbesondere Arme und verletzliche Gruppen können sich die Versicherungsprämien oft nicht leisten.
Dass Arme und besonders verletzliche Gruppen – die zumeist minimal zum menschengemachten Klimawandel beitragen – die Finanzlast durch Versicherungsprämien tragen sollen, ist im Sinne der Klimagerechtigkeit in höchstem Maße ungerecht. Ein menschenrechtsbasierter KRV-Ansatz würde hingegen die Abfederung der Klimafolgen für Arme und gefährdete Gruppen ins Zentrum stellen. Indigene Völker gehören zu den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Gruppen. Meist sind sie marginalisiert und ohne Zugang zu sozialer Absicherung. Ihr oftmals starker gemeinschaftlicher Zusammenhalt fördert jedoch ihre Beteiligung in gemeinschaftsbasierten Organisationen (Community-Based Organisations, CBOs). CBOs wiederum können ein geeignetes Instrument für Versicherungen auf der Meso-Ebene sein. Versicherungsnehmer ist dabei die Gruppe – das Risiko wird also aggregiert. Dies ermöglichst Dienste, zu denen Einzelpersonen sonst keinen Zugang hätten.
Die Ergebnisse dieses Thesenpapiers stützen sich auf die Analyse von Meso-Versicherungen und einer Feldforschung bei den indigenen Palawan im März 2018 auf den Philippinen. KRVs sollten auf die unterschiedlichen Schwächen und Kapazitäten der Begünstigten angepasst sein und niemanden ausschließen. Unter Berücksichtigung eines menschenrechts- und armutsorientierten Ansatzes können Versicherungen auf Meso-Ebene vielversprechend sein. Dazu zählen:
  • Identifizierung und Beteiligung von potenziellen Begünstigten und Pflichtenträgern anhand von armutsorientierten und Menschenrechtsprinzipien.
  • Umsetzung von Maßnahmen zur verbesserten Finanzkompetenz der Begünstigten (Zielgruppen).
  • Bottom-Up-Konzeption der Versicherungsmodelle.


Jobs für Afrika: Chancen in einer Weltwirtschaft im Umbruch

Thu, 18/10/2018 - 09:26
Um 2031 wird die erwerbsfähige Bevölkerung Afrikas die Marke von einer Milliarde überschreiten. Diese wachsende Erwerbsbevölkerung braucht menschenwürdige und produktive Arbeitsplätze. Bisher ist es den afrikanischen Volkswirtschaften zumeist nicht gelungen, stabile und gut bezahlte Arbeitsplätze im nötigen Umfang zu schaffen. Pro Beschäftigtem in der Privatwirtschaft arbeiten 10 im informellen Sektor. Der Mangel an formeller Beschäftigung fördert Migration und verstärkt globale Sicherheitsprobleme.
Ohne einen Strukturwandel, der es den Menschen ermöglicht, aus der geringproduktiven Landwirtschaft und dem informellen Gewerbe in moderne Industrien oder Dienstleistungen zu wechseln, kann es nicht genügend gute Arbeitsplätze geben. Ein solcher Wandel hat sich in einigen ostasiatischen Ländern vollzogen. In Afrika ist jedoch keine vergleichbare Dynamik erkennbar. Schlimmer noch: der Anteil der Industrie, ohnehin auf einem geringen Niveau, ist rückläufig!
Welche wirtschaftlichen Perspektiven hat Afrika? Woher könnten die so dringend benötigten Millionen menschenwürdiger Arbeitsplätze kommen? Da sich die Weltwirtschaft in mehrfacher Hinsicht im Umbruch befindet, würde die einfache Fortschreibung bisheriger Trends in die Irre führen. Wir gehen einen anderen Weg. Im Folgenden zeigen wir, wie sich bestimmte disruptive globale Entwicklungen auf die afrikanischen Arbeitsmärkte auswirken könnten:
  • Weltweit werden die natürlichen Ressourcen aufgezehrt, die Weltbevölkerung wächst, ihre Kaufkraft nimmt zu und die Nachfrage nach hochwertigen Lebensmitteln steigt. Die globale Bioökonomie dürfte die Nachfrage nach nachwachsenden Ressourcen verstärken. Daraus ergeben sich Chancen für Länder mit ungenutzten Bodenressourcen.
  • Die Urbanisierung und das Wachstum afrikanischer Mittelschichten führen zu einer höheren und stärker diversifizierten Nachfrage und damit neuen Möglichkeiten für die lokale Konsumgüterindustrie. Auch der Trend zu nachhaltigen „intelligenten“ Städten ist für afrikanische Unternehmen z.B. aus der Transport-, Elektronik- und Baubranche vielversprechend.
  • Neue digitale Technologien beinhalten Chancen und Risiken: Einige Innovationen schaffen afrikanischen Herstellern Zugang zu bisher unzugänglichen Märkten, andere fördern zu ihrem Nachteil die Automatisierung und globale Marktkonzentration.
  • Die rasch steigenden Löhne in China könnten eine Verlagerung arbeitsintensiver Branchen in afrikanische Länder mit niedrigen Lohnstückkosten bewirken – es sei denn, China automatisiert diese Prozesse.
  • Die unvermeidbare Reduzierung des ökologischen Rucksacks der Weltwirtschaft könnte unter anderem in der ökologischen Landwirtschaft oder der Elektrifizierung mit kostengünstigen erneuerbaren Energien neue Chancen schaffen. Zugleich drohen Kapitalverluste in CO2-intensiven, nicht nachhaltigen Branchen.
Noch können wir die Auswirkungen dieser Trends auf die afrikanischen Länder nur in Umrissen erkennen. Klar ist, dass einige Veränderungen massiv sein werden. Die Länder der Region und ihre internationalen Kooperationspartner sollten daher systematisch die länderspezifischen Wettbewerbschancen und -risiken abschätzen, um frühzeitig Maßnahmen zum Ausbau zukunftsfähiger Potenzialbranchen ergreifen zu können. Klar ist auch, dass es kurz- und mittelfristig nicht gelingen wird, genügend Arbeitsplätze in modernen, formellen Unternehmen zu schaffen. Daher muss viel mehr als bisher unternommen werden, um auch in den traditionellen Branchen die Produktivität zu erhöhen.

Wichtige Fortschritte, ungelöste Probleme: Bewertung der neuesten UNDS-Reformresolution

Thu, 28/06/2018 - 14:25
Kann das Entwicklungssystem der Vereinten Nationen (UNDS) für die Mitgliedsländer zu einem starken, gut organisierten Partner für die Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung werden? Das UNDS ist mit einem Anteil von 33 Prozent der multilateralen Entwicklungsgelder (2015: 18,4 Mrd. USD) die größte multilaterale Entwicklungs­institution. Sie bietet ein Forum für Dialog und multilaterale Entscheidungsfindung, betreibt Forschung, agiert als Anwalt für Benachteiligte und leistet technische und humanitäre Hilfe. Zahlreiche Regierungen, auch in Industriestaaten, zählen auf die Unterstützung der VN. Mehr als jede andere Entwicklungsinstitution muss das UNDS daher an neue Anforderungen angepasst werden, um diese Erwartungen weiterhin zu erfüllen. Im Mai 2018 stellten die Mitgliedsstaaten mit der Verabschiedung einer Resolution die Weichen für eine Reform des UNDS. Die Resolution umfasst fünf potenziell transformative Entscheidungen, die das UNDS dem Ziel „fit for purpose“ (so das offizielle Motto des Reformprozesses) einen Schritt näher bringen: (1) Die globalen Strukturen des UNDS sollen gestärkt werden, um das System strategischer auszurichten und verantwortlicher zu machen. (2) Länderkoordinatoren sollen effektiver und objektiver arbeiten. (3) Ihre Finanzierung soll durch eine einprozentige Abgabe auf zweckgebundene Beiträge gestärkt werden. (4) Gemeinsame Geschäftspraktiken sollen vorangebracht werden, was Effizienzgewinne von 380 Mio. USD pro Jahr ermöglichen könnte. (5) Das umfassende Netz von VN-Länderbüros soll im Hinblick auf Effizienz und Wirksamkeit gestrafft werden. Vor dem Hintergrund einer globalen Welle von nationalistischem Denken und neuem Misstrauen gegenüber multilateralen Organisationen stellt die Verabschiedung des Resolutionsentwurfs bereits einen großen Erfolg dar. Allerdings wurden viele u. a. seitens des Generalsekretärs gemachte Reformvorschläge nicht übernommen. Die wichtigsten Neuheiten der Agenda 2030 – Universalität und die Erfordernisse einer stärkeren Politikkohärenz – wurden nicht hinreichend in institutionelle Veränderungen übersetzt. Es bleibt noch einiges zu tun, wenn das UNDS zum universell agierenden Arm der VN werden soll, der allen Ländern dieser Welt in der Umsetzung der 17 Nachhaltigkeitsziele (SDGs) zur Seite steht. Dennoch ist die Resolution ein guter Ausgangspunkt. Die Mitgliedsstaaten müssen nun dazu beitragen, sie zum Erfolg zu führen. Die naheliegendste und wirksamste Möglichkeit ist hierbei, sich in den jeweiligen Aufsichtsgremien für die Implementierung der Reformbeschlüsse einzusetzen. Die Leitungen aller VN-Organisationen sollten aufgefordert werden, die Reformen schlüssig umzusetzen und nötige Anpassungen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen vorzunehmen. Im Gegenzug sollten die Mitgliedsstaaten innerhalb ihrer eigenen Regierungen für Kohärenz sorgen und mit einer Stimme sprechen – für die Durchsetzung der Reformen und für eine beschleunigte Umsetzung der Agenda 2030. Entscheidend wird zudem eine zuverlässigere Finanzierung des UNDS insgesamt und besonders der Koordinierung auf Länderebene sein. Entwicklungsländer wie Industriestaaten sollten sich im geplanten Finanzierungspakt engagieren. Es gilt nun, den Multilateralismus zu stärken, indem die enge Zweckbindung von Beiträgen zugunsten von mehr Kernbeiträgen reduziert wird. Höhere Kernbeiträge könnten an Fortschritte bei gemeinsamen Geschäftspraktiken geknüpft werden, um so Effizienzgewinne und eine nahtlosere Zusammenarbeit der VN-Organisationen zu ermöglichen.

Umfang und Struktur der deutschen öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit: Trends und Implikationen für das BMZ und andere Ressorts

Thu, 28/06/2018 - 14:08
Die Struktur der deutschen öffentlichen Entwicklungsleistungen (Official Development Assistance, ODA) ist im Umbruch. Die zunehmende internationale Rolle Deutschlands, die Verschärfung der Klimafrage sowie die Flüchtlingskrise trugen wesentlich zu einem bedeutenden Anstieg der deutschen ODA bei. Diese haben sich seit 2012 mehr als verdoppelt und beliefen sich 2017 auf ca. 22 Mrd. Euro. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD (2018) sieht ODA-anrechenbare Ausgaben als einen prioritären und Entwicklungspolitik als einen Schwerpunktbereich an. Deutliche Veränderungen sind auch mit Blick auf den Umfang und das Muster der ODA-Ausgaben erkennbar. Der Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und dessen Anteil am Bundeshaushalt haben sich aufgrund der Aufwertung der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) erhöht. Zugleich sank der Anteil des BMZ an der deutschen Gesamt-ODA von 73 Prozent (1995) auf 33 Prozent (2016). Allerdings lassen Prognosen für 2017 auf Grundlage des zweiten Regierungsentwurfs für den Haushalt 2018 eine Trendumkehr erkennen. Prognose für 2017: BMZ 37 Prozent, mit KfW-Marktmitteln 45 Prozent; Auswärtiges Amt (AA) 14 Prozent; Prognose für 2018: BMZ 49 Prozent, mit KfW-Marktmitteln 53 Prozent; AA 13 Prozent. Die ODA-anrechenbaren Leistungen anderer Bundesressorts stiegen deutlich an. Sowohl die ODA-anrechenbaren Anteile am EU-Haushalt als auch die entwicklungspolitischen Leistungen der Bundesländer verdoppelten sich seit 1995. Zeitweilig fielen besonders die über die KfW mobilisierten Marktmittel sowie die anrechenbaren Ausgaben für Flüchtlinge in Deutschland ins Gewicht. Folgende Möglichkeiten der Interpretation bieten sich an: Entwicklungspolitisch überwiegend positive Lesart: EZ ist in den vergangenen Jahren bedeutender geworden. Sie ist kein vergleichsweise kleines Handlungsfeld mehr, welches sich ausschließlich auf das BMZ bezieht. Neue Herausforderungen haben dazu geführt, dass andere Ressorts ein sehr viel stärkeres Interesse daran haben, Ressourcen für Entwicklungskooperation zu erhalten und einzusetzen. Die deutschen ODA-Leistungen sind damit insgesamt angestiegen und der BMZ-Anteil am Haushalt ist gewachsen. Entwicklungspolitisch überwiegend kritische Lesart: Die Verteilung der Mittel auf mehr Akteure erschwert es, einen kohärenten entwicklungspolitischen Ansatz zu verfolgen. Andere Politikfelder sind aufgrund ihrer Aufgabenstellungen und Interessen nicht primär auf entwicklungspolitische Ziele ausgerichtet. Die jetzige Situation impliziert einen Bedeutungsverlust des BMZ und damit des originären entwicklungspolitischen Politikfeldes. Aufgrund der Zunahme der ODA-Leistungen sowie der steigenden Bedeutung sehr unterschiedlicher entwicklungspolitischer Akteure in Deutschland besteht ein erhöhter Koordinierungsbedarf. Es empfiehlt sich daher ·     die ODA-Vorhaben aller Ressorts systematisch entwicklungspolitisch zu prüfen, ·     die Koordination der deutschen ODA-Leistungen durch das BMZ im Ressortkreis zu intensivieren, ·     ODA-Mittel stärker auf das entwicklungspolitische Fachressort BMZ zu konzentrieren.

Umweltverschmutzung und soziale Proteste: verantwortungsvolle Governance in Marokko und Tunesien stärken!

Wed, 23/05/2018 - 10:21
In Nordafrika führen Umweltprobleme zunehmend zu politischen Protesten. Umweltverschmutzung und knappe Ressourcen wirken sich negativ auf die Lebensbedingungen und Einkommen von bereits marginalisierten Gruppen aus und führen zu Unruhen. Eine häufig stark zentralisierte Umweltpolitik berücksichtigt die Bedürfnisse der Bevölkerung nur ungenügend. Das politische Umfeld ist seit dem „Arabischen Frühling“ weiterhin instabil – die doppelte Herausforderung zunehmender Umweltprobleme verbunden mit sozialen Unruhen erfordert daher neue Ansätze. Eine verantwortungsvollere Umweltpolitik könnte nicht nur helfen, umweltpolitische Probleme und Bedürfnisse anzugehen, sondern eine langfristig demokratischere (d. h. transparente, verantwortungsvolle und partizipative) Regierungsführung unterstützen.
Der Zugang zu Umweltinformationen spielt in dieser Hinsicht eine wesentliche Rolle: Nur wenn die Bürger um die Verfügbarkeit, Qualität und Nutzung natürlicher Ressourcen wissen, können sie auch fundierte Entscheidungen diesbezüglich treffen und ihre Rechte geltend machen. Institutionen können unter Einbeziehung der Bürger Rechenschaftspflicht stärken und öffentliche wie private Akteure für ihr Verhalten rechtlich zur Verantwortung ziehen. Internationalen Standards unterstützen dies: Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung und die Aarhus-Konvention bestätigen, wie wichtig der Zugang zu Umweltinformationen ist. Auch nationale Umwelt-Chartas und die neuen Verfassungen von Marokko und Tunesien unterstreichen eine partizipative und verantwortungsvolle Regierungsführung.
Wie Analysen in Marokko und Tunesien zeigen, können Regierungen und Entwicklungspartner den Zugang zu Umweltinformationen und damit auch eine verantwortungsvolle Regierungsführung fördern.
Erstens sollten eine verantwortungsvolle Umweltpolitik und der sektorübergreifende Zugang zu Umweltinformationen gestärkt werden. Demokratische Institutionen sollten in Umweltthemen involviert und entsprechende Kapazitäten aufgebaut, Organisationen und Vorschriften für eine bessere Rechenschaftspflicht gestärkt, und das Verständnis der Bürger und der Verwaltung über die neuen Rechte und Pflichten verbessert werden. Weiter müssten neue sektorübergreifende Allianzen geschmiedet und die Länder noch stärker in internationale Initiativen für eine verantwortungsvolle Regierungsführung einbezogen werden.
Zweitens können internationale Initiativen solche Reformen unterstützen: Die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) oder Strategien zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel bieten hier neue Möglichkeiten. Auch muss Entscheidungsträgern bewusster werden, wie sich die Umweltpolitik auf Menschenrechte und auf die politische Stabilität auswirken kann. Der Zugang zu Umweltinformationen sowie entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen und institutionelle Ressourcen sollten weiter gefördert werden. Schließlich können soziale Unruhen vermieden oder bewältigt werden, indem Projekte umfassenden Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfungen unterzogen und Protestbewegungen in einen konstruktiven Dialog mit der Verwaltung und dem Privatsektor einbezogen werden.


Eine Europäische Friedensfazilität könnte einen pragmatischen Beitrag zur Friedensförderung weltweit leisten

Wed, 18/04/2018 - 15:35
Die Frage, wie die EU Friedensförderung in Entwicklungsländern finanzieren soll, beschäftigt Politiker und Experten seit Jahren. Einerseits betrifft dies formelle und rechtliche Aspekte im Zusammenhang mit Haushaltsressourcen und Finanzierungsvorschriften. Andererseits berührt das Thema aber auch die viel tiefer greifenden politischen und sogar moralischen Fragen, ob die EU Entwicklungshilfegelder zur Finanzierung von Sicherheitsmaßnahmen nutzen sollte, wie sie am besten auf die berechtigten Bedürfnisse von Partnern in von Konflikten betroffenen Ländern reagieren kann und welche Art von zivilen und/oder militärischen Maßnahmen die EU im Rahmen ihrer auswärtigen Beziehungen unterstützen kann. Auch in den EU-internen Verhandlungen für den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) für 2021-2027 sind diese Fragen von größter Bedeutung. Dieses Mal liegt ein interessanter Vorschlag auf dem Tisch, der zumindest eine Zeit lang eine pragmatische und umsetzbare Lösung bieten könnte. Im Dezember 2017 forderte der Europäische Rat den Rat für Auswärtige Angelegenheiten auf, bis Frühjahr 2018 eine Empfehlung zu einem eigenständigen Instrument zum Kapazitätsaufbau zur Förderung von Sicherheit und Entwicklung (CBSD) zu verabschieden. Vor diesem Hintergrund hat die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, vorgeschlagen, die EU solle eine Europäische Friedensfazilität (EPF) einrichten. Die Grundidee besteht darin, die EPF als außerbudgetären Fonds zu führen und damit Friedensförderung und Kapazitätsaufbau in den Sicherheitssektoren der Partnerländer zu finanzieren. Dass Mogherinis Vorschlag einem anderen EU-Friedensförderungsinstrument, der Afrikanischen Friedensfazilität (APF), ähnelt, ist kein Zufall. Durch die APF unterstützt die EU die Afrikanische Union in der Finanzierung ihrer Aktivitäten zur Friedensförderung und ihrer Friedensmissionen. Ein Grundproblem ist dabei, eine stabile, vorhersagbare Finanzierung zur Verfügung zu stellen. Dies hat sich aufgrund der rechtlichen Beschränkungen bei der Finanzierung von Militäraktivitäten aus dem EU-Haushalt als schwie­rig erwiesen. Dieses Dilemma lässt sich nur mit einem außerbudgetären Instrument wie der EPF lösen, das die legitime Anforderung erfüllt, Friedensmissionen zu unterstützen und gleichzeitig eines der Grundprinzipien der EU einhält. Das vielversprechendste Modell besteht darin, die EPF in Form eines Treuhandfonds zu errichten, in den Direktzahlungen seitens der Mitgliedsstaaten einfließen. Der Vorteil bestünde hierbei in der Flexibilität bezüglich der EU-Haushaltsvorschriften, dem Zusätzlichkeitsprinzip (es könnte ein Mix aus ODA- und Nicht-ODA-Ausgaben finanziert werden) und der Sichtbarkeit, da die EPF ein globales Instrument wäre, das auf der bewährten Logik der APF basiert. Dieses Modell birgt aber auch das Risiko, dass ein solches Instrument aufgrund starken politischen Drucks primär zur Abwehr von Bedrohungen wie Terrorismus und irregulärer Migration eingesetzt werden könnte. Mitgliedsstaaten und die Kommission könnten versuchen, eine Kontrolle durch das Europäische Parlament zu verhindern. Das institutionelle Design der EPF wird jedoch entscheidend sein, wenn es seine Mission erfüllen und die Bemühungen der Entwicklungsländer unterstützen soll, eine sichere Entwicklungsbasis zu bieten.

Vom Krisenmanagement zu nachhaltiger Entwicklung: Die europäische Entwicklungspolitik im nächsten EU-Budget

Wed, 11/04/2018 - 08:30
Die EU gehört zu den führenden weltweiten Akteuren in den Bereichen internationale Entwicklung, Handel, Frieden und Sicherheit. Deshalb ist ein wesentlicher Teil des Mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) für das auswärtige Handeln der EU reserviert. Der entsprechende Teil des Budgets heißt Globales Europa bzw. Rubrik IV. Im Rahmen des derzeitigen Budgets für den Zeitraum 2014 bis 2020 stehen einschließlich des Europäischen Entwicklungsfonds (EDF) über 90 Mrd. EUR für Maßnahmen außerhalb der EU zur Verfügung. Ein Großteil davon ist für die Entwicklungszusammenarbeit reserviert. In den letzten Jahren musste die EU auf neue Herausforderungen in ihrem Außenhandeln reagieren, die hauptsächlich durch spezifische Initiativen und neue Finanzierungsinstrumente angegangen wurden. Zu Beginn der Verhandlungen über den nächsten MFR erscheint die Rubrik IV im Vergleich zu anderen Rubriken daher komplex und fragmentiert. Neben der Vielzahl an unterschiedlichen Instrumenten hat die EU auch damit zu kämpfen, dass ihr eine klare strategische Richtung fehlt. Die jüngsten EU-Strategien vermitteln den Eindruck, fast alles habe Priorität. Dies übersteigt sowohl die finanziellen als auch die Handlungskapazitäten der EU. Aufgrund dieser fehlenden Ausrichtung konnten die Regierungen der Mitgliedsländer ihre eigenen strategischen Interessen (größtenteils migrations- und sicherheitsbezogen) verfolgen. Vor dem Hintergrund der angespannten Haushaltssituation der EU muss für Rubrik IV eine klare Richtung vorgegeben werden, die hilft, Engpässe und Zielkonflikte zu beseitigen. Diese beziehen sich auf (i) den Gesamtumfang, (ii) thematische Prioritäten, (iii) die Empfänger von EU-Mitteln und (vi) den Aufbau von Rubrik IV. Den Spielraum für Entwicklungspolitik werden die anderen, größeren Haushaltsrubriken wie die Agrar- oder Kohäsionspolitik bestimmen. Trotz Diskussionen über eine Erhöhung der Mitgliedsstaatenbeiträge wird durch den Brexit wohl ein geringeres Gesamtbudget zur Verfügung stehen. Neue politische Prioritäten (wie Migration und Sicherheit) werden den Etat für nachhaltige Entwicklung weiter einschränken. Deshalb müssen thematische und geografische Schwerpunkte gesetzt werden. Bei den thematischen Entscheidungen muss ein kurzfristiger Beitrag zur Krisenbewältigung von einer klaren Strategie begleitet werden, wie man mit Blick auf die Agenda 2030 und die SDGs mit verschiedenen Partnern zusammenarbeiten will. Dieses Engagement sollte von den SDG-Strategien der Partner und dem von der EU erzielten Mehrwert geleitet werden. Geografisch muss die EU ein Gleichgewicht zwischen der Zusammenarbeit mit Ländern mit mittlerem Einkommen (MICs) und der Ausrichtung auf die ärmsten Länder der Welt herstellen. Dies ist nur möglich, wenn die Gelder geografisch gesehen auf die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs), die Nachbarländer und Subsahara-Afrika verteilt werden, während man in anderen Regionen im Rahmen thematischer Programme mit MICs zusammenarbeitet. Rubrik IV muss zudem hinsichtlich verfügbarer Instrumente und Initiativen, aber auch bezüglich der Vorschriften über deren Einsatz deutlich rationalisiert werden. Eine wesentliche Voraussetzung in dieser Hinsicht – auch für den Vorschlag eines einheitlichen Instruments für Rubrik IV – wäre die Einbeziehung des EDF in den Haushalt.

Dürreanpassung und Resilienz in Entwicklungsländern

Thu, 29/03/2018 - 08:17
Dürren sind eine massive Bedrohung von Mensch und Natur. Verschiedene Studien bewerten Dürre als wichtigste Naturgefahr in Bezug auf Todesopfer, die Vernichtung von Existenzgrundlagen, wirtschaftliche Verluste sowie negative soziale und ökologische Auswirkungen. Dürren sind häufig ein wichtiger Faktor bei lokalen Konflikten sowie internationaler und Binnenmigration. Die negativen Folgen können noch lange fortbestehen, nachdem die Niederschläge wieder normales Niveau erreicht haben. Dürren hat es schon immer gegeben, allerdings erhöhen sich durch den Klimawandel Schwere, Häufigkeit, Dauer und räumliche Ausdehnung. Die Auswirkungen von Dürren verschärfen sich durch menschliche Aktivitäten, wie die Abholzung von Wäldern, Überweidung, Verschlechterung der Bodenqualität durch falschen Ackerbau und unsachgemäße Wasserbewirtschaftung. Die negativen Folgen dieser Tätigkeiten werden wiederum ebenfalls durch Dürren verstärkt. Dies führt zu einem Teufelskreis aus ökologischer Degradation und menschlichem Elend. In vielen Ländern wird im Hinblick auf Dürren noch immer ein reaktiver Ansatz verfolgt. Dabei sind Notfallfinanzierungen teuer und wenig effektiv und können die langfristigen Ursachen der Vulnerabilität gegenüber Dürren und der mangelnden Nachhaltigkeit nicht lösen. Ein Paradigmenwechsel vom reaktiven „Krisen-“ hin zum „Risikomanagement“ ist notwendig, d. h. zu einem proaktiven Ansatz auf der Grundlage von Risikoreduzierung und -vermeidung. Zur Erhöhung der Dürreresilienz existieren eine Reihe von Maßnahmen. Neben Überwachungs- und Frühwarnsystemen bilden die Risikoabschätzung besonders gefährdeter Bevölkerungsgruppen und Regionen sowie Investitionen in risikomindernde Maßnahmen die erste Verteidigungslinie. Diese Maßnahmen müssen ein wesentlicher Bestandteil nationaler Dürrepolitiken sein. Überdies sollte der vollständige Dürrezyklus bei Dürremanagementplänen berücksichtigt werden, um alle Vorsorgemaßnahmen zu nutzen. Dabei müssen alle „dürrerelevanten“ Sektoren, einschließlich Landwirtschaft, Nahrungsmittelsicherheit, Umwelt, Meteorologie, Wasser, Energie und Tourismus, in die Entwicklung der Dürrepolitiken sowie der Vorsorgepläne aufgenommen werden. Dürrepolitiken sollten die folgenden Aspekte enthalten: •      Zur Verbesserung des Informationsaustauschs, der Koordinierung, der Kooperation sowie des Wissensmanagements zwischen verschiedenen Regierungsebenen, Sektoren und der Gesellschaft ist ein starkes und umfassendes Regelwerk von grundlegender Bedeutung. •      Dürrerisikomanagement muss in Entwicklungsmaßnahmen und in humanitäre Hilfe aufgenommen werden. •      Zur Sicherung der Effizienz der umzusetzenden Maßnahmen ist eine Kombination von Top-down-Ansätzen (Gesamt­dürrepolitik, institutionelle Organisation, Finanzierung, modernes Know-how) mit Bottom-up-Maßnahmen (traditionelles Wissen, lokale Systeme von Produktion, Existenzgrundlagen und Entscheidungen) erforderlich. •      Auf Dürrefrühwarnungen müssen rasch erste Maßnahmen folgen. •      Finanzierungsflexibilität (Notfallplanung) muss ein Bestandteil von Entwicklungshaushalten werden. •      Die Umsetzung von Dürrepolitiken erfordert den Aufbau lokaler Kapazitäten zur Sicherung einer effektiven Interaktion zwischen den betroffenen Parteien. Durch die Umsetzung dieser Ansätze können Dürren als „Bindeglied“ zur Stärkung der Zusammenarbeit zwischen zahlreichen Sektoren, Ebenen und Akteuren genutzt werden.

Daten für Entwicklung: eine Agenda für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit

Tue, 27/03/2018 - 14:07
Daten sind eine zentrale, aber unterschätzte Voraussetzung für die Umsetzung der Agenda 2030. Obwohl technische Innovationen, etwa Smartphones oder das Internet der Dinge, in den vergangenen Jahren zu einer Explosion an Daten geführt haben, gibt es insbesondere in Entwicklungländern und in der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) noch erhebliche Lücken in der Verfügbarkeit und Nutzung von Daten. Zu der Mehrzahl der 230 Indikatoren der Sustainable Development Goals (SDGs) kann bisher nicht regelmäßig berichtet werden.
Eine unabhängige Expertengruppe hat daher schon 2014 in ihrem Bericht an den UN-Generalsekretär A World that Counts nicht weniger als eine Datenrevolution gefordert, um die Umsetzung der SDGs zu unterstützen. Daten sind eine der wichtigsten Grundlagen für die Planung, Steuerung und Evaluierung von Projekten und Entwicklungsstrategien. Bei der Datenrevolution für nachhaltige Entwicklung geht es darum 1) Datenlücken unter Zuhilfenahme neuer Technologien und zusätzlicher Ressourcen zu schließen, 2) Data literacy global zu stärken, Datennutzung zu fördern und einen gleichberechtigten Zugang zu ermöglichen, 3) ein „Datenökosystem“, das globalen Standards folgt, zu schaffen, um die Datenqualität zu verbessern, Datenaggregation zu ermöglichen und -missbrauch zu verhindern.
Die Datenrevolution für nachhaltige Entwicklung ist eine Herausforderung für alle Länder. Sowohl in den Partnerländern als auch in allen deutschen Politikbereichen gibt es großen Nachholbedarf. In diesem Papier liegt der Fokus auf der deutschen EZ.
Insgesamt ist das Thema Daten in den Organisationen der deutschen EZ und ihren Vorhaben bisher wenig präsent und die Forderung nach evidenzbasierter und datenbasierter Arbeit wird oft auf die Evaluierung verengt. Es gibt keinen results framework für die deutsche EZ um die Portfoliosteuerung zu unterstützen. Das Monitoring auf Projektebene ist oft unzureichend, da die Datenqualität vielfach schwach ist und Kapazitäten fehlen. In den Partnerländern richten die Durchführungsorganisationen (DOs) häufig parallele Strukturen für Monitoring und Evaluierung (M&E) ein, um den Fortschritt der von ihnen durchgeführten Maßnahmen zu überwachen, statt so weit wie möglich nationale statistische Systeme zu nutzen und zu stärken. Erhobene Daten und Projektfortschrittsberichte werden in der Regel nicht veröffentlicht.
Aus der Analyse lassen sich folgende Empfehlungen ableiten:
  • Die deutsche EZ sollte sich auf gemeinsame Datenstandards und Grundprinzipien in der Datennutzung einigen, wie z.B. Open Data by Default. Gleichzeitig sollten Persönlichkeitsrechte gewährleistet werden.
  • Das Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) sollte mit allen Akteuren der deutschen EZ (andere Ministerien, DOs, nichtstaatliche Akteure) eine Datenstrategie entwickeln, die die unterschiedlichen Datenquellen und -typen berücksichtigt, auf gemeinsamen Standards und Grundprinzipien aufbaut und darauf ausgerichtet ist, eine Datenkultur in allen Arbeitsbereichen der deutschen EZ zu fördern.
  • Auf internationaler Ebene sollte sich die Bundesregierung aktiv in die Umsetzung und Weiterentwicklung des Cape Town Global Action Plan for Sustainable Development Data einbringen
  • Deutschland sollte den finanziellen Beitrag zur Daten- und Statistikentwicklung in Partnerländern steigern, mittelfristig die Nutzung paralleler M&E-Systeme abschaffen und die Unterstützung nationaler statistischer Systeme in allen EZ-Maßnahmen fördern.


Die Reform des EU-Budgets: Chancen und Herausforderungen für globale nachhaltige Entwicklung

Fri, 23/02/2018 - 09:33
Mit dem nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) legt die EU nicht nur die finanziellen, sondern auch politischen Schwerpunkte bis 2030 fest. Während der MFR-Verhandlungen stellt sich damit die Frage, welche politischen Ziele die EU künftig verfolgen will. Die durch die EU entscheidend mitgestaltete Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und ihre 17 Sustainable Development Goals (SDGs) sollten für diese Debatte richtungsgebend sein.
In der EU-Binnenpolitik sollte die Agenda 2030 dazu beitragen, das europäische Budget stärker auf sozial benachteiligte Gruppen zu fokussieren, den ökologischen Fußabdruck der EU zu reduzieren und ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu befördern. Dadurch könnte der MFR zugleich die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger für Europa stärken. In den EU-Außenbeziehungen erfordert die Agenda, nicht nur kurzfristige sicherheits- und migrationspolitische Interessen in den Vordergrund zu rücken, sondern das Budget auch an langfristigen entwicklungspolitischen Zielen auszurichten. So könnte die EU sich international und gegenüber Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern als Vorreiter für nachhaltige Entwicklung positionieren.
Für die Berücksichtigung der Agenda 2030 im nächsten MFR sind zwei Fragen zentral. Wo hat die EU die größten Defizite in der Umsetzung der Agenda 2030 und der SDGs? In welchen Bereichen kann der MFR wichtige Beiträge leisten? Wir machen fünf Vorschläge zur Berücksichtigung der Agenda 2030 im nächsten MFR. Diese Vorschläge sind komplementär und sollten parallel verfolgt werden:
(1) Prinzipien der Agenda 2030 im MFR verankern: Einzelne Prinzipien der Agenda 2030 wie Leave no one behind, Universalität und Politikkohärenz für nachhaltige Entwicklung fordern die EU auf, die SDGs nicht nur in den Außenbeziehungen, sondern z. B. auch in den Agrar- oder Strukturfonds zu berücksichtigen, die negativen Auswirkungen von EU-Politiken für Drittländer zu reduzieren und positive Wechselwirkungen zu fördern.
(2) Den SDGs einzelne Rubriken zuordnen: Der MFR sollte den globalen SDGs einzelne Rubriken zuordnen und Mindestkriterien festlegen, zu wie vielen SDGs und Targets jede Rubrik mindestens beitragen sollte. Alle Rubriken sollten die drei Dimensionen von Nachhaltigkeit – Ökonomie, Ökologie und Soziales – befördern.
(3) Nachhaltigkeitsprinzip mainstreamen: Das Nachhaltigkeitsprinzip sollte bereichsübergreifend verankert werden. Das heißt, das Klima-Mainstreaming müsste um Ziele für soziale und ökonomische Nachhaltigkeit ergänzt werden.
(4) In Rubrik IV (Außenbeziehungen) müsste die bilaterale Kooperation an den SDG-Strategien der Partner ausgerichtet werden. Es sollten zudem drei bis vier thematische Flagship-Programme zur Kooperation mit Ländern aller Einkommensgruppen bspw. in den Bereichen Urbanisierung, Ungleichheit oder Klimawandel geschaffen werden.
(5) Querschnittsthemen: Der Nachfolger des Programms Horizon 2020 sollte mehr in die Forschung zu Nachhaltigkeit investieren. Die Impact Assessments sollten stärker die soziale und ökologische Dimension von Nachhaltigkeit berücksichtigen. Der nächste MFR sollte klare Vorgaben zu nachhaltiger Beschaffung machen.


Dezentralisierung erfolgreich fördern: das Potenzial des Multi-Stakeholder-Ansatzes

Fri, 19/01/2018 - 12:09
Das Nachhaltigkeitsziel 17 schreibt Multi-Stakeholder-Ansätzen eine wichtige Bedeutung für die Erreichung der Sustainable Development Goals (SDGs) zu. Welche Vorteile und Wirkungen hat ein Multi-Stakeholder-Ansatz in Dezentralisierungsprogrammen? Der Multi-Stakeholder-Ansatz zielt auf die Einbeziehung aller für einen Reformprozess relevanten Stakeholder aus Politik, Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft. Im Rahmen von Dezentralisierungsprogrammen sieht der Ansatz meist eine gleichzeitige Kooperation mit politischen Akteuren (Angebotsseite) und Zivilgesellschaft (Nachfrageseite) vor. Er soll auf allen Ebenen eines Staates (also national, regional und kommunal) Anwendung finden. Es gibt bisher wenige Studien darüber, welchen Beitrag ein Multi-Stakeholder-Ansatz zum Erfolg von Dezentralisierung leisten und wie er sein volles Potenzial entfalten kann. In diesem Beitrag wird argumentiert, dass der Multi-Stakeholder-Ansatz die Effektivität wie auch die Nachhaltigkeit von Dezentralisierung stützt. Wichtig ist die horizontale wie vertikale Kooperation im Mehrebenensystem zur Förderung der Dezentralisierung: ·     Die gleichzeitige Stärkung von Angebots- und Nachfrageseite erhöht die Effektivität von Dezentralisierungsreformen. Das Beispiel Bürgerbeteiligung zeigt: Die Kooperation mit der Gemeinde erleichtert der Zivilgesellschaft den Zugang; die Kooperation mit der Zivilgesellschaft ermöglicht ihr eine effektivere Beteiligung. Wird Bürgerbeteiligung so gestärkt, trägt sie eher zur Verbesserung kommunaler Dienste bei. ·     Wenn Kooperation im Mehrebenensystem stattfindet, kann Dezentralisierung nachhaltiger gefördert werden: Internationale Akteure können z.B. gemeinsam mit der Zivilgesellschaft Erfahrungen von der kommunalen Ebene in nationale Gesetzgebung einbringen und anschließend die Umsetzung auf kommunaler Ebene begleiten. Um das Potenzial des Multi-Stakeholder-Ansatzes voll auszuschöpfen, ist Folgendes wichtig: ·     Internationale Akteure sollten eine Balance finden bei der Unterstützung von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren in Dezentralisierungsprozessen. Die (nichtstaatliche) Nachfrageseite erhält häufig weniger Aufmerksamkeit. Bei der Unterstützung verschiedener Akteure geht es nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch. ·     Bürgerbeteiligung sollte zu sichtbaren Ergebnissen führen, damit die Bereitschaft zu zivilgesellschaftlichem Engagement langfristig etabliert wird. Deswegen ist das Follow-up von Bürgerbeteiligung auf Angebots- wie Nachfrageseite wichtig. ·     Kontinuität und Intensität der Unterstützung sind wichtig für einen nachhaltigen Erfolg der Reformen. Die Ergebnisse resultieren aus einem Forschungsprojekt des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik zur Wirkungsmessung von Governance-Programmen.

Plädoyer für die verknüpfte Umsetzung des Übereinkommens von Paris und der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung

Fri, 19/01/2018 - 08:31
Die Verabschiedung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und die Unterzeichnung des Übereinkommens von Paris Ende 2015 war ein entscheidender Moment der globalen Initiative für Nachhaltigkeit. Es besteht ein enormes Potenzial für positive Nebeneffekte durch eine sich wechselseitig unterstützende Umsetzung der 17 Ziele für nach¬haltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) der Agenda 2030 und der beabsichtigten nationalen Beiträge (Nationally Determined Contributions, NDCs), die das rechtsverbindliche Übereinkommen von Paris tragen.
Die Länder-NDCs, d. h. ihre Klimapläne, enthalten nicht nur Verpflichtungen zur Emissionssenkung, sondern auch zu vielen weiteren Punkten, die für die nachhaltige Entwicklung von Bedeutung sind. Im Folgenden werden die zentralen Ergebnisse einer detaillierten Analyse des Beitrags der NDC-Klimamaßnahmen zu den SDGs und ihren Zielvorgaben vorgestellt.
Nach dem Übereinkommen von Paris sollten die Länder alle fünf Jahre überarbeitete NDCs vorlegen, um die Zielvorgaben sukzessive hochzusetzen. Die erste vollständige Prüfung („weltweite Bestandsaufnahme“) steht 2023 an. Eine erste Bilanz wird jedoch schon 2018 gezogen („unterstützender Dialog“). Die Umsetzung der Agenda 2030 fußt auf den von Land zu Land unterschiedlichen nationalen Strategien für nachhaltige Entwicklung. Auf globaler Ebene greifen Überwachungs- und Überprüfungsmechanismen auf dem jährlichen hochrangigen politischen Forum für nachhaltige Entwicklung (High Level Political Forum, HLPF) der Vereinten Nationen in New York.
Üblicherweise werden diese beiden Umsetzungsprozesse trotz der vielfältigen thematischen Überschneidungen und dem gemeinsamen Ziel einer globalen nachhaltigen Entwicklung getrennt behandelt. Unsere Analyse hebt dagegen hervor, dass die NDC-Klimamaßnahmen auch die Umsetzung vieler SDGs und ihrer Zielvorgaben unterstützen können. Sie decken thematisch nicht nur bedeutende Elemente für SDG 13, sondern auch für viele weitere Themen der nachhaltigen Entwicklung ab. Die NDC-Klimamaßnahmen machen zudem deutlich, dass die SDGs miteinander verflochten sind. So erzeugt eine Vielzahl der NDC-Klimamaßnahmen Synergien, die mehrere SDGs zugleich voranbringen können. Um positive Nebeneffekte zu erreichen, sollten NDCs und SDGs koordiniert umgesetzt werden. Auf diese Weise lassen sich 1) Doppelungen und damit Kosten vermeiden und 2) die Agenda 2030 auf Länderebene systematischer umsetzen, indem durch bereits verpflichtend festgelegte Maßnahmen nach den NDCs Synergien zwischen beiden Agenden erschlossen werden.
Eine Verknüpfung des Übereinkommens von Paris und der Agenda 2030 sollte erwogen werden, um Politikkohärenz zu erhöhen mit dem Ziel Synergien zu maximieren und Zielkonflikte reduzieren:
Im Kontext des Übereinkommens von Paris sollten die Länder zukünftige Überarbeitungen der NDCs nutzen, um ihre Klimamaßnahmen enger mit den SDGs zu koordinieren.
Im Kontext der Agenda 2030 sollten Strategien für nachhaltige Entwicklung die NDCs sinnvoll ergänzen.
Positive Nebeneffekte bieten das Potenzial, die Länder stärker zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen zu motivieren. Kompromisse sollten jedoch frühzeitig vermittelt werden, um beide Agenden erfolgreicher umsetzen zu können.


Der Nothilfe Treuhandfonds der EU für Afrika und seine Auswirkungen auf die EU-Entwicklungspolitik

Sat, 23/12/2017 - 16:03
Der „Nothilfe Treuhandfonds der EU zur Unterstützung der Stabilität und zur Bekämpfung der Ur¬sachen irregulärer Migration und Vertreibung in Afrika“ (EUTF) stellt einen wesentlichen Bestandteil der EU-Migrationspolitik dar. Er ist mit großen Hoffnungen aber auch ernsthaften Sorgen bzgl. seiner Ziele und Aktivitäten verbunden.
Erklärtes Ziel des EUTF ist es, „die Ursachen von Destabilisierung, Zwangsvertreibung und irregulärer Migration zu bekämpfen“, was weithin als unrealistisch angesehen wird. Einige zentrale Akteure haben andere Ziele für den EUTF. Sie wollen Afrika Anreize zur Zusammenarbeit bei der Migrationssteuerung bieten und die Flexibilität des EUTF nutzen, um innovative Programme zu erarbeiten. In solchen innovativen Programmen könnte der größte Mehrwert des EUTF liegen.
Viele afrikanische Partner nehmen den EUTF als Teil einer von den Europäern oktroyierten Migrationspolitik wahr, die den europäischen Interessen stärker dient als den afrikanischen. Auch wenn mit den verschiedenen Ländern und Pro-jekten unterschiedliche Erfahrungen gemacht wurden, ist die Teilhabe der Afrikaner bei der Implementierung der EUTF-Projekte geringer als bei traditionellen Instrumenten der Entwicklungszusammenarbeit (EZ). Der EUTF riskiert, die afrikanischen Partner vor den Kopf zu stoßen und deren Ziele, Wissen und Fähigkeiten zu ignorieren.
Die Auswahl der EUTF-Projekte und Partner wird als intransparent kritisiert. Die Durchführungsorganisationen der EU-Mitgliedsstaaten spielen bei dessen Umsetzung die größte Rolle. Einige davon sehen den EUTF als Finanzierungsquelle für ihre regulären Entwicklungsprogramme. Dies wirft die Frage auf, welchen Mehrwert der EUTF gegenüber bestehenden Programmen bietet.
Der umstrittenste Aspekt des EUTF ist sein Potenzial, Entwick¬lungsgelder zugunsten der EU-Migrationspolitik umzu-leiten, auch wenn dies teilweise EU-Menschenrechts- und Entwicklungsverpflichtungen zuwiderläuft. Dies scheint Teil einer umfassenderen Entwicklung hin zu einer stär¬keren sicherheitspolitischen Nutzung der EU-Entwicklungspolitik zu sein. Zudem lässt der EUTF Grundsätze der Wirksamkeitsagenda außer Acht und weist Ländern Gelder aufgrund ihres Migrationsprofils zu.
Es könnten zahlreiche Maßnahmen getroffen werden, um den EUTF zu optimieren und die Chancen, die er bietet, besser zu nutzen. Dazu zählen eine transparentere und kon¬sultativere Projektentwicklung, die stärkere Zusammenarbeit mit und Ausrichtung auf die lokale Bevölkerung und deren Bedürfnisse, ein stärkerer Fokus auf die Auswahl der passenden Stellen für die Projektumsetzung und Lehren, die aus bestehenden Ansätzen und Daten gezogen werden können. Falls der EUTF richtungsweisend ist für die künftige EU-Entwicklungszusammenarbeit, dann lässt dies für die Priorisierung der Entwicklungsgrundsätze sowie die langfristigen Interessen und Beziehungen zwischen der EU und Afrika nichts Gutes ahnen.
Verschiedene Prozesse stehen an, die die Zukunft der EU-Afrika-Beziehungen beeinflussen werden. Anhand dieser muss untersucht werden, wie Europa und Afrika in der Migrationspolitik konstruktiver zusammenarbeiten können.

Initiative zum Kapazitätsaufbau zur Förderung von Sicherheit und Entwicklung (CBSD): „Versicherheitlichung“ der EU-Entwicklungspolitik?

Fri, 22/12/2017 - 13:45
Sicherheitssektorreform (SSR) bildet ein Kernstück des Engagements der Europäischen Union (EU) zur Vermeidung gewalttätiger Konflikte und zur Stabilisierung der Lage nach Konflikten. Der bestehende Rechtsrahmen schließt allerdings die Verwendung von EU-Haushaltsmitteln zur Finanzierung der Unterstützung der Streitkräfte von Partnerländern aus. Im Rahmen der Initiative zum Kapazitätsaufbau zur Förderung von Sicherheit und Entwicklung (CBSD) will die EU diese Finanzierungslücke schließen und die Finanzierung von Ausbildung, Ausrüstung und Infrastruktur für militärische Akteure ermöglichen. Dabei liegt der CBSD-Initiative die Annahme zugrunde, dass Sicherheit eine Bedingung für Entwicklung bildet und dass nachhaltige Entwicklung nur erreicht werden kann, wenn staatliche – einschließlich militärische – Institutionen über angemessene Kapazitäten verfügen. Zur Umsetzung von CBSD hat die Europäische Kommission im Juli 2016 die Anpassung der Verordnung zur Schaffung des Instruments für Stabilität und Frieden (IcSP) vorgeschlagen. Das IcSP ist das Hauptinstrument der EU zur Finanzierung von Konfliktprävention und friedensfördernden Maßnahmen. Der Vorschlag der Kommission zur Änderung der IcSP-Verordnung sieht die Einführung neuer Unterstützungsmaßnahmen im Rahmen von CBSD vor. Sowohl innerhalb der EU Institutionen als auch in der breiteren entwicklungspolitischen „Community“ wurde der Vorschlag der Kommission kontrovers diskutiert. Der vorliegende Artikel argumentiert, dass die Umsetzung von CBSD zu einer Versicherheitlichung der EU-Entwicklungs­politik beitragen kann. Die Bereitstellung von Training und Ausrüstung für militärische Akteure in Ländern wie Somalia und Mali ist notwendig, um die Glaubwürdigkeit und Effektivität der EU als sicherheitspolitischer Akteur sicherzustellen. Allerdings schafft die Verwendung des IcSP zur Finanzierung von CBSD-Aktivitäten einen Präzedenzfall für die Nutzung von entwicklungspolitischen Instrumenten im EU Haushalt zur Finanzierung der Unterstützung militärischer Akteure. Ohne Begründungszusammenhang zwischen den vorgeschlagenen Aktivitäten und den Zielen von EU-Entwicklungspolitik birgt CBSD das Risiko, dass Entwicklungspolitik sicherheitspolitischen Zielen untergeordnet wird. Ein Schlüsselproblem der Debatte um CBSD besteht in der mangelnden Klarheit bezüglich des Umfangs der vorgesehenen Unterstützungsmaßnahmen. Überdies besteht erhebliche Unsicherheit im Hinblick auf die Rechtsgrundlage der IcSP-Änderungsverordnung. Und schließlich befürchten zivilgesellschaftliche Organisationen, dass CBSD einen Trend zur Verschiebung der EU Prioritäten weg von zivilen und hin zu militärischen Instrumenten zur Krisenbewältigung markiert. Die wesentliche Herausforderung besteht darin, auf diese Bedenken und Vorbehalte einzugehen und eine geeignete, dauerhafte Regelung zur Finanzierung der CBSD-Aktivitäten im nächsten mehrjährigen EU Finanzrahmen (MFR) von 2021 bis 2027 zu finden. Kurzfristig sind eine höhere Transparenz der geplanten CBSD-Aktivitäten sowie eine substantielle Debatte über deren Verbindungen zu den Zielen von EU-Entwicklungspolitik notwendig. Mittelfristig sollte die EU ein spezifisches Instrument schaffen, dass die CBSD-Aktivitäten von der Finanzierung für zivile Konfliktprävention und friedensfördernde Maßnahmen trennt.

Regionale Migrationsgovernance: Impulse für eine nachhaltige internationale Migrationsarchitektur

Thu, 21/12/2017 - 14:54
Die globale Migrationsgovernance ist in einer Phase des Umbruchs. Dafür gibt es zwei wesentliche Ursachen: Zum einen besteht eine Zweiteilung zwischen einem internationalen Flüchtlingsregime und einem (Arbeits-) Migrationsregime, die angesichts „gemischter“ Wanderungen problematisch ist. Zum anderen ist speziell die globale Migrationssteuerung durch fehlende normative Standards und eine institutionelle Fragmentierung gekennzeichnet. Diese Missstände sollen im Rahmen der derzeit zu verhandelnden Global Compact for Migration und des Global Compact on Refugees behandelt werden. Eine entscheidende Frage ist, welche Rolle regionale Zusammenschlüsse von Staaten in einer zukünftigen globalen Migrationsarchitektur spielen werden. Denn grenzüberschreitende Flucht- und Migrationsprozesse finden überwiegend innerhalb von Regionen statt. Die regionale migrationspolitische Zusammenarbeit findet derzeit in drei Formaten statt, mit jeweils unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten: 1) Migrationssteuerung von Regionalorganisationen (z.B. ECOWAS oder I-GAD); 2) regionale Konsultationsprozesse (Regional Consultative Processes – kurz: RCPs) und 3) interregionale Kooperationsprozesse (z.B. Khartoum- und Rabat Prozesse). Erfahrungen aus Afrika zeigen: Auf regionaler Ebene wurden wegweisende Normen bspw. in der Personenfreizügigkeit oder im Flüchtlingsrecht hervorgebracht. Das liegt nicht zuletzt an einigen Vorteilen regionaler Migrationsgovernance gegenüber globalen Formaten. So lassen sich eher gemeinsame Interessen finden, regionale Besonderheiten können besser berücksichtigt werden, und auch die Formulierung einer entwicklungsfördernden und kohärenten Migrationspolitik fällt im regionalen Kontext tendenziell leichter. Allerdings ist die Umsetzung der Normen teils defizitär. Zudem werden insbesondere die Agenden interregionaler Kooperationsformate oftmals stark von wirtschafts- und sicherheitspolitischen Interessen westlicher Geberländer beeinflusst, wodurch der Schutz von Rechten für Flüchtlinge und Migranten in den Hintergrund zu geraten droht und regionale Anliegen überlagert oder gar unterminiert werden. Daher bedarf es in Ergänzung zu regionaler Migrationsgovernance auf globaler Ebene verbindliche, universelle Mindest­standards in Form völkerrechtlich verankerter Rech­te und Schutznormen für Flüchtlinge und Migranten. Gleich­zeitig sollte die regionale Ebene gestärkt werden. Denn sie kann wichtige Impulse für die Ausweitung von Schutznormen und die Umsetzung geordneter, sicherer und regulärer Migrationsbedingungen liefern. Die Staatengemeinschaft muss dies in den Verhandlungen zu den globalen Compacts berücksichtigen. Die Beiträge der deutschen und europäischen Entwicklungspolitik sollten sich auf folgende Bereiche konzentrieren: -    Ausbau von Kapazitäten: Die Regionalorganisationen sollten in allen (und nicht nur sicherheitsrelevanten) Bereichen finanziell und technisch unterstützt werden. -    Austausch fördern: Dieser sollte zwischen regionalen Organisationen und globalen Akteuren und mit zivilgesellschaftlichen Akteuren gestärkt werden. -    Einfluss erhöhen: Die Rolle von Regionalorganisationen bei der Umsetzung, Erfolgsbeobachtung und Überprüfung der Compacts muss vorangetrieben werden. _____________________________ Anne Koch: Research division “Global Issues”, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)
Benjamin Etzold: Bonn International Center for Conversion (BICC)

Soziopolitische und administrative Determinanten der Mobilisierung kommunaler Eigeneinnahmen: Einblicke aus Mosambik

Mon, 18/12/2017 - 09:17
Obwohl in den meisten Entwicklungsländern das Einnahmenpotential auf subnationaler Ebene bescheiden ist, bestehen gute Gründe für verstärkte Bemühungen von Gebern und Entwicklungspartnern in diesem Bereich. Einerseits können lokal generierte Einnahmen – selbst wenn diese verglichen mit Einnahmen auf nationaler Ebene geringfügig sind – eine Erweiterung des finanziellen Spielraums der Kommunen durchaus begünstigen. Des Weiteren hoffen Geber durch eine starke Mobilisierung von Einnahmen auf lokaler Ebene neben zusätzlichen Finanzressourcen auch auf eine „Governance Dividende“. Die Mobilisierung von Eigeneinahmen auf lokaler Ebene stellt daher nicht nur aus finanzieller Sicht, sondern auch aus einer umfassenderen Governance-Perspektive ein relevantes Thema dar. Demzufolge ist eine stärkere Mobilisierung des lokalen Steuerpotentials kein Selbstzweck, sondern auch ein Mittel zur Förderung guter Regierungsführung. Damit diese positiven Wirkungen auch erreicht werden können, benötigen Geber und Entwicklungspartner ein besseres Verständnis der Wirkungen soziopolitischer und administrativer Faktoren in diesem Bereich. Im vorliegenden Papier werden die Ergebnisse einer Studie zu den Wirkungen dieser Faktoren auf die Mobilisierung von Eigeneinnahmen in mosambikanischen Kommunen zusammengefasst. Damit leisten wir einen Beitrag zu einer sich rasant entwickelnden Literatur zum Effekt dieser Faktoren auf unterschiedliche Aspekte der Öffentlichen Finanzen auf subnationaler Ebene. Die Ergebnisse zeigen erstens, dass administrative Schwächen zu einer starken Abhängigkeit von verwaltungstechnisch weniger anspruchsvollen Einnahmeninstrumenten führen. Diese Erkenntnisse unterstreichen auch den systemischen Charakter des Prozesses der Einnahmenerhebung: Eine mangelhafte oder fehlende Kapazität im Hinblick auf nur einen Schritt hat bereits starke Auswirkungen auf die Effektivität und Effizienz des gesamten Erhebungssystems. Zweitens zeigen Kommunen, in denen die auf nationaler Ebene regierende Partei nicht an der Macht ist, mehr Bemühungen zur Steigerung der Eigeneinnahmen als Kommunen, in denen die Regierungspartei mit der Partei an der Macht auf nationaler Ebene übereinstimmt. Dies zeigt, wie politische Faktoren auf lokaler Ebene, insbesondere in der Interaktion mit anderen Regierungsebenen, die Anreize für Kommunen stark beeinflussen können, ihr Einnahmenpotential auszuschöpfen. Drittens scheint die Stärke der Zivilgesellschaft auf lokaler Ebene keine Auswirkungen auf das finanzpolitische Verhalten der kommunalen Regierungen zu haben. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass, besonders auf lokaler Ebene, die Zivilgesellschaft in Mosambik zu schwach erscheint, um Initiativen oder Prozesse im Themenbereich Öffentliche Finanzen signifikant anzustoßen, zu begleiten und zu beeinflussen – selbst wenn Unterstützung durch die Geber vorhanden ist. Aus den Ergebnissen lässt sich eine deutliche Empfehlung für Geber und Entwicklungspartner ableiten: Um zielgerichtete Maßnahmen zur Mobilisierung lokaler Eigeneinnahmen erfolgreich zu konzipieren und umzusetzen, müssen Geber und Entwicklungspartner soziopolitische und administrative Faktoren systematisch beachten. Dafür müssen Praktiker in diesem Themenbereich ihren Ansatz erweitern und noch stärker als bisher Zeit und Kapazitäten investieren, um die genannten Faktoren zu berück-sichtigen. Hemmende und fördernde Faktoren müssen identifiziert werden, um Strategien und Maßnahmen besser anpassen zu können.

Digitalisierung und Flucht: wie können Geber digitale Technologien zur Unterstützung von Flüchtlingen einsetzen?

Mon, 23/10/2017 - 15:32
Der verbesserte globale Zugang zu digitalen Technologien schafft Chancen aber auch Herausforderungen für Geber und die Hilfsorganisationen, mit denen sie im Rahmen der Unterstützung von Menschen auf der Flucht vor Kriegen, massiven Menschenrechtsverletzungen und anderen Notsituationen zusammenarbeiten. Digitale Technologien erleichtern es Flüchtlingen, aufeinander sowie auf Hilfsorganisationen zuzugehen und können die Effizienz institutioneller Bemühungen zur Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern, wie Medikamenten, Lebensmitteln und Geldern, verbessern.
Allerdings ist der effektive Einsatz digitaler Technologien zur Unterstützung von Flüchtlingen auch mit Herausforderungen verbunden. Dabei lautet die Schlüsselfrage für Geber: Welche Ansätze zur Digitalisierung bestehen im Umgang mit Fluchtprozessen, und welchen Aufschluss bieten diese Ansätze Gebern bezüglich des effizienten Einsatzes digitaler Technologien im Management von Migrationsprozessen?
Zur Beantwortung dieser Frage sollten sich Geber bei der Entwicklung einer digitalen Strategie zur Unterstützung von Flüchtlingen auf drei Aspekte konzentrieren:
  • Geber sollten nicht nach einem „durch Technologie zu lösenden Problem“ suchen: Dies lässt sich am besten vermeiden, indem sie Kenntnisse darüber erwerben, wie und welche digitale Instrumente in Flüchtlings-Communities bereits genutzt werden. Oftmals haben Flüchtlinge bereits selbst innovative Möglichkeiten zur Befriedigung ihres Informationsbedarfs gefunden, während Geber finanzielle und technische Unterstützung zur Förderung des Zugangs zu bestehenden Technologien gewähren können.
  • Die Neuentwicklung digitaler Tools bildet dann eine Option, wenn für die Bedürfnisse der Flüchtlinge bzw. der Mitarbeiter vor Ort kein bestehendes Tool verfügbar ist. Maßgeschneiderte Tools werden häufig am besten auf organisatorischer Ebene für die Verwaltung von Informationen oder Ressourcen eingesetzt. Geber sollten bei der Bildung von Partnerschaften neben auf Flüchtlinge organisierten NROs und Technologieunternehmen insbesondere auch die Innovationscenter der Vereinten Nationen (UN), wie z.B. den UNHCR Innovation Service, in Betracht ziehen.
  • Gleichzeitig sollten Geber realistisch bezüglich der in digitale Lösungen gesetzten Erwartungen bleiben. Technologie kann nützlich sein, ist aber kein Allheilmittel für die Lösung jeder Herausforderung im Bereich des Informationsmanagements. Bei der Gestaltung digitaler Interventionen müssen ethische und Sicherheitsaspekte stets eine zentrale Rolle spielen. Geber müssen sicherstellen, dass Partner, mit denen sie zusammenarbeiten, die im Handbuch des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) zum Schutz digitaler Daten festgelegten Datenschutz- und -Sicherheitsstandards erfüllen können.
In der vorliegenden „Analyse und Stellungnahme“ wird ein Überblick über die Verwendung digitaler Tools durch Flüchtlinge gegeben. Des Weiteren werden Beispiele von Organisationen vorgestellt, die digitale Technologien einsetzen, und die Wirksamkeit sowie ethische Fragen im Zusammenhang mit dem Einsatz digitaler Technologien zur Unterstützung von Flüchtlingen erörtert. Durch Fokussierung auf die Bedürfnisse von Flüchtlingen bei der Entwicklung von Technologielösungen und die Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen, die in der Lage sind, Sicherheitsstandards im Datenschutz zu erfüllen, wie z.B. dem UNHCR und Mercy Corps, können Geber digitale Tools bestmöglich zur Unterstützung von Flüchtlingen einsetzen.


Digitalisierung und Flucht: wie können Geber digitale Technologien zur Unterstützung von Flüchtlingen einsetzen?

Mon, 23/10/2017 - 15:32
Der verbesserte globale Zugang zu digitalen Technologien schafft Chancen aber auch Herausforderungen für Geber und die Hilfsorganisationen, mit denen sie im Rahmen der Unterstützung von Menschen auf der Flucht vor Kriegen, massiven Menschenrechtsverletzungen und anderen Notsituationen zusammenarbeiten. Digitale Technologien erleichtern es Flüchtlingen, aufeinander sowie auf Hilfsorganisationen zuzugehen und können die Effizienz institutioneller Bemühungen zur Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern, wie Medikamenten, Lebensmitteln und Geldern, verbessern.
Allerdings ist der effektive Einsatz digitaler Technologien zur Unterstützung von Flüchtlingen auch mit Herausforderungen verbunden. Dabei lautet die Schlüsselfrage für Geber: Welche Ansätze zur Digitalisierung bestehen im Umgang mit Fluchtprozessen, und welchen Aufschluss bieten diese Ansätze Gebern bezüglich des effizienten Einsatzes digitaler Technologien im Management von Migrationsprozessen?
Zur Beantwortung dieser Frage sollten sich Geber bei der Entwicklung einer digitalen Strategie zur Unterstützung von Flüchtlingen auf drei Aspekte konzentrieren:
  • Geber sollten nicht nach einem „durch Technologie zu lösenden Problem“ suchen: Dies lässt sich am besten vermeiden, indem sie Kenntnisse darüber erwerben, wie und welche digitale Instrumente in Flüchtlings-Communities bereits genutzt werden. Oftmals haben Flüchtlinge bereits selbst innovative Möglichkeiten zur Befriedigung ihres Informationsbedarfs gefunden, während Geber finanzielle und technische Unterstützung zur Förderung des Zugangs zu bestehenden Technologien gewähren können.
  • Die Neuentwicklung digitaler Tools bildet dann eine Option, wenn für die Bedürfnisse der Flüchtlinge bzw. der Mitarbeiter vor Ort kein bestehendes Tool verfügbar ist. Maßgeschneiderte Tools werden häufig am besten auf organisatorischer Ebene für die Verwaltung von Informationen oder Ressourcen eingesetzt. Geber sollten bei der Bildung von Partnerschaften neben auf Flüchtlinge organisierten NROs und Technologieunternehmen insbesondere auch die Innovationscenter der Vereinten Nationen (UN), wie z.B. den UNHCR Innovation Service, in Betracht ziehen.
  • Gleichzeitig sollten Geber realistisch bezüglich der in digitale Lösungen gesetzten Erwartungen bleiben. Technologie kann nützlich sein, ist aber kein Allheilmittel für die Lösung jeder Herausforderung im Bereich des Informationsmanagements. Bei der Gestaltung digitaler Interventionen müssen ethische und Sicherheitsaspekte stets eine zentrale Rolle spielen. Geber müssen sicherstellen, dass Partner, mit denen sie zusammenarbeiten, die im Handbuch des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) zum Schutz digitaler Daten festgelegten Datenschutz- und -Sicherheitsstandards erfüllen können.
In der vorliegenden „Analyse und Stellungnahme“ wird ein Überblick über die Verwendung digitaler Tools durch Flüchtlinge gegeben. Des Weiteren werden Beispiele von Organisationen vorgestellt, die digitale Technologien einsetzen, und die Wirksamkeit sowie ethische Fragen im Zusammenhang mit dem Einsatz digitaler Technologien zur Unterstützung von Flüchtlingen erörtert. Durch Fokussierung auf die Bedürfnisse von Flüchtlingen bei der Entwicklung von Technologielösungen und die Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen, die in der Lage sind, Sicherheitsstandards im Datenschutz zu erfüllen, wie z.B. dem UNHCR und Mercy Corps, können Geber digitale Tools bestmöglich zur Unterstützung von Flüchtlingen einsetzen.


Mehr Entwicklung – mehr Migration? Der „migration hump“ und seine Bedeutung für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit Subsahara-Afrika

Thu, 12/10/2017 - 09:02
Viele sehen in der Entwicklungszusammenarbeit einen Schlüssel zur Reduzierung der irregulären Zuwanderung aus Subsahara-Afrika. Doch Kritiker wenden ein, mehr sozio-ökonomische Entwicklung führe erfahrungsgemäß nicht zu weniger, sondern zu mehr Migration. Tatsächlich haben historische und ländervergleichende Untersuchungen gezeigt, dass in der Regel Auswanderung erst einmal zunimmt, wenn Länder durch Wirtschaftswachstum und entsprechend steigende Einkommen den Status eines „Low Income Country“ hinter sich lassen. Erst wenn sie den Status eines „Upper Middle Income Country“ erreichen, ist mit einer Abnahme der internationalen Migration zu rechnen. Dieser als „migration hump“ bezeichnete Zusammenhang zwischen Entwicklung und Migration gilt auch für Subsahara-Afrika. Allerdings lässt er sich nicht nur durch steigende Einkommen und höhere Bildung erklären. Vielmehr wird er auch durch andere Faktoren begünstigt. Dazu zählen: demographischer Wandel, wirtschaftlicher Strukturwandel, Nachahmungseffekte bei Migrationsprozessen, steigende Ungleichheit, Kreditrestriktionen und sinkende Migrationsbarrieren.
Die Folgerung, dass eine positive sozio-ökonomische Entwicklung in den Ländern Subsahara-Afrikas vor allem zu einer Zunahme der irregulären Zuwanderung nach Europa führen würde, ist also eine unzulässige Vereinfachung. Gerade irreguläre Migration wird nicht durch wirtschaftliche Motive alleine befeuert. Vielmehr handelt es sich hier um sogenannte „gemischte Wanderungen“, bei denen sich Motive freiwilliger und Zwangsmigration vermischen. Faktoren wie Korruption, unzureichende Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechtsverletzungen und fragile Staatlichkeit sind hier maßgebliche Treiber.
Entwicklungszusammenarbeit kann Migration nicht verhindern, zumal Afrikas Entwicklung nicht alleine von EZ abhängt. Vielmehr muss es bei der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit Subsahara Afrika darum gehen, geordnete, sichere und legale Migration zu fördern, die wiederum ein positives Entwicklungspotenzial hat – und erzwungene, ungeordnete und irreguläre Migration zu unterbinden. Konkrete entwicklungspolitische Maßnahmen sollten daher beinhalten:
  • Entwicklungspolitisch gestaltete Migrationsprozesse: Die Möglichkeiten der regulären Zuwanderung nach Deutschland und Europa müssen erweitert und flankiert werden (z.B. durch Qualifizierungsmaßnahmen).
  • Unterstützung intraregionaler Migration: Die Bemühungen der afrikanischen Regionalorganisationen, intraregionale Migration – die einen Großteil der Migrationsbewegungen ausmacht – zu gestalten, sollten unterstützt werden.
  • Verhinderung von Braindrain: Der Abwanderung von in den Herkunftsländern benötigten Fachkräften sollte durch gezielte Investitionen und neue Ansätze wie z. B. Ausbildungspartnerschaften entgegengewirkt werden.
  • Förderung von guter Regierungsführung, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit: Entwicklungspolitische Maß-nahmen in diesem Bereich können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass Menschenrechtsverletzungen oder mangelnde Rechtsstaatlichkeit und somit Gründe für ungeordnete oder erzwungene Migration abnehmen.

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