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Publikationen des German Institute of Development and Sustainability (IDOS)
Updated: 1 month 4 days ago

Monitoring in German bilateral development cooperation: a case study of agricultural, rural development and food security projects

Wed, 22/07/2020 - 15:33

Monitoring and evaluation have gained importance in recent decades in development cooperation to increase evidence, and thereby aid effectiveness. However, the focus on measuring results needs to be coordinated with other strategically important aspects of the aid and development effectiveness agenda, such as adapting to local needs and harmonisation among development actors. Combining these different goals remains a challenge in the development community. Studies show that most donors have similar problems when measuring results. The quality of the collected data can oftentimes be questioned because data collection methods lack methodological rigor. The data collected and used is often of limited relevance for the project. Reporting by implementing agencies to BMZ focusses more on accountability than on using the results for learning. This discussion paper offers an in-depth analysis of the efforts undertaken by German bilateral development cooperation actors to measure results and in how far the reported data can contribute to increase the effectiveness of development cooperation. Thirteen projects by German implementing agencies GIZ and KfW were selected and analysed by means of project documents and interviews with staff. In addition, general monitoring and evaluation guidelines of German development cooperation were consulted. The results show that BMZ does not have a comprehensive results-based management system in place for planning, monitoring and evaluation in German development cooperation, which leads to quality challenges with regard to the collected data. Many projects do not have a comprehensive theory of change, use methodologically contestable indicators and are not able to demonstrate causality between their activities and the results measured. Indicators are often selected with only the limited involvement of partner countries, and there are challenges with using partner countries’ secondary data. BMZ has recently started a reform process with the aim of establishing a more comprehensive RBM system and providing additional guidance to projects on how to define indicators and measure results. The findings of this paper offer important lessons learnt and recommendations for the reform process.

Auf Covid-19 muss eine tiefgreifende Transformation der Steuersysteme folgen

Mon, 29/06/2020 - 09:00

Die aktuelle Krise zeigt einmal mehr, wie wichtig leistungsfähige und gut regierte Staaten sind, wenn es darum geht, elementare Probleme kollektiv zu lösen. Steuersysteme werden eine Schlüsselrolle spielen, um die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie in Entwicklungsländern abzufedern und nach der Pandemie eine möglichst rasche und nachhaltige wirtschaftliche Erholung zu befördern.

Der zusätzliche Finanzbedarf der öffentlichen Haushalte wird dabei vor allem in den ärmeren Ländern gewaltig sein. Wichtige Einnahmequellen, wie der Export von Naturressourcen oder der Tourismus, sind auf unbestimmte Zeit eingebrochen. Schätzungen der Weltbank sagen zum Beispiel für Afrika voraus, dass je nach Ausmaß der Krise mit einem Rückgang der staatlichen Einnahmen um 12 bis 16 Prozent zu rechnen ist. Für das Jahr 2020 wird eine durchschnittliche Erhöhung der Haushaltsdefizite um 3,5 Prozentpunkte des Bruttoinlandsprodukts prognostiziert.

Viele Entwicklungsländer befinden sich noch in der Lockdown-Phase der Pandemie. In dieser Phase geht es vor allem um Steuererleichterungen, die den Unternehmen kurzfristig Liquidität verschaffen, so wie zum Beispiel der Aufschub fälliger Steuerzahlungen. Danach folgt eine Phase der Lockerungen, in welcher Steuererleichterungen als Konsum- oder Investitionsanreize eingesetzt werden, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Viele Industrienationen befinden sich momentan in dieser Phase, in der eine Balance zwischen effektiven Steueranreizen für die Wirtschaft und ausreichenden Staatseinnahmen zur Finanzierung der erhöhten Ausgaben gefunden werden muss. Spätestens mit dem Ende der Pandemie müssen zusätzlich langfristige Maßnahmen in den Blick genommen werden, um die öffentlichen Finanzsysteme resilient und zukunftsfähig zu machen.

Doch welche Möglichkeiten haben die Regierungen, um kurzfristig steuerliche Anreize für Investitionen und wirtschaftliche Notfallprogramme zu gewähren, ohne mittel- und langfristig die Finanzierung der wachsenden Staatsausgaben zu gefährden? Gerade ärmere Länder haben hier häufig nur wenig finanziellen Spielraum für Konjunkturpakete.

Zum einen müssen die Steuersysteme auf eine breitere Basis gestellt werden. Eine effektivere Besteuerung der wohlhabenden Privathaushalte und Vermögen ist notwendig. Viele Staaten erzielen zum Beispiel kaum Einnahmen aus Grundsteuern oder aus privaten Einkommenssteuern. Gerade solche Steuern fördern aber die Progressivität und Fairness der Steuersysteme, weil sie die Leistungsfähigkeit wohlhabender Steuerzahler stärker berücksichtigen.

Zum anderen müssen Steuerhinterziehung und -vermeidung – welche jährlich weltweit zu Milliardeneinbußen an Steuereinnahmen führen – entschlossen verfolgt werden. Hierfür ist es wichtig, in den Steuerbehörden die Qualität der Steuerdaten und -register, aber auch die Kapazitäten der Steuerprüfung zu erhöhen. Digitalisierung und Automatisierung bei der Führung von Registern, dem Rechnungswesen und dem Austausch von Informationen, sowohl national zwischen Behörden als auch international zwischen Ländern, sind dafür zentrale Ansatzpunkte.

Doch die erforderlichen Maßnahmen können die ärmeren Entwicklungsländer alleine nicht stemmen. Sie sind besonders bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -vermeidung durch Großkonzerne auf internationale Zusammenarbeit angewiesen. Vor allem muss dem intransparenten Geschäftsgebaren der sogenannten Steueroasen und dem globalen Unterbietungswettbewerb bei den Unternehmenssteuern ein Ende gesetzt werden. Zu Letzterem ist die Einführung einer globalen Mindeststeuer im Gespräch. Sie ist gegenwärtig Gegenstand von Verhandlungen unter dem Dach der OECD und sollte zügig umgesetzt werden.

Die Entwicklungsländer werden daneben weitere Finanzmittel benötigen, die ihnen nur teilweise in Form von Krediten zufließen können. Die vielfach diskutierten Finanztransaktionssteuern könnten eine weitere Einnahmequelle für Staaten bilden. Außerdem könnten über Steuern auf große Vermögen und Erbschaften mehr Mittel mobilisiert werden – besonders wenn es gelingt, die G20-Länder hier zu einem gemeinsamen Vorgehen zu bewegen. Eine international abgestimmte Besteuerung digitaler Dienstleistungen, etwa der großen Technologie-Unternehmen, könnte staatliche Steuereinnahmen zudem stärken. Der Rückzug der USA aus den OECD-Gesprächen zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft ist kein positives Signal in diese Richtung. Er sollte jedoch nicht als endgültige Niederlage multilateraler Lösungen hingenommen werden, sondern als Warnung und Ermutigung für die anderen Länder, weitere Anstrengungen für gemeinsame Lösungen zu unternehmen.

Die Weltwirtschaftskrise 2008/2009 hatte neben vielen negativen Auswirkungen eine positive Folge: Sie hat die internationale Kooperation in Steuerfragen enorm vorangebracht. Derartige Impulse brauchen wir nun auch zur Bewältigung der Covid-19 Pandemie. Es geht dabei nicht nur darum, mehr Einnahmen zu generieren, sondern vor allem darum, mehr Gerechtigkeit in der Einnahmengenerierung zu schaffen. Dazu müssen Steuergerechtigkeit und –fairness öffentlich stärker diskutiert werden. Denn wie die finanziellen Mittel zur Bewältigung der Krise erhoben und eingesetzt werden, wird sich auch auf die Legitimität der Staaten und den sozialen Zusammenhalt auswirken.

Dieser Text ist Teil einer Sonderreihe unseres Formats Die aktuelle Kolumne, die die Folgen der Corona-Krise entwicklungspolitisch und sozioökonomisch einordnet. Sie finden die weiteren Texte hier auf unserer Überblicksseite.

Never-ending reformism from above and dissatisfaction from below: the paradox of Moroccan post-Spring politics

Fri, 26/06/2020 - 16:46

For scholars, policy-makers and casual observers, there is no doubt that Morocco has undergone an impressive transformation process since Mohammed VI came to power in 1999. The country projects an image of liberal-democratic modernity and socio-economic progress that the international community is happy to go along with. But at the heart of Moroccan modernization lies a glaring paradox: despite two decades of reforms, the dissatisfaction of ordinary citizens with the way the system works has been consistently high, and a number of socio-economic and political indicators do not support the regime’s claim that the country has democratised or is democratising. This article examines the country’s political system through the reformist process – political, economic and social – that began in the 2000s, continued with the constitutional changes of 2011 and culminated with the two PJD-led governments that followed the parliamentary elections of 2011 and 2016. In particular, this study examines the reformist drive in the context of the inter-paradigm debate between democratisation and authoritarian resilience. We employ four criteria to determine to what extent Morocco has democratised: the accountability of decision-makers, the participation of a plurality of voices in the formulation of policies, the degree of individual freedoms and the protection of human rights. This article concludes that the reformist process is simply a narrative the regime has adopted to fend off international criticism and to reconfigure domestic institutions. The fundamentally authoritarian nature of the regime has not changed, and the dominant institutional role that the monarch – unelected and unaccountable – plays undermines all claims of democratisation.

Der globale Populismus stirbt nicht an COVID-19

Thu, 25/06/2020 - 11:08

Viele von Populisten regierte Staaten gehören zu den am stärksten von der Coronavirus-Pandemie betroffenen Ländern, wie die Fälle in den USA, Brasilien, Russland, Großbritannien und Indien veranschaulichen. Und obwohl populistische Regierungen gegenüber COVID-19 keinen einheitlichen Ansatz verfolgen, stellte sich ihr Krisenmanagement oft als eine Mischung aus Verleugnung und Inkonsistenz, Schuldzuweisungen, mangelnder Transparenz und allgemeiner Wissenschaftsfeindlichkeit dar. Trotzdem ist es noch zu früh für die Aussage, dass die Pandemie dem Populismus nachhaltig schadet.

Die populistische Weltanschauung unterteilt die Gesellschaft in das „Volk“ und die „Elite“. Populisten betrachten diese Gruppen als homogen und antagonistisch. Sie argumentieren, dass Politik Ausdruck des allgemeinen Willens des Volkes sein sollte und dass sie die einzigen legitimen Repräsentierenden des Volkes seien. Dass manche populistisch geführte Regierungen nun mit der Krise zu kämpfen haben, bedeutet nicht, dass Populismus in einer Post-Corona-Welt verschwinden wird. Einige Studien argumentieren, dass Krisen wie die Finanzkrise und der starke Anstieg der Zuwanderung von Geflüchteten im Jahr 2015 den Aufstieg des Populismus beschleunigt hätten.

Populisten können Krisen ausnutzen, um Anhänger zu mobilisieren. Indem er den Anspruch erhob der einzig wahre Repräsentant des Volkes zu sein, eröffnete Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro in der Pandemie noch weitere Krisenfronten. Bolsonaro schürte den Konflikt mit den Gouverneuren, dem Parlament und den Gerichten. Er versucht zudem, die Aufmerksamkeit der Medien vom Corona-Missmanagement der brasilianischen Regierung durch polemische Äußerungen abzulenken, indem er etwa den Zugang der Bevölkerung zu Waffen verteidigt. Trotz des rasanten Anstiegs der Corona- und den damit verbundenen Todesfällen in Brasilien sind die Umfragewerte von Bolsonaro nicht gesunken, sondern liegen nach wie vor bei rund 30 Prozent. Bisher hatte keines der Amtsenthebungsgesuche gegen ihn Erfolg.

US-Präsident Donald Trump machte China für den Ausbruch der Pandemie verantwortlich und verlagerte den Fokus des Krisenmanagements auf den Ursprung der Krise. Er verurteilte auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO), welche er zu einer von China kontrollierte Organisation deklarierte. Dieser Narrativ traf bei seinen Anhängern aus der politischen Rechten auf große Resonanz, denn er harmoniert mit Trumps „America First“ Rhetorik.

Populistische Regierungen nutzen Kommunikationskanäle, um oft irreführende Informationen über die eigene Leistung zu verbreiten, einfache Lösungen für komplexe Probleme anzubieten und die zentrale Stellung der Führungsperson hervorzuheben. So propagierten Trump und Bolsonaro auch persönlich den Gebrauch von Chloroquin zur Behandlung von COVID-19, obwohl dessen Wirksamkeit nicht wissenschaftlich bewiesen ist. Die brasilianische Regierung versuchte zudem, die Infektionszahlen geheim zu halten und verbreitete, dass Brasilien bei der Anzahl der COVID-19-Genesenen weltweit auf dem 2. Platz liege.

Populisten in der Regierung untergraben die liberale Demokratie, und die aktuelle Gesundheitskrise stellt für sie eine besondere Chance dar, eine demokratische Erosion zu beschleunigen. In einigen Fällen wurde der Gesundheitsnotstand auch instrumentalisiert, um eine Zentralisierung der Exekutivgewalt zu rechtfertigen und die Opposition und die Massenproteste zum Schweigen zu bringen. Der Präsident der Philippinen Rodrigo Duterte drohte bei Verstößen gegen die Auflagen zur Eindämmung von COVID-19 sogar mit Erschießungen. In Polen profitierte der amtierende Präsident Andrezej Duda von der Pandemie, die mitten im Wahlkampf für die Opposition nur wenig politischen Raum ließ.

Auch auf längere Sicht könnten Populisten von – durch die Pandemie verschärften – sozialen Spaltungen profitieren. Der Aufstieg des Populismus spiegelt auch kulturelle Aspekte, soziale und wirtschaftliche Missstände wider. Der Rechtspopulismus hat in der Vergangenheit von wachsender Arbeitslosigkeit, Ungleichheit und Euroskeptizismus profitiert, also von Phänomenen, die durch die Corona-Pandemie verstärkt werden. So hat der Euroskeptizismus  vor allem in Italien zugenommen, was in engem Zusammenhang mit dem Mangel an Solidarität seitens der EU in der frühesten Phase der Pandemie steht. Schon jetzt versuchen populistische Akteure, die Unzufriedenheit und Unsicherheit für die Mobilisierung politischer Anhänger zu nutzen, und prangern die Krise als das Scheitern der Globalisierung, der „offenen Grenzen“, der internationalen Organisationen und des Liberalismus an. Wenn sich nun die Logik durchsetzt, die Grenzen zu schließen und die eigene Nation an die erste Stelle zu setzen, könnte dies die langwährenden Forderungen der Populisten legitimieren.

Auf kurze Sicht hat der Populismus durch schlechtes Krisenmanagement eine seiner Schwächen offenbart. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Populismus nach Corona keinen politischen Erfolg mehr haben wird. Seine Fähigkeit, Anhänger zu mobilisieren, Kräfte zu bündeln und ein Krisennarrativ zu verbreiten, das seiner nationalistischen und autoritären Ideologie entspricht, sollte nicht unterschätzt werden. Durch anti-globalistische Narrative, Verschwörungstheorien und Polarisierung könnte er sich als widerstandsfähig erweisen.

Dieser Text ist Teil einer Sonderreihe unseres Formats Die aktuelle Kolumne, die die Folgen der Corona-Krise entwicklungspolitisch und sozioökonomisch einordnet. Sie finden die weiteren Texte hier auf unserer Überblicksseite.

Funding the UN: support or constraint?

Wed, 24/06/2020 - 10:09

Adequate and predictable funding to multilateral development organizations is key to promoting global sustainable development. Funding volumes and practices matter. They affect the scale and scope of solutions that can be offered. They reveal the extent to which multilateral organizations are owned by member states when looking at who shares the risks and costs of multilateral activities, and they demonstrate the level of trust placed in an organization. Through resource politics, states exercise influence and control over an organization. This influence can serve to support and strengthen multilateral organizations by helping them to be efficient, effective, and innovative. Or, it can also undermine international organizations by making their work harder, hampering development effectiveness, and eroding multilateral assets. The UN development system (UNDS) illustrates both kinds of financial engagement, often in parallel. This chapter begins by describing the current funding patterns of the UNDS, analyzes the main drivers, and assesses repercussions. It then takes stock of responses by individual organizations as well as by the system as a whole. The chapter concludes with some reflections about the inherent challenges in finding remedies to the unsustainable funding structures that endanger the system’s multilateral assets.

Wachsende Ungleichheit kann die Auswirkungen der Pandemie noch verschlimmern

Mon, 22/06/2020 - 10:41

Wie sich Covid-19 auf unseren Alltag auswirkt, ist nicht zu übersehen. Weniger offensichtlich sind die unmittelbaren Auswirkungen der Pandemie auf die Armut in der Welt. Der wirtschaftliche Verlust, der aktuell weltweit auf etwa 5,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) geschätzt wird, vermittelt nur ein unvollständiges Bild der tatsächlichen gesellschaftlichen und menschlichen Kosten. Die Berechnung könnte ähnlichen Verzerrungen unterliegen wie viele Klimafolgenabschätzungen. So erscheint der absolute Verlust in wohlhabenden Gebieten häufig größer, was aber lediglich darauf zurückzuführen ist, dass es dort in wirtschaftlicher Hinsicht mehr zu verlieren gibt. Bezüglich der Auswirkungen auf ihren Lebensunterhalt sind jedoch ohnehin bereits gefährdete Gemeinschaften am stärksten betroffen. Jeder Nettoverlust bedeutet für sie den Verlust eines größeren Teils ihres ohnehin knappen Einkommens, und die Wirkungen werden weit über Einkommensschocks hinausgehen.

Es ist daher wichtig, die Folgen der Pandemie für die globale Armut abzuschätzen und zu prüfen, inwieweit dadurch unsere Fähigkeit beeinträchtigt wird, die extreme Armut global zu beseitigen, wie es die Ziele für nachhaltige Entwicklung bis zum Jahr 2030 vorsehen. Dieser Aufgabe hat sich ein Team der Weltbank angenommen. Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) und die Weltbank haben in diesem Zuge ein Modell entwickelt, dass die globale Armut bis 2030 ebenso wie die Rolle simuliert, die eine Veränderung von Ungleichheiten für die Erreichung des Armutsziels spielt. Laut dieses Modells können durch die Covid-19-Pandemie weltweit etwa 70 Millionen Menschen zusätzlich in extreme Armut fallen.

Bedenkt man, dass das Einkommensniveau, bei dem eine Person im weltweiten Vergleich als extrem arm gilt, der durchschnittlichen Armutsgrenze in mehreren der ärmsten Länder entspricht, ist dieser Trend wahrlich besorgniserregend. Tritt das Ergebnis der Simulation ein, müssen etwa 70 Millionen Menschen zusätzlich mit etwas weniger als zwei Dollar (genauer gesagt 1,90 USD mit der Kaufkraftparität von 2011) pro Person und Tag auskommen. Zu den rund 600 Millionen Menschen, die schon jetzt in extremer Armut leben, kämen also noch über 10 Prozent hinzu. Noch viele mehr werden in die darüber liegende Kategorie der zwar nicht extremen, aber immer noch sehr großen Armut fallen.

Eine weitere wichtige Frage ist, wie sich die globale Rezession in verschiedenen Einkommensgruppen innerhalb der Verteilung niederschlagen wird. Die obige Schätzung von 70 Millionen zusätzlichen Armen geht davon aus, dass die Einkommen innerhalb der gesamten Einkommensverteilung gleich stark sinken werden. In den Entwicklungsländern sind von den „Lockdown“-Maßnahmen jedoch viele Menschen betroffen, die im informellen Sektor oder in prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten. Viele dieser Geringverdiener werden möglicherweise für einige Monate einen Großteil ihres Einkommens verlieren. Sie sind also überproportional benachteiligt, wodurch sich die Ungleichheit noch verstärkt. Der Rückgang des BIP kann sich also innerhalb der Einkommensverteilung unterschiedlich stark niederschlagen. Die Verteilungseffekte der Rezession müssen also berücksichtigt werden.

Da über die Verteilungseffekte noch keine Daten vorliegen, lässt sich nur simulieren, wie sich die Veränderungen der Ungleichheit auf die geschätzte Armut auswirken. Wenn die Ungleichheit gemessen am Gini-Index, einem Standardmaß zur Darstellung von Ungleichheit, weltweit um 1 Prozent ab- oder zunimmt, könnte die Zahl der zusätzlichen extrem Armen entsprechend 55 oder 85 Millionen betragen. Eine solche prozentuale Veränderung der Einkommensverteilung bewegt sich im Rahmen dessen, was in einem beliebigen Land innerhalb eines Jahres üblich ist. Der Unterschied zwischen den Zahlen würde sich auf etwa 40 bis 100 Millionen Menschen vergrößern, wenn die Veränderung der Ungleichheit in der Größenordnung von 2 Prozent liegt. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Ungleichheit in allen Ländern auf die gleiche Weise ändert ist sehr gering. Dennoch erhält man so eine Vorstellung von der Bandbreite der Ergebnisse, wenn man Veränderungen bei der Verteilung berücksichtigt: Sollte der Gini-Index um 2 Prozent sinken, könnte dies die Auswirkungen der Pandemie auf die globale Armut fast halbieren. Eine Steigerung um 2 Prozent würde sie um fast 50 Prozent verstärken.

Für die politischen Entscheidungsträger der Welt und vor allem für die entwicklungspolitischen Akteure ist daher nicht nur die aggregierte Auswirkung der Pandemie entscheidend, sondern auch die wichtige Rolle der Bekämpfung der Ungleichheit für die Abschwächung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen. Unsere Berechnungen zeigen, dass den Regierungen auch bei stagnierendem Wirtschaftswachstum eine außerordentliche Verantwortung zukommt. Sie müssen nicht nur antizyklisch handeln, um das Wachstum anzukurbeln – idealerweise mit Investitionen in eine ökologisch nachhaltige Weltwirtschaft – sondern auch die Lebensgrundlagen von Menschen in den unteren Einkommenssegmenten sicherstellen. Das beinhaltet insbesondere die Vertiefung und Ausweitung sozialer Sicherung, sowie die Stärkung weiterer Maßnahmen zur Bekämpfung von Ungleichheit, wie zum Beispiel progressiver Besteuerung und Investitionen in ländliche Infrastruktur. Politisches Handeln muss sich jetzt darauf konzentrieren, die ungleichen Auswirkungen der Pandemie abzumildern und dafür zu sorgen, dass die wirtschaftlichen Maßnahmen in ihrer Gesamtheit geeignet sind, Ungleichheit zu verringern.

Mario Negre ist Ökonom und Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprogramm Transformation der Wirtschafts- und Sozialsysteme am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE).

Daniel Gerszon Mahler is Ökonom und Young Professional in der Development Data Group der Weltbank

Christoph Lakner ist Senior Economist der Development Data Group bei der Weltbank.

Dieser Text ist Teil einer Sonderreihe unseres Formats Die aktuelle Kolumne, die die Folgen der Corona-Krise entwicklungspolitisch und sozioökonomisch einordnet. Sie finden die weiteren Texte hier auf unserer Überblicksseite.

Information and communication technology in the lives of forcibly displaced persons in Kenya

Thu, 18/06/2020 - 10:46

This report examines how forcibly displaced persons use information and communication technologies (ICTs) in Kenya. Focusing on the role and potential of ICT with regard to mobility and inclusion, this paper studies the needs of forcibly displaced persons and seeks to understand how technology could help to meet these needs. The study identifies success factors concerning the deployment of ICT services, which potentially support the lives of forcibly displaced persons. Based on this analysis, we formulate policy recommendations for organisations who want to deploy ICT services for forcibly displaced persons in Kenya. Since living conditions and access to technology differ in urban, rural and camp environments, the research was conducted in Nairobi, the Tana Delta County and Kakuma Refugee Camp. Our results are based on data collected through a mixed-method approach. Qualitative, semi-structured interviews were conducted with 90 forcibly displaced persons in Nairobi, Kakuma Refugee Camp and the Tana Delta County. Twenty-four organisations providing ICT services in Kenya were interviewed to provide a practitioners’ perspective. The creation of the interview guides and the codebook for the analysis were developed based on the e-governance framework developed by Verdegem and Verleye, who have identified important conditions for a successful uptake of ICT services, namely awareness, perception, access and usability.
Primary policy and practice recommendations include:
- Organisations should avoid doing with ICTs what is already efficiently done in-person. For example, in Kakuma people just walk to the clinics, and are happy to do so. There is not a need for a digital health information solution in this instance – this frees up organizations to focus on using ICTs to solve problems that cannot be effectively solved in-person. These findings indicate critically thinking about ‘digital by default’ strategies.
- For things like health information and education, organizations can take advantage of existing networks that communities have established on platforms like WhatsApp and Facebook. The main advantage that NGOs and refugee organizations can bring in this case is helping make sure information is valid, and helping community organizations prevent rumours from spreading. Indeed, a major risk with health information in particular is that anyone can say anything on a social network, so helping communities validate information is critical.
- We learned through the interviews that refugees’ awareness of different organizations’ online tools was limited. Generating a user base starts with awareness-raising strategies, which appear to be successful through personal contacts. Going directly to a village or to a certain community, and to work with community-based organisations and community leaders as ambassadors, appear to be the best option to reach out to the respective target group.

What the EU should do for democracy support in Africa: ten proposals for a new strategic initiative in times of polarisation

Thu, 18/06/2020 - 09:42

The EU has made democracy support a stronger aspect in its relations with African countries since 2002. However, a broad range of political and economic dynamics within as well as outside of Europe challenge democracy and its supporters: the rise of non-democratic countries such as China, challenges to democracy within the EU, and global autocratization trends, which include African countries. While posing new challenges the EU needs to react to, these trends also reinforce the importance of continued support and protection of democracy abroad. In light of this changed context, the EU will need to fundamentally adjust its strategic approach and instruments towards democracy support in Africa. Against this background, this paper discusses reasons for the EU to continue and even strengthen its democracy support in Africa: societal demands in Africa and regional democracy norms; the relationship between democracy and sustainable development as well as the new geostrategic competition. The paper analyses how the EU’s support for democracy and human rights in sub-Saharan Africa has developed over the last decades in terms of its understanding of democracy support as well as its substance. The paper concludes by making ten proposals for reforming the EU’s democracy support in Africa. The reform proposals relate to a new narrative and more strategic approach to democracy support in light of the changed geopolitical setting, to addressing megatrends more explicitly through democracy support or to reforming the EU’s institutional prerequisites.

Was bedeutet der EU-Aufbauplan für den Europäischen Green Deal?

Wed, 17/06/2020 - 13:09

An diesem Freitag starten, mit dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten, die Verhandlungen zu dem von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen EU-Aufbauplan „Next Generation EU“. Insgesamt sollen 750 Milliarden Euro mobilisiert werden, um damit die EU aus der durch die Covid-19 Pandemie verursachten Rezession zu führen. Gleichzeitig laufen die Verhandlungen zum nächsten EU-Haushalt (Mehrjähriger Finanzrahmen, MFR) für die Jahre 2021-2027, der nach dem Vorschlag der Kommission 1,1 Billion Euro umfassen soll.

In ihrer diesjährigen Frühjahrsprognose zur wirtschaftlichen Lage der EU geht die EU-Kommission für das zweite Quartal von einer um etwa 16 Prozent niedrigeren Wirtschaftsleistung im Vergleich zum Vorjahr aus. Sie erwartet einen Einbruch des Bruttoinlandprodukts im gesamten Jahr um etwa 7,5 Prozent – dieser fällt damit deutlich gravierender aus als in der Finanzkrise 2009. Mit dem EU-Aufbauplan sollen insgesamt 750 Milliarden Euro mobilisiert werden, davon 500 Milliarden Euro in Form von nicht rückzahlbaren Zuwendungen und die verbleibenden 250 Milliarden Euro als Kredite, die über den Haushalt der EU verteilt werden.

Diese Beträge machen deutlich, dass die damit zu finanzierenden Investitionen die Transformation zu nachhaltiger Entwicklung und Klimaschutz unterstützen müssen, wenn die mit der 2030 Agenda und dem Pariser Klimaabkommen beschlossenen Ziele erreicht werden sollen. Wie kann dies gelingen? Besteht im Zuge der derzeitigen Krise nicht die Gefahr einer Rückkehr zu überholten Geschäftsmodellen, die Nachhaltigkeits- und Klimazielen entgegenstehen?

Erst vor wenigen Monaten präsentierte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Europäischen Green Deal (EGD) als ambitioniertes Programm für ihre Amtszeit. Mit dem Green Deal als Wachstumsstrategie verfolgt die Europäische Kommission mittel- bis langfristige Ziele auch mit Blick auf die 2030 Agenda und die darin beinhalteten 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung. Ein zentrales Ziel ist das Erreichen von Klimaneutralität bis 2050, was die Transformation von Sektoren wie Energie, Industrie, Landwirtschaft und Verkehr erfordert. Es ist daher positiv, dass sich die Vorschläge zum EU-Aufbauplan und zum MFR auf den Europäischen Green Deal beziehen und damit Klimaschutz und weitere Nachhaltigkeitsziele in den Bereichen Biodiversität, Agrar- und Kreislaufwirtschaft als besondere Prioritäten in den Blick nehmen. Die genaue Umsetzung des Green Deal wird zurzeit zwischen den Mitgliedstaaten und mit dem Europäischen Parlament verhandelt. Weiterhin sollen die Mitgliedstaaten ihre eigenen nationalen Konjunkturprogramme im Einklang mit nationalen Klima- und Energieplänen entwickeln. All dies muss aber noch konkretisiert werden.

Neben der Verwendungsseite sind aber auch die Refinanzierung und die regulativen Rahmenbedingungen nachhaltigkeitsrelevant. Die Tilgung der für den Aufbauplan aufgenommenen Schulden soll über den EU-Haushalt von 2028 bis 2058 erfolgen. Dies bedeutet eine massive Neuverschuldung für eine ganze Generation, die soziale Auswirkungen mit sich bringt, und verdeutlicht, wie sich die heutigen Entscheidungen und Investitionen auf künftige Generationen auswirken.

Zur Finanzierung der aufgenommenen Mittel schlägt der Aufbauplan unter anderem die Ausweitung des Emissionshandelssystems, eine Digitalsteuer oder eine Plastiksteuer vor. Solche Instrumente können effektiv zur Erreichung der Klima- und Nachhaltigkeitszielen beitragen.

Ab Juli hat Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft bis Ende des Jahres inne, die nun durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie und deren Bewältigung geprägt sein wird. Die Ratspräsidentschaft sollte also dazu genutzt werden, diese Prozesse um den EU-Aufbauplan und den MFR in einer Weise mitzugestalten, die entscheidende Impulse für eine Orientierung an Klima- und Nachhaltigkeitszielen setzt. Bereits im Juli wird ein weiterer Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs stattfinden, bei dem eine Einigung über den EU-Aufbauplan erreicht werden soll.

Auch die Einigung in der EU auf ein neues Zwischenziel beim Klimaschutz zur Verringerung klimaschädlicher Emissionen bis 2030 um 50 bis 55 Prozent gegenüber 1990 steht noch aus. Diese nachgebesserten nationalen Klimapläne (Nationally Determined Contributions, NDCs) sollen in der zweiten Jahreshälfte beschlossen werden. Dies sollte bei den Verhandlungen um den EU-Wiederaufbauplan berücksichtigt werden, damit Investitionen in Bereiche fließen, die das Erreichen dieser Ziele ermöglichen. Dazu könnte die Festlegung eines CO2-Mindestpreises im europäischen Emissionshandelssystems gehören oder die Ausweitung der CO2-Bepreisung auf alle Wirtschaftssektoren.

Soziale Aspekte, Gesundheit und Bildung sowie die internationale Dimension kommen im Europäischen Green Deal bislang noch zu kurz. Der Aufbauplan spricht demgegenüber durchaus soziale Themen und die internationale Dimension an. Wenn beide Konzepte sich an den verschiedenen Nachhaltigkeitszielen orientieren, kann der EU-Aufbauplan in Verbindung mit dem Green Deal eine Chance sein, langfristige Ziele der Transformation hin zu nachhaltiger Entwicklung zu erreichen.

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Warum die Corona-Krise für rechtspopulistische Regierungen besonders schwierig ist

Mon, 15/06/2020 - 13:01

Ob US-Präsident Donald Trump, der zunächst die Gefahr des Sars-CoV-2-Virus für die USA kleinredete oder Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, der das Virus als mediale Täuschung bezeichnete und zwischenzeitlich die Veröffentlichung von Infektionszahlen unterband – rechtspopulistische Regierungen zeichnen sich in der Corona-Pandemie derzeit nicht durch effektives Krisenmanagement aus. Dass rechtspopulistische Entscheidungsträger*innen besondere Probleme damit haben, die Corona-Krise effektiv zu managen, liegt an der Unvereinbarkeit von effektivem Krisenmanagement mit dem Kern populistischer Weltanschauung.

Für Zeiten disruptiver Krisen, die sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens betreffen, benennt die Forschung zu Krisenmanagement sechs zentrale Erwartungen der Öffentlichkeit gegenüber politischen Entscheidungsträger*innen. Sie sollen (1) die öffentliche Sicherheit bei allen Entscheidungen priorisieren, (2) Vorkehrungen für die schlimmsten anzunehmenden Szenarien treffen, (3) auf frühe Warnungen hören, um einer möglichen Verschlimmerung der Krise vorzubeugen, (4) politische Verantwortung übernehmen und klare Richtlinien vorgeben, (5) Empathie gegenüber Opfern der Krise zeigen und (6) aus der Krise lernen. Rechtspopulistische Regierungen haben Schwierigkeiten damit, diesen Erwartungen zu entsprechen.

Die Gründe dafür sind vielseitig: Erstens steht Anti-Elitismus im Kern populistischer Weltanschauung. Eliten wird vorgeworfen, korrupt zu sein und den Willen des „Volkes“ zu vernachlässigen. Expert*innen und Wissenschaftler*innen sind in den Augen von Rechtspopulisten als Teil der Elite für das im-Stich-lassen der Mehrheitsgesellschaft mitverantwortlich. Wissenschaftlichen Erkenntnissen wird daher grundlegend misstraut, insbesondere, wenn daraus politische Empfehlungen abgeleitet werden. Am deutlichsten wurde dies bislang bei der Leugnung der Existenz des menschengemachten Klimawandels. In der Corona Pandemie sind wissenschaftliche Datenanalysen, Prognosen und Handlungsempfehlungen von zentraler Bedeutung, um Warnungen frühzeitig zu erkennen und die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Rechtspopulistische Entscheidungsträger*innen befinden sich daher nun in der schwierigen Situation, Expert*innen, die sie normalerweise als Feindbild stilisieren, zuhören zu müssen.

Zweitens erfordert vorausschauendes Krisenmanagement die Fähigkeit von politischen Führungspersönlichkeiten, sich ihre eigene Verwundbarkeit eingestehen zu können. Für Rechtspopulist*innen, die für sich beanspruchen den personifizierten Volkswillen zu verkörpern, kratzt eine Pandemie mit verheerenden wirtschaftlichen Folgen am Kern ihres Selbstverständnisses. Sie sind als Retter des kleinen Mannes angetreten; müssen nun jedoch Entscheidungen treffen, bei denen kurzfristig nur eines gerettet werden kann – die öffentliche Gesundheit oder das Wirtschaftswachstum.

Drittens benutzen Rechtspopulist*innen polarisierende Rhetorik als strategisches Mittel und begründen ihre Aussagen selten argumentativ. Polarisierung führt zu einem Rückgang des Vertrauens zwischen verschiedenen Teilen der Bevölkerung und fördert die Verbreitung von Falschnachrichten. Forscher haben untersucht, wie eine affektbetonte Identifikation mit politischen Lagern die Informationsverarbeitung im Gehirn beeinflusst und die Wahrnehmung verändern kann. Andere Studien ergaben, dass der Zugang zu Breitband-Internet die Polarisierung erhöht, da Bürger*innen zunehmend ihre Informationen über sich selbst bestärkende „Echo-Kammern“ in sozialen Medien beziehen. Polarisierung kann dazu führen, dass sich in der Gesellschaft Lager bilden, für die parteiliche Loyalität Vorrang vor Wahrheitsgehalt hat. Dies hat Auswirkungen auf die Erfolgschancen der Corona-Eindämmung. Wenn populistische Regierungsführer*innen die Pandemie als Komplott der Opposition oder äußerer Mächte beschreiben oder die Bedeutung der Pandemie verharmlosen, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sich alle Bevölkerungsteile in Verhaltensänderungen wie Social Distancing oder dem Tragen von Masken üben. Daher ist polarisierende Rhetorik in der Corona-Krise schwer mit politisch verantwortlichem Handeln vereinbar.

In Ländern wie den USA oder Brasilien sind die Zahlen der Corona-Infizierten und der Corona-Todesfälle in den vergangenen Wochen und Monaten stark gestiegen. Forschung zu den Strategien und Ideologien rechtspopulistischer Politiker*innen einerseits und den Bedingungen für effektives Krisenmanagement andererseits lässt vermuten, dass effektives Krisenmanagement inkompatibel ist mit rechtspopulistischer Regierungsführung. Welchen Einfluss rechtspopulistische Regierungen tatsächlich auf die Eindämmung der Corona-Pandemie haben und welche Rolle institutionelle Strukturen und unterfinanzierte Gesundheitssysteme spielen, muss erst noch untersucht werden. Ebenso sind die politischen Konsequenzen der Pandemie für rechtspopulistische Politiker*innen schwer vorhersehbar. Fest steht: Die Corona-Krise bedeutet für Regierungen weltweit eine immense Belastungsprobe und verändert die Parameter anhand derer erfolgreiches Regieren gemessen wird. Die Widersprüchlichkeiten rechtspopulistischer Regierungsführung treten in diesen Zeiten deutlich zutage.

Maximilian Högl ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprogramm Inter- und transnationale Zusammenarbeit am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE).

Christine Hackenesch ist Programmleiterin des Forschungsprogramms Inter- und transnationale Zusammenarbeit am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE).

Daniel Stockemer ist Professor an der University of Ottawa (Kanada) und derzeit Gastwissenschaftler am DIE. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen politische Partizipation und Repräsentation sowie Rechtsextremismus in Europa.

Dieser Text ist Teil einer Sonderreihe unseres Formats Die aktuelle Kolumne, die die Folgen der Corona-Krise entwicklungspolitisch und sozioökonomisch einordnet. Sie finden die weiteren Texte hier auf unserer Überblicksseite.

International economic cooperation: the G7 as a bridge-builder

Wed, 10/06/2020 - 12:54

The Covid-19 pandemic currently acts as a magnifying glass under which we can view the state of international cooperation. What we see there is cause for deep concern. It is to be feared that the Covid-19 pandemic will further increase the number of victims and as a result not only health and economic systems, but also political systems will reach the limits of their capacity. How can international cooperation be strengthened under these circumstances and what role will club governance formats such as the G7 and G20 play?

The struggle for minds and influence: the Chinese communist party’s global outreach

Tue, 09/06/2020 - 09:30

This paper addresses a largely overlooked actor in China’s foreign relations, the International Department of the Communist Party of China (ID-CPC). Using publicly available documentation, we systematically analyze the patterns of the CPC’s external relations since the early 2000s. Building on an intense travel diplomacy, the ID-CPC maintains a widely stretched network to political elites across the globe. The ID-CPC’s engagement is not new; but since Xi Jinping took office, the CPC has bolstered its efforts to reach out to other parties. We find that party relations not only serve as an additional channel to advance China’s foreign policy interests. Since President Xi has come to power, party relations also emerged as a key instrument to promote China’s vision for reforming the global order. Moreover, China increasingly uses the party channel as a vehicle of authoritarian learning by sharing experiences of its economic modernization and authoritarian one-party regime. The cross-regional analysis of the CPC’s engagement with other parties helps us to better understand the role of the CPC in Chinese foreign policy-making, pointing to a new research agenda at the intersection of China’s foreign relations, authoritarian diffusion, and transnational relations.

What the EU should do for democracy support in Africa: ten proposals for a new strategic initiative in times of polarisation

Tue, 09/06/2020 - 08:56

Future cooperation with African societies will have important  implications  for  the  European  Union  (EU)’s  political  and economic position in the world. We argue that setting democracy as a core principle of the EU’s foreign relations can  contribute  to  sustainable  development  in  Africa  and  beyond. Furthermore, it is in the EU’s own economic, security and political interests, as we will outline in this paper. It concludes with proposals on how EU democracy support could be further reformed and adapt-ed in response to changing context conditions:

Proposal  1:  Bring  democracy  support  and  protection  to  the core of EU external action and implement this strategic priority in EU foreign relations with Africa (and worldwide).

Proposal  2:  Develop  a  new  narrative  and  more  strategic  approach  to  democracy  support  in  a  geopolitical  context  where  democracy  is  increasingly  being  undermined  from  within  in  (former)  democratic  countries  and  challenged  from the outside by powerful authoritarian regimes.

Proposal 3: Address the impacts of demographic change, urbanisation, digitalisation and climate change on political regimes through EU democracy support.

Proposal  4:  Invest  more  in  intermediary  organisations  (media, parties, CSOs, trade unions, business councils) and in the democratic accountability of sectoral policies.

Proposal  5:  Intensify  support  for  civic  education  and  launch new initiatives to strengthen transnational relations between African and European societies.

Proposal 6: Engage more strategically in contexts where authoritarian regimes suddenly open up or where elector-al autocracies gradually close political spaces.

Proposal 7: Continue and deepen cooperation with Afri-can regional organisations and put more emphasis on joint learning and practices for defending democracy.

Proposal 8: Create a different institutional set-up that al-lows the EU to engage more strategically in democratic re-forms.

Proposal 9: Increase the capacities of the European Exter-nal Action Service (EEAS) and the Directorate-General for International  Cooperation  and  Development  (DEVCO)  to  work on democracy support.

Proposal 10: Develop a joint European approach towards democracy support that is sustained by all European countries.

Accounting for intergenerational social immobility in low- and middle-income countries

Mon, 08/06/2020 - 16:00

This study investigates the transmission channels of intergenerational social immobilityin low- and middle-income countries. Using a rich longitudinal survey dataset on Ethiopia, India, Peru, and Vietnam, we analyze through which factors socioeconomic status is passed on between generations. We reduce the information elicited throughout children’s youth to certain latent factors of their development process, such as cognitive and non-cognitive skills as well as the characteristics of their social environment and the social opportunities they face. We then analyze to what extent each of these factors is explained by parental socioeconomic status, and how much each factor in turn determines the outcome of the children. Next, we combine these results in order to decompose the immobility into the different pathway factors. The findings indicate that children’s aspirations and their cognitive skills can each account for around 20 percent of the correlation between parental and children’s education. Starting a family while still a minor, and the need for child labor also play important, but smaller roles, explaining 10 percent and 6 percent of the immobility, respectively. While children’s health, parent’s attentiveness and the local school infrastructure only have small but still significant roles, parents’ spending on education, children’s social environment, and particularly children’s non-cognitive skills have no significant part in the transmission of socioeconomic status in the sample of developing countries, once all other factors are taken into account.

Depression of the deprived or eroding enthusiasm of the elites: What has shifted the support for international trade?

Mon, 08/06/2020 - 11:16

We use the 2003 and 2013 waves of the International Survey Program (ISSP) in order to explore the change in people’s attitudes that may be behind the recent backlash against globalization. We show that the average support for international trade has decreased in many – albeit not all – countries, and we demonstrate that these changes are related to the depth and length of the global financial crisis of 2008/09 as well as the evolution of income inequality. Moreover, our results document a declining support of those individuals who are likely to benefit from international trade: the young, high-skilled and well-off. We show that this “eroding enthusiasm of the elites” is empirically relevant even if we control for individuals’ increasing exposure to international labor-market competition.

Das Meer als Rettungsanker für die Zukunft des Planeten

Mon, 08/06/2020 - 09:00

Der 11. UN-Welttag der Ozeane am 8. Juni erinnert uns daran, dass ein nachhaltiger Umgang mit dem Meer und seinen Ressourcen zu den großen globalen Herausforderungen zählt. Die Agenda 2030 verankert die Bewahrung und nachhaltige Nutzung der Meere explizit im Ziel 14. Die bevorstehende UN-Dekade der Ozeanforschung von 2021-2030 befasst sich mit dem Meer als globalem Gemeingut. Zurecht rückt das Meer zunehmend in den Fokus der nachhaltigen Entwicklung, erfüllt es doch eine Reihe von unverzichtbaren Rollen.

Das Meer dient als Transport-, Interaktions- und Kooperationsfläche sowie als Lieferant biologischer und mineralischer Rohstoffe. Wie diese Ressourcen aufgeteilt und wie das Meer als globales Gemeingut verwaltet werden soll, wird multilateral erst seit Ende der 1950er Jahre im Rahmen des UN-Systems reflektiert. Das Prinzip des ‚Gemeinsamen Erbes der Menschheit‘, das für einen nachhaltigen und international verhandelten Umgang Sorge tragen soll, ist im Seerechtsabkommen von 1982 völkerrechtlich verankert. Doch der Vertrag bezieht sich ausschließlich auf den Meeresboden und seine mineralischen Ressourcen jenseits nationalstaatlicher Grenzen. Der Überfischung oder dem Unterwasser-Bergbau in Schelfregionen wird hierdurch keine Grenze gesetzt.

Unser Weltmeer ist globaler Klimaregulator, ein Ort für Biodiversität und zentrale Proteinquelle für menschliche Ernährung. Es bindet Kohlenstoff in großen Mengen und produziert etwa die Hälfte des in der Atmosphäre enthaltenen Sauerstoffs. Fischerei und marine Aquakulturen stellen, laut Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), Grundlage der Lebens- und Einkommenssicherungssysteme von etwa zwölf Prozent der Weltbevölkerung dar. Gerade in vielen Entwicklungsländern dienen Fisch und Meeresfrüchte als wesentliche Proteinquellen.

Gleichzeitig leidet das Meer zunehmend unter den Abflüssen, die vom Land ins Meer gespült werden. Überdüngung und Versauerung gehen einher mit globaler Erwärmung und führen in den Weltmeeren zu sich ausbreitenden sauerstoffarmen Zonen – sogenannten ‚Todeszonen‘, etwa im Golf von Oman. Gerade in den fischreichen Schelf- und Küstengebieten der Tropen und Subtropen sind die Folgen für lokale Systeme der Lebenssicherung sowie den Küstenschutz stark spürbar. Der Rückgang von Fischbeständen und anderen Meeresfrüchten geht einher mit Küstenerosion, die durch Sandabbau und Unterwasser-Bergbau, sowie Meeresspiegelveränderung verstärkt werden.

Die sozialwissenschaftliche Entwicklungsforschung, die deutsche und europäische Entwicklungspolitik und internationale Zusammenarbeit nehmen sich dieser Herausforderungen bisher zu wenig an. Die strategische Relevanz des Meeres und seiner Ressourcen als Gegenstand geopolitischer Machtverhältnisse und Aushandlungsprozesse, zum Beispiel bei der Internationalen Meeresbodenbehörde, wird unterschätzt. Soziale Ungleichheit und eine global wie sektoral sehr unterschiedlich verteilte Verhandlungsmacht tragen dazu bei, dass EU-Fischereiabkommen zu Lasten von Einkommen und Ernährung sozial schwacher Gruppen in Entwicklungsländern gehen. Für das lokale und das globale Gemeinwohl ist es daher fundamental, solche Verhandlungen empirisch solide wissenschaftlich zu begleiten. Entwicklungspolitik und -forschung müssen die laufenden Prozesse in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zur Vermessung und Aufteilung des Ozeans ernst nehmen, sich ihrer unmittelbaren lokalen und globalen Auswirkungen annehmen und Maßnahmen in folgenden Bereichen treffen.

Zum Ernährungssystem der Zukunft: Die seit Jahrzehnten zunehmende Konkurrenz zwischen Klein-, Küsten- und Industriefischerei führt zu massiven Verarmungsprozessen in der Arbeitsplatz-intensiven Kleinfischerei, zur Überfischung und ökologischem Raubbau durch Industriefangflotten. Regionale Produktions- und Lieferketten brechen in Teilen Westafrikas, Lateinamerikas und Südostasiens zusammen. Die sozialen Auswirkungen sind nach Geschlecht, Altersgruppen und Ethnie unterschiedlich verteilt, der Übergang in den offenen Arbeitsmarkt aufgrund mangelnder Schulbildung selten möglich. Hier müssen die Risikokaskaden in regionalen Lieferketten erforscht und Maßnahmen, etwa zur Stärkung der Kleinfischerei, wissenschaftlich begleitet werden. In diesem Jahr verhandelt die EU ihr vom Finanzvolumen her größtes Fischereiabkommen mit Mauretanien neu, diese Aushandlung gilt es evidenzgestützt zu beraten.

Zum Umgang mit Küstenveränderungen: Wir benötigen Ansätze, die soziale Ungleichheiten und lokale Machtverhältnisse bedenken und gezielt Klima- und Küstenschutz verbinden. Diese reichen von Ökosystem-basierten Ansätzen mariner Raumplanung (inklusive Meeresschutzgebiete) und Anpassung an Meeresspiegelanstieg bis hin zur Teilhabe am globalen Emissionshandel mittels Kohlendioxid konsumierender Mangrovenwälder.

Wissen & Wissenskooperationen für nachhaltige Ocean Governance: Die Verhandlungsmacht von Meeresanrainerstaaten muss bei regionalen und multilateralen Blue-Economy-Debatten zum Schutz der Ökosysteme und zur Schaffung von Arbeitsplätzen gestärkt werden. Dafür müssen regionale Netzwerke zwischen Politik und Wissenschaft aufgebaut und gepflegt, lokale Wissenschaftssysteme im Bereich Ocean Governance unterstützt und Meeres-bezogene Wissenscommunities mit bestehenden Netzwerken der Forschung und Politikberatung im Bereich der Nachhaltigkeits-, Klima- und Entwicklungsforschung) gezielt vernetzt werden.

Richten wir den globalen Blick wieder mehr auf das Meer: für eine gemeinsame und nachhaltige Zukunft unseres Planeten!

The Role of preferences for pro-environmental behaviour among urban middle class households in Peru

Fri, 15/05/2020 - 11:38

Pro-environmental behaviour (PEB) is known to reflect people’s social preferences, time preferences and risk preferences. Previous research has tended to consider these in isolation, which means they may proxy for omitted ones, leading to biased estimates. Moreover, it has not considered ambiguity preferences, which for some PEBs is conceptually more relevant than risk preferences. Using a survey module from the Global Preference Survey (GPS), we investigate the role of a large range of preferences for PEB in a sample of 900 middle class households in Lima, Peru. The PEBs we consider are habitually saving energy, avoiding the use of plastics, and limiting expenditures on electricity. We find that social preferences matter mainly for saving-energy behaviour; time, risk and ambiguity preferences matter mainly for the consumption of plastics; and time and ambiguity preferences matter for expenditures on electricity. The insight that particular preferences matter for particular PEBs has important policy implications.

How Germany and France could play a leading role in international donor coordination

Fri, 15/05/2020 - 09:15

The future shape of European trade policy and the right stance to take in security and climate matters are currently the subject of fierce Franco-German debate. These issues are also relevant to development policy in the context of the overarching 2030 Agenda for Sustainable Development. Despite the opportunities afforded to them as strong donor countries to pursue joint approaches, Germany and France often tend to cooperate on an ad hoc basis rather than as part of a strategy (Krüger & Vaillé, 2019). Signed on 22 January 2019, the Aachen Treaty serves to renew the cooperation on Franco-German development cooperation (DC) formalised in the Élysée Treaty and offers the two countries a way to overcome differences and contribute jointly to global sustainable development (Aachen Treaty, Chapter 2, Article 7). Against this backdrop, this paper discusses challenges and opportunities for Franco-German DC based on two case studies in Cameroon and Morocco, which illustrate how differing mandates and methods being applied by the implementing organisations are preventing closer cooperation on the ground. Diverging political priorities, including within the national donor administrations, are also making it harder to engage in dialogue with the partner countries, especially if these have only limited capacity for donor coordination. If Germany and France succeed in overcoming their current differences, they will be able to attract other donors, particularly EU actors, for joint initiatives. Four policy recommendations can be derived from this:
Improving coherence between DC systems:
Even if the donor countries continue to maintain different political structures, the functional cooperation between the relevant actors will need to be supported at upper political levels. Coherence within the German and French DC systems should also be increased.
2.    Germany and France should make it easier to launch joint projects:
Programming cycles need to be better coordinated in the interests of the political dialogue on DC. At the same time, the mutual recognition of procedures that form part of both countries’ technical cooperation (TC) and financial cooperation (FC) should be afforded greater political support.
3.    Selecting partner countries and sectors strategically:
Focusing on common priorities and sectors is advisable, especially in partner countries with limited capacity for coordination. Franco-German cooperation with middle-income countries should also be strengthened strategically in order to support projects requiring substantial financing in sectors such as renewable energy.
4.    Structuring Franco-German cooperation so as to be open to other partners:
Germany and France should commit to a common Europe-wide implementation approach and promote its application in partner countries through pilot projects. Franco-German DC should also be structured so as to be open to other actors and should campaign for the preservation of global public goods in international organisations in which both donors play an active part (e.g. in the Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria).

Mit Anreizen und Regelungen zu Fairen Lieferketten

Thu, 14/05/2020 - 11:21

Der World Fair Trade Day am 9. Mai stellte die Fortschritte der Mitgliederorganisationen der World Fair Trade Organization (WFTO) heraus. Er erinnerte aber auch an die sozialen Missstände, die in vielen globalen Lieferketten bestehen, das heißt bei Akteuren, die an der Herstellung eines Produkts beteiligt sind, von der Rohstoffgewinnung bis zu dessen eigentlicher Produktion und dem Vertrieb. In vielen Lieferketten kommt es zu Verletzungen von Arbeits- und Sozialstandards, etwa in Form von Kinderarbeit, mangelhafter Arbeitssicherheit oder fehlender Vereinigungsfreiheit. Die COVID-19 Pandemie lässt diese Missstände deutlich zutage treten und verstärkt sie: Die negativen Folgen des Nachfragerückgangs sowie Fabrikschließungen in Folge von Stilllegungen treffen die Arbeiter*innen in den Produktionsländern des Globalen Südens besonders hart. Arbeitsrechtsorganisationen und Gewerkschaften aus dem Bekleidungssektor in Bangladesch berichten von Massenentlassungen und Fabrikschließungen. Der Verband der Bekleidungshersteller in Indien geht davon aus, dass 2,5 Millionen Menschen ihren Job während des Lockdowns verlieren und die Asian Floor Wage Alliance berichtet, dass Arbeiter*innen ihre Löhne vorenthalten werden. Für Menschen ohne finanzielle Rücklagen sind diese Umstände existenzbedrohend.

Aktuell verstärkt die Coronakrise soziale Missstände in vielen globalen Lieferketten. Kurzfristig gilt es, besonders betroffenen Ländern den Zugang zu Krediten zu erleichtern und Geldtransfers an bedürftige Bevölkerungsgruppen sicherzustellen. Wie aber können mittel- und langfristig angelegte politische Maßnahmen aussehen, die nicht nur die Symptome mildern, sondern auch ihre Ursachen angehen und somit Lieferketten, auch mit Blick auf künftige Krisen, fairer und widerstandsfähiger machen?

Alle Unternehmen entlang globaler Lieferketten müssen Verantwortung für die soziale Situation der Arbeiter*innen übernehmen. Diese Verantwortung darf nicht an nationalen Grenzen enden. Dass dies keineswegs selbstverständlich ist, zeigt der Versuch von vielen Bekleidungsmarken, darunter Burton Menswear in Europa oder das große australische Modeunternehmen Mosaic Brands, bereits produzierte Waren nicht mehr abzunehmen, Zahlungen zu verzögern und Rabatte für bereits laufende Aufträge auszuhandeln. Regierungen des Globalen Nordens sind dazu aufgerufen zu einem verantwortlichen Handeln von Unternehmen beizutragen. Sowohl durch Anreize, wie einer nachhaltigen öffentlichen Beschaffung, als auch durch Verpflichtungen, wie die rechtliche Verankerung unternehmerischer Sorgfaltspflichten.

Eine Anpassung der öffentlichen Beschaffung, die in Europa rund 14 Prozent des BIP generiert, kann entscheidende Anreize für einen nachhaltigen und sozialverantwortlichen Wiederaufbau globaler Lieferketten setzen. Eine strategisch ausgerichtete öffentliche Beschaffung ist die Voraussetzung für ein tieferes Verständnis von Lieferketten und Warenströmen auf Seiten der öffentlichen Beschaffer*innen und somit für ein sicheres und verantwortliches öffentliches Beschaffungswesen. Der Aufbau eines strategischen öffentlichen Beschaffungsmanagements wird seit längerem von der Europäischen Kommission und der OECD gefordert. Es beinhaltet erstens organisatorische Komponenten, wie die Stärkung von Vergabestellen durch strategische Einkäufer*innen. Zweitens gilt es, strategische Beschaffungsziele wie die Förderung innovativer oder nachhaltiger Produkte festzulegen. Die aktuelle Debatte bietet öffentlichen Einrichtungen in Deutschland und Europa die Möglichkeit, ihr Beschaffungswesen krisenfester zu machen, sowohl mit Blick auf eine sichere Versorgung als auch hinsichtlich einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern.

Ein weiteres mögliches Instrument der deutschen Bundesregierung zur Stärkung fairer Lieferketten, ist die gesetzliche Verankerung unternehmerischer Sorgfaltspflichten. Diese gibt es in verschiedener Form bereits in Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden. In Deutschland wurde eine gesetzliche Regelung von der freiwilligen Verpflichtung zu unternehmerischer Sorgfalt abhängig gemacht. Bisher gibt es keine Hinweise darauf, dass eine breite Umsetzung erfolgt ist. Eine gesetzliche Regelung könnte dazu beitragen, auf allen Stufen der Lieferkette soziale und ökologische Mindeststandards zu garantieren, gerade auch bei Zulieferern in Entwicklungs- und Schwellenländern. Die Vielzahl der Unternehmen die jetzt oder bereits schon seit Jahren Verantwortung zeigen, würden durch die Schaffung gleicher Bedingungen für alle Marktteilnehmer gestärkt. Eine Verpflichtung müsste eine Balance zwischen Verantwortung und Umsetzbarkeit finden. Unternehmen sollen nicht für jede Arbeitsrechtsverletzung zur Verantwortung gezogen werden, aber grundsätzlich soziale Risiken in ihren Lieferketten identifizieren und bewerten, um gegebenenfalls Verbesserungen zu erwirken. Eine so gestärkte Reform des Lieferkettenmanagements würde zu größerer Verantwortlichkeit und Krisenfestigkeit in Lieferketten beitragen.

Angesichts der COVID-19 Pandemie versuchen Regierungen aktuell, in erster Linie lebenswichtige nationale Bedarfe sicherzustellen. Mit der Entspannung der gesundheitlichen Krise, gilt es den Fokus anzupassen: Ein Wiedererstarken der Weltwirtschaft sollte mit mehr Verantwortung für faire Bedingungen entlang globaler Lieferketten einhergehen.

Dieser Text ist Teil einer Sonderreihe unseres Formats Die aktuelle Kolumne, die die Folgen der Corona-Krise entwicklungspolitisch und sozioökonomisch einordnet. Sie finden die weiteren Texte hier auf unserer Überblicksseite.

Marginalisierte Menschen als schwächstes Glied in Pandemien

Mon, 11/05/2020 - 11:36

Epidemien geben Aufschluss darüber, wie Gesellschaften mit marginalisierten Gruppen umgehen. Ganz besonders deutlich zeigt es sich in der größten Hafenstadt Ecuadors, in Guayaquil. Das Corona-Virus überfordert das Gesundheitssystem dort offenbar gänzlich. Viele Menschen können nicht mehr behandelt werden. Hunderte von Opfern konnten zeitweilig nicht mehr bestattet werden. Es kursieren Zahlen von tausenden von Toten in den Medien. Verlässliche Informationen fehlen aber bisher. Guayaquil ist eine Warnung: Die Marginalisierung einzelner Gruppen kann eine gesamte Gesellschaft zu Fall bringen. Es gibt aber auch eine Lösungsrichtung vor: Mehr Zugang zu Ressourcen.

Epidemien mit vielen Opfern gibt es in Guayaquil seit Jahrhunderten immer wieder. Die ungleichen Besitzverhältnisse und eine andauernde Marginalisierung großer Bevölkerungsgruppen spielen dabei eine zentrale Rolle. Um sie nicht nur, aber auch in medizinischen Notsituationen besser schützen zu können, müssen Ressourcen gerechter verteilt, Zugänge zu Grundversorgungen garantiert und Machtstrukturen überdacht werden.

Guayaquil wurde jahrhundertelang durch wenige einflussreiche Familien regiert. Oft dachten diese eher an ihren eigenen Vorteil als an ein gesellschaftliches Gemeinwohl. In den letzten Jahrzehnten gab es zwar durchaus erfolgreiche Projekte, etwa im Kampf gegen Kriminalität oder in der Verbesserung der urbanen Infrastruktur. Dennoch bleibt der Zugang zu ökonomischen Ressourcen, zur Basisversorgung und zum urbanen Raum sehr ungleich verteilt. Bereits in der Kolonialzeit regte sich in Guayaquil dagegen passiver Widerstand. Viele Jahrhunderte lang galt die Hafenstadt als Schmuggler-Hochburg. Früher wurde Kakao geschmuggelt, heute Lebensmittel, Treibstoff, Hehlerware und Drogen. Man spricht in Guayaquil stolz von der „viveza criolla“, einer vermeintlichen Anpassungsstrategie in Lateinamerika. Sie steht für das „Zurechtkommen“ in Phasen des Mangels, in politischen oder ökonomischen Krisen. Man weiß sich zu helfen, auch auf Kosten anderer, weil es oft nicht genug für alle gibt. Dies ist eine Einstellung, die sich interessanterweise durch alle Bevölkerungsschichten zieht. Die „Anderen“ sind in Guayaquil etwa die herrschenden Eliten, die politischen Machthaber, aber auch immer wieder die Bürokraten in der Hauptstadt Quito. So wird lokal gedacht, in Konkurrenz zueinander. Und selbst eine Notlage wie die Corona-Pandemie wird politisch in Szene gesetzt und zum eigenen Vorteil genutzt.

In Guayaquil lebt der weitaus größte Teil der knapp 3 Millionen Einwohner*innen beengt in den städtischen Randgebieten. Dort sind die Gesundheitseinrichtungen spärlich und überlaufen, es gibt oft nur ungenügende Abwasserversorgung, keinen ausreichenden Zugang zu Trinkwasser. Die Luftverschmutzung ist hoch. Seit einigen Jahren gibt es Metrobuslinien, die die Randgebiete mit dem Zentrum verbinden, aber die Busse sind überfüllt. Viele Bewohner*innen der Randgebiete arbeiten im Zentrum, in der Service-Infrastruktur der reicheren Stadtteile oder im informellen Sektor. Die fehlenden finanziellen Rücklagen und der mangelnde Raum in den Vorstädten erlauben es nicht zu Hause zu bleiben – trotz Ausgangssperren. Soziale Distanzierung ist kaum möglich. Staatlich-getragene Sozialabsicherung existiert nicht. Diese Notlage verschärft sich seit Jahren, auch durch unkontrollierte Zuwanderung aus dem benachbarten Venezuela. Ganze Viertel sind in Guayaquil durch Schmugglerbanden und Kriminalität gezeichnet. Die Polizei und andere Behörden sind nicht selten in illegale Machenschaften verwickelt oder gänzlich machtlos. Die Bevölkerung hat kein Vertrauen in die Institutionen oder kann die Regeln schlicht nicht befolgen. So können Maßnahmen zur Viruseindämmung nicht zügig und zielgerichtet getroffen werden. Testkapazitäten sind nicht vorhanden. Und auch Kontrollen und Sanktionen sind nicht umsetzbar.

Der Fall Guayaquil führt uns vor Augen, dass die Marginalisierung großer Teile der Gesellschaft eben diese Gesellschaft als Einheit destabilisiert. Marginalisierte Menschen stecken sich mit größerer Wahrscheinlichkeit an. Durch gesundheitliche Belastungen wie Umweltverschmutzung oder Vorerkrankungen sind schwere Krankheitsverläufe häufiger. Durch die Überlastung des Gesundheitssystems sterben Patienten nicht nur am Virus, sondern auch an der medizinischen Unterversorgung. Epidemien sind viel schwerer beherrschbar.

Starre Machtstrukturen verhindern bisher ein Überdenken des Status quo. In Guayaquil sehnt man sich in lokalen Medien nach einem „starken Mann“ wie Vicente Rocafuerte. Der machte sich 1842 als Gouverneur durch sein beherztes Eingreifen in der Gelbfieber-Epidemie in Guayaquil einen Namen an den man sich gerade heute wieder erinnert. Genau das Gegenteil wird aber wohl langfristig erfolgreich sein. Die ungleiche Verteilung von Ressourcen in Guayaquil spiegelt Jahrhunderte globaler, einseitiger Wirtschaftsstrategien wider. Vereinzelte entwicklungspolitische Projekte und Kredite werden die so entstandenen Abhängigkeiten kaum lösen. Ein tiefgreifendes Umdenken hin zu gesellschaftlichem Gemeinwohl und ausgeglichenerem Zugang zu Ressourcen könnte der globalen Staatengemeinschaft aber trotzdem nützen. So ist jede Gemeinschaft nur so stark, wie ihr schwächstes Mitglied. Dies verdeutlicht Guayaquil und formuliert es als Anspruch an unsere Weltgesellschaft.

Anne-Katrin Broocks ist Doktorandin am Leibniz Zentrum für Marine Tropenforschung in Bremen und ist vor wenigen Wochen von ihrer 8-monatigen Feldforschung aus Guayaquil, Ecuador, zurückgekehrt. Sie beschäftigt sich aus wissenssoziologischer Perspektive mit der Frage, wie Mangroven im Golf von Guayaquil vom 19. Jahrhundert bis heute Bedeutung zugeschrieben wurde, und wie dadurch die Nutzung von Mangrovengebieten beeinflusst wird. In ihrer Arbeit wird sie von Anna-Katharina Hornidge betreut.

Anna-Katharina Hornidge ist Direktorin des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) und zugleich Professorin für Globale Nachhaltige Entwicklung an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

Dieser Text ist Teil einer Sonderreihe unseres Formats Die aktuelle Kolumne, die die Folgen der Corona-Krise entwicklungspolitisch und sozioökonomisch einordnet. Sie finden die weiteren Texte hier auf unserer Überblicksseite.

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