Die heutige Entscheidung des Rates der Europäischen Zentralbank (EZB), die Leitzinsen erneut zu senken, kommentiert Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), wie folgt:
Die EZB setzt ihren graduellen Kurs einer weniger restriktiven Geldpolitik fort. Allerdings agiert die EZB zu zögerlich und riskiert, nicht vorausschauend genug zu handeln. Eine Zinssenkung um 50 Basispunkte wäre wahrscheinlich die bessere Entscheidung gewesen.
Finanzmärkte, Unternehmen und Bürger*innen benötigen ein klareres Bekenntnis der EZB, dass sie sich mit ihrer Geldpolitik proaktiv und entschiedener gegen die globalen Risiken stemmt. Durch die vom Handelskonflikt ausgelösten Turbulenzen an den Finanzmärkten sind die Finanzierungsbedingungen trotz der EZB-Zinssenkung tendenziell restriktiver geworden.
Die Sorgen um die Gewährleistung der Finanzstabilität haben durch den Handelskonflikt und das erratische Handeln der US-Regierung deutlich zugenommen. Die EZB sollte die Verwerfungen an den Finanzmärkten und deren Implikationen für Wirtschaft und Preise nicht unterschätzen.
Die Risiken einer noch schwächeren wirtschaftlichen Entwicklung überwiegen zurzeit deutlich. Das größte Problem dabei sind nicht die Zölle oder finanzpolitischen Maßnahmen, sondern die enorm gestiegene Unsicherheit, die private Investitionen und Konsum weiterhin empfindlich schwächen dürfte. Die noch immer restriktive Geldpolitik der EZB bremst die Wirtschaft des Euroraums – insbesondere die Deutschlands – zusätzlich.
Die EZB erfüllt ihr Mandat der Preisstabilität nun seit Längerem wieder. Die Krisen der vergangenen Monate haben die langfristigen Inflationserwartungen reduziert, sodass die EZB eher aufpassen muss, ihr Mandat der Preisstabilität nicht zu unterschreiten.