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Publikationen des German Institute of Development and Sustainability (IDOS)
Updated: 5 days 13 hours ago

Der Welthandel vor der Abschottungsspirale?

Thu, 19/01/2017 - 10:00
Morgen wird Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA vereidigt und könnte das Welthandelssystem fortan in eine turbulente Abschottungsspirale stürzen. Mit dem Einzug Trumps im Weißen Haus wird ein aggressiver Merkantilismus in Washington salonfähig, der sich nicht nur gegen deutsche Autoproduzenten richtet, wie Trump in seinem jüngsten Interview deutlich machte. Er birgt für die Weltwirtschaft insgesamt enorme Risiken. Die Europäische Union und Deutschland sind daher gut beraten, sich auf das Schlimmste vorzubereiten. Mit der Nominierung von Robert Lighthizer als US-Handelsbeauftragten deutet Trump an, dass er einen stark protektionistischen Kurs tatsächlich auch umsetzen möchte. Trump vertrat im Wahlkampf radikale handelspolitische Forderungen – und hat diese auch nach seiner Wahl nicht entscheidend abgeschwächt. So droht er, das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA zu verlassen und fordert Zölle auf mexikanische und chinesische Produkte in Höhe von bis zu 45 Prozent. Diese Schritte wären angesichts global stark vernetzter Produktionsprozesse äußerst kurzsichtig: Jeder Dollar mexikanischer Exporte enthält rund 40 Cent an Vorprodukten aus den USA. Eine drastische Zollerhöhung der USA gegenüber dem Nachbarland Mexiko würde letztlich jedoch auf Kosten vieler Amerikaner gehen. Die Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Wirtschaft insgesamt würde sinken –und unter den Preiserhöhungen würden vor allem die Einkommensschwachen leiden. Auch das Inkrafttreten des Kernstücks der Handelspolitik des scheidenden Präsidenten Obama, das Transpacific Partnership-Abkommen (TPP), will Trump verhindern. TPP wäre das weltweit größte Freihandelsabkommen und würde die USA mit dynamischen Märkten im asiatisch-pazifischen Raum verbinden – wohlgemerkt unter Ausschluss Chinas! Es ist paradox: Trump will einerseits Chinas Exporte in die USA eindämmen und verhindert andererseits das Abkommen, das zumindest der Rhetorik der Obama-Administration zufolge die handelspolitische Dominanz Chinas hätte eindämmen sollen. Durch das TPP-Vakuum in Asien zwingt Trump China die Führungsrolle im globalen Handelssystem geradezu auf. Groß ist die Gefahr, dass es zu neuen Handelskriegen kommt. Natürlich könnten Mexiko und China gegen Zollerhöhungen Trumps Beschwerde bei der Welthandelsorganisation (WTO) einlegen. Aber diese Verfahren würden dauern – vor allem, weil das Streitschlichtungsverfahren der WTO durch zahlreiche Fälle überlastet ist. Es wäre wahrscheinlich, dass Mexiko und China zum Gegenschlag ausholen. China könnte zum Beispiel die Verträge mit dem US-Unternehmen Boeing aufkündigen. Eine Eskalation protektionistischer Maßnahmen wäre die Folge und die Grundfesten des Welthandelssystems, mithin die Welthandelsorganisation, würden erschüttert. Um Schreckensszenarien zu verhindern, gilt es, Trump und sein Team in bestehende Strukturen einzubinden und seine radikalen Standpunkte abzuschwächen. Es muss viel Überzeugungsarbeit für das Argument geleistet werden, dass die Interessen der amerikanischen Arbeiter und Konsumenten effektiver gewahrt werden können, wenn die Trump-Administration nicht gegen, sondern mit ihren Partnern arbeitet. Strukturelle Veränderungen und Arbeitsplatzverluste drohen nicht nur durch internationalen Handel, sondern vor allem durch unaufhaltsame technologische Entwicklungen wie die Digitalisierung und Automatisierung der Weltwirtschaft. Wie aber sollen neue Regeln für solche Entwicklungen ohne ein funktionierendes Handelssystem international koordiniert entwickelt werden? In Europa wurde in den letzten Jahren vor allem um das Kleingedruckte in der mit den USA geplanten Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) diskutiert. Angesichts der Positionen von Trump muss es jetzt wieder ums Grundsätzliche gehen: Welche Art von Handelsabkommen befürworten wir? Wie sollen die Verlierer der Globalisierung kompensiert werden? Wie kann die Globalisierung fairer gestaltet werden und das Vertrauen der Bürger wiedergewonnen werden? Machen wir uns nichts vor, auch in Europa herrscht keine Einigkeit über diese Fragen. Nach dem Tauziehen um das Freihandelsabkommen mit Kanada, muss die europäische Handelspolitik auf neue Füße gestellt werden. Hierzu gehört die notwendige Verständigung im Kompetenzgerangel der Brüsseler Institutionen und der Mitgliedstaaten, wer Handelsabkommen verhandeln und ratifizieren darf. Erst dann wird Europa als Handelsmacht wieder ernst genommen – in Washington, aber auch in Peking. Es gilt, die Allianzen mit den Ländern zu stärken, die wie wir ein vitales Interesse an offenen Märkten und einem funktionierenden Welthandelssystem haben. Deutschland, das in diesem Jahr die Führungsrolle in der G20 innehat, sollte sein hohes internationales Ansehen nutzen, um in diesen Fragen mit der neuen US-Administration in Dialog zu treten. Vor allem der G20-Gipfel im Juli in Hamburg bietet die Gelegenheit, auf höchster Ebene viele Gesprächsfäden zu unserem traditionellen Partner neu zu knüpfen. Aber auch auf Rückfragen des Geschäftsmanns, der ab morgen im Weißen Haus regieren wird, welche lukrativen „Deals“ die EU anbieten kann, sollte man spätestens dann in Berlin und Brüssel eine Antwort haben.

Why data access matters: the NDC Explorer reveals new insights on national climate action plans

Mon, 16/01/2017 - 10:00
The UN climate summit in Paris in 2015 was a diplomatic triumph, built on national climate action plans of 190 countries. Known as (intended) Nationally Determined Contributions (NDCs) in UN jargon, these documents offered a clear signal that the world aims for a low-carbon and resilient future. The UNEP emission gap report shows that implementing all NDCs would limit global warming to around 3°C by 2100 - 0.6°C less than before the NDC-era. However, beyond this overall temperature effect, surprisingly little is known about the diverse contents of NDCs. Are they really a game-changer? With the NDC Explorer, an online visualisation tool, we aim to create more transparency about countries’ ambitions and priorities. When focusing on overall mitigation targets of NDCs, a bulk of information on issues beyond mitigation is neglected. Since there is no agreed template or method for preparing the NDCs, their scopes and contents vary widely. Even their length varies from 3 pages to almost 60 pages. Looking at NDCs in a broader and more analytical light is important for two reasons. First, we need to understand countries’ broader ambitions and the context in which they are developed. Second, for NDCs to become a durable key instrument we have to be able to track their implementation, and we have to make sure that the next round of NDCs (planned for 2020) is more ambitious than the current one. A project of DIE, ACTS and SEI therefore analysed ambitions and priorities from all NDCs. We built a database, in cooperation with the UNFCCC secretariat, including 60 subcategories on mitigation, adaptation, finance and support, planning and process, as well as the ‘broader picture’ to reveal links to other international debates, such as green growth and the Sustainable Development Goals (SDGs). Via the new interactive online NDC Explorer, this database is made accessible for all. Transparency and data access matters in climate action So what do we see from this analysis? We have arrived at some surprising results that clearly need to be addressed if NDCs are to be a sustainable game changer in international climate policy. We provide four examples below. First, mitigation contexts. It is hardly surprising that renewable energy is a focus area for countries of all levels of development. Many countries go further and indicate targets for particular sources of renewable energy. This is useful information for investors and development organisations. However, other high-emission sectors like transport and agriculture are a priority area in as little as 15 and 4 NDCs, respectively, despite these sectors being important sources of greenhouse gas emissions. Second, almost all NDCs go beyond mitigation in various ways. For example, 85% of all NDCs mention adaptation to climate change impacts. Many NDCs go further and include indications of vulnerable sectors and priority sectors for adaptation, such as water and agriculture. Such priorities are cascading: the poorer a group of countries, the stronger its focus on adaptation. The same accounts for indications of finance needs. When looking at the World Bank regions, 79% of the countries in Sub-Saharan Africa make the implementation of their mitigation target partly or fully conditional upon receiving international support. In ‘South Asia’ this percentage is 75%, and in ‘Middle East and North Africa’ only 45%. Third, many NDCs also linkages to other important international debates. This sets the agenda and opens doors for mainstreaming. For example, countries like Nigeria, Saudi Arabia and Venezuela mention plans for fossil fuel subsidy reform. Twenty-four NDCs – predominantly of low-income countries – write about climate-change-related migration. Only ten countries write about the Sustainable Development Goals explicitly, but that might be explained by the fact that Agenda 2030 was still under development when countries formulated their INDCs. Finally, only a third of the NDCs refer to some kind of monitoring, assessment or review of their NDC implementation. Only 11 NDCs make references to an international assessment and review processes. It is worrying that so few countries plan to measure progress on the implementation of this key instrument of the Paris Agreement. Whilst we continue to believe that NDCs have the power to determine the climate politics and policies for years to come, more emphasis needs to be put on aspects beyond the overall mitigation targets. Transparency is the basis for understanding the NDCs, and crucial to develop common methods and metrics as well as tracking efforts of support and implementation. We hope the NDC Explorer provides a useful tool for the global community to contribute to this development. You can find the new NDC Explorer here. Kennedy Mbeva is a research fellow on Climate Resilient Economies/Responsible Natural Resource Economiesat at the African Centre for Technology Studies (ACTS). Adis Dzebo is a researcher at the Stockholm Environment Institute (SEI) and co-leader of the SEI Initiative on Climate Finance.

For better or worse? The global data revolution

Fri, 13/01/2017 - 09:47
Bonn, 13 January 2017. At a time when most of us are having a quiet start to the year, cleaning up desks and refreshing to-do lists, a group of UN officials, South African statisticians and international partners are frantically working to finalise preparations for the first-ever UN World Data Summit. The Summit takes place from 15-18 January in Cape Town and looks into what role data and statistics can play in realising the 2030 Agenda and its 17 Sustainable Development Goals (SDGs). The Cape Town event will not be another momentous occasion to adopt a weighty political outcome document of which each and every word has been negotiated by a committee. It will instead be a more ‘down-to-earth’ gathering, yet no less ambitious in its aim to convene governments, businesses, civil society and the research community to discuss how data and statistics may serve to measure global progress as well as directly contribute the realisation of the 2030 Agenda. Such a ‘data revolution’, as it was referred to during the negotiations of the 2030 Agenda, will only be realised when both the functional and political dimensions of the use of data and statistics in all countries of the world are adequately considered and addressed. It is clear that today’s technical possibilities are nearly endless, allowing Estonians to be the first to use their mobile phones to vote in parliamentary elections in 2007, or Kenyans to accelerate business opportunities, or for the US President-Elect to outline the main dimensions of his future foreign affairs strategy on Twitter. Yet today also brings realisation of the risks that such technologies raise, as they may expose the mobile phone habits of the German chancellor, or the misuse of people’s continuous access to information sources by the spread of ‘fake news’. These examples point to a formidable challenge facing all countries in the world: new technologies, solutions and social movements propel the production and use of data and statistics, yet they also contribute to destabilising our societies and creating new inequalities. Governments are challenged to simultaneously deliver 4G connectivity, combat increasing distrust among the electorate as fired up by ‘post-truth’ online (dis)content, as well as maintain a healthy balance between security and privacy. Poor numbers, or poor governance? In the field of international cooperation for sustainable development, some extreme views – and a resulting lack of consensus – can be detected when it comes to the role of data and statistics. There are those who argue that new technologies may allow countries with otherwise unreliable and inadequate official statistical systems to leapfrog their way towards evidence-based policy making, while others defend the long walk and argue that patience, leadership and resources are needed to gradually develop the required capacity. Morten Jerven’s book on “Poor numbers” (2013) was an eye-opener to many academics and policy-makers: inaccurate macroeconomic data is a knowledge and governance issue, not only in African countries but also in wealthier countries. His main message is that data and statistics are not just about functional problems in search of technical fixes. Data and statistics are important components of the political-economy landscape of every country. Facing up to a funding and learning gap Patterns of past investments in capacity development for data and statistics, reveal that donors – and as a consequence more aid-dependent countries – have deprioritised this area for decades. Today, the requirements for SDG monitoring – the tip of the iceberg for data and statistic needs in many countries – requires an annual increase in aid of $350 to $400 million to support the production of data on the SDG indicators. Moreover, support has emphasised technical solutions to perceived bottlenecks and often negated or ignored the political dimensions of existing capacity challenges. A recent UN system-wide evaluation observed that "challenges of supporting capacity development for greater and deeper use are complex and are as much about addressing incentives and political constraints as they are about helping to develop individual technical capacities to undertake statistical analysis." Few would object to this statement, and yet the reality is that writing the terms of reference for a new project, with a demanding time-frame and expectations for tangible results, is challenging. Hence, a data revolution will only be realised once those who support and lead it, covering various public and non-governmental stakeholders that each co-produce and use data and statistics, agree to revolutionalise themselves. The OECD hosted PARIS 21 (Partnership in Statistics for Development in the 21st Century) network was created to allow for knowledge sharing among development cooperation experts and officials of developing country statistical offices. While it is important to push the technical dialogue in Cape Town, the funding gap and long-standing data trends point to a need to catapult this debate into the political arena. Because just like when discussing research funding, there are many other things of greater visibility and interest to politicians. Nevertheless, it will in the end be the ‘softer’ dimensions of capacity, research and information that determine whether or not the 2030 Agenda will be realised, as opposed to another round of silver bullets.

Ohne Entwicklungspolitik keine Bewältigung internationaler Krisen – aber dafür muss sie sich ändern

Mon, 09/01/2017 - 10:00
Wie werden wir in 12 Monaten das Jahr 2017 bezeichnen? 2015 war ein Jahr, in dem es der Staatengemeinschaft gelungen ist, wegweisende Beschlüsse für Klimaschutz und eine global nachhaltige Entwicklung zu fassen. Dadurch war das Vertrauen vieler in die Möglichkeiten entschlossener internationaler Kooperation wieder gewachsen. Jedoch hat sich im Jahr 2016 mit dem Brexit in Großbritannien, dem Wahlergebnis in den USA und den Wahlerfolgen der AfD in Deutschland gezeigt, dass dieses Vertrauen bei vielen Menschen in Europa und den USA nicht vorhanden ist. Schlimmer noch: Internationale Kooperation und Verflechtung werden als unnötig oder sogar schädlich für den Wohlstand im eigenen Land gesehen. Nationale Interessen, nationale Politik sollen wieder im Vordergrund stehen und Lösungen bereitstellen. 2017 wird also das Jahr sein, in dem um die Bedeutung, die Ziele und Inhalte sowie die Formen internationaler Kooperation gerungen werden muss. Wahlkämpfe in Deutschland auf Bundes- und Landesebene bilden dafür den politischen Rahmen. Auf diese Fragen müssen Antworten gegeben werden: Inwiefern ist es nicht nur menschlich geboten, sondern politisch zwingend notwendig, bei Entscheidungen im eigenen Land auch das Recht auf ein menschenwürdiges Leben derjenigen zu berücksichtigen, die nicht bei uns leben bzw. zukünftiger Generationen? Inwiefern sind wir für unser eigenes Wohlergehen darauf angewiesen, dass andere ebenfalls unsere Rechte mitdenken? So banal es klingen mag: Wir leben in einer verflochtenen, globalisierten Welt, deren Probleme nicht durch nationale Alleingänge zu lösen sind. Die Prinzipien der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung geben Antworten auf diese grundsätzlichen Fragen: Nachhaltigen Wohlstand zu erreichen ist eine universelle Aufgabe, deren Ziele unteilbar sind und von Gesundheit über Bildung, menschenwürdige Arbeit, Infrastruktur, Innovation bis zum Klima-, Umwelt- und Meeresschutz reichen. Sie erfordert internationale Zusammenarbeit, denn es geht um Solidarität und globale Gemeingüter. Die Ziele gelten erst dann als erreicht, wenn es auch den Armen besser geht: Wohlstand, der sie nicht erreicht, ist keiner. Was diese Prinzipien für deutsche und europäische politische Entscheidungen bedeuten, werden wir in den nächsten Jahren ausbuchstabieren müssen, wenn wir innen- und außenpolitische Ziele nachhaltiger Entwicklung definieren und erreichen wollen. Dabei müssen wir unsere politischen, wirtschaftlichen, kulturellen Außenbeziehungen daraufhin prüfen, ob sie sich an diesen Prinzipien orientieren und welche Regeln verändert oder anders ausgelegt werden müssen, damit sie ein faires Miteinander befördern. Die Bundesregierung will die Präsidentschaft der G20 nutzen, um diesen Anspruch voranzubringen und zu verwirklichen. Sie setzt dabei auf die Unterstützung der gesellschaftlichen Kräfte: Wirtschaft, Wissenschaft, Organisationen der Zivilgesellschaft und der Frauen, die Gewerkschaften. Das ist eine richtige Entscheidung, denn gerade wenn die gemeinsame normative Handlungsgrundlage und Orientierung der G20-Staaten politisch fragil erscheint, weil Macht neu verteilt wird (wie etwa in den USA und in Europa), wird meistens auch damit einhergehende Verantwortung neu definiert. Was bedeuten die Prinzipien der 2030 Agenda für die Entwicklungspolitik? Das Prinzip der Universalität fordert von Entwicklungspolitik dazu beizutragen, dass Entwicklungs- und Schwellenländer sich bei nachhaltiger Entwicklung in den Industrieländern einbringen können: Aus dem klassischen Nord-Süd-Gefälle soll eine globale Partnerschaft auf Augenhöhe entstehen. Das bedeutet, sich auf wechselseitiges Lernen und Verändern zwischen ungleichen Partnern aus allen Ländergruppen einzulassen. Die Geberstaaten müssen sich mehr als zuvor an den Prioritäten der Partner orientieren und stärker koordiniert und arbeitsteilig vorgehen, um der thematischen Breite und Unteilbarkeit der Agenda gerecht werden zu können. Die europäische Entwicklungspolitik hat dafür gemeinsame Verfahren vereinbart, die einen guten Rahmen bieten, ebenso Weltbank und Regionalbanken und die UN-Organisationen. Mit neuen Akteuren wie der Asian Infrastructure Investment Bank und der New Development Bank muss die Kooperation ebenfalls gesucht werden. Nur so kann erreicht werden, dass alle Sustainable Development Goals bearbeitet und alle Länder dieser Erde von den gemeinsamen Anstrengungen profitieren. Um die internationale Kooperation zu stärken, reicht die Erhöhung des entwicklungspolitischen Budgets nicht aus. Vielmehr ist notwendig, einen langen Atem mitzubringen, denn solche fundamentalen Veränderungsprozesse sind nicht in kurzen Zeiträumen erfolgreich zu bewerkstelligen. Kooperation braucht daher mittelfristig gültige, gemeinsam verabredete Ziele und Ergebnisse, auf die sich alle Beteiligten verlassen können. Mut zu innovativen Ansätzen gehört ebenso dazu wie Fehlertoleranz. Und schließlich muss die Verteilungsfrage angegangen werden: Entwicklungspolitik muss den Armen und Schutzbedürftigen dienen, direkt und indirekt. Das kann Entwicklungspolitik aber nicht ohne die Unterstützung anderer erreichen: Sie braucht motivierte Regierungen und effektive rechenschaftspflichtige Institutionen in den Partnerländern. Deutliche Anstrengungen in der deutschen und europäischen Handels- und Außenwirtschaftspolitik, in der Finanz- und Steuerpolitik, in der Außen- und Sicherheitspolitik sind dazu ebenso notwendig – dies nicht nur, um Schaden für die Armen und Schutzbedürftigen zu vermeiden, sondern um ihr Recht auf ein menschenwürdiges Leben zu befördern. So kann internationale Kooperation entstehen, die auf Gegenseitigkeit und Vertrauen beruht, die Rechte und Interessen des Anderen anerkennt und sich an fairen Regeln orientiert, die für alle gelten.

2017: Nach dem Zauber des Anfangs

Mon, 19/12/2016 - 13:46
Bonn, 19.12.2016. Das Ende des Jahres 2016 ist weltweit von einem düsterer gewordenen politischen Klima geprägt. Dennoch hatte dieses Jahr Eins der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung auch etwas vom „Zauber des Anfangs“ (Meister Eckhart). Nach den historischen Beschlüssen des Jahres 2015 zur Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen und dem Pariser Klimaabkommen hat das Jahr 2016 viel Aufbruch gesehen, innerhalb der Staaten wie international. Bereits 22 Länder aus allen Weltregionen haben ihre Schritte zur nationalen Umsetzung der Agenda 2030 bei den Vereinten Nationen zur Überprüfung vorgestellt. Das Klimaabkommen konnte früh in Kraft treten. Die G7 hat sich zur Umsetzung der Agenda 2030 verpflichtet, zuhause und international. Die G20 hat einen Aktionsplan zur Agenda 2030 vorgelegt. Die BRICS-Länder haben auf ihrem Gipfel beschlossen, hierbei in vorbildlicher Weise voranzugehen. EU und OECD haben erste, wenn auch eher verhaltene Umsetzungsschritte präsentiert. Weltweit haben zahllose Akteure aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft die 17 Ziele und die Klimaagenda zu ihrer eigenen Sache gemacht. Ein bemerkenswertes Momentum. Gleichzeitig geben drei Beobachtungen Anlass zu Sorge. Zuviel Selbstverliebtheit Es ist nur natürlich, dass Akteure bei der Umsetzung der Agenda 2030 von sich und ihrem Portfolio ausgehen. Das dadurch entstehende Muster kann aber nicht überzeugen. Die G20 und die Europäische Union ordnen der Agenda im Wesentlichen nur ohnehin schon laufende Aktivitäten zu, ähnlich verhalten sich viele nationale Akteure. Dies hilft sicher bei der Positionierung in der Welt der Agenda 2030. Notwendig ist aber ein zusätzlicher Schritt, der mit Selbstüberprüfung beginnen muss: Wo bleibt das jeweilige Land, der jeweilige Akteur am deutlichsten hinter den Zielen zurück? Wo ist sein Umsetzungsbeitrag für die globalen Ziele besonders gefordert? Warum konnten bereits früher gesetzte Ziele nicht erreicht werden? Nur mit Antworten auf diese Fragen können wirklich transformative Beiträge entstehen. Gefangen in Pfadabhängigkeiten Die Erarbeitung der Agenda 2030 konnte sich durchaus von üblichen diplomatischen Mustern der Vereinten Nationen lösen und hat mit dem High-Level-Political Forum on Sustainable Development eine institutionelle Innovation angestoßen. Jenseits davon ist die Umsetzung der Agenda aber weitgehend auf die Institutionen der Vor-2015-Welt angewiesen. Dies birgt zwei Risiken: Zum einen ergreifen und interpretieren Akteure und Institutionen die Agenda entlang ihrer traditionellen Mandate, Missionen und Mitgliedschaften. Zum anderen fehlen in einigen Handlungsräumen, die für den Erfolg der Agenda wichtig sind, entsprechende Akteure oder die Bereitschaft beizutragen. In den Staaten bleiben in der Regel die schon bisher mit Nachhaltigkeits-, Umwelt- und/oder Entwicklungsfragen betrauten Regierungsstellen in der Verantwortung, oft weit entfernt von Bereichen wie Finanz-, Wirtschafts- oder Außenpolitik. International wird die Umsetzungsarchitektur vor allem von Akteuren der traditionellen Entwicklungszusammenarbeit geprägt. Internationale Zusammenarbeit für nachhaltige Entwicklung muss sich aber von stereotypen Nord-Süd- und Süd-Süd-Mustern lösen und auch so etwas wie Nord-Nord umfassen. Gebraucht wird eine transformative Zusammenarbeit in gegenseitiger Solidarität, die auf Veränderung bei allen Beteiligten zielt und Ressourcentransfers weder mit Blick auf Umfang noch auf Richtung in den Mittelpunkt stellt. Kaum Impulse für Gesellschaftspolitik Es gehört zu den Mantras entwicklungs- und umweltpolitischen Denkens, dass Wandel in reicheren Ländern nötig ist, um Armut in ärmeren Ländern zu überwinden und globale öffentliche Güter zu schützen. Der Fluchtpunkt dieses Arguments lag stets außerhalb des eigenen Landes, seine Wirkung blieb entsprechend begrenzt. Die Agenda 2030 spricht nun Entwicklungsanliegen auch von Menschen in reicheren Ländern an. Ihr Leitsatz „leave no one behind“ ist in Europa und Nordamerika von konkreter Relevanz. Dennoch folgen Kommunikation und Rezeption der Agenda in vielen dieser Länder noch zu oft der alten Erzählung. Aber nur wenn die „einheimische“ Dimension der Agenda ernsthaft angenommen wird, kann auch die Akzeptanz von Verantwortung für andere Länder und den Planeten wachsen. Hierzu müssen sich alte wie aktuelle gesellschaftspolitische Diskurse mit der Agenda 2030 verbinden, neuartige und ungewöhnliche Dialoge und Allianzen entstehen. Gerade auch die klassischen Unterstützer der Agenda sollten ihre Komfortzonen verlassen. Drei transformative Vorschläge Damit die Agenda 2030 weiter Tritt fassen kann, brauchen wir 2017 einen zweiten Zauber des Anfangs. Drei Vorschläge für transformative Kooperation: (1.) In Frankreich, Italien und Deutschland verpflichten sich die jeweiligen demokratischen Parteien, die Agenda 2030 zu einem zentralen Bezugspunkt ihrer Wahlplattformen zu machen. (2.) Nordamerika und Europa schaffen einen hochrangigen Dialog- und Kooperationsrahmen für die nachhaltige Entwicklung beider Kontinente. (3.) Die G20 vereinbaren einen gemeinsamen Lernprozess von Politik, Unternehmen, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft zum Umbau ihrer Kohlereviere. Die Umsetzung der Agenda 2030 darf nicht zu bürokratisch-diplomatischer Pflichtübung verkommen, sonst „droht Erschlaffen, [denn] nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, mag lähmender Gewöhnung sich entraffen“ (Hermann Hesse).

Out of Africa: The 2016 Nairobi Conference on Earth System Governance leads by example

Mon, 12/12/2016 - 13:15
Bonn, 12 December 2016. Even though it was the seventh installment in the conference series, the 2016 Conference on Earth System Governance (ESG), co-hosted by the German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), was a premiere. Taking place at the University of Nairobi from 7-9 December, it was the first to convene in Africa. It was about time! Many members of the ESG research community have long engaged in empirical research in Africa. Specific issues that have drawn scholarly attention in recent years include effective participatory governance at the grassroots level, achievements in protecting the continent’s unique biodiversity and related ecosystem services, a large potential for green technology development and implementation. All this paired with dynamic urbanisation and accelerating growth rates that may help lift millions of people out of poverty. More than these successes, however, researchers keep addressing the many challenges. The world’s hottest continent is particularly vulnerable to climate change, it currently exhibits deforestation rates that are twice the average of the rest of the world, and more than half of its agricultural land is estimated to be subject to land degradation and desertification. ESG’s eventual choice for Nairobi may not be that much of a surprise. It follows a pattern. International academic events in Africa typically recur to the usual conference locations in South Africa, Morocco or Tunisia and, of course, Nairobi: the hub of global environmental governance, headquartering the United Nations Environment Programme and UN-HABITAT as well as a host of regional chapters of international NGOs, research institutes and development agencies. Yet, these conferences are typically dominated by Northern scholars, as if the usual circus had just been teleported southwards for a few days. Yet, convening at the University of Nairobi’s Upper Kabete Campus and with the Wangari Maathai Institute for Peace and Environmental Studies as a local host, the 2016 ESG conference avoided the pitfalls of a token conference and distinguished itself from the many conferences that almost exclusively take place in Nairobi's big convention hotels or lavish compounds of international organizations. By contrast, convening at the university campus effectively embedded the conference within a thriving scholarly environment. It also demonstrated that it is indeed feasible to host international-standard conferences at such venues. Moreover, the ESG project sought to leave a lasting footprint by sponsoring minor renovations of campus infrastructure, improved audio-systems and wireless internet facilities. The organizers also ensured that well over a third of the some 170 conference participants were African. One of the conference's four major thematic threads was dedicated to sustainable development governance in Africa. Research institutions like the African Centre for Technology Studies (ACTS), the Africa Sand Dam Foundation (ASDF), the African Technology Policy Studies Network (ATPS), the university's own African Drylands Institute for Sustainability as well as local host Wangari Maathai Institute could showcase their visions and projects in side-events and designated spotlight presentations, including a field trip to rural community projects southeast of Nairobi and an innovative research game jam with creative artists and storytellers from Nairobi. Moreover, an entire panel stream was dedicated to local early-career scholars to discuss their research, but also their working conditions and career plans. This impressive list of initiatives will further underpin ESG credibility vis-à-vis developing country researchers and already boosted engagement of African scholars and African priorities in the pertinent global research community. Yet, there are limits to inclusiveness. Available funds allowed for conference fee waivers, but only for very few travel grants. Thus, the vast majority of African participants unsurprisingly came from host country Kenya. It is unlikely that many of them will have the means to participate in next year’s ESG conference in Lund, Sweden. This, of course, is not a specific problem of this conference but a point in case for the Sustainable Development Goals, notably SDG 17 that calls for global partnership. Ambitious action is needed to harness scholarly exchange on sustainable development challenges in a truly global manner. Mobilizing more travel grants will not suffice. There are persistent structural issues at stake in global academia that we know too well and that, by and large, leave African researchers disadvantaged. They need to be tackled by policy-makers and donors, but also and not least by researchers themselves. To this end the 2016 ESG conference in Nairobi was a small, but significant step, providing not merely a platform for a couple of days but new perspectives, new knowledge and maybe even new and sustainable collaborations between African scholars and the rest of the research world. More than a few renovations at the local university campus, this may be the major legacy of the ESG conference: showing what is possible to truly globalize academic networks for the benefit of sustainable global development.

Fariborz Zelli is chair of the 2016 Nairobi Conference on Earth System Governance, currently a senior fellow at the Käte Hamburger Kolleg / Centre for Global Cooperation Research and an associate researcher of the German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik. Steffen Bauer is a senior researcher at the German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik.

Crisis or progress? The Global Partnership for Effective Development Cooperation (GPEDC) after Nairobi

Tue, 06/12/2016 - 13:33
Bonn, 6 December 2016. From 28 November to 1 December, several thousand people gathered in Nairobi for the second High-Level Meeting (HLM) of the Global Partnership for Effective Development Cooperation (GPEDC). The first meeting was held in Mexico City 18 months ago. The question is: was the second meeting a success? Size doesn’t matter: in search of a narrative If the length of the outcome document may be taken as a gauge of success, the Nairobi HLM was indeed fairly successful. The document devotes a total of 23 pages (40 even, including the annex) to highlighting the commitments made at the meeting. However, it is hard to pinpoint any commitments that might require clear follow-up processes. The actors commit to hardly any concrete, measurable next steps. It would be difficult for any development cooperation provider or partner country to design a concrete follow-up process based on the outcome of the HLM. At the same time, there is a need for a global platform on effective development cooperation. Indeed, the GPEDC’s rationale remains fully valid: “The Global Partnership (…) seeks to maximize the effectiveness and impact of all forms of cooperation for development” (Outcome document, p. 1).  It sees its role as contributing to the UN High Level Political Forum (HLPF), which is the main platform for follow-up action on the Agenda 2030 for Sustainable Development. Thus, the GPEDC’s most important role is:
  1. to set standards for all development cooperation actors;
  2. to monitor the implementation of these standards.
Both of these are needed. Both have yet to come. Perceptions have an impact The GPEDC’s most important innovation is its multi-stakeholder approach. In fact, it includes all relevant actors such as members of parliament, civil-society organisations, the private sector, think tanks and academics, in addition to government representatives. Yes, all these actors raised their voices and yes, they were heard. And for sure, the GPEDC does not follow the overly balanced, diplomatic approaches adopted by a number of UN platforms. In other words, at least the non-plenary sessions and side-events provided scope for creative and controversial – and often constructive – debate. However, even though all countries were invited to attend the HLM, several governments preferred not to attend or just to be present as observers. As was the case at the first HLM in Mexico City, Brazil, China and India did not show up. South Africa also decided not to attend the HLM on its own continent. As in 2014, this sensitive issue was not a topic on the main agenda of the plenary session, but was discussed in side-events where think tank representatives from all the above countries helped to foster a better understanding of their respective reasons for not attending. The absence of four of the five BRICS, i.e. Brazil, Russia, India, China and South Africa (only Russia attended), is a clear signal and has had a big impact on the ‘global nature’ of the partnership. So why did a number of emerging powers decide to stay away? There are likely to have been two main perceptions. Perception one: the GPEDC is still considered as OECD-driven and several emerging powers do not recognise the GPEDC as a legitimate platform for debating global development. Perception two: the fact that the GPEDC is facilitated jointly by UNDP and the OECD means that there is a good basis for a widely accepted platform. However, the problem might rather be a limited degree of willingness to bring in more transparency and accountability for South-South cooperation. Leadership aspects Most of the preparatory work for the Nairobi HLM was done by the three co-chairs from Malawi, Mexico and the Netherlands. As planned, the three co-chairs will now rotate for the next two years. Uganda will act as the representative of ‘recipients of development co-operation’; Bangladesh will represent ‘recipients and providers of development co-operation’; and Germany will be the representative of ‘providers of development co-operation’. Informal discussions revealed that a number of actors are in favour of proactive co-chairs who might seek to pursue an intensive dialogue with emerging powers about their views on the future of the GPEDC. There is also a need to link up more closely with UN processes (including the HLPF and the Financing for Development activities). Based on the discussions about the outcome document, the GPEDC’s steering committee might approve the establishment of a non-executive co-chair position for a non-state representative of a broad spectrum of constituencies including civil-society organisations, trade unions, local governments, parliaments, philanthropy and the private sector. The way ahead In our view, the case needs to be made for a global platform in charge of standards for development cooperation, including South-South cooperation and the OECD’s Official Development Assistance. It is pretty clear what homework needs to be done first:
  • the GPEDC’s narrative needs to be more specific;
  • an open, serious dialogue with emerging powers about their perceptions and positions is long overdue.

Stephan Klingebiel is the head of the Bilateral and Multilateral Development Cooperation Department at the German Development Institute / Deutsches Institut for Entwicklungspolitik (DIE), a regular visiting professor at Stanford University and a senior lecturer at the Philipps University Marburg. Li Xiaoyun is a professor and former dean of China Agricultural University’s College of Humanities and Development, the president of the China International Development Research Network (CIDRN) and the chairman of the Network of Southern Think-Tanks (NeST).

Ein neuer Gesellschaftsvertrag für die Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas (MENA)

Mon, 05/12/2016 - 10:00
Bonn, 05.12.2016. Die Aufstände des ‚Arabischen Frühlings‘ von 2011 haben gezeigt, dass die MENA-Länder viel fragiler waren, als viele Beobachter erwartet hatten. Selbst westliche Regierungen, die den Mangel an Demokratie in den MENA-Ländern kritisierten, hoben hervor, dass sie zumindest politisch stabil seien. Ein wesentliches Ziel ihrer Entwicklungszusammenarbeit war es, ebendiese Stabilität zu bewahren. Doch viele ihrer Politiken zielten dabei eher auf kurzfristige Stabilität ab, denn sie halfen den MENA-Ländern den ‚alten Gesellschaftsvertrag‘ aufrechtzuerhalten anstatt einen ‚neuen Gesellschaftsvertrag‘ mit umfassenderen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Reformen zu unterstützen. Ein solcher könnte z.B. größere sozioökonomische Gerechtigkeit und Transparenz beim Regierungshandeln schaffen und dadurch langfristige politische Stabilität erzeugen. Was sind Gesellschaftsverträge? Im Grunde sind es Vereinbarungen zwischen gesellschaftlichen Gruppen und der Regierung, in denen ihre jeweiligen Rechte, Erwartungen und Pflichten festgelegt werden. Solche Vereinbarungen bestehen in allen Ländern der Welt. Sie werden von allen Parteien respektiert, bestehen aber bisweilen auch nur deshalb fort, weil Menschen eine Verschlechterung ihrer Situation befürchten. Manchmal brechen Regierungen oder Gesellschaften einen Gesellschaftsvertrag einseitig durch Aufstand, Staatsstreich, repressive Handlungen oder Maßnahmen, die die Lebensgrundlagen unterminieren. Der alte Gesellschaftsvertrag der MENA-Länder basierte auf Renteneinnahmen aus Erdöl-, Gas-, Gold- und Phosphat-Exporten, geostrategischen Renten (wie die Nutzungsgebühren für den Suezkanal in Ägypten), Rücküberweisungen von Migranten und Einnahmen aus der Entwicklungszusammenarbeit. Die Verträge bestimmten die Verteilung der Einkommen auf die Bürger mittels Arbeitsplätzen im Staatsdienst, Subventionen, Transfers, freier Gesundheitsfürsorge und Bildung, Wohnraum und Privilegien. Dies galt als Ausgleich für mangelnde politische Partizipation und Transparenz in Politik, Verwaltung und Justiz. Aber mit wachsenden Bevölkerungen und sinkenden Staatseinnahmen waren die Regierungen immer weniger in der Lage, ihre vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Sie konzentrierten sich zunehmend auf strategisch wichtige soziale Gruppen. Die Bürger litten unter schlechteren soziökonomischen Bedingungen und hatten weiterhin keinen spürbaren Einfluss auf die Politik, was sie 2011 schließlich auf die Straßen trieb und „Brot! Freiheit! Soziale Gerechtigkeit!“ fordern ließ. Seither hat nur Tunesien ernsthaft die Suche nach einem neuen, nachhaltigeren Gesellschaftsvertrag begonnen. Syrien, der Jemen und Libyen sind in Bürgerkriege versunken, die erst enden werden, wenn sich alle relevanten Konfliktparteien auf einen neuen Gesellschaftsvertrag einigen. Schlimmer noch, durch Flüchtlingsströme und konfessionelle Spaltungen beeinträchtigen diese Konflikte auch die Nachbarländer. Die meisten MENA-Länder bauen weiterhin auf den ‚alten Gesellschaftsvertrag‘: Sie werden noch immer von den autoritären Regimen alten Stils regiert. Kurzfristig mögen diese Staaten stabil sein -längerfristig laufen sie jedoch Gefahr zu implodieren, weil ihre grundlegenden Probleme ungelöst bleiben. Politische Repression hat zugenommen– und dies mit der stillschweigenden Zustimmung einiger westlicher Regierungen. . Wenn es den  MENA-Regierungen nicht gelingt, bald menschliche Entwicklung anzustoßen und einen neuen Gesellschaftsvertrag anzubieten, ist eine neue Welle von Revolten und Bürgerkriegen wahrscheinlich. Gleichzeitig müssen die MENA-Gesellschaften in einen Aushandlungsprozess treten. Die Abkehr vom ‚System‘ alleine hat seit dem sog. Arabischen Frühling nicht ausgereicht, Wandel herbeizuführen.

Tragisch ist, dass auch viele Geberländer weiterhin die alten Gesellschaftsverträge unterstützen. Sie geben MENA-Regierungen großzügige Kredite und Transfers, statt ihnen Unterstützung bei der Gestaltung und Umsetzung neuer Gesellschaftsverträge anzubieten. Langfristig haben jedoch MENA- und westliche Regierungen ein gemeinsames Interesse an neuen Gesellschaftsverträgen. Wenn die MENA-Regierungen sich weiter Transparenz und politischer Partizipation widersetzen und zugleich nicht in der Lage sind, stärkeres Wirtschaftswachstum und sozialen Ausgleich zu schaffen, dürften die Bürger wieder rebellieren. Millionen Menschen könnten versuchen, aus implodierenden Ländern zu fliehen. Es ist natürlich unrealistisch zu hoffen, dass die autoritären Regime und die sich modernisierenden Gesellschaften der MENA-Region ihre tief verwurzelten Probleme über Nacht lösen werden. Auch ein ‚Regimewechsel‘ von außen funktioniert nicht. Aber arabische Regime können viel mehr tun, um Korruption zu bekämpfen, die Rechenschaftspflicht der öffentlichen Verwaltung und der Justiz zu verbessern, die Qualität öffentlicher Dienstleistungen (insbesondere bei Bildung und Gesundheit) zu stärken sowie Effizienz und Gerechtigkeit bei Steuern und öffentlichen Ausgaben zu erhöhen. Westliche Länder, die der liberalen Demokratie verpflichtet bleiben, sollten sich nicht länger darum sorgen, wie die bestehende politische Ordnung in der MENA-Region ‚stabilisiert‘ werden kann – sie wird, wenn keine Reformen stattfinden, früher oder später unter dem Druck gesellschaftlichen Wandels kollabieren. Stattdessen sollten Entwicklungspartner, die dies im Wortsinn sind, fragen, wie sie MENA-Ländern helfen können, neue, nachhaltigere Gesellschaftsverträge zu gestalten, die sowohl für Bürger als auch Regierungen besser funktionieren.

Entwicklungspolitische Wirksamkeit – neue Dringlichkeit für alte Themen

Mon, 28/11/2016 - 10:33
Bonn, 28.11.2016. Vom 28. November bis zum 1. Dezember 2016 treffen sich Akteure der internationalen Zusammenarbeit in Nairobi auf dem zweiten Hochrangigen Treffen der „Globalen Partnerschaft für wirksame Entwicklungszusammenarbeit“ (GPEDC). Wenn wir über die globale Wirksamkeitsdebatte nachdenken, sollten wir zunächst den Weg würdigen, der bereits zurückgelegt worden ist. Die GPEDC ist die Fortsetzung eines langen Prozesses, der als Reaktion auf die Ineffizienzen der tradierten Muster der Entwicklungszusammenarbeit begann. Die Wirksamkeitsagenda gewann mit der UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Monterrey 2002 an Fahrt und wurde in Rom (2003), Paris (2005) und Accra (2008) weiterentwickelt. Die nachfolgenden Vereinbarungen erweiterten schrittweise die Verpflichtung der Geber, ihre Aktivitäten besser zu koordinieren, sie stärker auf national festgelegte Prioritäten auszurichten und sich auf Ergebnisse zu konzentrieren. Entwicklungsländer wiederum verpflichteten sich, die Geberanstrengungen zu unterstützen und innovative Ansätze der Zusammenarbeit zu ermöglichen. Das Hochrangige Forum 2011 in Busan erkannte das sich differenzierende Feld der Akteure (z.B. Süd-Süd-Kooperationspartner, private Stiftungen und Privatwirtschaft) an und betonte, dass die Beachtung gemeinsamer Prinzipien die Zusammenarbeit leiten könne. Trotz Governance-Reformen, die der sich erweiternden Basis Rechnung tragen sollten, blieben ‚neue‘ Akteure wie China und Indien zögerlich und nahmen 2014 am ersten Hochrangigen GPEDC-Treffen in Mexiko City nicht teil. Die nachlassende Dynamik schlug sich auch im Abschlussdokument der UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Addis 2015 nieder, in dem die Wirksamkeitsagenda nur in einem einzigen Absatz erwähnt wurde. Das Treffen in Nairobi bietet eine hervorragende Gelegenheit, das Engagement für die Agenda zu erneuern und ihr die Bedeutung zu verleihen, die sie verdient. Aber die GPEDC muss sich zugleich an die multipolare Welt anpassen: Es ist mehr als nur ein Forum, um die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit zu diskutieren. Das GPEDC teilt sich die Bühne mit einschlägigen Foren auf UN-Ebene, sowie verschiedenen ‚mini-lateralen‘ Initiativen, wie die Sustainable Innovation Expo 2016 oder die Bemühungen von EU-Gebern, stärker koordiniert zu handeln. Diese Vielzahl internationaler Strukturen, die Wirksamkeit von Entwicklungspolitik zu diskutieren, birgt die Gefahr, die Rechenschaftspflicht zu schwächen. Die GPEDC muss sich daher von den Foren der UN-Ebene zu unterscheiden, indem sie ihre – im Vergleich – informellere Organisation nutzt und als politischer Treiber für die internationale Diskussion fungiert. Sie sollte eine Agenda des konstruktiven Gruppenzwangs für wichtige Akteure sein, die Debatte über die wirksame, nachhaltiger Entwicklung anleiten – und sie sollte gesunde Kontroversen erlauben. Was auch immer aus Nairobi herauskommt, zwei Schlüsselelemente der ursprünglichen Agenda sollten zentral bleiben: Eigenverantwortung (ownership) als Vorbedingung effektiver Zusammenarbeit und Fragmentierung als vielleicht wichtigste Ursache von Ineffizienz. Erstens muss Entwicklungszusammenarbeit die ureigenen Beschlüsse und Initiativen der Partnerländer unterstützen; sie kann nur erfolgreich sein, wenn sie deren Visionen, Prioritäten und Zeitrahmen folgt. Während die Notwendigkeit von Eigenverantwortung unbestritten ist, wird das Handeln von Gebern durch eine Mischung von Motiven bestimmt, von denen einige zur Durchsetzung politischer Eigeninteressen führen können. Ein Beispiel ist der Notfall-Treuhandfonds der Europäischen Union für Afrika. Dieser Fonds zielt darauf ab, die ‚tieferen Ursachen‘ der irregulären Migration von Afrika nach Europa zu verringern, ignoriert jedoch viele Prinzipien entwicklungspolitischer Wirksamkeit, darunter das der Eigenverantwortung. Zweitens sehen wir ein stark fragmentiertes Entwicklungssystem mit einer ständig wachsenden Zahl an Gebern, anderen Akteuren und Zielen – man denke nur an die 17 SDGs, 169 Unterziele und 230 Indikatoren. Kritiker argumentieren, dass das Entwicklungssystem ineffizient, komplex und ungeeignet ist, sich an verändernde Agenden internationaler Zusammenarbeit anzupassen. Andere argumentieren, dass ein vielfältiges und pluralistisches Entwicklungssystem auch Vorteile hat, etwa eine größere Auswahl an Finanzierungskanälen für Entwicklungsländer. Neuere Forschung zeigt ein differenziertes Bild von der Fragmentierung der Hilfe zwischen diesen beiden extremen Positionen Das Nairobi-Treffen wird nicht überzeugen, wenn es nur ein weiteres Mal bestehende Prinzipien wirksamer Zusammenarbeit bekräftigt. Es sollte ein Ausgangspunkt für weniger zeremonielle, verantwortlichere und pragmatische Ansätze der Förderung entwicklungspolitischer Wirksamkeit sein. Dies erfordert einen eher ‚dezentralisierten‘ Ansatz: Akteure können sich gemeinsamen Prinzipien verschreiben, doch diese werden am besten durch Handeln in kleineren Gruppen umgesetzt. Beim Beschreiten eines solchen Pfades sollten alle Akteure die GPEDC ausdrücklich beauftragen, den Überblick zu behalten und Mittel zum Lernen und zur Zurechenbarkeit zu schaffen, auch mittels Bloßstellung und Kontroverse.

Ernährungssicherheit trotz Klimawandel: ohne Wasser nicht zu haben

Mon, 21/11/2016 - 10:00
Bonn, 21.11.2016. Am Freitag ging in Marrakesch die 22. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) zu Ende, auf der es um die Umsetzung des vor einem Jahr in Paris unterzeichneten Klimaabkommens ging. Darin wurde die Anpassung an den Klimawandel endlich als gleichrangiges Thema neben der Vermeidung von Treibhausgasen anerkannt. Nun ging es darum, die beschlossenen Zielvereinbarungen mit Leben zu füllen. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die Initiative Adaptation of African Agriculture to Climate Change (AAA) des Gastgeberlandes Marokko. Sie soll helfen, die afrikanische Landwirtschaft in den Fokus der Debatten um die Anpassung an den Klimawandel zu rücken und Finanzmittel für Anpassungsmaßnahmen zu mobilisieren. Dieser Vorstoß ist ebenso zu begrüßen wie überfällig. Denn nur fünf Prozent der für Vermeidung und Anpassung an den Klimawandel zur Verfügung stehenden Gelder fließen nach Afrika, obwohl der Kontinent mit am stärksten von den Folgen des Klimawandels betroffen ist.

Die wachsende Weltbevölkerung kann nur durch eine leistungsfähige Landwirtschaft ernährt werden. Gerade in Subsahara-Afrika steht aber die ungewisse Ernährungslage in unmittelbarer Beziehung zur Menge der produzierten Nahrungsmittel, im Unterschied etwa zu Südasien, wo Ernährungsunsicherheit vor allem der schwachen Kaufkraft und der Verteilung geschuldet ist. Die Agrarminister der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer hatten sich bereits 2015 in Istanbul dazu verpflichtet, für die Ernährungssicherung einer bis zum Jahr 2050 auf neun Milliarden Menschen anwachsenden Bevölkerung zu sorgen. Nun erhalten sie Rückendeckung durch die oben erwähnte Anpassungsinitiative.

Gerade die Landwirtschaft muss sich erheblich an Klimaveränderungen anpassen. Bereits heute sind in Subsahara-Afrika starke Niederschlagsschwankungen sowohl im Jahresdurchschnitt als auch über längere Perioden kennzeichnend. In vielen Gegenden sind die Niederschläge schlicht unzureichend und Dürreperioden üblich. Daher ist die Anpassung der Landwirtschaft ohne Wasserspeicher und Bewässerungsanlagen sowie ein entsprechendes Boden- und Wassermanagement nicht zu meistern.

Ein wichtiger Weg führt hierbei über den Ausbau der Bewässerungslandwirtschaft, um den Anbau von Nahrungsmitteln unabhängig von unzuverlässigen Niederschlägen zu machen und die vor allem in Sub-Sahara Afrika vielerorts bestehende geringe Fruchtbarkeit und Wasserspeicherfähigkeit der Böden auszugleichen. Obwohl die landwirtschaftlichen Erträge durch Bewässerung um die 50 Prozent angekurbelt werden könnten, werden dort Nahrungsmittel fast ausschließlich im von Wetterextremen abhängigen Regenfeldbau produziert. Doch bisher werden in Sambia und Tansania zum Beispiel, nur zwischen fünf und zehn Prozent der kultivierten Flächen bewässert; in Asien sind es 37 und in Lateinamerika 14 Prozent. Während Ertragssteigerungen schon für sich genommen ein schlagkräftiges Argument sind, steigen Einkommen nach der Umstellung auf Bewässerung, so z.B. in Äthiopien um 50 und in Tansania um 86 Prozent.

Die AAA-Initiative kann das Thema Wasser in der Landwirtschaft aufwerten und ihm eine neue Dynamik geben: Die vielerorts entstandenen Investitionslücken in Wasserspeicher müssen geschlossen, marode Infrastruktur modernisiert, in Bewässerungsmethoden und Technologien mit Standortvorteilen investiert und Maßnahmen zur Effizienzsteigerung umgesetzt werden. Landwirtschaftliche Wassernutzung und ein professionelles, an die Folgen des Klimawandels angepasstes Wassermanagement müssen allerdings Teil eines Gesamtpakets sein, das die Produktivität landwirtschaftlicher Betriebe fördert. Dazu zählen der Zugang zu Krediten, Betriebsmittel, stabile Märkte und weiterverarbeitende Firmen.

Die Klimakonferenz in Marrakesch hat in dieser Hinsicht einige Impulse geliefert. Nachdem das Thema „Klimawandel und Wasser“ bereits vor einem Jahr in Paris aufgegriffen worden war, wurde ihm in Marrakesch erstmals ein ganzer Tag gewidmet. Neue Initiativen wurden auf den Weg gebracht, z.B. Water for Africa und das Blue Book on Water and Climate, das sich u.a. für ein integriertes und nachhaltiges Wassermanagement und eine Action Agenda for Water stark macht. Auch die auf der Konferenz viel diskutierten nationalen Klimapläne (NDCs) vieler Entwicklungsländer heben sowohl die Anpassung der Landwirtschaft als auch des Wassermanagements als prioritär hervor.

Daher sollte die deutsche Entwicklungszusammenarbeit an der starken Förderung des Wassersektors festhalten, aber auch Wasser in der Landwirtschaft höher auf die Agenda setzen. Sie sollte ihre Zurückhaltung gegenüber Infrastrukturprojekten, also Wasserspeichern und Bewässerungsanlagen, aufgeben. Dazu gehört allerdings auch, dass funktionsfähige Wasserinstitutionen und transparente Genehmigungsverfahren für Wassernutzungsrechte aufgebaut werden, um flexibel auf Bedarfsentwicklungen und klimatische Schwankungen reagieren zu können. Nur so kann die Landwirtschaft im Verbund mit den Institutionen des Wassermanagements auf die Erfordernisse des Klimawandels angemessen reagieren und ihren Beitrag zur Ernährungssicherung leisten. Diese Kolumne ist auch bei der DGVN und Euractiv erschienen.

Die Antwort der EU auf die „Flüchtlingskrise": ein Jahr nach dem Gipfel von Valletta

Mon, 14/11/2016 - 11:44
Im November 2015 trafen sich die Staats- und Regierungschefs der EU und Afrikas in Valletta, Malta, um eine gemeinsame Antwort auf die Flüchtlingskrise zu finden, durch die die europäische Politik massiv unter Druck geraten war. Ein Jahr danach zeigt der in Valletta gegründete EU Emergency Trust Fund for Africa (EUTF) einige beunruhigende Tendenzen in der Antwort Europas auf den Flüchtlingsstrom und bei der zukünftigen Ausrichtung seiner Entwicklungspolitik. Dabei ergibt sich eine interessante Möglichkeit, die Dinge auf eine andere Art zu regeln. Der EUTF geht von der Prämisse aus, dass sich die nicht planbare Migration durch Entwicklungszusammenarbeit und Unterstützung der afrikanischen Staaten beim Migrationsmanagement eindämmen lässt. Es gibt jedoch keinerlei Hinweise darauf, dass ein Mangel an Entwicklungsprojekten eine Migration auslösen würde. Hingegen hat sich gezeigt, dass Auswanderungsbestrebungen mit dem Wirtschaftswachstum zunehmen. Des Weiteren scheint die Vorstellung, dass sich die komplexen politischen, sozialen und ökonomischen „Ursachen” der Migration durch einen kurzfristig angelegten Treuhandfonds mit einem begrenzten Budget beeinflussen lassen, in hohem Maße unrealistisch. Vielen der an dem EUTF direkt beteiligten Akteure ist es daher auch bewusst, dass eine Ursachenbekämpfung nicht das eigentliche Ziel des EUTF sein kann. Anstatt dessen wird diese Unterstützung als eine politische Geste verstanden, der Migrationszusammenarbeit mit Afrika einen Durchbruch zu verschaffen. Diese Schwerpunktsetzung auf Gewährung von Starthilfen für die afrikanische Zusammenarbeit nimmt innerhalb des Migrationsmanagements der EU eine zunehmend zentrale Stellung ein. Deutlich wird dies durch die in der letzten Zeit abgeschlossenen „Migrationsverträge“, mit deren Hilfe über den EUTF Fördermittel bereitgestellt werden, die an eine Zusammenarbeit im Migrationsmanagement gebunden sind. Auch diese eher begrenzte Transaktionszielstellung des EUTF scheint hinsichtlich der relativ geringen zur Verfügung stehenden Geldmenge (dem EUTF stehen 1,982 Milliarden Euro zur Verfügung, die um weitere 500 Millionen für die Umsetzung der Migrationsverträge aufgestockt wurden) sowie in Anbetracht der komplexen politischen, ökonomischen und sicherheitspolitischen Faktoren, die die afrikanische Migrationspolitik maßgeblich beeinflussen, fraglich zu sein. Der EUTF stellt dabei einige besorgniserregende Tendenzen in der EU-Entwicklungspolitik heraus. Da der größte Teil der Finanzen des EUTF aus dem europäischen Entwicklungsfonds und anderen Entwicklungsinstrumenten stammen, haben andere Entwicklungsorganisationen Bedenken dahingehend angemeldet, dass hier finanzielle Mittel zur Förderung der Migrations- und Sicherheitsinteressen der EU in einer Weise verwendet werden, dass dadurch die Definition der eigentlichen Entwicklungshilfe verwässert wird. Offensichtlich scheint der EUTF von den Effizienzgrundsätzen und den Entwicklungsverpflichtungen der EU weit entfernt zu sein. Eigentum, Partnerschaft oder Ausrichtung spielen dort eine geringe Rolle. Die Gelder werden dabei eher nach dem Umfang der Migration als nach Bedarf verteilt, denn diese Programme werden von den Europäern gestaltet, verwaltet und realisiert, sind eng mit den Interessen der EU verknüpft und auf die Wahrnehmung dieser Interessen ausgelegt. Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass diese Merkmale Bestandteil der künftigen EU-Entwicklungszusammenarbeit sein werden. Daraus lässt sich ableiten, dass der EUTF in starkem Maße von den Kernprinzipien der Entwicklungszusammenarbeit abweicht, was sich letztlich für die Interessen der EU bzw. ihrer Partner nicht förderlich auswirken wird. Die bis dato umgesetzten EUTF-Maßnahmen haben Schwächen bei den EU-Verfahrensweisen und Spannungen unter den Mitgliedsstaaten offengelegt. Es fehlte dabei an einer konsequenten strategischen Ausrichtung und an Überblick, was angesichts der politischen Brisanz und der Geschwindigkeit der Implementierung des EUTF problematisch ist. Ein Kritikpunkt ist dabei, dass die Auswahl der Projekte und Projektverantwortlichen nicht immer nach den Kriterien erfolgte, die den Zielstellungen des Treuhandfonds bzw. den örtlichen Gegebenheiten am besten entsprochen hätten, sondern sich oftmals nach den Wünschen der Lobbys der Mitgliedsstaaten zur Finanzierung ihrer Projektagenturen richtete. Obwohl der EUTF eine ganze Reihe von Schwächen offenbart, heißt das jedoch nicht, dass er nichts zu bieten hätte. Der EUTF schafft ein Mehrwertpotential in Sachen Flexibilität und Innovation sowie die Möglichkeit, mit unterschiedlichen Arbeitsweisen zu experimentieren, ohne dabei den Beschränkungen der traditionellen Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit unterworfen zu sein. Dabei ist jedoch ein stärkeres Augenmerk auf die Analyse, den Lerneffekt und das Feedback zu legen. Sowohl die EU-Kommission als auch die Mitgliedsstaaten sollten sich aktiv bemühen, nach Projekten Ausschau zu halten, aus denen sich neue Erkenntnisse über die mit der Migration verbundenen Probleme und fliehende Bevölkerungsgruppen gewinnen lassen. Wenn es dem EUTF gelingt, stichhaltige Belege dafür vorzulegen, wie sich durch eine Analyse der Entwicklungszusammenarbeit die Probleme der Migration effizienter eindämmen lassen, könnte dies dazu beitragen, die EU-Migrationspolitik stärker auf die Entwicklungsziele auszurichten. Des Weiteren könnte es auch ein Impuls für eine Umgestaltung der Entwicklungsinstrumente und Programme der EU dahingehend sein, dass sie angemessen ausgestattet werden, um besser mit den komplexen und sich rasant ändernden Herausforderungen der Migrationsproblematik umzugehen.

Klimakonferenz in Marrakesch: Lackmustest für das Pariser Abkommen

Mon, 07/11/2016 - 10:00
Bonn, Marrakesch, 07.11.2016. Das Pariser Klimaabkommen wurde im vergangenen Dezember weltweit als historischer Erfolg gefeiert. Ob es aber auch Geschichte schreiben wird, entscheidet sich durch seine erfolgreiche Umsetzung. Darum geht es, wenn ab heute bis zum 18. November in Marrakesch die erste Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) seit dem Pariser Klimagipfel von 2015 zusammentritt. Die Klimakonferenz in Marrakesch bietet somit den ersten ernsthaften Lackmustest für die in Paris getroffenen Entscheidungen.

Die in Rekordzeit erfolgte Ratifizierung des Pariser Abkommens ist ein ermutigendes Signal: die Staatengemeinschaft meint es ernst mit dem Klimaschutz. So konnte das Pariser Abkommen noch vor der Konferenz von Marrakesch völkerrechtlich in Kraft treten. Die Umsetzung seiner Inhalte wird aber dadurch nicht zum Selbstläufer. Deren transformativer Anspruch bedeutet eine radikale Abkehr vom „business as usual,“ nicht zuletzt in den Schlüsselsektoren Energie, Landwirtschaft, Verkehr und Städtebau. Kleinteilige Schritte reichen nicht aus, wenn die gravierendsten Folgen des durch den Menschen verursachten Klimawandels noch abgewendet werden sollen.

Klimawandel und Klimapolitik haben weitreichende Implikationen, die praktisch alle Bereiche menschlicher Entwicklung betreffen: von der Landwirtschaft über die Energieversorgung bis hin zu Artenschutz und Migration. Das Pariser Abkommen muss daher im Einklang mit den Nachhaltigkeitszielen (SDGs) der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung umgesetzt werden. Das gilt nicht zuletzt hinsichtlich der notwendigen Anpassung an die Folgen des Klimawandels, ohne die wichtige Ziele etwa bei der Wasserversorgung (SDG 6), der Infrastruktur (SDG 9) oder dem Schutz von Ökosystemen (SDG 15) nicht zu erreichen sein werden.

Im Sinne gemeinsamer, aber unterschiedlicher Verantwortlichkeiten der Staaten für den globalen Klimaschutz und im Rahmen der zum Pariser Gipfel vorgelegten nationalen Klimapläne (nationally determined contributions, NDCs) muss nun jedes Land seinen eigenen Politik- und Technologiemix finden, um globale Klima- und nationale Entwicklungsziele sinnvoll zu verzahnen. Dies erfordert neben nüchterner Berechnung und technokratischer Planung vor allem die Moderation politischer Interessenkonflikte, insbesondere in der nationalen Umsetzung. Die aktuelle Auseinandersetzung um den deutschen Klimaschutzplan beweist dies eindrücklich.

Um nationalen und lokalen Akteuren wegweisende Impulse für eine erfolgversprechende Umsetzung der Pariser Beschlüsse zu geben, sollten die Vertragsstaaten in Marrakesch insbesondere dreierlei erledigen:

  1. Erstens sollten sie verbindliche, langfristige Umsetzungsstrategien für die unterschiedlichen Themenstränge des Pariser Abkommens erarbeiten, nicht zuletzt hinsichtlich der Finanzierung und des Technologietransfers und im Sinne einer klimasensiblen globalen Investitionspolitik.
  2. Zweitens sollten sie die Mechanismen ausformulieren, mittels derer sie regelmäßig ihre nationalen Klimapläne verbessern wollen ("ratcheting up"), um das übergeordnete Ziel erreichen zu können, die durchschnittliche globale Erwärmung bei 1,5°C oder maximal 2°C zu stabilisieren.
  3. Drittens sollten sie auf Basis der vor wenigen Wochen beschlossenen Finanzierungs-"Roadmap" weiter konkretisieren, wie die gegenüber den Entwicklungsländern bereits gemachten Zusagen von 100 Milliarden US-Dollar jährlich ab 2020 eingehalten werden – und wie insbesondere genug Geld für Anpassung mobilisiert werden soll und die globalen Finanzflüsse mit einer klimagerechten Entwicklung in Einklang zu bringen sind.

Unter diesen Voraussetzungen kann die Umsetzung des Pariser Abkommens tatsächlich einen grundlegenden, weltweiten Strukturwandel befördern. Werden gleichzeitig die SDGs klimagerecht umgesetzt, kann die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft im Sinne einer nachhaltigen globalen Entwicklung gelingen.

Besonders erfolgsversprechend wäre es dahingehend, ehrgeizige, multilateral verhandelte Ziele mit langfristiger Vision, wie sie das Pariser Abkommen und die Agenda 2030 repräsentieren, systematisch mit den vielzähligen Initiativen nicht-staatlicher Akteure zu kombinieren. Schon heute schreiten viele Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen, aber auch und lokale Akteure wie Städte, den Regierungen mit innovativen "climate actions" voran. Wenn diese "Bottom Up"-Dynamik in Marrakesch besser mit den schwerfälligen Prozessen der UN-Klimapolitik verzahnt und im Sinne der globalen Ziele gebündelt werden könnte, dann wäre eine weitere wichtige Voraussetzung geschaffen, die Transformation zu einer klimagerechten menschlichen Entwicklung zu beschleunigen.

Die Vertragsstaaten sind hier klar in der Bringschuld, bilanzieren sie doch auch nicht-staatliche Fortschritte gerne als Erfolge nationaler Umsetzung. Die marokkanische Umweltministerin Hakima El Haite betonte als Gastgeberin des diesjährigen Klimagipfels bereits beim Petersberger Klimadialog der Bundesregierung im Sommer, dass Marrakesch "die Konferenz der Umsetzung und der Unterstützung" werden solle. Die Zeit ist reif, den Worten Taten folgen zu lassen.

„Aufstrebende“ Mächte – kann man sie noch so nennen?

Mon, 31/10/2016 - 10:00
Bonn, 31.10.2016. Die Schwellenländer schwächeln: China befindet sich wirtschaftlich in einem „neuen Normalzustand“, der deutlich weniger dynamisch ist – und bewegt sich politisch erkennbar rückwärts. Brasilien ist seit Monaten innenpolitisch gelähmt und ging gerade durch die schwerste Rezession seit langem. Südafrika stagniert wirtschaftlich und demokratische Institutionen werden durch Nepotismus unterhöhlt. Die Türkei ist innenpolitisch und wirtschaftlich in Folge des Putsches bis ins Mark erschüttert… Die Liste ließe sich fortsetzen. Dies sollen „aufstrebende“ Mächte sein?! Um in der globalen Politik von wachsendem Gewicht zu sein, bedarf es zwei grundlegender Dinge: Willen und Fähigkeit zum globalen Engagement. Aufstrebende Mächte sind eine soziale Kategorie, keine absolute Größenordnung. Es wäre naiv zu glauben, dass der Aufstieg zu globaler Bedeutung eine ununterbrochene Erfolgsgeschichte ist. Daher sind Wirtschaftskrisen, ebenso wie politische Krisen, kein unmittelbares „Ausschlusskriterium“. Nach den fetteren Jahren wird allerdings deutlich, dass es verschiedene Kategorien aufstrebender Mächte gibt. China und Indien werden allein aufgrund ihrer Größe auch künftig globale Bedeutung haben. Dies bedeutet: Wachstum, aber auch eine langsamere Wirtschaftsentwicklung, haben Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. China und Indien werden inzwischen und künftig gebraucht werden – sowohl für Problemlösungen in der globalen Wirtschaft sowie für alle Nachhaltigkeitsfragen, die die Belastungsgrenze des Planeten betreffen, als auch für die Gestaltung von Frieden und Sicherheit über ihre Region hinaus. Ganz gleich, ob wir dies nun immer wollen oder nicht: Ihr Handeln oder Nicht-Handeln hat größere Konsequenzen. China und Indien sind etablierte Mächte, und weder für sie noch für uns wird es ein Zurück in die Welt des 20. Jahrhunderts geben. Für alle Staaten in einer Größenordnung kleiner als China und Indien gilt, dass wir sie als „aufstrebende Mächte“ sehen, wenn sie für globale Problemlösungen zunehmend wichtig werden. In der internationalen Zusammenarbeit sind vor allem nationale Beiträge zur Bereitstellung öffentlicher, globaler Güter gefragt. Über die Agenda 2030 mit ihren universellen Zielen für nachhaltige Entwicklung wird dies inhaltlich breit angestrebt. Doch wie ist die Realität? Die Diskussion um veränderte Machtverhältnisse darf nicht allein verengt auf das Wirtschaftswachstum betrachtet werden, sondern auch mit Blick auf den jeweiligen CO2-Ausstoß oder Erfolge in der Armutsbekämpfung. Umgekehrt gilt: Staaten können ein großes Konfliktpotential haben und damit selbst ein bedeutsames globales Problem darstellen. Das macht sie aber nicht notwendigerweise zu einer „aufstrebenden Macht“. Kaum jemand würde das sich einigelnde Nordkorea, immerhin eine Atommacht, in dieser Kategorie sehen. Staaten wie Brasilien, Indonesien, Mexiko, Pakistan, Nigeria, Äthiopien oder auch Ägypten, haben jeweils eine hohe Bevölkerungszahl. Nicht bei jedem der genannten denken wir aber an die Bezeichnung „aufstrebende Macht“. Jeweils einzeln betrachtet, sind sie nicht zwangsläufig unverzichtbar für globale Problemlösungen. Dies gilt trotz ihrer Bedeutung in ihren jeweiligen Regionen vor allem mit Blick auf eine Reihe von Problemen wie regionale Sicherheit, ökologische Vielfalt, oder auch mit Blick auf die (zum Teil ausbleibenden) Erfolge in der Reduzierung der absoluten Armut im Land. Äthiopien kann beispielsweise ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum von jährlich über 10 Prozent vorweisen und ist auch für die regionale Sicherheitspolitik bedeutsam. Dies führte bisher jedoch (noch) nicht zu einem klaren Willen oder einer verstärkten Fähigkeit, sich über die eigene Region hinaus diplomatisch oder wirtschaftlich zu engagieren. Diesen wichtigen Unterschied illustriert auf andere Weise auch Südafrika. Zugegeben, das Land hat kaum Wirtschaftswachstum und zunehmend politische Probleme. Aber es hat einen erkennbaren Willen, sich auch in globalen Foren wie der Welthandelsorganisation oder den G20 und den BRICS zu engagieren. Zudem ist dieser Wille auch mit Fähigkeiten verbunden: Südafrika verfügt über einen effektiven Staat, der Planungen auch umsetzen kann.
Ja, die Schwellenländer – vor allem die BRICS, aber auch beispielsweise die Türkei – schwächeln, und ihr Aufstieg ist nicht „unfallfrei“. Aber wir sollten nicht den Fehler machen, zu glauben, dass aufstrebende Mächte als Schwellenländer auf eben jener „Schwelle“ verharren. In der Tat sind Wirtschaftskrisen ein Risiko für die Anerkennung als aufstrebende Macht, weil ohne wirtschaftliche Basis und ohne internationale Vernetzung langfristig die Fähigkeiten zu globalem Engagement nachlassen werden. Aber wir brauchen diese aufstrebenden Mächte bereits heute als wichtige Partner. Als solche sollten wir ihnen im Umgang miteinander auf Augenhöhe begegnen statt sie abzuschreiben.

Wirtschaftspartnerschaftsabkommen: Warum brauchen sie so lange?

Mon, 24/10/2016 - 09:00
Bonn, 24.10.2016. Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPAs) sind Handelsabkommen, die zwischen der EU und der Gruppe der afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten (AKP), die sich in einen regionalen wirtschaftlichen Integrationsprozess befinden, ausgehandelt werden. Am 10. Oktober 2016 trat das WPA mit der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC) in Kraft. Es gehört damit zu nur zweien von sieben WPAs mit AKP-Regionen, mit deren Umsetzung nach Unterzeichnung und Ratifikation begonnen wurde: Die Ratifizierung des ostafrikanischen WPA wurde verschoben; das westafrikanische WPA steckt in Verhandlungen fest; und in den übrigen Regionen sind regionale WPAs chancenlos, da viele Entwicklungsländer bilaterale Abkommen mit der EU geschlossen oder sich für Alternativen entschieden haben. 14 Jahre nach Beginn der Verhandlungen zeichnen sich einige Trends ab, die zu der Langwierigkeit der WPA Verhandlungen beigetragen haben. Erstens gab es einen Mangel an Begeisterung und politischem Willen der AKP-Regierungen. Viele vertraten die Ansicht, dass WPAs in ihrer derzeitigen Form nicht ihren langfristigen Entwicklungsinteressen dienen, schlechte Handelsbedingungen festschreiben und ihre Industrialisierung untergraben. Diese Skepsis wurde durch die Tendenz der EU verstärkt, WPAs als Mittel zur Durchsetzung einer erweiterten WTO-Agenda zu nutzen, um die eigenen langfristigen Handelsinteressen zu verfolgen. Angesichts der Tatsache, dass die Entwicklungsländer die Einführung von Bestimmungen zu Dienstleistungen, Investitionspolitik, staatlichem Beschaffungswesen und geistigem Eigentum auf globaler Ebene bisher abgelehnt hatten, erzeugte der Versuch der EU, diese in WPAs aufzunehmen, erheblichen Widerspruch. Zweitens wirkten geostrategische Überlegungen als weiterer Dämpfer für WPAs. Der zunehmende Handel mit China verleiht afrikanischen Ländern eine stärkere Verhandlungsposition gegenüber Europa. Zugleich wurden die TTIP- und TTP-Abkommen vom europäischen und amerikanischen Wunsch genährt, China von Schlüsselmärkten fernzuhalten und sich einen Vorsprung bei der Schaffung globaler regulatorischer Standards zu verschaffen. In einer sich so entwickelnden geopolitischen Landschaft gibt es für AKP-Staaten Anreize abzuwarten – in der Hoffnung, dass sich die Machtverhältnisse zu ihren Gunsten ändern. Drittens behinderten begrenzte institutionelle Kapazitäten den Verhandlungsfortschritt. Es ist für Entwicklungsländer schwierig, gleichzeitig Verhandlungen in der WTO, auf regionaler und kontinentaler Ebene und mit der EU zu führen. WPA-Prozesse sollten partizipativ sein und eine Bandbreite nicht-staatlicher Akteure aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft umfassen. Doch begrenzte Kapazitäten behinderten die gesellschaftliche Beteiligung in vielen Ländern und Regionen. Dies führt zu einer mangelnden Berücksichtigung wichtiger gesellschaftlicher Interessen und ist ein Problem für die Ratifizierung und Umsetzung von WPAs. Auf regionaler Ebene machten schwache Institutionen und ein Mangel an Erfahrungen es schwer, heterogene nationale Präferenzen zu überwinden und kohärente regionale Positionen zu formulieren. In einigen Regionen mangelte es an Feedback zwischen regionalen Unterhändlern und nationalen Ministerien, vor allem in jenen, die einen supranationalen Verhandlungsansatz wählten (Westafrika und Karibik). Vorwürfe wurden laut, die Verhandlungen seien von professionellen Verhandlungsführern ‚gekapert‘ worden. Die derzeitigen Schwierigkeiten in Westafrika, wo Nigeria sich weigert, ein Abkommen zu unterschreiben, das nach seiner Auffassung nicht in seinem Interesse ist, könnten darauf zurückzuführen sein. Schließlich trug ein hohes Maß gesellschaftlicher Opposition gegen WPAs, sowohl in der AKP-Region als auch in Europa, dazu bei, die Verhandlungen weit über die anfängliche Frist von 2007 hinaus zu verlängern. Kritiker behaupten, dass WPAs den wirtschaftspolitischen Spielraum beschränken, die lokale Produktion drastisch verringern und die Bemühungen Afrikas untergraben, regionale Integration zu erreichen. In einigen Ländern wie Nigeria und Uganda ist heftige Einflussnahme von Wirtschaftsverbänden und zivilgesellschaftlichen Akteuren ein Faktor für das Zögern beim Vorantreiben der WPAs. Da die Welt sich erheblich verändert hat, seit die WPAs vor 14 Jahren angestoßen wurden, kann man sich fragen, ob die Abkommen noch zweckmäßig sind. Wenn TTIP und TTP umgesetzt werden, werden die AKP-Staaten den von ihnen ausgehandelten Nutzen schwinden sehen. Für Staaten mit bedeutenden Exporten nach Großbritannien verringert der Brexit den Wert von WPAs zusätzlich, sodass sie sich fragen könnten, ob die von ihnen gemachten Konzessionen es wirklich wert sind. Auch wenn die Verhandlungen jetzt vorbei sind, werden die Ratifizierungs- und Umsetzungsprozesse, ganz zu schweigen von den Überprüfungsklauseln und Halbzeitüberprüfungen, zweifellos davon geprägt sein, dass die EU und die AKP-Staaten auch künftig strittige Handelsfragen erneut aufnehmen werden. Diese Kolumne ist am 24.10.2016 auch bei Euractiv erschienen.

UN-Gipfel für Wohnen und nachhaltige Stadtentwicklung: Was steht auf dem Spiel?

Mon, 17/10/2016 - 09:00
Bonn, 17.10.2016. Vom 17.-20. Oktober 2016 findet in Quito, Ecuador, die dritte Konferenz der Vereinten Nationen für Wohnen und nachhaltige Stadtentwicklung (Habitat III) statt, auf der zentrale Entscheidungen für das städtische Leben in den nächsten Jahrzehnten getroffen werden. Sie gilt auch als „Umsetzungskonferenz“ nach dem Beschluss der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung und des Pariser Klimaabkommens. Damit sich diese Erwartung erfüllen kann, müssen in Quito die Grundlagen für die „Lokalisierung“ der globalen Nachhaltigkeitsziele gelegt werden, also deren Umsetzung und Erfolgsbeobachtung in Städten und Kommunen. Städte spielen für nachhaltige Entwicklung weltweit eine zentrale Rolle. Mehr als 50 % der Weltbevölkerung sind bereits in Städten beheimatet, bis zum Jahr 2050 werden es zwei Drittel sein. 90 % des bis 2050 zu erwartenden Anstiegs der Stadtbevölkerung erfolgt in Schwellen- und Entwicklungsländern. Die Infrastrukturen für die Versorgung dieser Menschen müssen größtenteils noch gebaut werden, sonst werden globale Ziele der Armutsminderung verfehlt. Folgen Städtebau und Stadtplanung jedoch den Leitbildern der letzten Jahrzehnte werden zunehmend Flächen und Ressourcen verbraucht. Damit ist es unmöglich, innerhalb der Zwei-Grad-Grenze der Erderwärmung zu bleiben. Die wenigsten Städte verfügen allerdings über die Mittel, zur Lösung solch komplexer globaler Entwicklungsaufgaben beizutragen. Insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern fehlt es vielerorts an fachlichen- und Entscheidungskompetenzen auf lokaler Ebene, oft aufgrund unzureichender rechtlicher und finanzieller Rahmenbedingungen für die Dezentralisierung und kommunale Selbstverwaltung. In den wenigsten Ländern werden Anliegen der zivilgesellschaftlichen- und Basisgruppen hinreichend in die Stadtentwicklung einbezogen. Chancen der Zusammenarbeit mit dem Privatsektor, etwa in den Bereichen Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel sowie Digitalisierung, werden nur selten genutzt. Auch in den internationalen Politikprozessen werden Städte unzureichend einbezogen. Insbesondere die Anliegen der Klein- und Mittelstädte werden vernachlässigt, obwohl gerade diese am schnellsten wachsen und daher vor besonderen Herausforderungen stehen, ihrer Bevölkerung Grundversorgung, Teilhabe und sozialen Zusammenhalt zu ermöglichen. Die Habitat III Konferenz bietet eine echte Chance, die entwicklungspolitische Bedeutung von Städten international ins Bewusstsein zu rücken und künftig in Handlungskonzepten für nachhaltige Entwicklung zu berücksichtigen. Zum einen spiegelt sich dies im Prozessverfahren wider. Bei der Vorbereitung der Konferenz konnten sich Städte erstmals umfangreich in die Verhandlungen des Entwurf des Abschlussdokuments der Konferenz einbringen: die „ New Urban Agenda“. Auf der Konferenz selbst fokussieren zahlreiche Veranstaltungen auf Fragen der Umsetzung, viele davon auf Initiative oder mit Beteiligung städtischer Akteure. Zum anderen zeigt sich die starke entwicklungspolitische Gewichtung von Städten auch in den Inhalten des Endentwurfs der New Urban Agenda. Deren Implementierung trage zu einer beteiligungsorientierten und lokalen Umsetzung  der Agenda 2030 bei. Um eine effektive Umsetzung zu gewährleisten, müssten auf allen Regierungs- und Verwaltungsebenen günstige Rahmenbedingungen geschaffen werden, zum Beispiel plädiert die New Urban Agenda für Dezentralisierung und Subsidiarität. Prozesse zur Beobachtung des Umsetzungserfolges der New Urban Agenda sollen an die Erfolgskontrolle der Agenda 2030 gebunden werden. Auch hier werden Lokalregierungen als aktive Partner im Prozess anerkannt. Doch all das scheint ohne klare Aussagen und Details zur Lokalisierung, also der Umsetzung und Erfolgsüberwachung der Agenda 2030 in Städten und Kommunen, noch ungenügend. Die Konferenz muss daher Folgendes anstoßen:

  • Lokalregierungen treten in den Dialog mit der Zivilgesellschaft, dem Privatsektor und anderen Interessengruppen, um gemeinsam Visionen zu formulieren, Prioritäten zu setzen und ortspezifische Strategien zu formulieren.
  • Durch die Beteiligung in Städteverbänden oder kommunalen Partnerschaften werden Erfahrungen ausgetauscht und gemeinsames Lernen ermöglicht.
  • Die Nationalregierungen schaffen die notwendigen Rahmenbedingungen, so dass die Städte und Stadtregionen in der Lage sind, eigene Lösungen zu entwickeln und umzusetzen.
  • Durch ein verstärktes Mitspracherecht auf internationaler Ebene sind Städte aller Größenordnungen und ihre Vertreterverbände in der Lage, ihre Herausforderungen und Interessen geltend zu machen.

Es steht daher viel auf dem Spiel. Denn wenn in dieser Woche nicht die Weichen dafür gestellt werden, den ‚Megatrend Urbanisierung‘ für eine nachhaltige globale Entwicklung zu nutzen, könnte diese Chance auf Dauer vertan sein – Habitat IV findet erst im Jahr 2036 statt. Daher muss sich auch Deutschland in Quito jetzt dafür einsetzen, die volle Wirkungskraft von Städten zu stärken.

Vom Welthungertag zum Welternährungstag

Tue, 11/10/2016 - 15:58
Bonn, 12.10.2016. Am 16. Oktober ist es wieder soweit: Die Weltgemeinschaft erinnert am Welternährungstag an die Menschen, die auch in Zeiten des globalen Überflusses noch hungern. 1945 wurde an diesem Tag die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) gegründet. Seitdem ist die Zahl der Hungernden erschreckend konstant – etwa 800 Millionen bis eine Milliarde Menschen leiden weltweit an Unterernährung. Nur weil sich die Weltbevölkerung mittlerweile verdreifacht hat, ist der Anteil der Hungernden von etwa 35 % auf 11 % zurückgegangen. Doch ist dies wirklich ein Erfolg? Mittlerweile leben auch in Entwicklungsländern mehr Über- als Unterernährte. In Südasien und in Subsahara-Afrika jedoch sind sowohl die Anzahl als auch der Anteil der Hungernden immer noch besonders hoch. Diese Zahlen selbst sind bereits skandalös. Dazu kommt, dass in den globalen Überschussregionen wie Nord- und Südamerika die „moderne“ Nahrungsmittelproduktion mit großen Maschinen, Mineraldünger und chemischem Pflanzenschutz an biologische, ökologische und gesellschaftliche Grenzen kommt. Andererseits werden in vielen armen Ländern die natürlichen Ressourcen durch Übernutzung auf niedrigem Produktivitätsniveau zerstört. Wasser für die Bewässerung etwa wird vielerorts knapp. Die Agrar- und allgemeine Biodiversität schwindet. Der Klimawandel bedroht die Landwirtschaft ausgerechnet in den ärmsten, subtropischen Weltregionen am stärksten. Krisen und Konflikte erschüttern die Selbsthilfekräfte ganzer Nationen. Hinzu kommen verstärkt Preisschwankungen auf den internationalen Agrarmärkten. Mit der Bioökonomie (Nutzung von Biomasse für Energie oder als Ersatz für Öl in der Petrochemie) entsteht neue Konkurrenz für Nahrungsmittel. Doch einfache Schuldzuweisungen und schnelle Lösungen gibt es nicht. Einerseits zeigt sich seit Gründung der FAO, dass es bisher keinen grundsätzlichen Mangel an Nahrung gab, sondern nur jeweils örtliche, zeitliche und personenbezogene Verteilungsprobleme. Aber ohne einen kontinuierlichen Anstieg der Nahrungsmittelproduktion ist der globale „Angebotsvorsprung“ schnell aufgebraucht. Und auch die Verteilung der Nahrungsmittel ist kein leicht lösbares Problem. In den reichen Ländern ist eine stärkere ökologische Ausrichtung der Agrarproduktion notwendig. Dadurch sinkt jedoch die Produktivität, was zu steigenden Agrarpreisen national und auf dem Weltmarkt führt. In armen Ländern kann dies zu weiterem Hunger bei armen Konsumenten führen. Die Bekämpfung der Nahrungsmittelverschwendung sowie der Verzicht auf Fleischkonsum könnten dieses Defizit ausgleichen. Anders sieht es allerdings bei der steigenden Nachfrage der kommenden Jahrzehnte in den Entwicklungsländern aus, die weit über dem liegt, was derzeit im Überschuss oder einsparbar ist. Die weltweite Agrarproduktion muss daher weiter steigen. Die Reserven dafür sind vor allem in den ärmeren Entwicklungsländern zu finden, wo die Erträge oft bei nur 20-30 % des realistisch gegebenen Potentials liegen und die vermeidbaren Nahrungsmittelverluste ähnliche Größenordnungen aufweisen. Darüber hinaus braucht es eine drastische Erhöhung des Anteils der Nahrungsproduktion, der auf den Markt angeboten wird, um die wachsenden Städte zu versorgen. Der Schlüssel sind die Kleinbauern. Sie stellen immer noch zwei Drittel aller Hungernden. Können sie ihre Produktion steigern, hat dies zwei ernährungssichernde Effekte: Es wird mehr Nahrung produziert, und die bäuerlichen Haushalte erzielen höhere Einkommen. Dies kann nur gelingen, wenn sie – und ihre organisierten Strukturen – massive Unterstützung erhalten; Einerseits durch die Bereitstellung von kurzfristige Betriebsmitteln wie Düngemitteln, langfristige Investitionen wie Maschinen, (leichtere) Kreditvergaben, und andererseits aber auch durch gute (forschungsbasierte) Beratung. Dies alles muss in eine förderliche Agrarpolitik, in ländliche Entwicklungs- und kohärente Makropolitiken eingebettet sein. Die Produktion muss standortgerecht und nachhaltig sein. Dabei sind teilweise auch große Betriebe nützlich: Sie können mehr Risiken auf sich nehmen, für mehr Stabilität sorgen und die Organisation der Wertschöpfungsketten vorantreiben. Die kleinbäuerliche Produktion werden sie aber auf absehbare Zeit nicht ersetzen können. Flankiert werden muss dies von sozialen Sicherungsprogrammen sowohl für die temporär und chronisch Armen ohne Land als auch für die Kleinbauern selbst. Längerfristig müssen auch Arbeitsplätze außerhalb der Landwirtschaft geschaffen werden, um die steigende Zahl junger Menschen zu beschäftigen. Auch auf internationaler Ebene muss gehandelt werden: Freier Agrarhandel und regulierte Absicherungsmöglichkeiten gegen Ernteschwankungen, der Ausbau der internationalen Agrarforschung mit einer guten Verknüpfung in nationale Systeme, ernährungsorientierte Leitplanken für die Bioökonomie, Maßnahmen zur Sicherung der Biodiversität, die Einrichtung internationaler sozialer Sicherungssysteme für das Auffangen der großen, transnationalen Krisen. Weitere Anstrengungen zur Bekämpfung des Klimawandels sind Voraussetzungen dafür, dass auch der Aufbau einer „Klima-smarten“ Landwirtschaft gelingt. Nur dann können wir es noch schaffen, bis zum Jahr 2030 den Hunger weitgehend auszurotten. Erst dann sollten wir wirklich von einem Welternährungstag sprechen und diesen gebührend feiern.

Kooperation mit Afrika – ein strategisches Thema der Kanzlerin!

Mon, 10/10/2016 - 12:48
Bonn, 10.10.2016. Noch vor wenigen Jahren wäre die Aufmerksamkeit undenkbar gewesen, die der afrikanische Kontinent gegenwärtig erfährt. Die deutsche und europäische Politik sind angesichts anhaltender Flucht- und Migrationsbewegungen aus verschiedenen Teilen Afrikas erheblich unter Druck geraten. Die gerade begonnene Afrikareise von Bundeskanzlerin Angela Merkel steht daher im Zeichen der Flüchtlingspolitik. Es sei eine „strategisch hochwichtige Frage“, wie wir in Zukunft mit unserem afrikanischen Nachbarkontinent umgehen, erklärte die Kanzlerin in der vergangenen Woche. Entwicklungsminister Müller fordert einen „Marshallplan“ für Afrika. Finanzminister Schäuble will im Rahmen der deutschen G20-Präsidentschaft 'Compacts' mit afrikanischen Ländern schließen, um Investitionen zu erhöhen. Die Zeit, in der Afrika jenseits der Entwicklungspolitik ein politisches Randthema war, scheint damit vorbei zu sein. Dieses gewachsene Interesse an der Kooperation mit Afrika lässt sich nur zum Teil durch die Diskussionen zu Flucht und Migration erklären. So hat das wirtschaftliche Interesse an der Kooperation aufgrund von stetigem Wirtschaftswachstum in Afrika seit 2000 zugenommen. Daneben gibt es ein stärkeres Bewusstsein, dass nachhaltige Entwicklung in Deutschland und Europa sehr eng mit nachhaltiger Entwicklung in Afrika zusammenhängen. Wie die Kanzlerin vor ihrer Abreise betonte: „Wenn wir deutsche Interessen verfolgen wollen, müssen wir realistischerweise sagen, dass auch das Wohl Afrikas im deutschen Interesse liegt.“ Neben Mali und Niger wird Kanzlerin Merkel die Afrikanische Union (AU) in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba besuchen. In Mali beteiligen sich deutsche Soldaten an verschiedenen Missionen zur Stabilisierung des Landes. Durch Niger führen wichtige Transitstrecken für Flüchtlinge und Migranten. In Äthiopien wird Merkel vermutlich v.a. die AU besuchen, da die äthiopische Regierung nun den Ausnahmezustand ausgerufen hat, nachdem bei monatelangen Protesten hunderte Demonstranten durch den unverhältnismäßigen Einsatz der Sicherheitskräfte ums Leben gekommen sind. Nach ihrer Rückkehr wird sie zudem noch die Staatsoberhäupter von Tschad und Nigeria in Berlin treffen. Der Aufbau besserer Lebensbedingungen und die Reduzierung von Fluchtursachen wie Repression und Bürgerkriege sind keine kurzfristig erreichbaren Ziele. Schnelle Lösungen, die die Zahl der nach Europa drängenden Menschen rasch abnehmen lässt, sind nicht möglich, wie auch die Kanzlerin betonte. Wichtige Orientierungspunkte für deutsche Afrikapolitik sollten sein: Eine Kombination aus kurz- und längerfristig angelegten Kooperationsansätzen ist ein wichtiger Beitrag, um Herausforderungen in fragilen und post-Konflikt Ländern zu begegnen. Zu Recht betont die Kanzlerin gleichermaßen die Rolle der Entwicklungszusammenarbeit, die eher langfristige Perspektiven hat, und die auf kurzfristige Unterstützung ausgerichtete humanitäre Hilfe. Für beide Bereiche mehr Mittel sinnvoll einzusetzen, ist daher eine kluge Investition in die Zukunft. Insbesondere in autoritär geführten Ländern stellt sich die Frage nach angemessenen Kooperationsstrategien. In einigen Ländern wie Ghana, Mauritius oder zuletzt Nigeria haben sich demokratische Strukturen gefestigt. In der Mehrheit der Länder ist der Grad der politischen Freiheiten seit 2005 zurückgegangen, etwa in Äthiopien. Studien belegen, dass Demokratieförderung einen wichtigen Beitrag leisten und bspw. in Nachkriegsländern, die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Konfliktausbruches reduzieren kann. Die Bundesregierung sollte daher die Förderung nachhaltiger Wirtschaftsentwicklung und sicherheitspolitische Kooperation sehr eng mit Demokratieförderung verknüpfen. Die Stärkung regionaler Organisationen ist in der Kooperation mit Afrika sehr wichtig, sowohl um Frieden und Sicherheit als auch sozio-ökonomische Entwicklung zu fördern. Europa hat zuletzt vermehrt auf bilaterale Kooperation gesetzt (beispielsweise bei den EU-Migrationspartnerschaften, die auch bei der Reise der Kanzlerin ein wichtiges Thema sind). Die AU und andere Regionalorganisationen sollten jedoch weiter wichtige Partner bleiben. Der Besuch der Kanzlerin bei der AU ist deshalb ein richtiges Zeichen. Ein gemeinsames Auftreten und Wirken der europäischen Partner ist unabdingbar. Zum einen gilt es, Kräfte in der Kooperation gemeinsam einzusetzen, um mehr Wirkungen zu erzielen. Beispielsweise in der Entwicklungszusammenarbeit, in der Förderung von Frieden und Sicherheit oder von Demokratie und Menschenrechten müssen die EU und ihre Mitgliedsstaaten stärker an einem Strang ziehen. Zum anderen sind vielfach afrikanische Partner durch die zersplitterten Kooperationsansätze unnötig belastest. Auch hier sollte Deutschland weiter eine konstruktive Rolle bei der besseren Verzahnung u.a. der EU-Entwicklungszusammenarbeit spielen. Die Reise der Kanzlerin ist ein positives Signal für die Stärkung der Kooperation mit afrikanischen Ländern. Allerdings wird nachhaltige Entwicklung in Afrika auch durch Politik innerhalb von Deutschland und Europa beeinflusst. Deutsche und europäische Konsummuster und Produktionsstandards, Energie- und Klimapolitik, Agrarpolitik oder Steuer- und Finanzpolitik haben maßgeblichen Einfluss auf nachhaltige Entwicklungschancen in Afrika. Im Sinne der Nachhaltigen Entwicklungsziele fängt erfolgreiche deutsche und europäische Afrikapolitik daher 'zu Hause' an.

Müssen wir den Freihandel überdenken?

Wed, 28/09/2016 - 13:29
Bonn, 04. Oktober 2016. Sigmar Gabriel hat jüngst die Transatlantische Partnerschaft (TTIP) für gescheitert erklärt und auch das kanadische Abkommen CETA schlägt hohe Wellen. Die Skepsis an Freihandelsabkommen ist auf einem historischen Hoch. Und nicht nur das. Auch die Zustimmung zu freiem Handel generell sinkt und Globalisierungskritiker in weiten Teilen der Welt bekommen Aufwind – sogar unter ehemaligen Freihandelschampions wie Deutschland. Wie kann man diese Trends erklären?

Erstens: Handelsregeln dringen immer weiter in sensible nationale Politikbereiche vor. In Deutschland und der EU steht vor allem im Fokus der Debatte: Neuere Handelsregeln gehen häufig weit über den Abbau von Zöllen hinaus und betreffen auch Themen wie Verbraucher- und Umweltschutz. Durch TTIP sollen beispielsweise Standards, die sich zwischen den USA und der EU unterscheiden, durch regulatorische Kooperation angeglichen werden. Einigen sich die Verhandler auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, ginge das zu Lasten dieser Standards. Obwohl führende Politiker betonen, dass europäische Standards nicht gesenkt werden sollen – die Befürchtungen der Zivilgesellschaft sind massiv. Verbraucher- und Umweltschutz sollte in den Verhandlungen ernst genommen werden und nicht wirtschaftlichen Interessen zum Opfer fallen. Handelsabkommen sollten vielmehr dazu genutzt werden, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Sinne des globalen Gemeinwohls zu reformieren. Doch auch bei den klassischeren Fragen der Handelspolitik gibt es Raum für Diskussionen – nicht zuletzt aus der Perspektive der Entwicklungsländer.

Zweitens: Die positiven Auswirkungen des Freihandels sind hinter den Erwartungen einiger Länder zurückgeblieben.

Seit langem gelten Exporte als Wachstumsmotor. Die verstärkte globale Fragmentierung der Produktion bietet den Verfechtern der Marktliberalisierung ein weiteres stichhaltiges Argument: Um in globalen Wertschöpfungsketten wettbewerbsfähig zu sein, müssen auch importierte Zwischengüter kostengünstig verfügbar sein – eine klare Absage an Importzölle und den Schutz heimischer Industrien. Tatsächlich bieten globale Wertschöpfungsketten gerade für Entwicklungsländer große Chancen: Durch die Verwendung ausländischer Zwischenprodukte können sie die Teile des Produktionsprozesses übernehmen, die sie am besten her- oder bereitstellen können – ohne selbst eine ganze Industrie aufbauen zu müssen. Allerdings sind viele Entwicklungsländer vor allem in Niedriglohnsegmenten aktiv, z.B. dem Zusammennähen von Textilien. Kritiker betonen, dass der Freihandel Entwicklungsländer in ihrem aktuellen komparativen Vorteil, z.B. dem Export von Rohstoffen und dem einfachen Zusammenbauen importierter Zwischengüter, gefangen hält und dass Handels- und Investitionsabkommen ein „Upgrading“ zu höherwertigen Gütern und komplexeren Produktionsschritten erschweren. Es ist deshalb wichtig, eine Balance zu finden zwischen dem Abbau von Handelsbarrieren und der Wahrung eines gewissen Politikspielraums zur Umsetzung nationaler Entwicklungsstrategien.

Drittens: Nicht alle Menschen haben vom Freihandel profitiert. Freihandel führt zu Veränderungen der Wirtschaftsstruktur: Spezialisieren Länder sich gemäß ihres komparativen Vorteils, werden diejenigen Sektoren wachsen, die die relativ günstigeren Produktionsfaktoren intensiv einsetzen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Arbeitsplätze dort verloren gehen, wo Produktionsschritte günstiger im Ausland durchgeführt werden können – z.B. das Zusammenbauen des iPhones in China. Die effizientere Verteilung von Produktion bringt also Gewinner und Verlierer hervor. Gleichzeitig sorgt sie für niedrigere Preise, die allen Konsumenten zu Gute kommen. Jüngste Forschungsergebnisse zeigen allerdings, dass die armen Bevölkerungsschichten aufgrund unterschiedlicher Konsummuster weniger vom Freihandel profitiert haben als die reichen. Die Preise von Gütern und Dienstleistungen, die vornehmlich von reicheren Bevölkerungsschichten konsumiert werden, sind stärker gefallen als zum Beispiel von Agrarprodukten, für die die ärmere Bevölkerung einen großen Anteil ihres Einkommens aufwendet. Unterm Strich gilt jedoch: Der Wohlfahrtsgewinn durch Freihandel ist groß genug, dass die Gewinner die Verlierer kompensieren und am Ende alle profitieren könnten. In Zukunft sollten den unterschiedlichen Auswirkungen des Freihandels besser Rechnung getragen und angemessene Politikmaßnahmen diskutiert werden.

Der Freihandel war in den letzten Jahrzehnten ein wichtiger Treiber ökonomischer Entwicklung. Wir sollten ihn in Zeiten von düsteren weltwirtschaftlichen Wachstumsprognosen nicht begraben. Aber wir brauchen eine neue Form des Freihandels. Einen Freihandel, der einer zum Teil berechtigten Kritik Sorge trägt. Damit das gelingt, sollte der internationale Handel auch im Einklang mit den globalen Nachhaltigkeitszielen stehen – ökonomisch, sozial und ökologisch. Die G20 ist ein wichtiger Akteur, um dieses Ziel umzusetzen.

Der UN-Gipfel zu Flucht und Migration: Warme Worte – und sonst?

Mon, 26/09/2016 - 09:25
Bonn, 26.09.2016. Angesichts von über 65 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen weltweit befassten sich am vergangenen Montag die Vereinten Nationen auf einem eigenen Gipfel mit großen Flucht- und Migrationsbewegungen. In ihrer „New Yorker Erklärung“ bekennen sich die UN-Mitgliedsstaaten zu einer stärkeren Unterstützung der Staaten, die besonders viele Flüchtlinge aufnehmen, zu einem besseren Schutz der Rechte von Flüchtlingen und Migranten sowie zu verbesserten Integrationsmaßnahmen – all das freilich ohne rechtliche Verbindlichkeit. Nicht wenige Kritiker betrachten den UN-Gipfel deshalb lediglich als einen „Gipfel der warmen Worte“ und Absichtserklärungen, der aber keinerlei Wirkungen entfalten wird. Der Gipfel ist aber auch Ausgangspunkt zweier Prozesse, einem zu Flucht und einem zu Migration, die in den nächsten zwei Jahren in zwei entsprechende Abkommen münden sollen. Es wäre außerordentlich wichtig, dass diese Abkommen dann tatsächlich einen internationalen Rahmen bilden, um Flüchtlingskrisen besser und fairer zu begegnen und internationale Migration gerechter zu gestalten. Denn bislang gibt es keine globale Regelung zur Steuerung von Migration – und jene für Flüchtlinge funktioniert nicht.  Die Genfer Flüchtlingskonvention gehört zu den ältesten Errungenschaften der Vereinten Nationen. Unter dem Eindruck millionenfacher Flucht und Vertreibung in Europa einigte sich die internationale Gemeinschaft 1951 auf verbindliche Regeln für den Umgang mit Menschen, die aus politischen Gründen vertrieben wurden. Doch das so etablierte globale Flüchtlingsregime lieferte schon damals keine Antwort auf große kriegsbedingte Massenbewegungen, wie sie etwa die indische Teilung 1947 nach sich zog. Der große Zuwachs an Geflüchteten in den letzten Jahren hat diese Schwächen besonders deutlich gemacht. So sind die Lasten bei der Aufnahme der Flüchtlinge äußerst ungerecht verteilt. Eine Handvoll zumeist eher armer Länder – wie Jordanien, Pakistan oder Äthiopien – hat über die Hälfte der derzeit etwa 21 Millionen internationalen Flüchtlinge weltweit aufgenommen. Die meisten von ihnen leben schon seit Jahren außerhalb ihrer Herkunftsländer. Umso bitterer ist es, dass sich die allermeisten Staaten dauerhaften Lösungen, die die Lebenssituation und die Perspektiven der Flüchtlinge maßgeblich verbessern würden, verweigern. Eine reguläre Integration wird den Geflüchteten oft verweigert. Die Größenordnungen der Umsiedlungen sind kaum der Rede wert: So wurden nicht einmal 5.000 der in 2015 anvisierten 160.000 Flüchtlinge innerhalb der EU umgesiedelt, um dadurch vor allem Italien und Griechenland zu entlasten. Die Unterstützung von Flüchtlingen in den Hauptaufnahmeländern ist zudem geprägt von chronischer Mittelknappheit, starker Konkurrenz der UN-Organisationen untereinander, mangelhafter Einbindung lokaler Organisationen und einer unzureichenden Verknüpfung mit Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit. Noch schwieriger stellt sich die Lage für die rund 180 Millionen internationalen Migrantinnen und Migranten dar, die ihr Land nicht als Flüchtlinge vor Bedrohung und Gewalt verlassen haben, sondern auf der Suche nach neuen Lebensperspektiven für sich oder ihre Angehörigen zu Hause, etwa durch Rücküberweisungen. Im Gegensatz zum Flüchtlingsregime, aber auch zu vielen anderen globalen Themen wie dem Weltklima, dem Welthandel oder dem internationalen Postverkehr, gibt es keinen globalen Rahmenvertrag für eine Steuerung von Migration zwischen Staaten. Die globale Migrationsgovernance ist ein Flickenteppich aus regionalen Abkommen und den Mandaten unterschiedlicher internationaler Organisationen, die das Thema Migration nur in Teilaspekten berühren. Auch wenn sich in den letzten 20 Jahren die Wahrnehmung des Migrationsthemas gewandelt hat und Migration heute von den meisten Experten grundsätzlich positiv und als Chance für Entwicklung gesehen wird, leben viele internationale Migranten unter sozial, wirtschaftlich und rechtlich prekären Bedingungen. Versuche in der Vergangenheit, zumindest rechtliche Mindeststandards zu etablieren, scheiterten stets am Widerstand vor allem der Industrienationen. Eine zuletzt in vielen Ländern zu beobachtende Zunahme von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus verschärft die Lage zusätzlich. Doch es gibt erste kleine Schritte für eine bessere globale Steuerung von Flucht und Migration: Die Vereinten Nationen haben auf dem New Yorker Gipfel die Internationale Organisation für Migration (IOM), die zentrale Organisation für Migrationssteuerung zwischen Staaten, in das UN-System aufgenommen. Auch hat die Staatengemeinschaft nach US-Angaben dieses Jahr bereits 4,5 Milliarden US-Dollar mehr als 2015 für die Flüchtlingshilfe zur Verfügung gestellt. Diese und weitere kleine Schritte werden notwendig sein, um bis 2018 den Boden für weiterreichende internationale Abkommen zu bereiten. Dabei wird man wohl Pragmatismus walten lassen müssen, wenn unter dem Leitbild einer geteilten internationalen Verantwortung weitere Fortschritte erreicht werden sollen. Manche Staaten, wie Australien, Ungarn oder Polen, werden ihre ablehnende Haltung zur Aufnahme von Flüchtlingen einstweilen kaum aufgeben. Doch wenn diese Länder zumindest zu einer adäquaten und regelmäßigen finanziellen Beteiligung an der Flüchtlingshilfe verpflichtet werden könnten, wäre schon ein nächster Schritt getan.

Jörn Grävingholt und Benjamin Schraven sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn.

Umgang mit Autokratien: Helfen die globalen Nachhaltigkeitsziele?

Fri, 16/09/2016 - 14:10
In der Agenda 2030 mit ihren globalen Zielen für Nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) hat die Staatengemeinschaft den Versuch unternommen, universelle Governance-Standards zu definieren. Das Ziel 16 – welches „effektive, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen” sowie „partizipative Entscheidungsfindung” fordert – birgt das Potenzial, sich zu einer nützlichen Richtlinie für internationales Handeln gegenüber politischen Regimen jedweder Couleur zu entwickeln. Von „Good Governance“ zu SDG 16 Lange Zeit gab es keinen allgemein gültigen Standard, an dem staatliche politische Prozesse gemessen werden konnten, lediglich auf regionaler Ebene, wie z.B. in der Afrikanischen Union. Auf die Begriffe Governance und Good Governance berief sich die internationale Politik zwar hauptsächlich in der Demokratieförderung oder in der Diskussion um die Bereitstellung öffentlicher Güter. Die Grundidee war hier zum einen, dass bestimmte Prinzipien wie die Universalität der Menschenrechte oder Rechenschaftslegung unterstützt werden. Jedoch sollten keine vorgefertigten politischen Modelle gefördert werden („no blueprints“). Doch zum anderen stellte die Governance-Förderung darauf ab, dass diese öffentlichen Güter wie zum Beispiel Gesundheitsversorgung, Bildung oder Umweltschutz sowohl von staatlichen als auch nichtstaatlichen, insbesondere privatwirtschaftlichen, Akteuren bereitgestellt werden. Durch diesen Fokus auf Public-Private-Partnerships wurde die Diskussion um universell gültige Standards der Politikgestaltung vermieden. Während die allgemeine Idee von Public-Private-Partnerships durch SDG 17 gestärkt wird („multi-stakeholder cooperation“), spricht SDG 16 explizit an, wie staatliche Institutionen und politische Prozesse organisiert werden sollen. Damit geht SDG 16 über die Idee von „Good Governance“ hinaus und bezieht sich direkt auf die Art und Weise wie politische Prozesse gestaltet werden sollen. SDG 16 formuliert, dass (politische) Institutionen „auf allen Ebenen“ „effektiv, rechenschaftspflichtig und inklusiv“ sowie Entscheidungsfindung „partizipativ“ stattfinden soll. Somit werden zwei wichtige Dimensionen politischer Systeme (Institutionen und Prozesse) direkt angesprochen. SDG 16 bietet damit eine Grundlage für internationales Handeln bezüglich nationaler politischer Ordnungen, also auch für den Umgang mit autoritären Regimen. Ein wackliges, aber – immerhin – ein Fundament Die Basis für eine internationale Antwort auf autokratische Regierungen mittels der SDGs steht – jedoch auf wackligen Beinen. Denn die Schlüsselbegriffe der „effektiven, rechenschaftspflichtigen und inklusiven Institutionen“ und „partizipativen Entscheidungsfindung auf allen Ebenen“ sind offen für Interpretationen. Diese Mehrdeutigkeit ist nicht per se von Nachteil, denn sie eröffnet die Möglichkeit, unterschiedliche kulturelle und historische Traditionen zu berücksichtigen, ohne die zugrunde liegenden Prinzipien – die sich in den Adjektiven ausdrücken – zu opfern. Ob ein partizipativer Prozess am besten über Kommunalwahlen oder direktdemokratisch über das Abhalten öffentlicher Diskussionen mit Konsensfindung durch traditionelle Autoritäten geschieht, ist dann zweitrangig – solange alle Menschen möglichst diskriminierungsfrei teilhaben können. Alle politischen Akteure – inklusive der Zivilgesellschaft – sind nun gefordert die in SDG 16 angelegten Prinzipien in konkrete Politiken zu übersetzen. Dies ist von autoritären Regierungen kaum zu erwarten. Umso mehr muss sich die Governance-Förderung explizit der Frage stellen wie eine Öffnung politischer Institutionen in autoritären Kontexten auf der Grundlage von SDG 16 erwirkt werden kann. Auslegung – offen und werteorientiert Wenn in der Außen- und Entwicklungspolitik Deutschlands, die eigenen Werte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte nicht verraten werden sollen, muss ein Spagat gelingen: Einerseits müssen politische Strategien offen sein für lokale und kulturell geprägte Umsetzungen der Governance-Prinzipien. Andererseits müssen sie erkennen, wann diese Prinzipien Ungerechtigkeit, Willkür und Ausbeutung verstärken anstatt sie abzubauen. Aufgrund dieser Erkenntnis können dann diejenigen lokalen Kräfte unterstützt werden, welche sich für tatsächlich effektive, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen einsetzen. Das SDG 16 stellt damit keinen klaren Bezugsrahmen für einen entschiedenen und konfliktträchtigen Wandel hin zur weltweiten Einführung der Demokratie dar. Aber es gibt ein substantielles Ziel vor, das lokal angepasst und dessen Erreichen international unterstützt werden kann. Es fordert auf, sich intensiv mit den Gegebenheiten zu beschäftigen, legitime Interessen abzuwägen und schnelle Schlussfolgerungen zu vermeiden. Zum Beispiel wäre die Bekämpfung von religiös motivierten Parallelstrukturen durch die demokratisch gewählte Regierung in der Türkei dabei nicht von vorneherein zu verurteilen – so denn sie nach rechtsstaatlichen Verfahren abläuft („rechenschaftspflichtige Institutionen“). Zu diesem Thema veranstaltet das DIE eine Podiumsdiskussion am 27.09.2016.

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