Der 2018 verabschiedete globale Flüchtlingspakt möchte zur Stärkung der lokalen Integration von Geflüchteten in Zielländern. Ob und wie dies gelingt, wird sich maßgeblich in Städten und Kommunen des globalen Südens entscheiden. Dort hält sich ein Großteil der Geflüchteten auf, gleichzeitig sind Erfolge bei der lokalen Integration stark von (gebietsspezifischen) Interessen und Zielen lokaler Akteure abhängig.
In Subsahara- Afrika fehlen produktive Arbeitsplätze. 84 Prozent der Erwerbsbevölkerung dort sind nur informell beschäftigt, ohne festen Vertrag, kalkulierbares Einkommen und Arbeitsschutz. Insgesamt fehlt 360 Millionen Erwerbstätigen „gute Arbeit“. Durch die wachsende Bevölkerung kommen jedes Jahr 13 Millionen Menschen neu auf den Arbeitsmarkt, Tendenz steigend. Um den riesigen Sockel an informeller Arbeit über eine Generation abbauen zu können und die, die neue Arbeit suchen, zu beschäftigen, müssten jedes Jahr um die 25 Millionen neue Jobs geschaffen werden, die ein menschenwürdiges Auskommen ermöglichen. Gelingt dies nicht, drohen in der Region interne Konflikte, Flucht und Migration von bislang nicht gekanntem Ausmaß. Aber woher soll all diese Arbeit kommen?
Zunächst die gute Nachricht: Viele Länder in Ost-Asien standen noch vor wenigen Jahrzehnten vor den gleichen Herausforderungen. Länder wie Südkorea, Taiwan, Malaysia, Thailand, Vietnam und China haben diese Schwierigkeiten gemeistert. Die Basis ihres Erfolgs legten vor allem arbeitsintensive Exportindustrien, wie Elektronik und Bekleidung. Diese schafften schnell sehr viele Arbeitsplätze, die zwar einfach waren, aber produktiver und besser bezahlt als die vorhandenen Jobs in der Landwirtschaft und im Kleinstgewerbe. Die Erwerbstätigen konnten Ersparnisse bilden und diese in andere Wirtschaftsbereiche investieren. Zugleich entstand Kaufkraft für neue Produkte. Schritt für Schritt diversifizierte sich die Wirtschaft, neue Industrien entstanden, die wiederum nach hochwertigen Dienstleistungen verlangten. Produktivität und Einkommen stiegen auf breiter Basis, auch im ländlichen Raum. Nun die schlechte Nachricht: Ein solcher Strukturwandel findet in Afrika bislang nicht statt. Ein dynamischer Wirtschaftszweig, der massenhaft Arbeitskräfte absorbieren könnte, ist nirgendwo in Sicht.
Nun finden in der Weltwirtschaft gerade tiefgreifende Umbrüche statt: Digitale Technologien revolutionieren Industrie, Handel und Kommunikation. Der Klimawandel zwingt zur Dekarbonisierung. Die Kaufkraft wachsender globaler Mittelschichten und die Bioökonomie treiben den Wert von Agrarflächen in die Höhe. China wird zum Hochlohnland und überlässt die arbeitsintensiven Leichtindustrien ärmeren Ländern. Industrieländer werden protektionistischer, während innerhalb Afrikas eine neue Freihandelszone verabschiedet und grenzübergreifende Infrastruktur ausgebaut wird. Afrikas Bevölkerung zieht vom Land in die Städte. Viele Karten werden also neu gemischt. Aber bieten sich damit neue Chancen für einen massiven Aufschwung „à la Ostasien“?
Analysen des DIE zeigen: Ja, es eröffnen sich neue Chancen für Exporte aus der Region – aber keine hat das Potenzial, millionenfach gute neue Arbeitsplätze zu schaffen. Afrika könnte sich auf Nahrungsmittel für die Welt spezialisieren, indem es Agrarflächen besser nutzt. Dies erfordert jedoch vielfältige Modernisierungsmaßnahmen und muss behutsam gestaltet werden, um sozial inklusiv zu sein. Afrika könnte zudem Energie für die dekarboniserte Weltwirtschaft liefern, basierend auf unschlagbar guten Solar- und Windbedingungen. Ökostrom würde in chemische Energieträger zur Stromspeicherung, in Kraftstoffe zur Mobilität oder Rohstoffe für die Chemieindustrie umgewandelt werden. Verarbeiter könnten an die Stromstandorte gelockt werden. Das Potenzial dieses sogenannten „Power-to-X“ ist riesig, allerdings sind die Industrien nicht arbeitsintensiv. Afrika könnte auch von Chinas steigenden Löhnen profitieren und exportierende Bekleidungsindustrie anlocken. Mit Ausnahme Äthiopiens kann allerdings derzeit noch kein Land mit Asien konkurrieren. Außerdem könnte Afrika Online-Dienstleistungen exportieren – wie es Unternehmen in Nairobi vormachen – oder nachhaltigen Tourismus und Kulturdienstleistungen ausbauen. Aber all dies sind bislang eher Nischenpotenziale.
Weitaus größere Chancen liegen in der Binnennachfrage. Verstädterung, das zeigt die Geschichte, senkt die Pro-Kopf-Ausgaben für staatliche Basisdienstleistungen und macht dadurch die Arbeit produktiver. Innovationen verbreiten sich schneller. Einkommen und Kaufkraft steigen, Lebensstile diversifizieren sich – und damit auch die Wirtschaft. Die ländliche Elektrifizierung, heute dezentral durch erneuerbare Energien kostengünstiger, wirkt in ähnlicher Weise dynamisierend. Wenn die Panafrikanische Freihandelszone AfCFTA wie geplant umgesetzt wird, schafft sie attraktive Marktgrößen für afrikanische Unternehmen. Digitale Technologien erleichtern Transaktionen.
Die Länder der Region benötigen Zukunftsprogramme für einen inklusiven Strukturwandel. Einerseits, um die Potenziale der Binnennachfrage strategisch für lokale Arbeitsmärkte zu nutzen – die boomende Bauwirtschaft, die Konsumgüternachfrage der Mittelschichten, die ländliche Elektrifizierung – anstatt das Gros der Vorleistungen zu importieren. Andererseits, um neue Exportchancen frühzeitig zu identifizieren und zu Wachstumsmotoren auszubauen: Agrarprodukte für Asiens Mittelschichten, Power-to-X für Europa, online-Dienstleistungen, den Tourismus, die Bekleidungsindustrie. Diese Potenziale sind von Land zu Land sehr unterschiedlich. Kluge Strukturpolitik besteht darin, Märkte der Zukunft zu antizipieren und für die eigenen Arbeitsmärkte zu nutzen.
Policy science has developed various approaches, such as agenda-setting and goal-setting theory, aimed at explaining the emergence of policy shifts and behavioural changes. The 2030 Agenda sets an ambitious vision for human development in times of global environmental change and makes for an interesting subject to study the explanatory power of these approaches. While the Sustainable Development Goals (SDGs) enshrined in the 2030 Agenda resulted from a process of intergovernmental negotiations, they will ultimately have to be implemented by national governments. Using the case of Mexico, we take the governance of water as a starting point to investigate whether the 2030 Agenda has indeed become a focusing event for sustainability transformation. Building on data from 33 expert interviews and findings of a Social Network Analysis of communications between water stakeholders from different sectors in the Cuautla River Basin, we conclude that major paradigm shifts in water governance in Mexico are thus far rather attributable to domestic focusing events and windows of opportunity than to the motivating impact of globally set goals. The Mexican case also illustrates that the implementation of the 2030 Agenda is strongly dependent on political will at the highest level. Ensuring the continuity of its implementation across administrations will, therefore, require mainstreaming and anchoring the SDGs into the sectorial strategies that determine activities at the lower working level of government.
The negotiations for the next EU budget are in full swing. Between now and the end of 2020 the EU must come to a conclusion on how much money it seeks to spend over the next seven years. Yet, Member States, the Commission, and Parliament are still divided both on the overall spending ceilings and the funds' distribution. In this blog post we outline the biggest challenges standing in the way of a successful outcome to the ongoing negotiations.
The role of the state as an agent of earth system governance has become more complex, contingent, and interdependent. − Although participatory and collaborative processes have contributed to more effective, equitable, and legitimate environmental governance outcomes in some instances, analyses of these processes should be situated within a broader governance perspective, which recasts questions of policy change around questions of power and justice. −The complexity and normative aspects of agency in earth system governance requires new forms of policy evaluation that account for social impacts and the ability of governance systems to adapt. − Many of the core analytical concepts in ESG–Agency scholarship, such as agency, power, authority, and accountability, remain under-theorized. In addition, some types of actors, including women, labor, non-human agents, those who work against earth system governance, and many voices from the Global South, remain largely hidden. − ESG–Agency scholars need to develop research projects and collaborations in understudied regions while also recruiting and supporting scholars in those regions to engage with this research agenda.
SG–Agency scholars have embraced the notion that agent influence is complex, contingent, and context dependent, with the success of environmental governance depending considerably on propitious environmental and social conditions. − Scholars have shifted from an earlier focus on how agents influence behaviours and environmental quality in earth system governance to how they influence governance processes, with increasing focus on democracy, participation, legitimacy, transparency, and accountability. − ESG–Agency scholars employ increasingly diverse methods to integrate insights from case studies, interviews, surveys, statistical analyses, and other approaches leading to deeper and more nuanced understanding of agency in earth system governance. − Adopting more interdisciplinary, multidisciplinary, and transdisciplinary approaches to evaluating agency can foster future understandings of and contributions to earth system governance.
Agency is one of five core analytical problems in the Earth System Governance (ESG) Project’s research framework, which offers a unique approach to the study of environmental governance. − Agency in Earth System Governance draws lessons from ESG–Agency research through a systematic review of 322 peer-reviewed journal articles published between 2008 and 2016 and contained in the ESG–Agency Harvesting Database.− ESG–Agency research draws on diverse disciplinary perspectives with distinct clusters of scholars rooted in the fields of global environmental politics, policy studies, and socio-ecological systems. − Collectively, the chapters in Agency in Earth System Governance provide an accessible synthesis of some of the field’s major questions and debates and a state-of-the-art understanding of how diverse actors engage with and exercise authority in environmental governance.
Am 22. Januar 2019 unterzeichneten Frankreich und Deutschland den Vertrag von Aachen. 56 Jahre nach dem Elysée-Vertrag bekräftigten die beiden Länder darin ihre Unterstützung für Multilateralismus, nachhaltige Entwicklung und Entwicklungszusammenarbeit.
Trotz der zum Ausdruck gebrachten Ambitionen bietet die Unterzeichnung des Vertrags auch einen Denkanstoß: inwieweit führen derartige Abkommen tatsächlich zu gemeinsamen operativen Ansätzen und wie wirken sie sich auf die deutsch-französische Zusammenarbeit aus?
Um diese Frage zu beantworten, analysiert dieses Papier die Hindernisse für eine engere deutsch-französische Zusammenarbeit für eine nachhaltige internationale Entwicklung. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie auf höchster Ebene Vereinbartes in der politischen Koordination und Projektdurchführung umgesetzt wird. Die Analyse basiert auf rund 20 Interviews mit Vertretern deutscher und französischer Ministerien, Durchführungsorganisationen und Think Tanks. Sie kommt zu dem Schluss, dass die politische Koordinierung die größte Herausforderung darstellt.
Das Papier benennt drei wesentliche Hindernisse: leicht abweichende strategische Visionen; eine mangelnde Kompatibilität der institutionellen Strukturen hinsichtlich des Spezialisierungsgrades und der Mandate der für Entwicklungszusammenarbeit zuständigen Ministerien sowie der Beteiligung der Durchführungsorganisationen an der strategischen Entscheidungsfindung; und kulturelle Besonderheiten wie Kommunikationsformen und Zeitmanagement.
Das Papier formuliert fünf Empfehlungen:
Le 22 janvier 2019, la France et l'Allemagne ont signé le traité d'Aix-la-Chapelle. Cinquante-six ans après le traité de l’Elysée, les deux pays y rappellent leur soutien au multilatéralisme, au développement durable et aux politiques de coopération et de développement.
Malgré les ambitions exprimées dans ce document, la signature du traité appelle à la réflexion : dans quelle mesure ce type d’accord se traduit-il par des approches opérationnelles communes et des impacts réels sur la coopération franco-allemande ? Pour répondre à cette question, ce Briefing Paper analyse les obstacles au renforcement de la coopération franco-allemande dans le domaine du développement durable international. L’étude se concentre sur la manière dont ces engagements sont déclinés au niveau de la coordination politique et de la mise en œuvre des projets. L’analyse se fonde sur une vingtaine d’entretiens avec des représentants de ministères, d’agences de développement et de think tanks allemands et français. L’étude conclut que c’est au niveau de la coordination politique que les choses se compliquent le plus.
Trois principaux facteurs de blocage y sont identifiés : des visions stratégiques légèrement divergentes ; une incongruence entre structures institutionnelles liée aux degrés de spécialisation et mandats des ministères en charge du pilotage de l’aide, ainsi qu’au niveau d’implication des agences dans la prise de décisions stratégiques ; et des particularités culturelles, liées aux habitudes de communication et à la gestion du temps.
Cinq recommandations sont proposées :
On 22 January 2019, France and Germany signed the Aachen Treaty. Therein, 56 years after the Elysée Treaty, re-emphasising their support for multilateralism, sustainable development and development cooperation.
Despite the ambitions expressed in this document, the signing of the Treaty calls for reflection: to what extent does this type of agreement indeed lead to joint operational approaches and have a real impact on French–German cooperation?
To answer this question, this Briefing Paper analyses the obstacles to a closer French–German cooperation in the field of sustainable international development. It focuses on how these commitments are put into practice at the level of political coordination and project implementation. The analysis is based on about 20 interviews with representatives of French and German ministries, development agencies and think tanks. It finds that things get most complicated at the level of political coordination.
Three main obstacles are identified: slightly diverging strategic visions; an incompatibility between institutional structures concerning the degree of specialisation and the mandates of the ministries responsible for steering aid, as well as the degree to which development agencies are involved in strategic decision-making; and cultural particularities regarding communication and time management. Five recommendations are proposed:
Le contrat social est un concept clé des sciences sociales por¬tant sur les relations entre l’État et la société. Il renvoie à l’en-semble des accords explicites ou implicites intervenant entre tous les groupes sociaux concernés et le souverain (c.-à-d. le gouvernement ou tout autre acteur au pouvoir), définissant leurs droits et obligations mutuels (Loewe & Zintl, à paraître).
L’analyse des contrats sociaux permet de mieux comprendre : (i) pourquoi certains groupes sociaux sont mieux positionnés que d’autres sur les plans social, politique ou économique, (ii) pourquoi certains se révoltent et revendiquent un nouveau contrat social et, par conséquent, (iii) ce qui peut amener un pays à sombrer dans un conflit violent. En outre, le concept montre en quoi les interventions étrangères peuvent influer sur les relations entre l’État et la société en renforçant la position du souverain ou celle de groupes sociaux donnés. Il montre que l’inclusion insuffisante de certains groupes peut provoquer une fragilité de l’État, des déplacements et des migrations.
Cependant, jusqu’à présent, aucune définition convenable ni aucune expression concrète n’ont encore été données au terme « contrat social » – au détriment de la recherche et de la coopération internationale. Ce type d’approche analytique structurée des relations entre l’État et la société est impératif, tant dans la recherche que dans la politique, dans la région MENA et au-delà. Le présent document d’information définit un cadre, suggérant une analyse de (i) la portée des contrats sociaux, (ii) leur substance et (iii) leur dimension temporelle.
Après l’indépendance, les gouvernements de la région MENA ont établi un type de contrat social spécifique avec les citoyens, essentiellement basé sur la redistribution des ren¬tes. Ils ont permis aux citoyens d’accéder à l’énergie et aux denrées alimentaires à prix subventionnés, à une éducation
publique gratuite et à des emplois dans la fonction publique, en contrepartie de la reconnaissance tacite de la légitimité des régimes politiques, et ce malgré un manque de participation politique. Mais face à la croissance démographique et à la baisse des recettes publiques, certains gouvernements n’ont plus pu s’acquitter de leurs obligations et ont concentré leurs dépenses sur des groupes d’importance stratégique, subordonnant l’octroi de ressources à l’assentiment politique.
Les soulèvements de 2011 dans de nombreux pays arabes expriment alors une insatisfaction profonde vis-à-vis des contrats sociaux qui n’assuraient plus ni la participation à la vie politique, ni l’octroi d’avantages sociaux substantiels (au moins pour une grande partie de la population).
À la suite, les pays de la région MENA ont pris des directions différentes. La Tunisie a déjà avancé vers un dé-veloppement plus inclusif et une participation politique accrue. Le Maroc et la Jordanie essaient de rétablir certains volets de leur ancien contrat social, sur la base d’un modèle paternaliste, sans participation substantielle. Dans le contrat social émergeant en Égypte, le gouvernement ne promet pas plus que la sécurité individuelle et collective, et uniquement en contrepartie d’un assentiment politique total. La Libye, le Yémen et la Syrie sont tombés dans la guerre civile sans qu’aucun nouveau contrat ne se dessine au niveau national, et l’Irak se bat pour en établir un. Et les mouvements de fuite et de migration affectent également les contrats sociaux de pays voisins comme la Jordanie, la Turquie et le Liban.
Tous les pays de la région MENA devront œuvrer à la mise en place de nouveaux contrats sociaux aux fins de réduire l’instabilité actuelle et favoriser leur reconstruction physique. Le présent document propose un point sur la dimension conceptuelle de la renégociation de ces contrats et leur importance pour la coopération internationale avec ces pays.
Überall auf der Welt suchen Regierungen verzweifelt nach Mitteln zur Finanzierung von Sozialpolitik, öffentlicher Infrastruktur und Entwicklungsprojekten. Doch dieselben Regierungen verzichten regelmäßig auf bedeutende Steuereinnahmen, indem sie Investoren Steuervergünstigungen gewähren, für den Konsum bestimmter Güter und Dienstleistungen niedrigere Umsatzsteuersätze festsetzen, bestimmte Gruppen von Energiesteuern befreien etc. Es handelt sich um Ausnahmen von der normalen Besteuerung (sogenannte Steuerausgaben, englisch „tax expenditures“), die eine bestimmte Branche, Aktivität oder Personengruppe begünstigen.
Diese Ausnahmen sind keine Kleinigkeiten. Allein für die Vereinigten Staaten wird geschätzt, dass die dortige Bundesregierung im Jahr 2019 auf mehr als 1,3 Billionen USD verzichtet hat. Das entspricht nach Angaben des US-Finanzministeriums circa 29 Prozent der direkten Bundesausgaben und etwa sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Auch wenn vorliegende Schätzungen in ihrer Reichweite begrenzt sind, zeigen sie, dass die Steuerausgaben in Lateinamerika zwischen 0,7 und 6,6 Prozent des BIP und in Afrika zwischen 0,6 und 7,8 Prozent des BIP liegen.
Die tatsächlichen Zahlen können deutlich höher liegen, denn kaum eine Regierung gibt ein umfassendes Bild über die gewährten Vergünstigungen und die damit verbundenen Einnahmenausfälle. Häufig berufen sich Regierungen auf gute Gründe, um Steuerausgaben zu rechtfertigen. Dazu gehört, Investitionskapital aus dem Ausland anzuwerben, Innovation und Beschäftigung zu fördern oder den Zugang zu Grundbedarfsgütern zu erleichtern. In den meisten Fällen wissen die Regierungen jedoch nicht, ob die Steuerausgaben die erklärten Ziele erreichen und, noch wichtiger, ob ihr Nutzen tatsächlich größer ist als die Kosten, die sie verursachen.
Eine aktuelle Analyse der 43 Volkswirtschaften der G20 und der OECD zeigt, dass acht Länder in den vergangenen zehn Jahren keine Steuerausgaben offengelegt haben. 26 haben einfache Berichte veröffentlicht, und nur neun Regierungen haben regelmäßig detaillierte und umfassende Berichte publiziert. Noch trüber ist das Bild in Afrika, der Region mit der höchsten Anzahl von Ländern mit niedrigem oder niedrigem mittleren Einkommen. Von den 53 afrikanischen Ländern, die vom Team der Global Tax Expenditures Database (GTED) untersucht wurden, haben zwischen 2000 und 2019 nur 19 mindestens einmal einen Bericht veröffentlicht. Die übrigen 34 Länder haben in diesem Zeitraum keine Berichte öffentlich gemacht. Die GTED ist ein Gemeinschaftsprojekt von Think Tanks und Forschungseinrichtungen aus Europa, Asien, Afrika und Lateinamerika unter der Leitung des Council on Economic Policies (CEP) und des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE). Das Hauptziel des Projekts ist es, die Transparenz zu erhöhen, vertrauenswürdige Informationen zu generieren und die Forschung im Bereich der Steuerausgaben auszubauen. Die GTED wird mit offiziellen Daten der Regierungen weltweit in einem einheitlichen Format erstellt, um die internationale Vergleichbarkeit zu erhöhen.
Die von den 19 afrikanischen Ländern vorgelegten Berichte sind in Qualität und Umfang sehr unterschiedlich. Marokko und Côte d'Ivoire ragen durch die Breite der Informationen heraus, die ihre Berichte bieten. Die meisten anderen Länder liefern dagegen nur aggregierte Schätzungen der Einnahmeausfälle, entweder auf der Ebene der Bemessungsgrundlage oder auf der Ebene der Haushaltskategorie. Es fehlen genaue Informationen zu einzelnen Vergünstigungen, die für Kosten-Nutzen-Analysen und die Bewertung der Wirksamkeit und Effizienz dieser Maßnahmen erforderlich wären. Diese Art von Informationen ist nicht nur für die politischen Entscheidungsträger von Bedeutung. Sie ist auch wichtig, um Transparenz und Rechenschaftslegung gegenüber der Gesellschaft zu erhöhen.
Aus Gründen der Transparenz und politischen Debatte müssen Berichte über Steuerausgaben öffentlich sein. Im Idealfall sind sie mit dem Haushalt verknüpft oder auf offenen und leicht zugänglichen Websites oder Repositorien der Regierung zu finden. Verweise auf solche Berichte in amtlichen Mitteilungen sollten Informationen darüber enthalten, wo sie zu finden sind. Da aber die überwiegende Mehrheit der Regierungen ihre Steuerausgaben nicht vollständig ausweist, kann die Öffentlichkeit nicht diskutieren, ob diese Vergünstigungen sinnvoll sind. Wissenschaftliche Forschung kann ihre Wirkung im Hinblick auf Verteilung, Investitionen oder Marktverzerrungen nicht beurteilen, und Parlamente können nicht beschließen, jene Steuerausgaben zu streichen, die eindeutig nicht die gewünschte Wirkung erzielen. Es ist daher von großer Bedeutung, dass in der internationalen Steuerzusammenarbeit gemeinsame Standards bei der Berichterstattung über Steuerausgaben diskutiert und die Regierungen weltweit ermutigt werden, diese anzuwenden, wie es beispielsweise die Think20-Task Force für Handel, Investitionen und Steuern vorschlägt.
Christian von Haldenwang ist Senior Researcher im Forschungsprogramm Transformation politischer (Un-)Ordnung am Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE). Agustín Redonda ist Fellow des Council on Economic Policies (CEP).
The Discussion Paper examines the opportunities that the rising industrial wages in China will bring for Africa. China has been the industrial workbench of the global economy for decades. However, its competitive advantages are waning, particularly for labour-intensive assembly activities in the clothing, shoe, electronics and toy industries. The Chinese government estimates that up to 81 million low-cost industrial jobs are at risk of relocation to other countries - unless China can keep the companies in the country through automation. Against this background, three complementary studies were carried out. The first examines where the automation technology for clothing and footwear production stands today; the second, how clothing companies in China deal with the cost pressure: to what extent they automate, relocate within China or abroad and how great is the interest in Africa as a production location. The third part is devoted to Africa’s competitiveness in clothing assemly, with empirical findings from Ethiopia and Madagascar. The Discussion Paper shows that the manufacture of clothing can already be robotized today, but that for sewing, robotization will probably remain more expensive than manual labor in the next 15-20 years. China’s companies are investing heavily in the automation of all other production processes and at the same time shifting production to neighbouring Asian countries. In Africa, only Ethiopia is currently competitive in the manufacture of clothing, and here too there are significant institutional difficulties in absorbing large amounts of direct investment.
Für die Umsetzung der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung sind enorme Investitionen auf globaler Ebene nötig, dennoch bleiben Entwicklungsländer oftmals von globalen Flüssen ausländischer Direktinvestitionen (ADI) aus-geschlossen. Neben wirtschaftlichen Determinanten, wie Markt¬größe, Infrastruktur oder Arbeitsmärkten, spielen die Vorhersagbarkeit, Effizienz und Transparenz der regulatorischen Rahmenbedingungen eine zentrale Rolle. Steuerliche Anreize und inter¬nationale Investitionsabkommen (IIAs) haben dagegen kaum Auswirkungen auf ADI (Weltbank, 2018). Vor diesem Hintergrund fordern die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und die Aktionsagenda zur Entwicklungsfinanzierung von Addis Abeba einen geeigneten internationalen Rahmen, der Investitionen in Entwicklungsländern befördert und deren Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung stärkt.
In diesem Zusammenhang ist es von Bedeutung, dass im Rahmen der 11. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) im Dezember 2017 eine Ministererklärung verabschiedet wurde, die Aufnahme sogenannter „Structured Discussions“ mit dem Ziel fordert, ein „multilaterales Rahmenwerk für Investment Facilitation zu errichten“. Investment Facilitation ist ein neuer Ansatz, der verschiedene praktische Maßnahmen umfasst, die darauf abzielen, nationale Investitionssysteme transparenter und vorhersehbarer zu machen, die Verfahren für ausländische Investoren zu vereinfachen und die Koordination und Kooperation der wichtigsten Akteure zu verbessern.
Die seit März 2018 laufenden Structured Discussions zeigen, dass eine Reihe von Mitglieder die WTO nachwievor als geeignetes Forum zur Verhandlung neuer Themen sehen. Während es zuvor Industrieländer waren, die vor 20 Jahren in der WTO ein multilaterales Investitionsabkommen durchzusetzen versuchten, geht die Initiative zur Verhandlung eines internationalen Rahmens Investment Facilitation (Investment Facilitation Framework - IFF) heute vor allem von Schwellen- und Entwicklungsländern aus. Viele dieser Länder haben sich in den vergangenen Jahren zu Gast- und Heimatländern für ADI entwickelt. Ihre gestärkte Rolle hat dazu geführt, dass nunmehr praktische Investment Facilitation-Maßnahmen zur Förderung von ADI in Entwicklungsländern auf der Agenda stehen und strittige Punkte, wie die Liberalisierung und der Schutz von Investitionen sowie die Investor-Staat-Schieds¬klauseln außen vor gelassen werden.
Das vorliegende Paper gibt einen Überblick über die Debatte über ein internationales Rahmenwerk für Investment Facilitation. Wir skizzieren vier zentrale Herausforderungen bei der Aushandlung eines Rahmenwerks für Investment Facilitation innerhalb der WTO, das auf eine nachhaltige Entwicklung ausgerichtet ist:
Der Gesellschaftsvertrag ist ein Schlüsselbegriff in der sozialwissenschaftlichen Literatur, der auf die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft fokussiert. Er bezeichnet die Gesamtheit expliziter oder impliziter Vereinbarungen zwischen allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen und dem Souverän (d.h. der Regierung oder einem anderen Machthaber) über wechselseitige Rechte und Pflichten (Loewe & Zintl, forthcoming).
Die Analyse von Gesellschaftsverträgen verdeutlicht u.a. (i) warum einige Gesellschaftsgruppen sozial, politisch oder wirtschaftlich besser gestellt sind als andere, (ii) warum es Revolten und Forderungen nach neuen Gesellschaftsverträgen gibt, (iii) warum also manche Länder in Gewaltkonflikte abgleiten. Zudem zeigt das Konzept, dass externe Akteure die Bezie¬hungen zwischen Staat und Gesellschaft beeinflussen können, indem sie die Regierung oder bestimmte Gesellschafts¬gruppen stärken. Und es verdeutlicht, dass staatliche Fragilität, Flucht und Migration daraus resultieren können, dass Gesellschaftsverträge weniger inklusiv geworden sind.
Trotzdem ist der Begriff Gesellschaftsvertrag bisher weder klar definiert noch operationalisiert worden – zum Nachteil von Forschung und Politik. Ein strukturierter Ansatz zur Analyse der Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft ist überfällig, v.a. im Hinblick auf die MENA-Länder. Im vorliegenden Papier schlagen wir einen Analyserahmen vor, der auf (i) Geltungsbereich, (ii) Inhalt und (iii) zeitliche Dimension von Gesellschaftsverträgen fokussiert.
Nach Erreichen der Unabhängigkeit schlossen die MENA-Regierungen sehr spezifische Gesellschaftsverträge mit ihren Bürgern, die auf der Umverteilung von Renteneinnahmen aus natürlichen Ressourcen, Entwicklungshilfegeldern und anderen Transfers basierten. Sie versorgten die Bürger mit Lebensmittel- und Energiesubventionen, kostenloser Bildung sowie Jobs im öffentlichen Dienst im Gegenzug dafür, dass diese die Legitimität der Regierungen anerkannten, obwohl es fast keine politische Partizipation gab. Aufgrund von wachsender Bevölkerung und sinkenden Staatseinnahmen konnten die Regierungen ihre Aufgaben aber immer weniger erfüllen. Daher konzentrierten sie ihre Ausgaben immer stärker auf strategisch wichtige Gesellschaftsgruppen und machten sie verstärkt von politischer Zustimmung abhängig. Die Aufstände, die sich 2011 in vielen arabischen Ländern ereigneten, können so auch als Ausdruck tiefer Unzufriedenheit mit den damaligen Gesellschaftsverträgen verstanden werden, die keine politische Partizipation, für große Teile der Bevölkerung aber auch kaum noch Sozialleistungen vorsahen.
Seither entwickelten sich die MENA-Länder in verschiedene Richtungen. Tunesien ist auf gutem Weg zu inklusiver Entwicklung und mehr politischer Partizipation. Marokko und Jordanien versuchen, die alten Gesellschaftsverträge – Ressourcenumverteilung ohne nennenswerte Partizipation – wiederherzustellen. Im neuen Gesellschaftsvertrag Ägyptens verspricht die Regierung wenig mehr als individuelle und kollektive Sicherheit, und auch das nur gegen umfassende politische Zustimmung. In Libyen, dem Jemen und Syrien sind Bürgerkriege ausgebrochen, und es besteht keine Aussicht auf einen neuen landesweiten Gesellschaftsvertrag, um den auch der Irak seit 2003 kämpft. Flucht und Migration beeinträchtigen zudem die Gesellschaftsverträge der Nachbarländer Jordanien, Türkei und Libanon.
Alle MENA-Länder entwerfen derzeit neue Gesellschaftsverträge oder sollten dies bald tun, um Stabilisierung bzw. Wiederaufbau zu ermöglichen. Im Folgenden informieren wir über den Stand der konzeptionellen Überlegungen zur Neugestaltung der Gesellschaftsverträge in den MENA-Ländern und deren Bedeutung für die internationale Zusammenarbeit.