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Nachrichten und Pressemitteilungen
Updated: 2 hours 55 sec ago

Claudia Kemfert: „Internationale Energieagentur irrt – Atomenergie hat keine Zukunft“

Thu, 16/01/2025 - 13:17

Die Internationale Energieagentur (IEA) hat eine Studie veröffentlicht, derzufolge sie weltweit ein Comeback der Atomkraft erwartet. Dazu eine Einschätzung von Claudia Kemfert, Energieökonomin und Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin):

Die Internationale Energieagentur irrt. Die angeblichen „Comeback-Indikatoren“ der IEA sind nicht durch Fakten gedeckt. Weltweit ist der Ausbau von Atomkraftwerken weitgehend zum Erliegen gekommen. Die Produktion von Strom aus Atomkraftwerken liegt erstmal seit Jahrzehnten unter zehn Prozent und sinkt weiter. Der Anteil erneuerbarer Energien steigt dagegen stetig an.  

Und der Anteil der Atomenergie an der Stromerzeugung wird weltweit weiter sinken. Bis zum Jahr 2040 gehen rund 200 Atomkraftwerke vom Netz, diesen umfangreichen Abschaltungen stehen aktuell lediglich etwa 53 laufende Neubauprojekte gegenüber. Nur in China gibt es laufende Neubauprojekte, alle anderen zeichnen sich durch Verzögerung in der Planung, Genehmigung und Fertigstellung aus, teilweise mit erheblichem Ausmaß von mehr als zehn Jahren. Zudem sind die Kosten exorbitant hoch und übersteigen oftmals die der Planungen. Atomenergie ist enorm teuer, risikoreich und löst den Bedarf an zusätzlichen Strom nicht. Auch sogenannte Small Modular Reactor (SMR) sind keine Lösung, da sie ebenfalls hohe Kosten, Risiken und Bauzeiten aufweisen würden. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass sie kaum zu realisieren sind, es gibt keine technologischen Durchbrüche, die dies erwarten ließen. Es müssten tausende SMR gebaut werden, um die notwendigen Bedarfe zu decken, das ist im höchsten Maße unrealistisch, teuer und risikoreich. Die Betrachtung aktuell geplanter, im Bau oder in Betrieb befindlicher Anlagen bestätigen, dass Planungs-, Entwicklungs- und Bauzeiten die ursprünglichen Zeithorizonte in der Regel um ein Vielfaches übersteigen. Historische Erfahrungen mit nichtwassergekühlten SMR deuten zudem auf einen langfristigen Rückbau hin. 

Der Anteil der erneuerbaren Energien steigt stetig an, dieser ist zur Abdeckung von zusätzlichem Strombedarf aufgrund der Energiewende oder auch beispielsweise von Rechenzentren ausreichend. Atomenergie kann dazu keinen nennenswerten Beitrag leisten, da sie zu teuer ist, hohe Ausfallzeiten hat und nicht wettbewerbsfähig gegenüber anderen Energien ist, insbesondere der erneuerbaren Energien.  

Die IEA hat sich auch schon in der Vergangenheit oft geirrt. So hat sie beispielsweise den Ausbau erneuerbarer Energien aufgrund völlig überhöhter Kostenannahmen unterschätzt und die Atomenergie aufgrund fehlerhafter und zu niedrig angesetzter Kosten überschätzt. Die IEA geht von viel zu niedrigen Kostenannahmen für die Atomkraft aus, ignoriert Risiken und lange Bauzeiten. In Zeiten geopolitischer Risiken ist Atomenergie als Hochrisikotechnologie keine Option.

Jan-Christopher Scherer: „Rasche Erholung der deutschen Wirtschaft nicht in Sicht“

Wed, 15/01/2025 - 09:28

Das Statistische Bundesamt hat heute bekannt gegeben, dass die deutsche Wirtschaft im Jahr 2024 um 0,2 Prozent geschrumpft ist. Dazu eine Einschätzung von Jan-Christopher Scherer, Konjunkturexperte im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin):

Die deutsche Wirtschaft ist 2024 das zweite Jahr in Folge geschrumpft. Und auch zum Jahresbeginn 2025 sind keine Lichtblicke erkennbar. Neben der ausgeprägten konjunkturellen Schwäche lastet der strukturelle Wandel auf der deutschen Wirtschaft. Von der Industrie sind keine größeren Sprünge zu erwarten und die Unternehmen werden weiterhin nur wenig investieren. Auch vom Außenhandel dürften keine Impulse kommen. Angesichts der bevorstehenden Amtseinführung von US-Präsident Trump besteht das Risiko, dass es künftig sogar noch deutlich schlechter läuft, sollte es international vermehrt zu Zöllen und weiteren Handelsbeschränkungen kommen.

Auch inländische Faktoren sprechen gegen eine rasche Erholung. Die Menschen sorgen sich um ihren Arbeitsplatz und das dämpft die Konsumlaune. Die Sorge um die Beschäftigung wird nicht zuletzt durch die geplatzte Ampelkoalition und die anstehenden Neuwahlen befeuert. Erst ab Mitte des Jahres dürfte die konjunkturelle Dynamik leicht anziehen, wenn die Pläne einer neuen Bundesregierung klarer werden und sich die außenwirtschaftlichen Unwägbarkeiten besser einordnen lassen. Bei weiterhin steigenden verfügbaren Einkommen und einer geringeren Sparneigung der privaten Haushalte dürfte dann auch der private Konsum etwas stärker zulegen und die Wirtschafsleistung stützen. Insgesamt erwartet das DIW Berlin für das Jahr 2025 eine Zunahme der Wirtschaftsleistung um 0,2 Prozent.

Das Wachstum muss allerdings nicht so gering ausfallen. Denn der Haushaltsplan der neuen Regierung birgt auch das Potenzial, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. So könnten steigende öffentliche Investitionen beispielsweise in Militärausgaben oder die grüne Transformation das Wirtschaftswachstum in Deutschland anschieben.

Marcel Fratzscher: „Agenda 2030 der Union enthält Widersprüche und Inkonsistenzen“

Fri, 10/01/2025 - 10:13

Zu den wirtschaftspolitischen Plänen der Union eine Einschätzung von Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin):

Die Union setzt mit ihrer Agenda 2030 bei der Wirtschafts- und Sozialpolitik auf die klassischen Instrumente von Steuersenkungen, weniger Staat, einen Abbau des Sozialstaats und stärkere Arbeitsanreize. Die Agenda 2030 enthält einige kluge und wichtige Elemente, jedoch auch drei grundlegende Widersprüche und Inkonsistenzen. Diese Widersprüche bedeuten, dass die Union die meisten ihrer Maßnahmen nicht umsetzen können und somit ihre Ziele verfehlen wird. 

Die Agenda 2030 der Union setzt die Priorität auf Umverteilung und die Entlastung von Spitzenverdienenden und Unternehmen. Sie macht zahlreiche ambitionierte Versprechen und setzt unrealistische Ziele. Ein Wirtschaftswachstum von zwei Prozent ist illusorisch und erfordert eine deutliche Zunahme der Zuwanderung nach Deutschland und eine Integration von mehr als 500 000 zusätzlichen Arbeitskräften aus dem Ausland – und das in jedem Jahr über das nächste Jahrzehnt. Zudem müssten viele der Hürden vor allem für Frauen abgebaut werden, etwa das Ehegattensplitting. Auch wären mehr Investitionen in Kitas und Schulen bis hin zur Abschaffung der Minijobs nötig. Die Migrationspolitik und die Familienpolitik der Union gehen jedoch in die gegengesetzte Richtung. Gekoppelt mit der von der Union geforderten Steuerbefreiung für Überstunden und einer Beschneidung der Sozialausgaben wird die Agenda 2030 das Arbeitskräfteproblem weiter verschärfen und zu zahlreichen Insolvenzen beitragen. 

Die Agenda 2030 enthält einige kluge Elemente, wie die Steuerbefreiung für zusätzliche Einkommen von Rentner*innen, die Erhöhung der Forschungsausgaben oder die Reduzierung der Netzentgelte. Sie zeigt jedoch auch drei grundlegende Widersprüche. Der Dreiklang von geringeren Steuern, höheren Investitionen und weniger Schulden ist ein Widerspruch in sich und erfordert die Quadratur des Kreises. Ein Festhalten an der Schuldenbremse wird unweigerlich zu geringeren öffentlichen Investitionen, höheren Steuern und weniger Wirtschaftsleistung führen. 

Die Politik der Union bedeutet eine massive Umverteilung von Arm zu Reich und von Jung zu Alt. Die fast 100 Milliarden Euro an Steuerentlastungen kommen zum größten Teil den Spitzenverdienenden zugute, die untere Hälfte der Menschen mit mittleren und geringen Einkommen geht größtenteils leer aus. Dies wird die Wirtschaftsleistung schwächen, die wirtschaftliche Transformation erschweren und den Verteilungskampf in Deutschland verschärfen. Es fehlt an einer konsistenten Klima- und Energiepolitik, was das Erreichen der Klimaschutzziele und die grüne Transformation der Wirtschaft erschweren wird. 

Steuerliche Entlastungen für Unternehmen sind notwendig, aber sie allein werden Deutschland nicht wieder zu mehr Wettbewerbsfähigkeit verhelfen. Die Union bleibt viele Antworten schuldig, so auch, wie Innovation, mehr private Investitionen in Forschung und Entwicklung oder ein Bauboom entstehen sollen. Die Union bleibt nicht nur die Frage der Finanzierung der massiven Steuererleichterung für Spitzenverdienende schuldig, sondern es fehlt ein überzeugendes Konzept, wie Menschen besser in den Arbeitsmarkt integriert und die Produktivität gesteigert werden soll. 

Das Versprechen von Einsparungen bei den Sozialsystemen wird die Union nicht erfüllen können, zumal sie beispielsweise bei der Mütterrente selbst zusätzliche Ausgaben verspricht. Die Agenda 2030 malt ein Bild, bei dem verletzliche Gruppen und vermeintlich arbeitsunwillige Menschen an der derzeitigen wirtschaftlichen Misere schuld sind. Eine ehrliche Problemanalyse und mutige, konsistente und in die Zukunft schauende Reformen kommen in der Agenda 2030 zu kurz.

Wie viel haben Benzin- und Dieselkunden für Upstream-Emissionsminderungen bezahlt, die unter Betrugsverdacht stehen?

Thu, 19/12/2024 - 13:10
Zusammenfassung:

Mineralölkonzerne sind verpflichtet, die Treibhausgasemissionen der von ihnen in Verkehr gebrachten Kraftstoffe zu mindern. Dem kamen sie seit dem Jahr 2020 teilweise nach, indem Klimaschutzprojekte in China finanziert wurden, die jetzt unter Betrugsverdacht stehen. Es ist davon auszugehen, dass sie die Kosten für diese Klimaschutzprojekte über die Spritpreise an Tankstellenkund*innen in Deutschland weitergegeben haben. Die Ermittlungen zu den verdächtigen Projekten sind noch nicht abgeschlossen. Medienrecherchen gehen davon aus, dass Projekte zur Minderung von Treibhausgasemissionen in der chinesischen Ölindustrie entgegen den gesetzlichen Vorgaben als neue Anlagen ausgewiesen wurden, obwohl sie bereits bestanden, oder gar nicht existierten. In einer Kurz-Analyse wird überschlagsweise berechnet, wie viel die Endkund*innen für Emissionszertifikate bezahlt haben, bei denen keine tatsächliche Emissionsminderung erreicht wurde, sollten sich die Betrugsvorwürfe bestätigen.


Marcel Fratzscher: „Die EZB agiert zu vorsichtig“

Thu, 12/12/2024 - 14:53

Die heutige Zinssenkung des Rates der Europäischen Zentralbank (EZB) kommentiert Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), wie folgt:

Die Europäische Zentralbank (EZB) setzt ihren vorsichtigen Zinssenkungskurs fort. Die Zinssenkung um 25 Basispunkte ist zu wenig, um die Wirtschaft ausreichend zu stützen. Das Zinsniveau ist zu hoch und zu restriktiv. Die Geldpolitik wird die ohnehin schon schwache Wirtschaft auch im Jahr 2025 weiter schwächen. Offensichtlich fehlt dem Gremium des Zentralbankrats der Mut, dem Beispiel der US-Notenbank zu folgen und die Zinsen stärker zu senken, obwohl sich die Wirtschaft des Euroraums in einer deutlich schlechteren Lage befindet als die US-Wirtschaft.

Die übervorsichtige Entscheidung der EZB ist auch der ungewöhnlich hohen Unsicherheit geschuldet. Längst erfüllt die EZB wieder ihr Mandat der Preisstabilität: Die Inflation hat sich um das gesetzte Ziel von zwei Prozent stabilisiert. Auch die Inflationserwartungen sind gut verankert und geben keinen Anlass zur Sorge. Allerdings ist es sehr wahrscheinlich, dass die EZB in den kommenden beiden Jahren mit großen Veränderungen und Inflationsschocks zu kämpfen haben wird. Einerseits könnte die zu restriktive Geldpolitik dazu beitragen, die Wirtschaft weiter zu schwächen und die Preisentwicklung deutlich zu dämpfen. Andererseits könnten der Protektionismus von Donald Trump, ein zunehmender Konflikt mit China und die geopolitischen Konflikte die Inflation wieder stark steigen lassen.  

Daher ist die Vorsicht der EZB verständlich, auch wenn eine stärkere Zinssenkung der bessere Weg gewesen wäre. Zumal die EZB an externen Schocks von außerhalb des Euroraums nichts grundlegend ändern kann. Die politische Lähmung in großen Euro-Ländern, allen voran Deutschland und Frankreich, wird die Aufgabe der EZB auch im kommenden Jahr nicht einfacher machen. Die EZB muss ihre Glaubwürdigkeit schützen, um größere Turbulenzen an den Kapitalmärkten abzufedern, die Wirtschaft zu stabilisieren und dadurch ihr Mandat besser erfüllen zu können.

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