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Publikationen des German Institute of Development and Sustainability (IDOS)
Updated: 1 week 3 hours ago

Akteure des Südens beginnen mit der Gestaltung von Nachhaltigkeitsstandards

Mon, 23/10/2017 - 08:00
Bonn, 23.10.2017. In Genf ansässige Internationale Organisationen haben jüngst freiwilligen Nachhaltigkeitsstandards (voluntary sustainability standards, VSS) große Aufmerksamkeit geschenkt. Diese fordern Produktions- und Konsummuster nach bestimmten sozialen, ökologischen und ethischen Vorgaben auszurichten. Auf Konferenzen im vergangenen September, die von der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) und vom Internationalen Handelszentrum (ITC) ausgerichtet wurden, identifizierten die Teilnehmer drei Faktoren für die wachsende Bedeutung von VSS: Erstens verlangen Verbraucher in fortgeschrittenen Volkswirtschaften zunehmend nach „sauberen“ Produkten, sei es nach nachhaltig produziertem Holz, sei es nach fair gehandelten Kakao und Kaffee. Zweitens wenden sich transnationale Konzerne VSS zu, um Reputationsrisiken abzumildern und ihre Waren und Dienstleistungen zu differenzieren. Schließlich hat das öffentliche Beschaffungswesen in Europa und in südlichen Ländern wie Brasilien, China und Indien angefangen, Nachhaltigkeitskriterien zu berücksichtigen. Mit weltweit mehr als 500 Produktbezeichnungen, die Nachhaltigkeit versprechen, hat das schnelle Wachstum von VSS einen regelrechten Dschungel an Standards geschaffen, in dem Verbraucher, Produzenten, Händler und Behörden große Orientierungsschwierigkeiten haben. Die objektive Folgenabschätzung und die Vergleichbarkeit konkurrierender VSS-Systeme werden durch mangelnde Transparenz und unvollständige empirische Evidenz beeinträchtigt. Nachhaltigkeitsansprüche einzelner Unternehmen, die nicht durch Dritte überprüft werden, erhöhen die Komplexität noch weiter. Historisch gesehen haben Akteure aus dem Süden im Norden konzipierte Standards als protektionistisch und diskriminierend gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) abgelehnt. Die skeptische Haltung ist vor kurzem aktivem Engagement gewichen, da der Süden an der Gestaltung der Entwicklung von VSS entsprechend seiner Prioritäten mitwirken will. Von März 2016 bis Juni 2017 schufen Indien, Brasilien und China nationale VSS-Plattformen, die als Clearingstelle dem Informationsaustausch und der Politikformulierung dienen. Der Quality Council of India (QCI), eine gemeinsame Einrichtung des Ministeriums für Handel und Industrie und von Industrieverbänden, fungiert als Sekretariat für die nationale Plattform. In Brasilien ist INMETRO, Teil des Ministeriums für Industrie und Außenhandel, mit dieser Aufgabe betraut. In China arbeiten die Standardization Administration of China und the China Association for Standardization zusammen, um die nationale Plattform zu koordinieren. Auf der Grundlage dieser Erfahrungen in Multi-Stakeholder-Umgebungen sondieren Mexiko, Indonesien und Südafrika als Teil des Managing Global Governance Network derzeit Möglichkeiten, ähnliche Institutionen zu schaffen. Die Plattformen in Indien, Brasilien und China haben drei Aufgaben gemeinsam: Förderung des Dialogs, Anpassung von Standards und internationale Vernetzung. Während die Interaktion zwischen mehreren Akteuren zu einer etablierten Praxis geworden ist, stellt die Anpassung von VSS an die nationalen Prioritäten erhebliche Herausforderungen dar. Ambitionierte internationale Labels müssen durch niedrigschwellige Versionen ergänzt werden, die eine schrittweise Höherstufung heimischer Unternehmen erlauben. In Indien z.B. hat der QCI für Lebensmittelproduzenten BasicGAP als Sprungbrett für das international anerkannte GlobalGAP geschaffen. Ergänzend müssen Regierungen KMU bei der Einführung von Standards finanziell und technisch unterstützen. Die nationalen Plattformen arbeiten jetzt an politischen Rahmenbedingungen, die sicherstellen, dass VSS mit den Entwicklungsprioritäten des Landes übereinstimmen und zugleich nachhaltige Ergebnisse erreichen. Der zugrundeliegende Paradigmenwechsel kann als Gegenmaßnahme zur ungezügelten Liberalisierung des Welthandels verstanden werden, die zu unfairem sozialen und ökologischen Wettbewerb geführt hat. Im Süden werden VSS nicht mehr aus der Perspektive einzelner Unternehmen betrachtet, sondern als Instrumente, die den makroökonomischen Zielen der Transformation und nachhaltiger Entwicklung dienen. Immer mehr Regierungen wollen die Bedingungen bestimmen, unter denen internationale Regelungen hilfreich sind (eine Art „Betriebsgenehmigung“). Indien und China entwickeln derzeit eigenständig nationale Zulassungsverfahren für VSS („Standard für Standards“). Einmal eingeführt, wird öffentliche Unterstüt-zung von der Einhaltung solcher Anforderungen abhängig gemacht werden. Das zunehmende proaktive Engagement von Entwicklungsländern für Nachhaltigkeitsstandards ist eine erfreuliche Entwicklung. Ihre Bemühungen, VSS mit nationalen Prioritäten in Übereinstimmung zu bringen und die Perspektiven des Südens auf internationaler Ebene zu artikulieren, werden den Beitrag solcher marktbasierten Instrumente zur Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung stärken. Kurzfristig sollte das UN-Forum für Nachhaltigkeitsstandards unter Führung der UNCTAD einen Multi-Stakeholder-Prozess für den Erfahrungsaustausch, die Schaffung gemeinsamen Wissens und einen Politik-Dialog über VSS unterstützen. Langfristig muss die internationale Gemeinschaft einen einheitlichen globalen Rahmen für VSS schaffen, der den derzeitigen Zustand der Zersplitterung überwinden und nachhaltigen Handel fördern kann.

China’s 19th Party Congress: A stronger role for China in global development?

Tue, 17/10/2017 - 11:30
Starting Wednesday, 18 October 2017, key political decisions will be announced at the 19th Congress of the Communist Party of China Beijing. While most observers focus on the changes in the party’s leadership, it is the so called political report of the Congress that will set the Chinese policy agenda for the next five years. As the highest decision-making organ of the Communist Party, the Congress and its report have enormous influence on Chinese and global politics. What does this mean for global development and foreign aid?

The political report is drafted by a special committee, following a year-long consultative process of gathering inputs from across government and from experts. The report is, therefore, a laboriously crafted consensus document, shared by all major constituencies within the Communist Party. As a result, formulations are broad and often unspecific. Still, wording matters, even if the significance of a specific phrase is not apparent at first. The meaning of key passages often emerges later, after further elaboration and interpretation.

The report contains large sections that remain unchanged; continuity prevails. For President Xi Jinping, however, this is the first political report of the Congress to prominently feature his policy ideas, including the “Chinese Dream” – often presented as vision for development – and the “New Type of Great Power Relations”, which sets out China’s foreign policy aspirations and relations with the US. Notably China now declares itself as a ”Great Power”, and not just a developing country.

Three key trends
Traditionally, the report first and foremost focuses on domestic issues. China’s engagement in international development will be outlined in the second to last section (the 11th of 12), which in 2012 was entitled “Continuing to Promote the Noble Cause of Peace and Development of Mankind”. Despite foreign policy’s limited role, this part of the report will determine key lines for China’s international relations in the next years. We expect this vision to promise a more assertive role for China in global governance and foreign aid, based on three key trends of the last years.

First, China has initiated a big push on global development, most notably through the launch of the “One Belt One Road” Initiative, also known as the Silk Road of the 21stCentury. This cross-regional integration effort bundles Chinese aid, trade, investment, loans and political influence into infrastructure projects across Asia, Africa and Europe. More than 60 countries are included and about USD 926 billion in investments have been announced. In addition, China continues to promote regional development under the Forum on China-Africa Cooperation (FOCAC), the Shanghai Cooperation Organisation (SCO) for Central Asia and the China and Community of Latin American and Caribbean States (CELAC) Forum.

Second, China has increased its engagement in multilateralism. Speaking at the World Economic Forum in Davos in January, President Xi called China the defender of globalisation and free trade, in marked contrast to the US administration under President Trump. China is now the second-largest funder of the UN, and the biggest provider of UN peacekeeping troops among the UN Security Council’s permanent members. China continues to back the Paris climate agreement and the Iran nuclear deal. The IMF voting rights reform in 2010 formalised China’s position as the 3rd largest member country in the IMF. In 2016, the Renminbi became a global reserve currency. During its G-20 Presidency last year China championed the implementation of the 2030 Agenda, linking its G-20 and UN activities. Two new multilateral institutions, the New Development Bank (“BRICS bank”) and the Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) are backed by China.

Third, Chinese cooperation is targeted more strongly at achieving the 2030 Agenda. In 2015, China made commitments for South-South Cooperation of over USD 5 billion, including a USD 2 billion commitment to development assistance for poor countries to eradicate poverty. In 2017, China launched the China Center for International Knowledge on Development (CIKD) to share “China’s wisdom” and put forward “China’s proposals” for international development. On foreign aid, China does not intend to join the OECD club of donors, but it could explore more coordination of global engagement in different platforms, including for instance the Global Partnership for Effective Development Co-Operation.

A new global role for China
All these foreign policy pursuits are strongly embedded in China’s domestic core interests— national sovereignty, territorial integrity, and domestic development – especially its pursuit of the “Chinese dream”. However, in a global context that is increasingly defined by zero-sum thinking, Chinese ideas of “mutual interest” and “win-win” cooperation offer themselves as an alternative to the at times inadequate engagement of Western countries on the global stage.

China is also reshaping its own role in international cooperation, from being a participant and follower to acting as a provider of new developmental proposals and solutions. Development actors, including Western aid agencies and China, should continue their mutual learning and exchange, with the goal of addressing global development challenges together. Western countries should prepare to engage with a China that is much more assertive and at the same time willing to share lessons based its own development experiences.


Heiner Janus is a Researcher at the Department Bi- and Multilateral Development Cooperation at German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)

Lixia Tang is Associate Professor at the College of Humanities and Development Studies, China Agricultural University, Beijing




Eine Welt ohne Hunger in einer Welt voller Kriege?

Mon, 16/10/2017 - 10:00
Trotz der Verpflichtung der internationalen Gemeinschaft, den Hunger bis 2030 zu beenden, gab es 2016 rund 38 Millionen mehr hungernde Menschen als im Vorjahr. Einem aktuellen Bericht der Vereinten Nationen zufolge sind bewaffnete Konflikte der Hauptgrund für diesen drastischen Anstieg. Vor dem Hintergrund des heutigen Welternährungstags ist es daher notwendig, die besonderen Herausforderungen an der Schnittstelle zwischen Ernährungssicherung und Friedensförderung stärker in den Blick der Entwicklungspolitik zu rücken.

Menschengemachter Hunger
Selbstverständlich hat Hunger viele Gesichter und ebenso vielfältige Ursachen. In Bangladesch trifft er vielleicht eine Feldarbeiterin, deren Lohn nur für eine karge Mahlzeit am Tag reicht. In Mexiko lässt er Straßenkinder nachts wach liegen. In Südasien und Subsahara-Afrika, wo die meisten Hungernden leben, vernichten Dürren sowie Hochwasser seit Monaten Ernten und dezimieren Tierherden. Die meisten Hungernden sind Kleinbauern, die bei wachsender Bevölkerungsdichte, begrenzten Landreserven, degradierenden Böden und mangelnder Unterstützung nicht genug produzieren können, um sich ausreichend zu ernähren.

Der vorherrschende Hungertreiber ist jedoch ein anderer: Die Mehrheit der Hungernden lebt in Ländern, die von erodierender Staatlichkeit und kriegerischen Auseinandersetzungen geprägt sind. In der Tat sind schwache institutionelle Kapazitäten und anhaltende Konflikte ein Türöffner für schwere Hungersnöte. Dies wurde in den vergangenen Monaten insbesondere im Südsudan, Nigeria, Somalia und im Jemen deutlich. Hier werden Hunger und Not möglicherweise systematisch von Konfliktparteien eingesetzt: Rebellen und Soldaten brennen Felder nieder, vernichten Saatgut, vergiften Brunnen und erschweren humanitären Organisationen gleichzeitig den Zugang zu Krisenregionen.

Die zugespitzte Ernährungslage in Krisen- und Konfliktländern widerspricht dem zweiten globalen Nachhaltigkeitsziel: den Hunger in den kommenden 13 Jahren weltweit zu beenden. Da die Glaubwürdigkeit der Agenda 2030 und damit der Vereinten Nationen stark von Fortschritten bei Armut und Hunger abhängig ist, muss auch Deutschland überzeugende Mittel finden, um den Hunger in der Welt zu bekämpfen. Der Erfolg entwicklungspolitischer Maßnahmen in fragilen Ländern und Konfliktregionen wird dafür entscheidend sein. Die folgenden vier Vorschläge könnten dazu beitragen.

Kohärente Entwicklungspolitik als Schlüssel
Zunächst müssen Diskrepanzen in der strategischen Ausrichtung der außenorientierten Politiken der Bundesregierung beseitigt werden. Ernährungssicherung und Friedensförderung dürfen nicht parallel nebeneinander existieren, sondern müssen Hand in Hand gehen. Doch bisher gehen weder die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie noch die Leitlinien zu ziviler Krisenprävention ausreichend auf die Verbindung zwischen Hunger und Konflikten ein. Zwar bezeichnet der aktuelle Entwicklungspolitische Bericht der Bundesregierung die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) explizit auch als Instrument der Friedenspolitik, allerdings mangelt es an einer kohärenten Vision, die auch andere politische Handlungsfelder integriert.

Zweitens sollte das neue Kabinett Not- und Katastrophenhilfe intensiver mit langfristigen Entwicklungsinitiativen verbinden. Dazu gehört insbesondere, die Übergangshilfe auf eine größere Zahl von Ländern auszuweiten und die Kooperation zwischen dem Auswärtigen Amt – zuständig für humanitäre Hilfe – und dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – verantwortlich für Übergangshilfe – zu verbessern.

Darauf aufbauend ist es unabdingbar, einen stärkeren Fokus auf (potentielle) Krisenregionen zu legen. Anstatt Unruhegebiete und schwache Staaten zu verlassen, sollten diese in besonderer Weise von der EZ berücksichtigt werden. Nur so können Strukturen aufgebaut werden, die langfristig Frieden garantieren und gleichzeitig wachsendem Mangel präventiv entgegentreten können.
Zu guter Letzt würde ein besseres Konflikt-Monitoring die Krisenanfälligkeit der Entwicklungspolitik stark vermindern. So wie das schon praktizierte ‚Climate Proofing’ könnte ein ‚Conflict Proofing’ - also die Überprüfung von EZ-Projekten hinsichtlich ihrer potentiellen Auswirkungen auf Konflikte bzw. Anfälligkeit für Konflikte - in das Standardrepertoire aufgenommen werden. So würde ein sensiblerer Umgang mit Konfliktprävention und Friedensförderung systematisch in das Alltagsgeschäft der EZ integriert werden.

Worten Taten folgen lassen
Die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele ist eine Mammutaufgabe für die internationale Gemeinschaft. Nur wenn gemeinsame und ernsthafte Anstrengungen zur Verwirklichung der Ziele unternommen werden, kann die globale Entwicklungsagenda zu einem Erfolg werden. Das gilt insbesondere für die Beseitigung von Hunger in all seinen Formen. Um diesen elementaren Vorsatz zu erreichen, muss die Schnittstelle zwischen Ernährungssicherung und bewaffneten Konflikten einen höheren Stellenwert in der deutschen Entwicklungspolitik einnehmen. Erst dann wird das Motto der Agenda 2030 – leave no one behind – wirklich mit Leben gefüllt.

Daniel Wegner ist Teilnehmer des 53. Kurses des Postgraduierten-Programms.


Lernen aus Evidenz – Wie Wirkungsanalysen besser genutzt werden können

Mon, 02/10/2017 - 09:58
Die Bedeutung von Wirkungsanalysen ist in der Entwicklungszusammenarbeit kein neues Thema. Es gibt einen zunehmenden Konsens in der Entwicklungspolitik, dass es wichtig ist, Interventionen mittels rigoroser Wirkungsstudien zu beurteilen. In Deutschland haben Wert und Bedeutung von unabhängigen, rigorosen Wirkungsanalysen in den vergangenen Jahren zugenommen, obwohl sie weit weniger institutionalisiert sind als in anderen wichtigen Geberländern. Es gibt viele gute Gründe für den verstärkten Einsatz von Wirkungsanalysen. Dazu gehört z.B. die Durchführungsorganisationen rechenschaftspflichtig zu machen und Entwicklungszusammenarbeit zu legitimieren, indem positive Wirkungen aufgezeigt werden. Lernen aus Wirkungsanalysen dominiert die derzeitige Debatte. Wirkungsanalysen schaffen – nach der Theorie – Wissen, das Praktiker dazu bringt, ihre Strategien und Projekte so zu verändern, dass bessere Ergebnisse erzielt werden können. Leider nutzen Geber und Durchführungsorganisationen Wirkungsanalysen viel zu wenig, vor allem im deutschen Kontext. Mehrere Faktoren behindern ihre Anwendung und die Nutzung der Ergebnisse. Erstens ist die externe Validität der Ergebnisse rigoroser Wirkungsanalysen beschränkt. Folglich können Einsichten der Analyse nicht einfach auf andere Zusammenhänge und Länder übertragen werden. Zweitens erhöht die Wahrnehmung, dass nur die Leistungen von Programmen oder sogar Einzelpersonen bewertet werden zu einer negativen Voreingenommenheit in einigen Fällen sogar zu offenen Widerstand gegenüber Wirkungsanalysen. Vielen Herausforderungen, denen sich die Entwicklungszusammenarbeit bei der Nutzung von Evidenz durch Wirkungsanalysen gegenüber sieht, könnte durch gemeinsames Handeln von Forschern und Praktikern begegnet werden. Leider werden Wirkungsanalysen, die von externen Forschern durchgeführt werden, zunehmend von Praktikern als zusätzliche und periphere Aufgabe ihrer täglichen Arbeit angesehen. Der Grund für diesen Trend liegt nicht nur in den mangelnden Anreizen rigorose Wirkungsanalysen zu unterstützen, er ist auch einem Kommunikationsproblem zwischen Forschern und Praktikern geschuldet. Einerseits müssen Forscher die Ergebnisse für Praktiker zugänglich und nutzbar machen, insbesondere um die Intuition hinter den verschiedenen methodischen Ansätzen zu erklären. Andererseits müssen Praktiker deutlich machen, was ihre Lerninteressen sind und ihre Grenzen und Befürchtungen offen diskutieren. Die Projektplanung muss auch sicherstellen, dass Praktiker genügend Zeit haben, um sinnvoll in die Planung der Wirkungsanalyse einbezogen zu werden. Wir sind der Ansicht, dass Begleitforschung in denen Wirkungsanalysen eingebettet sind dazu beitragen können, die Zusammenarbeit zwischen Praktikern und Forschern zu verbessern. Am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) sammeln wir positive Erfahrungen mit diesem Ansatz in Ländern wie Benin, Malawi und Mosambik. Der Eckpfeiler dieses Modells ist ein regelmäßiger Austausch über Konzeption und Umsetzung von Wirkungsanalysen in enger Zusammenarbeit zwischen den als unabhängige Gutachter eingesetzten Forschern und den Durchführungsorganisationen der zu evaluierenden Entwicklungsmaßnahmen. Im Gegensatz zu kurzfristigen beratungsbezogenen Analysen, zielt dieses Modell darauf ab, eine zuverlässige, langfristige Arbeitsbeziehung zwischen allen Akteuren zu entwickeln. Dies erleichtert einen gemeinsamen Lernprozess und gewährleistet zugleich unabhängige Wirkungsanalysen. Im besten Fall müssen die Durchführungsorganisationen, die finanziellen Kosten der Wirkungsstudien nicht tragen, weil externe Geber dafür aufkommen. Dieses Modell kann die Qualität und den Nutzen von Wirkungsanalysen erhöhen und die Diskussion der Ergebnisse verbessern. Forscher lernen mehr über die Herausforderungen bei der praktischen Umsetzung von Entwicklungsmaßnahmen sowie über die Präsentation ihrer Ergebnisse jenseits der Forschungsgemeinschaft, während Praktiker etwas über Vorteile und Grenzen rigoroser Wirkungsanalysen erfahren und außerhalb ihres Projekts erzeugte Evidenz besser verstehen und nutzen. Das heißt nicht, dass alle Wirkungsanalysen auf diese Weise durchgeführt werden sollten. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, unabhängige Wirkungsstudien durchzuführen. Nach unserer Erfahrung sind Wirkungsanalysen innerhalb von Begleitforschungsprojekten, besonders gut geeignet, die Qualität und Nutzung der Ergebnisse zu verbessern. Die Politik drängt dazu, Wirkungsanalysen stärker einzusetzen. Es geht aber nicht nur um mehr Analysen sondern auch um eine bessere Nutzung der erzeugten Evidenz. Wirkungsanalyse innerhalb von Begleitforschungsprojekten zu integrieren, ist ein Modell, das in diesem Zusammenhang einen wichtigen Beitrag leisten kann. Alexandra Rudolph ist tätig am Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Christoph Strupat und Armin von Schiller sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE).
Diese Kolumne ist am 05.10.2017 auch auf euractiv.de erschienen.

Wir haben nur einen Planeten – quo vadis Umweltschutz in Handelsabkommen?

Mon, 25/09/2017 - 10:23
Bonn, 25.09.2017. Unter dem Motto „Trade: Behind the Headlines“ treffen sich vom 26. bis 28. September 2017 in Genf Handelspolitiker, Wissenschaftler und Vertreter von Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen aus aller Welt zum alljährlichen Public Forum der Welthandelsorganisation (WTO). Die Schlagzeilen der letzten Jahre waren bestimmt von der Unfähigkeit der WTO-Mitglieder, die vor 16 Jahren begonnene Doha-Verhandlungsrunde zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Wichtige Mitgliedstaaten wie die USA sprechen sich sogar für einen offiziellen Abbruch der dahinsiechenden Verhandlungen ab. Als Reaktion auf das Stocken der multilateralen Verhandlungen wichen viele Länder auf die Verhandlung von Handelsabkommen außerhalb der WTO aus. In Deutschland wurden die Verhandlungen zu TTIP, der Transatlantic Trade and Investment Partnership, kontrovers diskutiert. Viele Bürger fürchteten, dass Abkommen wie TTIP dazu führen, Sozial- und Umweltstandards aufzuweichen. Blickt man jedoch hinter die Schlagzeilen der aufgeheizten handelspolitischen Debatte, wird deutlich, dass die neuen Handelsabkommen eine Vielzahl von Regelungen enthalten, die über den Abbau von Handelsschranken hinausgehen. Aktuelle Daten der kanadischen Laval Universität zeigen: 85 Prozent aller Freihandelsabkommen enthalten Umweltklauseln. Die jüngst abgeschlossenen Abkommen warten dabei sogar mit mehr als 60 unterschiedlichen umweltrelevanten Klauseln auf. Umweltklauseln – mehr als nur Protektionismus Dieser Anstieg von Umweltklauseln in Handelsabkommen mag zwar bekannt sein, Akteuren in der Handelspolitik fehlt jedoch oftmals ein tieferes Verständnis über ihre Entwicklung und Vielfalt – und zwar über Sektoren, Regionen und Ländern hinweg. Dieser Trend begann Anfang der 1990er Jahre mit dem Abschluss des wegweisenden nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA), das umfassende Umweltregeln und ein Nebenabkommen für Umweltbelange enthielt. Die NAFTA-Mitgliedsländer schrieben Umweltaspekte natürlich nicht allein aus altruistischen Motiven in das Abkommen. Für die USA spielte insbesondere die Furcht vor Wettbewerbsverzerrungen durch laxe Umweltstandards in Mexiko eine Rolle. Zudem diente die Integration von Umweltregeln der US-Regierung, neben Arbeits- und Sozialstandards, als Mittel zur Besänftigung der heimischen NAFTA-Kritiker. Umweltklauseln in Handelsabkommen als versteckten Protektionismus zu kennzeichnen, greift allerdings zu kurz. Dagegen spricht insbesondere die zunehmende Diversität dieser Klauseln. Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) hat zusammen mit Jean-Frédéric Morin von der Laval University das interaktive Online-Tool TREND analytics aufgebaut, welches auf Basis aktueller Daten einen detaillierten Blick in die Feinheiten von Umweltklauseln in Handelsabkommen ermöglicht. Dabei zeigt sich, dass mittlerweile nahezu 300 verschiedene Umweltklauseln in Handelsabkommen zu finden sind. Hierzu gehören Verpflichtungen zur Umsetzung von nationalen Umweltgesetzen oder die Ratifizierung von internationalen Umweltabkommen. Es gibt aber auch Klauseln zu Klimaschutz, nachhaltigen Fischereimethoden, oder der verbesserten Partizipation von zivilgesellschaftlichen Akteuren in umweltrelevante Politikprozessen. Chancen und Risiken Es sind bisher vor allem die großen Handelsmächte, insbesondere die USA, EU oder Kanada gewesen, die die Integration von Umweltaspekten in Freihandelsabkommen vorantreiben. Entwicklungsländer dagegen fürchten einen „grünen Protektionismus“, dass also diese Umweltklauseln von Industrieländern missbraucht werden, um günstige Produkte aus Entwicklungsländern vom Markt fernzuhalten. Doch in letzter Zeit sehen sie verstärkt auch die Vorteile solcher Klauseln und Länder wie Costa Rica setzen sich zunehmen aktiv dafür ein, Umweltaspekte in neue Handelsregeln zu integrieren und so den Umweltschutz zu stärken. Das US-Peru-Abkommen hat beispielsweise stark zum Schutz des peruanischen Waldes und seiner Artenvielfalt beigetragen. Umweltklauseln sind mehr als nur ein Feigenblatt der Handelspolitik. Auch in Zukunft sollten daher Umweltklausel in Handelsabkommen genutzt werden, um Handel und Umweltschutz besser in Einklang zu bringen – nicht zuletzt, um zur Umsetzung der 2030 Agenda beizutragen. Die Diskussion über den Beitrag von Handelsabkommen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung sollte stärker in den Fokus der öffentlichen Debatte gerückt werden. Das WTO Public Forum in Genf kann eine wichtige Rolle dabei spielen. Gerade in Zeiten polarisierter und häufig ideologisch geprägter Kontroversen über Handelspolitik ist es wichtig, evidenzbasiert zu argumentieren und mit vielen der bestehenden Vorurteile aufzuräumen. Hierdurch kann nicht nur dazu beigetragen werden, dass umweltpolitisch sinnvolle Klauseln in mehr und mehr bilateralen und regionalen Freihandelsabkommen aufgegriffen werden, sondern auch in die multilateralen Verhandlungen der WTO ihren Eingang finden. 

Weltfriedenstag der Vereinten Nationen: seine Symbolik und seine Bedeutung in der Agenda 2030

Mon, 18/09/2017 - 10:00
Bonn, 18.09.2017. Hand aufs Herz: Wer weiß, dass am 21. September der „Internationale Friedenstag der Vereinten Nationen“ begangen wird? Wichtig ist in diesem Kontext und an diesem besonderen Tag, Bezug zur Agenda 2030 zu nehmen: Sie formuliert anspruchsvolle Eckpunkte für die Friedensfrage. 21. September 1981: Symbolik ohne Folgen 1981 beschloss die UN-Generalversammlung, diesen Tag künftig als internationalen Friedenstag zu begehen. Hinter der Symbolik „Weltfriedenstag“ steckt die ewige Sehnsucht nach Frieden. Aber welche tatsächliche Rolle spielt der Welttag? Faktisch verbleiben seit Ende des Zweiten Weltkriegs Kriege und gewaltsame Konflikte – bezüglich ihrer Anzahl und ihrer brutalen Grausamkeit – auf stets ähnlich hohem Niveau. Kein Wunder also, dass der Weltfriedenstag im kollektiven Gedächtnis des globalen Geschehens kaum bzw. überhaupt keine Rolle spielt: Er wirkt wie die symbolische Resignation vor der Macht des Faktischen. 25. September 2015: Bedingungen für nachhaltigen Frieden in der Agenda 2030 Im Gegensatz dazu formuliert das 16. Nachhaltigkeitsziel (SDGs) der Agenda 2030 nicht mehr nur eine „Friedenssehnsucht“, sondern klopft anspruchsvolle Eckpunkte fest, an denen sich letztendlich alle 17 Ziele der Agenda zu orientieren haben: „Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen.“ (SDG 16) In Verbindung mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die in der Resolution das übergreifende Dach der Agenda 2030 bildet, wird in diesem einzigen Satz im Grunde der klassische Rahmen demokratischer Staatlichkeit als Voraussetzung für Frieden bzw. friedliches und gewaltfreies Zusammenleben formuliert; und ohne diese fundamentalen Koordinaten würde nicht zuletzt die Umsetzungsarbeit in den nationalen und regionalen Foren sowie auf den globalen Ebenen für alle anderen Ziele konterkariert werden. Frieden auf Platz 16: Inhaltlich nachvollziehbar? Man könnte der Meinung sein, dass es einerseits - aufgrund der geringen friedenspraktischen Folgen der letzten Jahrzehnte – für Frieden und Rechtsstaat, für stabile Institutionen und gute Regierungsführung „nur“ zu Platz 16 unter den SDGs gereicht hat. Und dass andererseits, aus diesem Grund auch das Friedensziel in der Präambel der Agenda 2030 lediglich den vorletzten Platz unter den Hauptzielen einnimmt. Mindestens ebenso gerechtfertigt ist jedoch eine andere Interpretation: Dieser zufolge ergibt sich der Stellenwert des 16. Ziels nämlich inhaltslogisch aus einer Kette hochkomplexer „Wenn-Dann“-Bedingungen, die vor allem aus der Präambel der Agenda 2030 ableitbar sind – und das liest sich so: (a) Erst wenn Armut und Hunger in der Welt besiegt worden sind; (b) erst wenn die natürlichen Ressourcen nachhaltig gesichert sein werden und der Klimawandel gestoppt wurde; (c) erst wenn die Menschen ein von Wohlstand und nachhaltigem Konsum geprägtes Leben führen können und sich der wirtschaftliche, soziale und technische Fortschritt in Harmonie mit der Natur vollzieht – erst dann können (d) Friedensordnungen aufgebaut werden und vor allem nachhaltig bestehen. Frieden: auf dem Weg zu Platz 1? Um diese „Wenn-Dann“-Logik zielführend ernst zu nehmen – nicht zuletzt aufgrund des enormen Zeitdrucks von nur noch 13 Jahren bis zum Jahr 2030 – empfiehlt es sich, den letzten Absatz der Präambel genau zu lesen, der ausdrücklich Querverbindungen zwischen den Agenda2030 Zielen einfordert. Daher empfiehlt sich für die Verhandlungen in den globalen und regionalen Gremien eine Zwei-Ebenen-Strategie: Ebene 1: Die Verzahnung sachlicher Ebenen, die sich bezüglich des Friedensziels bedingen. Ein Beispiel: Unterziel 16.4 „illegale Finanz- und Waffenströme“ muss sinnvollerweise mit Ziel 8 („nachhaltiges Wirtschaftswachstum“) sowie mit Ziel 17 („Technologie“) verzahnt und verhandelt werden. Kaum eine Technologie ist so wenig nachhaltig wie die Rüstung; sie konterkariert Nachhaltigkeit geradezu und dient entweder dem Drohungs- oder Tötungszweck. Ebene 2: Die komplexen Dimensionen der in vielen Zielen angesprochenen Menschenrechte in engste Beziehung zu den Sachebenen bringen. Ein Beispiel: Die in Punkt 36 der Agenda-Einleitung geforderte Entwicklung und Förderung eines „Ethos der Weltbürgerschaft“ muss sich an einer Umsetzung der Zielpunkte 16.a und 16.b („Antiterrorismus und Nichtdiskriminierung“) messen lassen. Komplexer geht es kaum, denn hier wird der Anspruch formuliert, dass die globale Lebensvielfalt mit einer auf Toleranz und Ausgleich und daher friedfertigen, ethisch-moralischen globalen Gesinnung versehen werden kann – einem Realitätscheck hält das kaum Stand. Um dem Friedensziel ein starkes Fundament zu verleihen, müssen die in der Agenda ausdrücklich eingeforderten Partnerschaften zwischen den Zielen eingegangen werden. Dies wird gleichwohl – ähnlich wie beim Klimaziel – zu einer gigantischen Herausforderung werden. In Abkehr von aller Symbolik jedoch hätte der „Weltfriedenstag“ der Vereinten Nationen dann endlich die Berechtigung, ein populärer zu werden.

Wir schaffen uns ab, ganz demokratisch!

Fri, 15/09/2017 - 10:19
Plädoyer für eine lebensfreundliche Demokratie Bonn, 15. September 2017. Am 15. September eines jeden Jahres begehen die Vereinten Nationen den „Internationalen Tag der Demokratie“. 2017 steht dieser Tag unter dem Motto Konfliktvermeidung, also des Beitrags demokratischer Institutionen zu Frieden und Stabilität. Wie die meisten Menschen in Europa können wir uns in Deutschland glücklich schätzen, in einem politischen System zu leben, in dem die Menschenrechte und bürgerliche Grundrechte eingeklagt und individuelle Freiheiten ausgelebt werden können. Unsere politischen Institutionen fördern die gewaltfreie Auseinandersetzung bei Konflikten: Eine zentrale Bedingung für Frieden und Stabilität. Doch es ist ein Irrtum zu glauben, wir könnten uns auf diesen Errungenschaften ausruhen. Denn trotz Demokratie setzen wir seit Jahrzehnten eine friedliche und stabile Zukunft aufs Spiel: Der Klimawandel schreitet ungebremst fort, zerstört Leben und Lebensgrundlagen und wird in Zukunft weitere Konflikte befeuern. Konflikte um Ressourcen, ums Überleben, nicht nur anderswo – auch hier bei uns. Wir wissen das seit Langem und tun doch nicht genug. Denn unsere Demokratie lädt dazu ein, das Klimaproblem aufzuschieben anstatt es zu lösen. Mitverantwortlich für dieses Dilemma ist eine strukturell verankerte politische Kurzsichtigkeit. Diese äußert sich in den Interessen von Wählerinnen, aber genauso in den Versprechen und Entscheidungen von Politikerinnen oder Parteien, die vor allem kurzfristig einlösbare Versprechen ankündigen. In einer repräsentativen Demokratie sind das zwei Seiten derselben Medaille. Viel zu oft gewinnen daher – allem Wissen aus Forschung und längst spürbarer katastrophaler Auswirkungen unseres Lebensstils zum Trotz – Bequemlichkeit, mangelnde Aufklärung und Machtstreben gegen strategisch kluge Nachhaltigkeitsentscheidungen. Auch so ist zu erklären, dass wir in Deutschland und weltweit immer noch an der für das Klima so gefährlichen Kohleindustrie festhalten, Autos mit Verbrennungsmotoren fahren oder weiterhin Unmengen von Fleisch konsumieren. Und das, obwohl Wählerinnen wie Politikerinnen meist genau wissen, dass die Kosten für ihre kurzsichtigen Interessen von Menschen in anderen Ländern, ihren Kindern und Enkelinnen oder sogar ihnen selbst getragen werden. Die Deutschen mögen umweltbewusst sein, doch die Wahlergebnisse der letzten Jahre sprechen für ein weiter so. Wie könnten da die gewählten Volksvertreterinnen mutig für den erforderlichen Umbau zur Nachhaltigkeit stimmen, selbst wenn sie wollten? Das ist unverantwortlich, aber demokratisch legitimiert. Zwar beschreibt Demokratie vor allen Dingen Prozesse zur politischen Entscheidungsfindung und nicht bestimmte Politikinhalte, solange diese verfassungskonform sind. Was aber, wenn die so entstandene Politik unsere ökologischen Lebensgrundlagen systematisch untergräbt; uns und künftigen Generationen den sprichwörtlichen Ast absägt, auf dem wir sitzen? Ein solches System ist lebensbedrohlich. Dies ist kein Plädoyer gegen Demokratie - im Gegenteil: Es ist eine Aufforderung an alle Demokratinnen, den 15. September zum Anlass zu nehmen, um eine Diskussion über die Weiterentwicklung unseres politischen Systems in Gang zu bringen. Eine zukunftstaugliche Demokratie muss die Transformation zur Nachhaltigkeit unterstützen, indem sie die Menschen vor der Zerstörung ihrer eigenen Lebensgrundlagen schützt. Sie muss uns davor bewahren, uns selbst abzuschaffen. Es gibt bereits zahlreiche Ideen für eine nachhaltigkeitsförderliche, im wahrsten Sinne lebendige Demokratie, die Prinzipien wie Verantwortlichkeit und politische Mitbestimmung ausbauen. Sie reichen von der Einführung oder Aufwertung des Verfassungsrangs für Nachhaltigkeit zum Staatsziel, der strikten Nachhaltigkeitsprüfung von Gesetzen, Ombudspersonen für die Zukunft, über eine parlamentarische Vertretung der Interessen künftiger Generationen und politischen Mitspracherechten von Kindern und Jugendlichen, bis hin zur beschränkten Mandatszeit für Volksvertreterinnen oder Zukunftsräten aus zufällig ausgelosten Bürgerinnen. Der Schlüssel für die Wirkung dieser und ähnlicher zukunftsweisender Institutionen wäre Verbindlichkeit. Wir brauchen mehr als Dialogforen oder sonstige Talkshop-Formate, bei denen sich ohnehin engagierte Bürgerinnen und Expertinnen austauschen, um Absichtserklärungen für die Schubladen der Ministerien zu produzieren. Stattdessen brauchen wir Mut zu demokratischen Experimenten mit innovativen Formaten, welche die traditionellen Institutionen wie Regierungen und Parlamente nicht nur beraten, sondern verbindlich ergänzen. Kurz vor der Bundestagswahl und der UN-Klimakonferenz zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens in Bonn (COP23) ist es höchste Zeit für einen Nachhaltigkeitscheck unserer Demokratie. Ziel 16 der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung lautet „Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“ für nachhaltige Entwicklung fördern. Es geht darum, die institutionellen Voraussetzungen für die Erreichung aller Ziele zu schaffen. Für demokratische Staaten wie Deutschland bedeutet das: Nur wenn wir unsere Institutionen so anpassen, dass sie langfristige und nachhaltige Politik fördern, kann Demokratie wirklich dauerhaft zu Konfliktvermeidung, Frieden und Stabilität im Sinne des Mottos der Vereinten Nationen beitragen.

Ist die Romanze der Süd-Süd-Kooperation vorbei?

Mon, 11/09/2017 - 10:31
Bonn, 11.09.2017. Was ist nur aus dem emanzipatorischen Projekt der Süd-Süd-Solidarität geworden, das 1955 auf der Asiatisch-Afrikanischen Konferenz in Bandung, Indonesien das Licht der Welt erblickt hat? Gegenüber dem Westen zeigt der Süden weiterhin eine geschlossene Front, wie kürzlich auf dem Gipfel von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika (BRICS) im chinesischen Xiamen demonstriert. Aber die wachsenden Spannungen innerhalb der heterogen Ländergruppe treten immer deutlicher zu Tage. Ein wesentlicher Faktor dafür ist die zunehmende geopolitische Rivalität zwischen China und Indien. Das ist keine gute Nachricht, weder für die Entwicklungsländer noch für die ganze Welt. Die Umsetzung der transformativen Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung lässt sich nur dann erreichen, wenn die südlichen Geber untereinander kooperieren und komplementär zu den westlichen Ländern aktiv werden. Die bevorstehende Konferenz der Vereinten Nationen (VN) zur Süd-Süd-Kooperation in Argentinien (März 2019) bietet die einzigartige Gelegenheit, die Spaltungen innerhalb des Südens zu überwinden und das globale Gemeinwohl zu befördern. Kein Konsens in der Süd-Süd-Zusammenarbeit Das indische Forschungsinstitut Research and Development System for Developing Countries (RIS), das dem Außenministerium zugeordnet ist, hat die internationale Debatte zur Süd-Süd-Kooperation durch eine Reihe von großen Konferenzen wesentlich vorangebracht. Der Vergleich der letzten Veranstaltung, auch Delhi 3 genannt (mit den RIS-Konferenzen Delhi 1 und 2 in 2013 und 2015) zeigt sowohl Fortschritt als auch Stagnation. Ein Ergebnis sticht heraus: Die südlichen Geber können sich immer noch nicht auf Definitionen und Konzepte für die Süd-Süd-Kooperation einigen. Eine mit Hilfe der VN eingerichtete Plattform für Süd-Regierungen, die andere Entwicklungsländer unterstützen, ist aus Mangel an Gemeinsamkeiten wieder aufgelöst worden. Wie Márcio Corrêa, ein führender Beamter von ABC, der brasilianischen Agentur für Entwicklungszusammenarbeit, prägnant formuliert hat, „zeigen die wichtigen Akteure der Süd-Süd-Kooperation keine Bereitschaft, ein gemeinsames Grundverständnis zu entwickeln“. Im Gegensatz dazu gibt es Fortschritte im Bereich der analytischen Arbeit zu den Modalitäten und Wirkungen der Süd-Süd-Kooperation. Unter Führung des Network of Southern Think Tanks (NeST) entsteht ein wachsender Fundus an empirischen Studien. Doch auch hier werden Gegensätze deutlich, da die beteiligten Organisationen unterschiedliche Modelle für Begleitung und Bewertung der Projekte und Programme verwenden. Überwindung der geopolitischen Rivalität Die Debatten bei Delhi 3 wurden von der wachsenden Spannung zwischen Indien und China überschattet, die sich zunehmend auf die jeweiligen nationalen Strategien der Süd-Süd-Kooperation auswirkt. China konzentriert alle Kräfte auf die Belt and Road Initiative, die zahlreiche Länder in Asien und Afrika einbezieht. Als Gegenmaßnahme hat sich Indien mit Japan verbündet und den Asia-Africa Growth Corridor ins Leben gerufen. Im Moment scheint keine der beiden Seiten an Dialog und Koordination hinsichtlich ihrer konkurrierenden Pläne zur Förderung von Konnektivität, Handel und Investitionen interessiert. Der Konflikt zwischen den beiden Ländern wird durch den chinesischen Wunsch geschürt, BRICS um zusätzliche Länder, beispielsweise Indonesien und Pakistan, zu erweitern. Indien wehrt sich dagegen, weil es die chinesischen Ambitionen auf eine globale Führungsrolle fürchtet. Die staatliche chinesische Nachrichten Agentur Xinhua hat dazu mitgeteilt, dass das Motiv für die Erweiterung ist, BRICS zur führenden Plattform für Süd-Süd-Kooperation umzuwandeln. Die Konkurrenz zwischen den südlichen Supermächten birgt erhebliche Risiken für Entwicklungsländer. Sie könnten demnächst gegen ihren Willen mit einer Situation konfrontiert sein, wo sie sich für die eine Seite und gegen die andere entscheiden müssen. Regionalorganisationen, etwa die Afrikanische Union (AU) oder die Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) sollten als zentrale Vermittler die potenziellen Gefahren abwehren und die Entwicklungschancen nutzen. Auch Think Tanks, zum Beispiel NeST und die Think(T)20-Africa Standing Group haben eine wichtige Verantwortung zur Förderung des wechselseitigen Verständnisses und gemeinsamer Perspektiven. Dazu bemerkt Elizabeth Sidiropoulos, Direktorin des South African Institute of International Affairs: „Afrika schätzt die Partnerschaften mit sowohl Indien und China und bemüht sich um Komplementaritäten anstelle von Rivalitäten“. BAPA+40 als Rettung der Süd-Süd-Kooperation? Die symbolisch aufgeladene Veranstaltung zur Erinnerung an die VN-Konferenz zur technischen Zusammenarbeit zwischen Entwicklungsländern von 1978 könnte den Einstieg zu einer konstruktiven Neubestimmung der Süd-Süd-Kooperation bieten und helfen, den geopolitischen Streit zu überwinden. Nach einer bitteren Debatte entlang der Nord-Süd-Konfliktlinie konnte sich die VN-Vollversammlung nur auf einen Minimalbeschluss für die Konferenz verständigen, der Formalitäten, aber keine inhaltlichen Festlegungen umfasst. BAPA+40, so genannt mit Bezug auf die Verabschiedung des Buenos Aires Aktionsplans vor vierzig Jahren, wird von Argentinien vom 20. bis 22. März 2019 ausgerichtet. Zusätzlich wird das Land bald die Präsidentschaft der G20 übernehmen und Gastgeber für die nächste Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation sein. Dies bedeutet, dass Argentinien in den nächsten Monaten zum Schlüsselakteur in der globalen Politik wird. Die Stärkung der Süd-Süd-Zusammenarbeit ist von zentraler Bedeutung für die Erreichung der globalen Ziele nachhaltiger Entwicklung. Die Industrieländer sollten deshalb eine positive Haltung gegenüber BAPA+40 einnehmen und den Vorbereitungsprozess proaktiv unterstützen, um den Erfolg der Konferenz sicherzustellen.

Pflicht, nicht Wohltätigkeit – ein rechtebasierter Ansatz für den Kampf gegen die Wüstenbildung

Mon, 04/09/2017 - 10:00
Bonn, 04.09.2017. Die 13. Vertragsstaatenkonferenz zum Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Wüstenbildung (UNCCD) findet in dieser Woche in Ordos (China) zum Thema „Bekämpfung der Wüstenbildung für das menschliche Wohlergehen“ statt. Damit greift das diesjährige Thema die Wüstenbildung jedoch nur als Bedrohung menschlicher Lebensqualität auf. Es reflektiert nicht, dass Wüstenbildung das Ergebnis von Klimaschwankungen und nicht-nachhaltigen menschlichen Aktivitäten auf produktivem Land ist. Die Ursachen von Wüstenbildung sind komplex. Sie reichen von leichter erkennbaren „unmittelbaren Ursachen“ geophysikalischer Natur bis zu weniger eindeutigen „zugrundeliegenden Ursachen“ wie Armut. Das UNCDD spricht sich für „Landdegradations-Neutralität“ (LDN) als Mittel zum Kampf gegen Wüstenbildung aus. Maßnahmen zur Erreichung des LDN-Ziels – keinen Netto-Verlust von gesundem und fruchtbarem Boden zu erleiden –, stehen jedoch im Verdacht, lediglich die unmittelbaren und nicht die grundlegenden Ursachen von Wüstenbildung anzugehen. Wenn Wüstenbildung umgekehrt und verhindert werden soll, müssen auch die zugrundeliegenden Ursachen berücksichtigt werden. Das UNCCD kann das nicht alleine schaffen. Die Macht von drei Konventionen Das UNCCD und die beiden anderen Rio-Konventionen – das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über den Klimawandel (UNFCCC) und das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) – wurden alle 1992 während der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung (dem sogenanten „Erdgipfel“) in Rio de Janeiro (Brasilien) verhandelt und verabschiedet. Das zugrundeliegende Konzept der nachhaltigen Entwicklung hat von Beginn an die Notwendigkeit der Maximierung von Synergien zwischen den Konventionen betont. Die Umweltschwerpunkte der drei Konventionen sind miteinander verknüpft; so sind Wüstenbildung und Verlust an Biodiversität zwei langsam fortschreitende Wirkungen des Klimawandels. Dennoch wurde erst 2001 eine Kontaktgruppe (Joint Liaison Group, JLG) eingerichtet. Bis heute sondiert diese „mögliche konkrete Stränge der Zusammenarbeit“. Sie hat das Potenzial, eine Schlüsselrolle bei der Ermittlung und Erforschung von Lösungen für die zugrundeliegenden – und nicht nur die unmittelbaren – Ursachen der Wüstenbildung zu spielen. Doch als informelles Forum, das nur einmal im Jahr zusammenkommt, ist das Mandat der Kontaktgruppe darauf beschränkt, die „Koordination zu verbessern“ und „Möglichkeiten der weiteren Zusammenarbeit“ unter den Rio-Konventionen zu untersuchen. Die grundlegenden Ursachen angehen, um das menschliche Wohlergehen zu verbessern Die der Wüstenbildung zugrundeliegenden Ursachen müssen neben den unmittelbaren Ursachen angegangen werden; andernfalls bleiben Ursache und Wirkung in einem Teufelskreis gefangen. Armut ist eine der Wüstenbildung zugrundeliegende Ursache, aber Wüstenbildung führt auch zu Armut. Wenn die Ressourcen eines Haushalts nur für seine Grundbedürfnisse ausreichen, kann die Einführung alternativer Praktiken wie LDN oder nachhaltige Landbewirtschaftung einige Zeit dauern. Ein angemessener Ansatz muss daher den durch Wüstenbildung verschärften Entwicklungsproblemen Rechnung tragen. Als Produkte des Erdgipfels operieren das UNCCD und die beiden anderen Rio-Konventionen meist aus einer ökologischen Perspektive, die sich auf Ökosysteme und nicht auf Menschen konzentriert. So zielt LDN vor allem darauf ab, landgestütztes Naturkapital und Ökosystemdienstleistungen zu bewahren; menschliches Wohlergehen und Ernährungssicherheit sind dabei Nebenprodukte. Um Wohlergehen zu verbessern, müssen die Folgen sowohl für soziale und als auch für ökologische Systeme in Betracht gezogen werden. Ein rechtebasierter Ansatz, um die grundlegenden Ursachen anzugehen Das UNCCD ist in einer strategischen Partnerschaft mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP), das das „Integrierte Programm für Trockengebiete“ (Integrated Drylands Development Programme, IDDP) ins Leben gerufen hat. Das Programm ist ein menschenorientierter Ansatz, der das SDG-Ziel 15.3 zur Bekämpfung der Wüstenbildung bis 2030 verfolgt. Er hat das Potenzial, die grundlegenden Ursachen der Wüstenbildung anzugehen, ist jedoch darauf angewiesen, dass Regierungen die Probleme mit Trockengebieten in ihre Politik einbeziehen. Ein rechtebasierter Ansatz betont die universelle Verantwortung bei der Bewältigung der Ursachen von Wüstenbildung. Die Vereinten Nationen haben schon früh die Verbindungen zwischen Armut und Menschenrechten hervorgehoben und erklärt, dass Armutsbekämpfung „eine Pflicht und nicht Wohltätigkeit“ ist. Wenn der Kampf gegen die Wüstenbildung wirklich zum menschlichen Wohlergehen beitragen soll, müssen das UNCCD ebenso wie die JLG und das IDDP einen rechtebasierten Ansatz verfolgen. Nur so können sie die unmittelbaren sowie die zugrundeliegenden Ursachen der Wüstenbildung angehen. Da die grundlegenden Ursachen der Wüstenbildung eng mit weiteren Umweltproblemen wie Entwaldung und Biodiversitätsverlust verbunden sind, strahlt die Wirkung eines rechtebasierten Ansatzes bei der Bewältigung der Wüstenbildung weit über dessen direkte Ziele hinaus.

Wasser – ein „blauer“ Faden zieht sich durch die Agenda 2030 und das Klimaabkommen von Paris

Mon, 28/08/2017 - 10:00
Wasser ist für den Menschen und für den Erhalt der Umwelt unverzichtbar. Wasser spielt auch eine fundamentale Rolle für die Anpassung an den Klimawandel und bietet als Querschnittsthema großes Potential, die Agenda 2030 sektorübergreifend umzusetzen. Auf der jährlich stattfindenden Weltwasserwoche in Stockholm widmen sich Experten aus Forschung, Politik und Zivilgesellschaft den drängenden Themen Wasser und Wasserressourcen. Einerseits, um Politik, Gesellschaft und Industrie zu sensibilisieren und andererseits, um den Wassersektor auf nationalen und internationalen politischen Agenden stärker zu verankern. Auf der diesjährigen Weltwasserwoche diskutieren die mehr als 3.000 Teilnehmenden aus über 130 Ländern die Verschwendung von Wasser. Diese Themensetzung ist ein Appell an die Weltgemeinschaft, sowohl Effizienzsteigerung in der Ressourcennutzung, als auch sektorübergreifende Politikprozesse stärker in den Fokus zu rücken. Eine Bündelung an Maßnahmen und Veränderungen ist gefragt, um den komplexen Herausforderungen nachhaltiger Entwicklung begegnen zu können. Das Wasserthema muss eine Querschnittsfunktion für nachhaltige Entwicklung und die nationalen Klimaanpassungsstrategien einnehmen Aktuelle Analysen des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) zeigen, dass fast alle nationalen Klimapläne/NDCs Wasser in den Mittelpunkt stellen. Im Rahmen der Weltwasserwoche 2017 diskutiert das DIE den Beitrag von Klimamaßnahmen im Wasserbereich sowie den Wassersektor als integrierendes Element in der Umsetzung des Klimaabkommens von Paris und der Agenda 2030. Einen Überblick über die weltweiten Klimapläne und einen Vergleich über Themen und Länder hinweg erlaubt der NDC Explorer. Auch wenn die nationalen Klimapläne ursprünglich nur auf Maßnahmen zur Minderung des Klimawandels abzielten, betrifft ein Großteil der Länderaktivitäten auch Anpassungsmaßnahmen, die sehr eng mit dem Wassersektor und nachhaltiger Entwicklung insgesamt verwoben sind. 65 Prozent der nationalen Klimapläne (NDCs) betonen die Klimavulnerabilität des Wassersektors und knapp 80 Prozent beinhalten Anpassungsmaßnahmen im Wassersektor. So weisen SDG 6 „Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten“ und SDG 13 „Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen“ zahlreiche Verbindungen auf. Das DIE analysiert und visualisiert aktuell die Klimamaßnahmen von 163 Ländern hinsichtlich ihres Beitrages zur Zielerreichung der SDGs. In Bezug zu SDG 6 und zu den Unterzielen leisten Klimamaßnahmen den größten Beitrag zum Umgang mit Wasserknappheit und effizienter Wassernutzung (SDG 6.4). Wasser-relevante Maßnahmen in den nationalen Klimaplänen Die NDCs berücksichtigen den Wassersektor in vielerlei Hinsicht, allerdings werden auch Lücken deutlich. Eine Vielzahl der NDCs aus wasserarmen Regionen schlagen beispielsweise Effizienzsteigerungen im landwirtschaftlichen Bewässerungsmanagement und Regenwassergewinnung und Wiederverwendung auf Haushaltsebene vor. Ein geringerer Teil beinhaltet Maßnahmen für ein integriertes Wasserressourcenmanagement (SDG 6.5) und die Verbesserung des Zugangs zu Trinkwasser für alle (SDG 6.1). Und nur sehr wenige Klimamaßnahmen nennen den Schutz von Wasserökosystemen (SDG 6.6), obwohl dieser wesentlich zur Anpassung an den Klimawandel beitragen kann. Selten werden die Versorgung mit sanitären Anlagen (SDG 6.2) und Reduzierung von Verschmutzung (SDG 6.3) als Klimamaßnahmen in den NDCs genannt. Die DIE-Analyse der Klimapläne untermauert die Bedeutung des vernetzten Zielsystems der Agenda 2030. Die meisten Klimamaßnahmen im Wasserbereich stehen im engen Zusammenhang mit der Landwirtschaft (SDG 2) und mit der Infrastrukturentwicklung (SDG 9). Weitere SDGs, die einen Querbezug zu Wassermaßnahmen der Klimapläne besitzen, sind SDG 1 zu Armut, SDG 7 zu erneuerbaren Energien und SDGs 14 und 15 zu Land- und Meeresökosystemen. Klimamaßnahmen liefern weit über das Klimaziel (SDG 13) hinaus wichtige Beiträge zur Agenda 2030 im Allgemeinen und zum Wasserziel (SDG 6) im Speziellen. Es wird aber auch deutlich, dass jenseits der Klimapläne zahlreiche Herausforderungen zur Umsetzung der Agenda 2030 und der Adressierung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung weiterhin bestehen und anzugehen sind. Die Weltwasserwoche ist das weltweit größte und etablierteste Forum für bereichsübergreifende Diskussionen um Wasserressourcen. Wasser als Querschnittsthema innerhalb und über die Agenda 2030 hinweg muss auf der Weltwasserwoche anerkannt werden, um a) die bedeutsame Rolle von intersektoralen Wechselwirkungen in der Umsetzung der Agenda 2030 auf nationaler Ebene Bedeutung zu verleihen und, um b) die nationalen Umsetzungen des Abkommens von Paris und der Agenda 2030 in ihren Maßnahmen kohärent und einander ergänzend umzusetzen. Die aktive Einbeziehung von Wechselwirkungen und die gemeinsame Umsetzung des Abkommens von Paris und der Agenda 2030 können sektorales Denken aufbrechen und in ihrer Komplementarität nachhaltige Entwicklung entscheidend voranbringen. Wasser spielt dabei eine zentrale Rolle! Die Kolumne ist am 28.09.2017 auch bei euractiv.de erschienen

Pioniere der Nachhaltigkeit für eine globale Transformation

Mon, 21/08/2017 - 08:00
Bonn, 21.08.2017. Es steht nicht gut um unsere Welt: Klimawandel, globale Ungleichheit, mehr als 65 Millionen Menschen auf der Flucht. Um diese und andere komplexe Probleme zu lösen, müssen wir vieles tiefgreifend ändern. So erfordert eine Begrenzung der Klimaerwärmung auf unter 2 Grad beispielsweise den radikalen Verzicht auf die Nutzung fossiler Energie. Eine solche globale Transformation braucht Pioniere der Nachhaltigkeit. Sie entwickeln Lösungen zur Bearbeitung globaler Probleme und setzen diese in konkretes Handeln um. Als Vorbilder leben sie vor, dass und wie Wandel machbar ist. Sie entwickeln etwa ein Fairphone und zeigen, wie globale Produktionsprozesse gestaltet werden können, die Menschen ein faires Einkommen sichern, die Umwelt schonen, Ressourcenkonflikte nicht verschärfen. Am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) startet heute die Managing Global Governance (MGG) Academy. Diese hat zum Ziel, künftige Pioniere der Nachhaltigkeit zu fördern. Die Teilnehmenden kommen aus sechs Schwellenländern (Brasilien, China, Indien, Indonesien, Mexiko, Südafrika), aus Deutschland und aus Ungarn. Sie arbeiten für Regierungsinstitutionen, für Forschungseinrichtungen, in der Zivilgesellschaft oder im Privatsektor. Sie sind Experten für Korruptionsbekämpfung, für Wassermanagement, für Menschenrechte und vieles mehr. Diese Vielfalt ist gewollt. Die verschiedenen Perspektiven bieten Anlass zum Erfahrungsaustausch, zu Diskussionen, aber auch zu Irritationen. Ob Umwelt- und Sozialstandards sinnvoll sind oder nicht, wird von einer indischen Ökonomin aus einer Forschungsinstitution möglicherweise ganz anders gesehen als von einem deutschen Geographen, der in einer Nichtregierungsorganisation arbeitet. Da Schwellenländer für die Bearbeitung globaler Herausforderungen immer wichtiger werden, richtet sich die MGG Academy vor allem an Nachwuchsführungskräfte aus diesen Ländern und aus Europa. Hintergrund ist die Annahme, dass der Aufbau von Vertrauen und die Entwicklung gemeinsamer Problemwahrnehmungen und -lösungen wichtig sind für das Gelingen von internationaler Kooperation. In ihrer Gestaltung orientiert sich die MGG Academy an einem Modell transformativer Bildung: Die Teilnehmenden sollen darin unterstützt werden, komplexe Problemlagen nicht nur zu verstehen und zu analysieren, sondern auch aktiv zu deren Lösung beizutragen. Welche Kompetenzen brauchen Pioniere der Nachhaltigkeit? Systemisches Denken ist wichtig, um die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Dimensionen globaler Herausforderungen zu erkennen, zu bearbeiten und Lösungen aufzuzeigen. Was gut für den Umweltschutz ist – beispielsweise Naturreservate – ist problematisch, wenn Angehörige indigener Völker von ihrem Land vertrieben werden. Es geht darum, disziplinäres Silodenken zu überwinden. Es geht aber auch darum, die Perspektiven unterschiedlicher Interessenvertreter zu berücksichtigen und in die Problemanalyse und Lösungsentwicklung einzubeziehen. Das geschieht durch die vielfältige Zusammensetzung des Kurses und durch einen bunten Mix an Lehrenden. Aber auch Exkursionen, Gespräche, praktische Erfahrungen fördern systemisches Denken: ein Besuch in einer Braunkohlemine, das Gespräch mit Bewohnern eines Mehrgenerationenhauses, die Teilnahme an der Fahrraddemo "Critical Mass". Reflektive, normative Kompetenzen sind ebenfalls bedeutsam. Transformation ist ein tiefgreifender, radikaler Wandel, der materielle wie auch immaterielle, sichtbare als auch unsichtbare Dimensionen umfasst. Es geht also auch um eine Veränderung von Weltsichten, Kulturen, Einstellungen, um das in Frage stellen von Denkmustern und Gewohnheiten. Ganz konkret heißt das in der MGG Academy, dass die Teilnehmenden bei sich selbst anfangen und über Fragen reflektieren wie: Was treibt mich an im Leben? Welche Werte sind mir wichtig? Wie sieht mein bisheriger Lebensweg aus, und wohin möchte ich mich verändern? Auch strategische Kompetenzen sind elementar – wie können Pläne für positiven Wandel entwickelt werden, wie werden Hindernisse überwunden, wie verschiedene Akteure zusammengebracht? Wenn die Teilnehmenden ein Konzept dafür entwickeln, Wasserwege in Jakarta für den Transport von Waren zu nutzen, dann wird auch darüber diskutiert, welche Partner für die Umsetzung der Idee gewonnen werden sollten. Schließlich sind personale Kompetenzen grundlegend. Wissen und Ideen werden nur dann Veränderungen nach sich ziehen, wenn sie überzeugend kommuniziert werden können. Wer tragfähige Lösungen finden möchte, muss anderen zuhören können. Es geht um Teamarbeit und darum, unterschiedliche Erfahrungen zu nutzen. Die Kleingruppenprozesse der MGG Academy sind mitunter anstrengend. Wenig Zeit, ein komplexes Thema, ein diverses Team. Am Ende zahlen sich die langen Suchprozesse und bewältigten Konflikte aber aus. Die Teilnehmenden der Academy von 2016 haben sich wechselseitig versprochen, konkrete Beiträge zu nachhaltiger Entwicklung zu leisten. "22 kleine Schritte zur Implementierung der Agenda 2030" haben sie das genannt. Neugierig geworden? Hier erfahren Sie noch mehr über MGG.

Bestandsaufnahme Agenda 2030: Kommen wir in der integrierten Umsetzung voran?

Mon, 24/07/2017 - 10:00
Bonn, 24.7.2017. Es gibt keinen Planeten B. Wer sich dieser Einsicht nicht verschließt, muss versuchen, die  2015 beschlossenen 17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung (SDGs) so schnell wie möglich und so gut wie möglich umzusetzen – und zwar in einer globalen Partnerschaft. Die Agenda 2030 ist eine einzigartige Vision für die Zukunft der Menschheit auf diesem Planeten. Die Herausforderung liegt in der Verbindung von Klima- und Umweltschutz mit sozialer und ökonomischer Entwicklung. Damit sind Synergien und Zielkonflikte verbunden, und ein frühzeitiger Dialog über Politikfelder hinweg wird unabdingbar. Das jährlich stattfindende Hochrangige Politische Forum für Nachhaltige Entwicklung (High Level Political Forum - HLPF) der Vereinten Nationen ist als Plattform geschaffen worden, um den Fortschritt und bestehende Herausforderungen in der Umsetzung zu diskutieren.   In diesem Jahr fand bereits das zweite HLPF statt, und die überall zu spürende Aufbruchsstimmung scheint ungebrochen zu sein. Dies spiegelt sich auch in der Einigkeit aller G20-Staaten beim Hamburger Gipfel mit Blick auf die Bedeutung der Vereinten Nationen und des HLPF für die Umsetzung der Agenda 2030 wider. Das HLPF tagt jährlich in New York, die Länder berichten freiwillig und stehen hierbei den kritischen Rückfragen der anderen Teilnehmerstaaten und einer großen Zahl zivilgesellschaftlicher Akteure Rede und Antwort. Die Berichterstattung umfasst in der Regel eine 15-minütige Präsentation zu Fortschritten und Defiziten mit anschließender Diskussion. Dieses Jahr gab es 44 nationale Fortschrittsberichte, doppelt so viele wie 2016. Die Länder, darunter Indien, Dänemark, Äthiopien und die Malediven, könnten in den jeweiligen Herausforderungen und Fortschritten diverser nicht sein. Die zwei Berichtswochen zur Agenda 2030 bildeten den Abschluss einer intensiven Vorbereitungsphase auf nationaler Ebene mit flankierenden Publikationen, Multi-Stakeholder-Dialogen und Expertenrunden der Zivilgesellschaft. Diese Vorarbeiten leisten den eigentlichen Beitrag zur Umsetzung der Agenda 2030. Neu war 2017 die Ergänzung der nationalen Berichterstattung um die „thematischen Reviews“ von sieben ausgewählten SDGs. So befasste sich das HLPF unter der Überschrift „Eradicating Poverty and Promoting Prosperity“ in der Tiefe mit den Themen Armut, Hunger, Gesundheit, Geschlechtergleichstellung, Infrastruktur, Meeresökosysteme und globale Partnerschaften. Die weniger entwickelten Länder können in ihren Berichten eigene Prioritäten setzen oder sich auf die ausgewählten sieben SDGs konzentrieren. Durch diese thematische Engführung war zu beobachten, dass Diskussionen einen starken Fokus auf die soziale und ökonomische Dimension der Agenda 2030 entwickelten. Die ökologische Dimension rückte in den Hintergrund. Angesichts des knappen Zeitrahmens pro Land war eine Fokussierung der Diskussion wichtig und sinnvoll. Gerade die ärmsten Länder oder auch kleine Inselstaaten mit begrenzten Kapazitäten für die Umsetzung können auf diese Weise die Berichtslast schultern und gegebenenfalls Themenpartnerschaften mit anderen Ländern eingehen. Gleichzeitig sind thematische Reviews ein sehr sinnvolles Verfahren, um über nationale Betrachtungen hinauszugehen. Sie besitzen somit das Potential, besonders kritische Zielkonflikte zwischen Entwicklung, Wachstum und Umweltschutz zu beleuchten und Erfahrungen und Herausforderungen bei systemischen Veränderungsprozessen zu teilen. Im Rahmen eines Side Events der Berliner Global Soil Week zu Ernährung wurde aufgezeigt, dass thematische Reviews genau diesen Querschnittscharakter entwickeln müssten, um den komplexen Herausforderungen in der Umsetzung der Agenda 2030 Rechnung zu tragen. Die ersten thematischen Reviews des HLPF führten jedoch zu einer Tiefenanalyse einzelner SDGs und verloren dabei die Wechselwirkungen zwischen einzelnen Politikfeldern aus dem Auge. Es stellt sich daher die Frage, wie thematische Reviews so ausgestaltet werden können, dass sie dem integrierten Charakter der Agenda 2030 Rechnung tragen. Wir müssen aufhören, isolierte Ansätze in einzelnen Politikfeldern zu suchen. Nötig sind Mechanismen, die die soziale und ökonomische mit der ökologischen und politischen Dimension verbinden. Erst dann sind Diskussionen um Zielkonflikte und Synergien, um Gewinner und Verlierer und damit um die Knackpunkte in der Umsetzung der Agenda 2030 möglich. Die thematischen Reviews besitzen das Potential, diesen Austausch und das gegenseitige Lernen darüber auf globaler Ebene zu befördern. Positiv sind in diesem Zusammenhang auch die Vereinbarungen der G20-Staaten in Hamburg zu bewerten, erstens eine freiwillige G20-Lernplattform für die Agenda 2030 einzurichten, an der sich auch Länder jenseits der G20 beteiligen können, und zweitens den Dialog mit gesellschaftlichen Akteuren zu verstetigen. Der Dialog über eine verbesserte Ausgestaltung thematischer Reviews muss jetzt vorangebracht werden. Maßstab dafür müssen die komplexen Herausforderungen in den einzelnen Ländern sein und der Anspruch, systemisches Wissen in politische Handlungsempfehlungen zu übersetzen. Thematische Reviews, die sich dem Querschnittscharakter der SDGs annehmen, können Verständnis über Politiksektoren hinweg und systemische Handlungsempfehlungen fördern.

Nach dem Gipfel: G20-Afrika Kooperation auf der Suche nach Kontinuität, Einfluss und politischen Visionen

Mon, 17/07/2017 - 10:00
Bonn, 17.07.2017. Die Stärkung der G20-Afrika Kooperation ist ein wichtiger Erfolg der deutschen G20-Präsidentschaft. Die meisten afrikanischen Volkswirtschaften sind weder gut in die Weltwirtschaft integriert, noch haben sie wesentlichen Einfluss auf die Entscheidungsfindung in globalen Governance-Strukturen wie der G20, des IWF oder der WTO. Gleichzeitig ist Afrika weiterhin der Kontinent, auf dem die meisten Armen leben, häufig in fragilen Staaten. Daher besteht Bedarf für eine bessere afrikanische Vertretung bei globalen Problemlösungen und verbesserte Wege zu nachhaltiger Entwicklung in Afrika. Können die im Kommuniqué skizzierten G20-Prioritäten die globale Vertretung Afrikas und seine nachhaltige Entwicklung voranbringen? Nachhaltige Entwicklung in Afrika: Auf der Suche nach politischen Visionen G20-Afrika Kooperation bestand bisher aus einer Reihe von Einzelinitiativen (bspw. die Initiative zur Förderung von Industrialisierung in Afrika und LDCs durch die chinesische G20-Präsidentschaft 2016). Diskussionen über die Zusammenarbeit zwischen der G20 und Afrika fanden meist in der G20-Arbeitsgruppe ‚Entwicklung‘ statt. Die deutsche Präsidentschaft hat nun eine neue G20 Afrika Partnerschaft ins Leben gerufen. Ihr Kernstück ist der „Compact with Africa“ (CwA), der von der Afrikanischen Entwicklungsbank, dem IWF und der Weltbank umgesetzt werden wird. Er konzentriert sich auf private Investitionen, die Arbeitsplätze schaffen und die Infrastruktur (insbesondere Energie) in einzelnen Ländern verbessern sollen. Côte d‘Ivoire, Äthiopien, Ghana, Marokko, Ruanda, Senegal und Tunesien haben sich verpflichtet, Vereinbarungen zu präsentieren.

Mit einigen konkreten Initiativen zu beginnen, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings ist auch eine politische Vision erforderlich, wie die alten und neuen Initiativen zusammenpassen und wie sie zu einer strukturellen, großen Transformation beitragen, die für nachhaltige Entwicklung in Afrika notwendig ist. Das G20-Kommuniqué bezieht sich auf die Agenda 2063 der Afrikanischen Union (AU) und die Agenda 2030 der UN. Trotzdem ist nicht klar, wie die CwAs zum umfassenderen Ziel der Förderung nachhaltiger Entwicklung in Afrika beitragen werden. Darüber hinaus sind die CwAs nicht systematisch mit früheren G20-Initiativen verknüpft, die noch auf eine vollständige Umsetzung warten. Auch konzentrieren sich die CwAs auf bilaterale Vereinbarungen, statt die regionale Kooperation bei der Schaffung eines günstigen Investitionsumfelds zu unterstützen.

Komplementarität zwischen G20 und anderen Partnerschaften stärken

Die neue G20 Afrika Partnerschaft läuft parallel zu bilateralen Agenden von G20-Mitgliedern, insbesondere zu denen von China (Belt and Road Initiative) oder Indien und Japan (Asia-Africa Growth Corridor) und könnte mit ihnen konkurrieren. Die BRICS-Unterstützung für die CwAs scheint begrenzt. Jedenfalls erwähnen die BRICS die Kooperation mit Afrika in ihrem Pressekommuniqué des Hamburger Gipfels nicht. Die deutsche G20-Präsidentschaft bemüht sich offenbar v.a. darum, EU-Initiativen wie den externen EU-Investitionsplan und die Vorbereitungen für den EU-Afrika-Gipfel in Übereinstimmung mit der G20-Agenda zu bringen.

Ob die verschiedenen bilateralen und G20-Initiativen der Industrie- und Entwicklungsländer sich gegenseitig verstärken oder miteinander konkurrieren, wird auch von der Antwort Afrikas abhängen. Die AU ist dabei, ihre Strategien zur Kooperation mit externen Partnern zu reformieren und die Komplementarität von Partnerschaften zu stärken. Beim AU-Gipfel Anfang Juli wurden die Reformvorschläge weiter diskutiert, die eine Kommission unter Vorsitz vom ruandischen Präsident Kagame erarbeitet und im Januar den AU-Staatschefs vorgestellt hatte. Diese Reformbemühungen müssen den Ausgangspunkt für G20-Afrika Kooperation bilden. Nur dann kann sichergestellt werden, dass mit dem Engagement der G20 im Vergleich zu anderen Partnerschaften zusätzlicher Nutzen entsteht.

Von Verantwortung zur Partnerschaft: Afrika muss mit am Tisch sitzen Die deutsche G20-Präsidentschaft zielte auf eine neue und gleichberechtigte Partnerschaft mit Afrika. Mittelfristig kann dies nur erreicht werden, wenn Afrika mit am Tisch sitzt. Auf der Basis der Vorschläge für eine G20 Afrika Partnerschaft sollte die G20 die Kooperation mit Afrika umfassend in die verschiedenen G20 Arbeitsstränge integrieren, jenseits von der G20-Arbeitsgruppe ‚Entwicklung‘. Die Umsetzung der 2030-Agenda in Zusammenarbeit mit Afrika und die Unterstützung der Agenda 2063 erfordert politische Kohärenz innerhalb der G20-Arbeitsgruppen und die Koordination mit anderen internationalen und regionalen Organisationen.

Außerdem sollte eine Panafrikanische Organisation mittelfristig einen ständigen Sitz bekommen. Die AU und die „New Partnership for Africa’s Development” (NEPAD) haben derzeit nur Beobachterstatus. Dies bedeutet ein gewisses Maß an Informalität. Zusammen mit den begrenzten Ressourcen der Organisationen schafft dieser Grad der Informalität wenige Anreize, Kapazitäten für die Kooperation mit der G20 zu stärken. Ein ständiger Sitz für eine Pan-Afrikanische Organisation wäre ein Schritt, das Legitimationsdefizit zu verringern.

Die G20 Afrika Partnerschaft kann für nachhaltige Entwicklung in Afrika nur einen Unterschied machen, wenn (1) künftige Präsidentschaften das Engagement der G20 für die Zusammenarbeit mit Afrika aufrechterhalten, (2) afrikanische Stimmen in die globale Entscheidungsfindung integriert werden und wenn sie (3) in ein zukunftsweisenderes und umfassenderes Engagement eingebettet wird. Christine Hackenesch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung „Bi- und multilaterale Entwicklungspolitik“ am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE). Julia Leiniger leitet am DIE die Abteilung „Governance, Staatlichkeit, Sicherheit“. Elizabeth Sidiropoulos ist Chief Executive am South African Institute of International Affairs (SAIIA).

What remains of the G20 Hamburg Summit?

Mon, 10/07/2017 - 10:42
At first glance, the communiqué of the G20’s Hamburg Summit is an ordinary piece of international diplomacy. However, as is often the case, context is key to assess its real importance. Two context factors defined this year’s negotiations of G20 leaders in the exhibition halls in the city center of Hamburg. Within the negotiation room, an unruly US president questioned a number of common positions that had already been adopted by the G20 in previous years. Given this exceptional challenge, the communiqué entails a number of encouraging commitments that did not at all seem possible just a couple of days ago. Outside of the cosy negotiation room, however, violent and peaceful protesters on the streets of Hamburg sent a defiant message to the leaders of the G20. From their perspective, the G20 appears neither effective nor legitimate. Taming Trump Let’s start with the positive. Chancellor Merkel avoided the worst possible outcome – a Gzero constellation in which the leaders of the economically most important countries could not agree on critically important issues. On climate, of course, only the G19 agreed on reaffirming the Paris Agreement while it only took note of the withdrawal of the US from the agreement. However, in light of the provocative stance of the current US administration – documented by the insistence on the inclusion of a sentence on the promotion of ‘clean fossil fuels’ – it is a major achievement to preserve the cohesion of a group of countries that include the likes of Russia or Saudi Arabia. Crucially, the world is not waiting for the US on its joint path towards a more climate-friendly global economy. Given the recent spat on trade between the US and a number of G20 countries including the German chair the respective section in the communiqué is surprisingly strong. It stresses the importance of the non-discrimination principle and emphasises the importance of a rules-based international trading system including effective rules’ enforcement within the World Trade Organization. The G20, furthermore, commits to promote social and environmental standards and human rights in global value chains. Reading between the lines, though, some differences are still visible. For example, the G20 in Hamburg commits to “fight protectionism including all unfair trade practices” while recognising “legitimate trade defence instruments”. A year earlier in the Chinese city of Hangzhou the G20 condemned protectionism in all its forms. While a diplomatic gridlock on trade was avoided, it remains to be seen if this compromise is sufficient to curb and scale back the widespread recourse of G20 countries to trade-restricting measures. Beyond these two controversial issues that dominated the headlines prior to the summit, the meeting in Hamburg got a number of new initiatives off the ground such as the launch of a G20 Africa Partnership, the commitment to combat antimicrobial resistance or the adoption of an action plan to reduce marine litter. The G20 also gained further ground on some of the existing commitments such as financial regulation, the implementation of the 2030 Agenda for Sustainable Development or the digital economy. Who cares? While avoiding a backsliding on many of the G20’s commitments is a diplomatic success, it is, however, not enough to get the G20 out of its deep-routed legitimacy crisis. The pictures of peaceful protests but also of the violent riots and burning cars in the streets of Hamburg are so much more powerful than a 15-page communiqué, no matter how well-crafted it could ever be. Certainly, it was a big gamble of the German host to hold the G20 summit in the middle of a city known for its (violent) protest culture. But, circumventing violent protests by moving the summit to a remote beach resort, like in 2015, or by clearing whole city districts, like in 2016, is also not the way forward. Of course, in particular the heavy clashes between radical protestors and the police that made the international headlines. However, we should not forget the tens of thousands protestors peacefully demanding substantial change to the current model of globalization. They are the ones that really deserve closer attention of the G20 leaders. Participation and accountability So, what are lessons from Hamburg for Argentina and Japan that will host the G20 in 2018 and 2019 respectively? Agreeing on better policies that address the economic, social and environmental challenges of our times is necessary but not sufficient. A first crucial lesson for the G20, therefore, must be to find new ways to involve those that feel affected by the decisions that the G20 adopts or fails to adopt. The German presidency made some progress with regard to establishing dialogues with the so called engagement groups representing business associations, non-governmental organisations, labour unions or thinks tanks. However, if we like it or not, often these groups are perceived by many as being part of an elite that is not responsive to the needs and challenges of broad parts of our societies. Not only the G20 but also the engagement groups must find new ways to communicate with the men and women on the street and to give them a real chance to express their concerns and needs and to feed them back into the G20 process. At the same time, the G20 must improve its framework to report on its successes and shortcomings and allow more transparency. Some of the works streams of the G20 have such accountability mechanisms in place. These mechanisms should be broadened to establish an overarching accountability framework for the whole G20 that also involves stakeholders outside of the official process. What remains from Hamburg is the hope that this meeting will not only lead to more international cooperation despite – or maybe because of – the isolationist strategy of the Trump administration, but also to increased efforts to make the G20 a more transparent, participatory and accountable process.

Gute Regierungsführung, gute Arbeitsbedingungen und ein guter Global Compact on Migration

Mon, 03/07/2017 - 10:00
Das Global Forum on Migration & Development, das vergangene Woche (28. – 30. Juni 2017) in Berlin stattfand, hat gezeigt, dass Regierungen weltweit bei der Bewältigung der sog. Flüchtlingskrise zunehmend auf Entwicklungshilfe und technische Zusammenarbeit setzen. Da auch in Zukunft mit großen Migrations- und Fluchtbewegungen aus Afrika, dem Nahen Osten und Südasien zu rechnen ist, wird Entwicklungszusammenarbeit eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, die Lebensgrundlagen in den Heimatländern zu verbessern und zugleich Möglichkeiten für sichere und legale Migration zu schaffen. Dies wurde auch beim jüngsten Treffen der Vereinten Nationen in Genf zur Fortsetzung der Vorbereitung der Verhandlungen über den Global Compact on Migration betont. Auch dort wurde die Bedeutung von Entwicklung als Mittel zu Minderung risikoreicher Migration und Flucht hervorgehoben. Allerdings sind Entwicklungslösungen notwendig, die über die kurzfristige Schaffung von Arbeitsplätzen und bilaterale Vereinbarungen zu Arbeitsmigration hinaus die tiefgreifenden politischen und sozialen Probleme angehen, die Menschen zwingen, ihre Heimatländer zu verlassen. Durch Konflikte, Umweltveränderungen und mangelnde wirtschaftliche Perspektiven verursachte Vertreibungen in Afrika, dem Nahen Osten und Südasien stellen eine besondere Herausforderung dar. Die vergangenen fünf bis sieben Jahre haben deutlich gezeigt, dass Menschen bereit sind, für die Aussicht auf Asyl oder verbesserte Lebensbedingungen tödliche Gefahren zu akzeptieren. Menschen, die sich entschieden haben (oder gezwungen wurden), das Risiko der Überquerung des Mittelmeers auf sich zu nehmen, werden sich daher von aggressiven Grenzkontrollen oder abschreckenden Politiken nicht abbringen lassen. Entwicklungspolitik muss sich somit darauf konzentrieren, die Existenzgrundlagen und die sozialen und politischen Bedingungen für eine gute Lebensqualität zu verbessern. Die Menschen ‚einfach‘ in ihrer Heimat zu halten, ist nicht realistisch. Aber was sind Konsequenzen für die Praxis? In Äthiopien, einem Land mit einer wachsenden Fertigungsindustrie, wurde vielfach davon ausgegangen, dass Menschen die Beschäftigung in der Landwirtschaft oder im informellen Sektor zugunsten formeller Arbeit aufgeben würden. Zur Überraschung von Forschern zeigte sich aber, dass  äthiopische Arbeiter dazu tendierten, rasch zu landwirtschaftlicher und informeller Arbeit zurückzukehren, wo sie mit weniger Arbeitsstunden und unter sichereren Bedingungen fast das gleiche Einkommen erzielen konnten. Damit Menschen von formaler Beschäftigung profitieren können, muss die Entwicklungs- und technische Zusammenarbeit folglich mit Regierungen auf sichere Arbeitsverhältnisse und gesicherte Arbeitnehmerrechte hin arbeiten. In Äthiopien berührt dies auch Fragen der politischen Inklusion, da die ethnische Identität ein sehr wichtiger politischer Faktor ist. Solange der Zugang zu gleichen Arbeitsrechten für alle nicht garantiert ist, werden Menschen migrieren und auf der Suche nach höherem Einkommen und Arbeitssicherheit sich möglicherweise in die Hände von Menschenhändlern begeben. Länder, die gewaltsame Konflikte hinter sich haben, stellen eine noch größere Herausforderung dar. Prof. Christopher Blattman von der Universität Chicago und Jeannie Annan vom International Rescue Committee haben untersucht, wie landwirtschaftliche Ausbildung und Zugang zu Kapital Arbeitsentscheidungen bei früheren Kämpfern im westafrikanischen Liberia beeinflussen. Der Hauptgrund für diese in der formalen Wirtschaft zu bleiben, war die Erwartung auf Kapital. Da sich Liberia noch immer von mehreren Bürgerkriegen erholt, ist der Aufbau eines Arbeitsmarktes nicht nur für den Friedenserhalt notwendig; er kann Menschen auch eine Lebensgrundlage ‚vor Ort‘ und eine gute Lebensqualität ermöglichen. Um dies zu erreichen, muss die Entwicklungszusammenarbeit allerdings über das ‚Jobs-Jobs-Jobs‘-Mantra hinausdenken. Ein hochfragiler Staat wie Liberia benötigt für eine friedliche Entwicklung Investitionen in formale Zahlungssysteme, soziale Sicherung und vor allem soziale und politische Inklusion. Zum Beispiel dürfen Entwicklungsagenturen nicht in die Falle treten, nur ehemalige Kämpfer zu unterstützen und die Situation vertriebener Nicht-Kämpfer unberücksichtigt zu lassen. Ohne technische Entwicklung und soziopolitische Inklusion werden Menschen in prekären Arbeits- und Lebenssituationen, die  kontinuierliche und risikoreiche Migration begünstigen, verbleiben. Entwicklungszusammenarbeit wird zukünftig eine zunehmende Rolle bei der Unterstützung sicherer Migration und der Eindämmung gewaltsamer Vertreibung spielen. Es besteht jedoch die Gefahr, dass Regierungen und die UN sie mit der Absicht einsetzen, Menschen in der Heimat zu halten oder sich auf kurzfristige Arbeitsplatzprogramme beschränken. Die Erfahrung zeigt, dass diese Ansätze nicht nur nicht funktionieren, sondern verwundbaren Menschen noch größeren Risiken aussetzen. Strukturpolitiken, die sich auf Arbeitsplatzsicherheit und -schutz konzentrieren und die flankierend dazu gute Regierungsführung und sozialen Zusammenhalt unterstützen, sind für die Entwicklung entwicklungsfördernder Migration aus und innerhalb Afrikas, in den und aus dem Nahen Osten und Südasien wesentlich. Auch für den Erfolg des ehrgeizigen Global Compact on Migration sind Investitionen in gute Lebensverhältnisse und politische Inklusion für jene, die andernfalls gezwungen sein könnten, ihre Heimatländer zu verlassen, von zentraler Relevanz.

Mehr Pflicht als Wahl – Flüchtlinge unterstützen in einer globalisierten Welt

Mon, 19/06/2017 - 10:00
Bonn, 19.06.2017. In Zeiten zunehmender nationalistischer Tendenzen und einer wachsenden Zahl gewaltsam Vertriebener erinnert der Weltflüchtlingstag an die Notwendigkeit einer inklusiven Entwicklung „mit Flüchtlingen“. Zum 50. Jahrestag der Flüchtlingskonvention hat die UN-Generalversammlung 2001 den 20. Juni als Weltflüchtlingstag ausgerufen. Angesichts bewaffneter Konflikte, politischer Instabilität und globaler Umweltveränderungen ist der Weltflüchtlingstag weiterhin relevant. Leider ist er eher auf ein symbolisches Gedenken der vielschichtigen Flüchtlingskrisen reduziert worden, die heute in vielen Teilen der Welt vorherrschen. Flüchtlinge scheinen doppelt verfolgt: sichere Länder weisen sie ab oder sie werden zum Faustpfand im Menschenhandel und -schmuggel. Die Rolle der SDGs bei der Bewältigung der globalen Flüchtlingskrise Die Kampagne des Weltflüchtlingstages, „mit Flüchtlingen”, fordert die Einbeziehung von Flüchtlingen in globale Initiativen wie die 2030 Agenda für Nachhaltige Entwicklung (SDGs). Obwohl die 2030 Agenda kein explizites Ziel für Flüchtlinge enthält, können ihre anderen Ziele dazu beitragen, eine Lösung für die globale Flüchtlingskrise zu finden. An erster Stelle steht das Entwicklungsziel 16, das auf Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen zielt. In der Präambel verkünden die Regierungen ihre Entschlossenheit, „friedliche, gerechte und inklusive Gesellschaften zu fördern, die frei von Furcht und Gewalt sind.“ Sie bekräftigen auch, dass es „ohne Frieden keine nachhaltige Entwicklung und ohne nachhaltige Entwicklung keinen Frieden geben kann.“ Zwar sind die SDGs nicht rechtsverbindlich, doch haben viele Länder erklärt, sie erreichen zu wollen. Allerdings entspricht die Rhetorik häufig nicht der Realität. Ungarn, dessen Bevölkerung der UNHCR während des Aufstands von 1956 unterstützte und das auf sein Engagement für die SDGs stolz ist, weist syrische Flüchtlinge ab und geht sogar so weit, Sympathisanten von Flüchtlingen im Gewand der Regulierung des Bildungswesens anzugreifen. Im bewaffneten Konflikt auf den Philippinen, wo Kämpfer mit Verbindungen zum Islamischen Staat eine symbolträchtige Stadt namens Marawi angegriffen haben, lässt sich andererseits beobachten, wie die martialische Rhetorik der Regierung eine gewaltsame Realität befördern und die Binnenvertreibung von fast 200.000 unschuldigen Zivilisten auslösen kann. Über die Zielkonflikte zwischen den SDGs ist viel gesprochen worden, doch auch ihre Verbindungen sollten hervorgehoben werden. Denn das Nichterreichen eines SDG kann negative Auswirkungen auf andere SDGs haben. Gewalt und Binnenvertreibung wirken sich nachteilig auf Armutsbeseitigung (SDG 1), Ernährungssicherheit (SDG 2), gesundes Leben (SDG 3), hochwertige Bildung (SDG 4), sauberes Wasser und Sanitärversorgung (SDG 6), breitenwirksames Wirtschaftswachstum (SDG 8), Industrie, Innovation und Infrastruktur (SDG 9), nachhaltige Städte und Gemeinden (SDG 11) und Landökosysteme (SDG 15) aus. Wie derzeit in Ostafrika zu beobachten ist, kann auch der Misserfolg bei der Bekämpfung von Hunger zu Migration führen. Die Region erlebt das dritte regenarme Jahr und Menschen können sich gezwungen sehen, zu migrieren um der Hungersnot zu entgehen. Flüchtlinge als Aktiva sehen, nicht als Passiva Kurzfristig brauchen Flüchtlinge in der Regel Unterstützung von den Empfangsländern, insbesondere wenn sie nicht arbeiten dürfen. Allerdings bieten Flüchtlinge den Empfängerländern auch Chancen – wenn diese sie zu nutzen wissen. Regierungen sollten sicherstellen, dass die Grundbedürfnisse der Flüchtlinge (in Bezug auf SDG 2) befriedigt werden und ihnen hochwertige Bildung (SDG 4) anbieten, um ihr Potenzial zu entwickeln. Wenn die Flüchtlinge schließlich erwerbstätig sein dürfen, kann dies auf lange Sicht zu breitenwirksamem Wirtschaftswachstum (SDG 8) führen. Die Regierung muss die Öffentlichkeit zeitnah und genau über ihre Flüchtlingsprogramme informieren, einschließlich der Verwendung von öffentlichen Geldern. Die Öffentlichkeit unterstützt Flüchtlinge durch die Zuwendung von öffentlichen Geldern, doch die Verteilung wird durch die Regierungspolitik bestimmt. Dies ist auch in Übereinstimmung mit den Zielen von SDG 16, das „leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen“ will. Die Öffentlichkeit kann Flüchtlinge weiter durch eigene Integrationsaktivitäten unterstützen, die Frieden und Inklusion nach SDG 16 fördern. In diesem Jahr fällt der 50. Jahrestag des Protokolls von 1967, das die Flüchtlingskonvention von 1951 auch auf Flüchtlinge außerhalb Europas anwendet. Die internationale Verpflichtung wird häufig als bloße altruistische Absichtserklärung missverstanden, tatsächlich aber ist es Aufgabe eines jeden, Flüchtlinge willkommen zu heißen. Der Weltflüchtlingstag ist mehr als ein Symbol, er ist vielmehr eine Erinnerung an uns alle, dass der Empfang von Flüchtlingen nicht nur eine rechtliche und moralische Verpflichtung ist, sondern den aufnehmenden Gesellschaften auch nützen kann – wenn sie sich nachhaltig „mit Flüchtlingen“ entwickeln.

War da was? Welttag für die Bekämpfung von Wüstenbildung und Dürre

Wed, 14/06/2017 - 10:41
Bonn, 14.06.2017. Mit Welttagen ist es wie mit katholischen Heiligen und mit UN-Organisationen – es gibt viele und für alle Sorgen einen. Sie alle unterliegen Moden, Zyklen und politischem Gezerre. Wüstenbildung und Dürre könnten dabei derzeit eine Renaissance erleben. Den Welttag für die Bekämpfung von Wüstenbildung und Dürre gibt es erst seit 1995. Er ist damit das Pendant der ebenfalls 1994 verabschiedeten internationalen Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung, die im vollen Titel (United Nations Convention to Combat Desertification in Those Countries Experiencing Serious Drought and/or Desertification, Particularly in Africa, UNCCD) ebenfalls das Doppelproblem Wüstenbildung und Dürre thematisiert. Diese wiederum ist eine der drei aus dem Erdgipfel in Rio 1992 hervorgegangenen Umwelt- und Entwicklungs-Konventionen, gemeinsam mit den Abkommen zum Klimawandel (UNFCCC) und zur Biologischen Diversität (CBD). Deutschland und Bonn haben einen besonderen Bezug zum dem Thema, denn sie beherbergen seit 1999 das UNCCD Sekretariat. Damals war Verwüstung ein besonders brisantes Thema. So erklärte der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) anlässlich des Weltwüstentages 1996: „Die weltweit zu beobachtende Desertifikation und Degradation von Böden wird nach Ansicht des WBGU in den nächsten zwei bis drei Dekaden sehr viel deutlicher zu spüren sein als die Folgen des globalen Klimawandels“. Doch schon bald nach der Verabschiedung wurde es relativ still um Konvention und Gedenktag. Wüstenbildung und Dürre galten hauptsächlich als Probleme in und für arme Länder, während es schien, als hätten die Industrieländer diese hinter sich gelassen beziehungsweise im Griff. Sinnbild der Wüstenbildung war damals die sich nach Süden ausbreitende Sahara, nicht der Dustbowl des mittleren Westens der USA. Der weiter gefasste Begriff der (Boden- und Vegetations-) Degradation wurde nicht gewählt, obwohl er oft die bessere Bezeichnung für die Art von Prozessen ist, die durch die Konvention bekämpft werden soll. Auch die Reduzierung auf trockene und halbtrockene Standorte schloss viele Länder der gemäßigten Breiten aus. Mit der Namenswahl der Konvention hatte man daher eine thematische und geographische Verengung in Kauf genommen, die für die globale Relevanz der Thematik nicht förderlich war. Nachteilig für die globale Unterstützung war auch, dass Wüstenbildung und Dürren vordergründig vor allem lokale Effekte haben: der degradierte Boden, das verendende Vieh, die reduzierte Agrarproduktion sind lokal verortet und schaffen – wenn man es zynisch betrachtet – sogar Nachfrage und Wettbewerbsfähigkeit andernorts. Schließlich ist die Bekämpfung von Wüstenbildung und Dürren vornehmlich eine lokale Angelegenheit, und die UNCCD setzt sogar besonders stark auf Aktionspläne von unten. Schon in entwickelten Staaten ist das schwierig und einer der Gründe, warum auch bei uns Bodenschutz oder Dürremanagement nicht sehr weit entwickelt sind. Aber auch für eine internationale Agenda wie die UNCCD hat dies Nachteile: Die multi-sektoralen Pläne haben kein „natürliches“ Leit-Ministerium, das sich die gesamte Agenda – jenseits des eigenen Mandats – ohne weiteres aneignen würde. Damit fehlt eine starke Verhandlungsposition des verhandelnden Ministeriums – oft zuständig für Umwelt oder Agrar/Forst – in den internationalen Verhandlungen. Ebenso ist es nicht einfach, internationale Gelder für solche Pläne bereitzustellen, eben weil kein spezielles Ministerium für die Umsetzung existiert und territoriale oder integrierte Ansätze wegen der sektoralen Aufgabenteilung der Geber selten sind. So erklärt sich, warum die Themen Wüstenbildung und Dürre keine Senkrechtstarter waren. Sie kamen in den einzelnen Ländern nicht in Fahrt, und waren international von Desinteresse, Steuerungsproblemen und Verteilungskonflikten zwischen Nord und Süd geprägt. Die UNCCD wurde „die arme kleine Schwester der Rio-Konventionen“. Eine Renaissance könnte sich aus Veränderungen des internationalen Kontextes ergeben. Die Agenda 2030 hat den Themenkomplex Bodenschutz und Artenvielfalt im Nachhaltigkeitsziel 15 gebündelt und ihm dadurch neue Sichtbarkeit und Kohärenz gegeben. Im Rahmen der Agenda wird auch der Zusammenhang zwischen Wüstenbildung und Bodendegradation, Artenschwund und Treibhausgas-Emissionen wieder klarer. Eine gewisse Internationalisierung bestimmter Maßnahmen, beispielsweise Wiederaufforstungen durch Investoren und ihre Finanzierung durch Klimafonds, führt zu mehr internationale Aufmerksamkeit, Sorgfalt und für neue Akteure. Der Klimawandel verstärkt Dürren und die Veränderung regionaler Vegetationsmuster. Er bringt, wenn schon nicht Hunger, so doch bisher in diesem Ausmaß nicht mehr erinnerte ökonomische und ökologische Probleme auch in die reichen Länder. Und im Süden werden Dürren und ökologische Degradation (wieder) zunehmend als Teil der Destabilisierung von Bevölkerungen und ganzen Nationen gesehen. Diese werden spätestens dann zu internationalen Problemen, wenn sie Terroristen und Migranten hervorbringen. Das Lexikon der katholischen Heiligen führt übrigens gleich fünf Helfer gegen Dürre ins Feld: Armagillus von Boschaux, Gerhard, Hugo von Nucaria, Isidor von Madrid, und Odo von Cluny. Viel hilft vielleicht doch manchmal viel!? In der realen Welt aber bitte koordiniert.

Brauchen Kleinbauern eigene Rechte – und wenn ja, welche?

Mon, 12/06/2017 - 10:00
Bonn, 12.06.2017. Haben und/oder brauchen Bauern andere Rechte als der Rest der Menschheit? Dieser Frage geht seit Oktober 2012 eine offene Arbeitsgruppe des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen nach. Mitte Mai 2017 traf sich die Gruppe zum vierten Mal in Genf und versuchte, einen Text zu verfassen. Warum sollte es eine spezifische Menschenrechts-Erklärung für Bauern geben?  Sind  die Menschenrechte etwa nicht universell, nicht diskriminierend und unteilbar? Nun, schon seit langem gibt es spezielle Auslegungen der universellen Rechte für verschiedene, meist besonders vulnerable Gruppen wie Frauen, Kinder, ethnische Minderheiten, indigene Gruppen oder Arbeiterinnen und Arbeiter. Wenn sich der Menschenrechtsrat jetzt den Bauern widmet, geschieht dies vor dem Hintergrund, dass 80% der Hungernden in ländlichen Regionen leben und von diesen wiederum 50% Kleinbauern sind. Sie sind sehr stark von den natürlichen Ressourcen Land und Boden, Wasser und Biodiversität abhängig. Eigentum an bzw. Zugang zu diesen Ressourcen ist oft in lokalen Traditionen gewachsen und nicht partiell oder sogar unfair im modernen Staatsrecht geregelt. Häufig sind staatliche Institutionen im Konflikt mit traditionellen. In nicht wenigen Ländern dieser Erde gibt es berechtigte Zweifel, ob der Zentralstaat im besten Sinne seiner Landbevölkerung agiert. Von daher ist die Begründung, dass Bauern besonders schwach sind und von speziellen Rechten abhängen, und dass beide – Bauern und Rechte – besonders geschützt und gefördert werden müssen, völlig nachvollziehbar und unterstützenswert. Was steht im Entwurfstext? Zunächst eine Definition der Rechteinhaber: Es geht zunächst um Bauern (peasants). Zwar wird der Begriff des Bauern zunächst rein aus seinen Tätigkeiten in der Landbewirtschaftung abgeleitet, also im Sinne von Landwirt. Im weiteren Textverlauf wird jedoch klar, dass soziale Elemente, die Verbundenheit mit der Heimat, der traditionelle Lebensstil eine wichtige Argumentationsgrundlage bilden. Auffallend ist, dass neben Bauern und ähnlichen Gruppen wie Fischern und Hirten auch Landlose, Plantagenarbeiter und andere auf dem Land Arbeitende und Lebende eingeschlossen werden. Dies ist zwar nachvollziehbar, da diese Gruppen oft am stärksten benachteiligt sind, jedoch führt diese Ausweitung zu erheblichen Unstimmigkeiten bei konkreten Forderungen. Nach einigen allgemeinen Artikeln folgt eine lange Liste mit Forderungen von Rechten auf den verschiedensten Feldern: legale, soziale, politische, ökonomische, ökologische. Sie sind aus den unterschiedlichsten Menschenrechtsdokumenten zusammengetragen. Viele sind schon daher grundsätzlich anerkannt, insbesondere die aus den grundlegenden Menschenrechtsabkommen. Viele andere hingegen werden aus Spezialabkommen oder Gutachten übernommen und verallgemeinert. Dabei entstehen teilweise problematische Forderungen: Es wird ein Recht auf Nahrungsmittelsouveränität postuliert, und das nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch auf der Ebene lokaler Gemeinschaften, die daraus das Recht auf eigene Agrarsysteme ableiten, und sogar das Recht des einzelnen Landbewohners, ausreichend eigene Nahrung zu produzieren. Eine Gefahr, die sich daraus ergibt, ist die Zersplitterung nationaler Märkte. Eine andere Gefahr resultiert aus der Forderung nach dem Recht auf Land für alle Landbewohner. Dies ist im Prinzip gleichbedeutend mit dem Anspruch auf das Land anderer Landbewohner. Aus der Möglichkeit (may consider) von Landreformen wird eine Pflicht (shall carry out). Konflikte sind vorprogrammiert, die nicht immer zielführend sein dürften, zumal es in vielen Regionen dieser Welt keine Großgrundbesitzer gibt, bei denen man sich „bedienen“ kann. Aus dem international anerkannten Landwirte-Privileg für Nutzpflanzen, im Rahmen von Gesetzen und gegebenenfalls Saatgut aufzuheben, zu nutzen, zu tauschen und zu verkaufen, wird im Entwurfstext das uneingeschränkte Recht der Bauern, Saatgut und genetische Ressourcen ohne Einschränkung zu behalten, zu kontrollieren, zu schützen und zu entwickeln. Der Verfasser dieser Kolumne ist kein Menschenrechtsspezialist und weit davon entfernt, alle vorgeschlagenen Rechte im 30 Seiten langen Entwurfstext vollständig würdigen und einordnen zu können. Es geht beispielsweise um das Recht auf Souveränität über natürliche Ressourcen; das Recht auf Information in den die Bauern betreffenden Agrarmärkten; das Recht auf Wirkungsstudien bei allen Nutzungen bäuerlicher Ressourcen; das Recht, keinen Agrarchemikalien ausgesetzt zu sein; das Recht auf Zugang zu Märkten und fairen Preisen, die ein auskömmliches Einkommen garantieren; usw. Viele dieser Rechte wären nur kollektiv nutzbar. Man kann sich daher des Eindrucks nicht erwehren, dass für viele Probleme ein Rechtsansatz nur sehr bedingt geeignet ist, sinnvolle, realistische und realisierbare, widerspruchsfreie Maßnahmen abzuleiten. Statt vor allem die berechtigten Interessen und Rechte der benachteiligten Gruppen gezielt zu fördern, werden viele neue Probleme geschaffen. Die Staatengemeinschaft sollte es sich gut überlegen, ob sie sich hinter diesen allumfassenden Forderungskatalog stellt. Weniger ist manchmal mehr. Die Aufwertung bestehender informeller Rechte an Ressourcen ist richtig, aber nicht die Ausdehnung auf alle Landbewohner und die Forderung nach völlig neuen Rechtetypen. Umso wichtiger ist eine aktive Unterstützung der ländlichen Räume und ihrer Menschen, damit sie im gleichen Umfang wie Städter von Entwicklung profitieren können. Diese Kolumne ist am 12.06.2017 auch auf euractiv.de veröffentlicht worden.

Klimawandel ist nicht alles – Die Ursachen von Flucht und Migration sind vielfältig

Tue, 06/06/2017 - 10:00
Bonn, 06.06.2017. Das Thema „Klimamigration“ – also der Zusammenhang zwischen Klimawandel und menschlicher Migration – gewinnt in Zeiten zahlreicher Flüchtlingskrisen und der (Anti-)Klimaschutzpolitik von US-Präsident Donald Trump zunehmend an öffentlicher Aufmerksamkeit und politischer Relevanz. Bereits kurz bevor Trump den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen verkündete, befürchtete Bundesaußenminister Sigmar Gabriel, dass ein solcher Schritt ein maßgeblicher Beitrag für noch größere Migrationsströme nach Europa wäre. Passend dazu diskutierte Ende Mai zum ersten Mal die Task Force on Displacement der UN-Klimarahmenkonvention UNFCCC über den Umgang mit dem Thema Vertreibung als Folge des Klimawandels. Welche Bedeutung aber muss dem Faktor Klimawandel im Kontext von Flucht und Migration eigentlich beigemessen werden und welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen? Mit der Frage, welche Rolle der Klimawandel für Migrationsentscheidungen eigentlich spielt, beschäftigen sich die Wissenschaft und verschiedene internationale Organisationen schon länger und tun sich damit bisweilen auch durchaus schwer. Der erst vor kurzem von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) mit herausgegebene „Atlas der Umweltmigration“ etwa bemüht sich redlich mit unzähligen, z.T. sehr aufwendig gestalteten Illustrationen, das Phänomen Umwelt- bzw. Klimamigration in seinen unterschiedlichen Facetten zu beleuchten und zu erklären. Allerdings bleibt man nach über 160 Seiten Lektüre auch etwas ratlos zurück. Haften bleibt vor allem der Eindruck, dass dies alles sehr komplex ist. Komplex ist dieser Zusammenhang in der Tat – ebenso wie die Migrationsentscheidungen selbst. Sie können von ökologischen aber sehr häufig auch von vielen anderen Faktoren und Motiven wirtschaftlicher, politischer, sozialer, kultureller oder demographischer Natur beeinflusst werden. Vieles deutet darauf hin, dass die immer noch weit verbreitete Annahme eines Automatismus zwischen Klimawandel und Migration – getreu einer Formel „weniger Regen oder mehr Dürren führt zu mehr Migration“ – stark angezweifelt werden muss. Ein solch genereller „Ökodeterminismus“ ist empirisch nicht haltbar. Menschen, die besonders unter den Auswirkungen des Klimawandels zu leiden haben, sind vor allem sehr arme Bevölkerungsgruppen in weiten Teilen des globalen Südens. Ihnen fehlen oft die notwendigen Ressourcen um überhaupt migrieren zu können bzw. diese werden durch die Auswirkungen des Klimawandels etwa in Form von Missernten noch zusätzlich erodiert. Nicht selten ist also eine fatale Immobilität statt Mobilität die Folge globaler Erwärmung. Menschliche Migration ist somit nicht unbedingt ein guter Gradmesser dafür, wie stark der Klimawandel und seine Folgen die Menschen in Afrika, Asien oder Lateinamerika treffen. Gerade auch akute Fluchtsituationen entstehen häufig aus komplexen Gemengelagen heraus. Zwar wird der Begriff des „Klimaflüchtlings“ immer noch gern und häufig benutzt, aber tatsächlich bilden bewaffnete Konflikte weltweit den Hauptfluchtgrund. Umweltfaktoren mögen neben historischen, ethnischen oder politischen Faktoren eine gewisse Rolle beim Ausbruch kriegerischer Auseinandersetzungen spielen – den Klimawandel aber als Hauptgrund etwa für den Syrien-Krieg zu bewerten, wie es immer wieder in Medienberichten zumindest angedeutet wird, ist völlig haltlos. Ebenso hängt es bei Naturkatastrophen von verschiedenen Faktoren, wie etwa dem Vorhandensein oder den Kapazitäten des örtlichen Katastrophenschutzes wie auch generell der Leistungsfähigkeit und Legitimität der staatlichen Strukturen, ab, ob es aus einer Katastrophe eine Flucht resultiert oder nicht. Bei Bemühungen um bessere Lösungen und mehr Schutz von Flüchtlingen und Migranten ist es somit zwar unabdingbar, sich mit der Rolle des Klimawandels für Migrations- und Fluchtprozesse auseinanderzusetzen. Allerdings sind beim Ringen um konkrete politische Maßnahmen Fragen danach, ob bei dieser Flucht oder jener Migration die globale Erwärmung nun der dominante Auslöser war oder nicht, aus den genannten Gründen oft nur schwer zu beantworten. Wir müssen vielmehr auch eine Antwort auf die Frage finden, was mit Menschen ist, deren Fluchtgründe definitiv nichts mit ökologischen Faktoren zu tun haben, diese aber auch nicht von der sehr engen Definition der Genfer Flüchtlingskonvention abgedeckt sind. Die Konvention bezieht sich lediglich auf individuelle oder gruppenspezifische Verfolgung. Auch für „Nicht-Konventionsflüchtlinge“ müssen bessere Lösungen gefunden und von den reichen Industrieländern des globalen Nordens getragen werden. Denn Verantwortung kann man hier nicht nur ableiten aus (historischen) Treibhausgasemissionen. Vielmehr spielen auch koloniale Ausbeutung oder unfairer Welthandel eine Rolle. Diese mögen keine Hauptgründe für Konflikte, Flucht und Migration sein. Sie tragen aber dennoch ihr Scherflein bei.

Politische Parteien: Schwachstelle der Nachhaltigkeitsarchitektur

Mon, 29/05/2017 - 07:30
Bonn, 29.05.2017. Es droht ein Trauerspiel. Während Regierungen in Bund und Ländern mit der Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung beginnen, wirken die sie tragenden Parteien davon auffällig unberührt und bleiben spürbar hinter den Dynamiken in Wirtschaft und Gesellschaft zurück. Kein gutes Omen für die Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl und die nächsten vier Jahre. Nach dieser Legislaturperiode sind es dann nur noch neun Jahre bis 2030! Was läuft schief? In den bislang veröffentlichten Wahlprogrammen wird die Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen nachhaltiger Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) allenfalls als Referenzrahmen für Entwicklungspolitik und andere Außenbeziehungen erwähnt, nicht aber als übergreifendes Narrativ für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik im eigenen Land. Nicht anders sieht es übrigens vor der britischen Unterhauswahl in den manifestos von Konservativen, Labour und Liberalen Demokraten aus. In Berlin werden öffentliche Veranstaltungen mit Parteienvertretern zur Rolle der Agenda 2030 bislang von international ausgerichteten Organisationen der Zivilgesellschaft durchgeführt und vor allem durch entwicklungspolitische Themen und entsprechend fokussierende Sprecher der Parteien bestritten – auch wenn die Veranstalter die gesellschaftspolitische Dimension für die Menschen im eigenen Land versuchen mitzudenken. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung hat den Vorsitzenden von sieben Parteien unter der Überschrift „Was heißt ‚Nachhaltigkeit‘ für die politischen Parteien?“ sechs Fragen vorgelegt. Die bislang fünf Antworten verbinden zwar die jeweilige Programmatik allgemein mit der Agenda 2030 und der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie sowie erfreulicherweise auch mit einem gewissen Blick auf innerstaatliche Umsetzung. Aber ein konkretes und explizites Aufgreifen der SDGs in einzelnen Politikbereichen erfolgt genauso wenig wie ein Bekenntnis, der Nachhaltigkeit Verfassungsrang zu geben oder die Agenda 2030 wie von SDSN Germany gefordert themenübergreifend in den Wahlprogrammen zu verankern. Politik hinter den Bühnen der Nachhaltigkeit Sicher, die Agenda 2030 wurde von Regierungen beschlossen. Auch die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie ist eine Strategie der Bundesregierung, nicht der Parteien, worauf gelegentlich süffisant hingewiesen wird. Gleichwohl spricht die Strategie vom „Gemeinschaftswerk Nachhaltige Entwicklung“, würdigt und ermuntert Akteure aus Zivilgesellschaft und Wirtschaft, aus Wissenschaft, Kunst und Kultur. Nicht jedoch die Parteien, die nach Artikel 21 des Grundgesetzes an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken. Daran ändert auch der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung im Bundestag nichts, der die SDGs als Impuls für die Arbeit in den Fraktionen nutzt. Das Ziel seiner dauerhaften Verankerung in der Geschäftsordnung aber hat der Beirat bislang genauso wenig erreicht wie sich im politischen Alltag bei den Fraktionsspitzen deutlich Gehör zu verschaffen. Die Fraktionen als parlamentarische Präsenz der Parteien müssten in erster Linie aus diesen heraus für die Umsetzung der SDGs mobilisiert werden. In den Parteien kommen aber vielfältige regionale und persönliche Interessen, die Anliegen von Strömungen und Interessengruppen zum Tragen. Das tägliche Ringen um Macht und Einfluss ist am Kurzfristigen orientiert. Nicht zuletzt deshalb hat sich die Nachhaltigkeitsbewegung vor allem außerparlamentarisch und jenseits der Parteien aufgestellt. Es gilt im öffentlichen Nachhaltigkeitsdiskurs schon fast als unanständig, über Parteien zu sprechen. Zu groß ist die Sorge, in Parteipolitik abzurutschen, zu nah der Vorwurf, man missbrauche den Diskurs für parteipolitische Zwecke. Diese Scheu muss überwunden werden, wenn Nachhaltigkeit in die Mitte der politischen Debatte kommen soll. Müssten nicht auch die Parteien im neuen Forum Nachhaltigkeit mitwirken, Rede und Antwort stehen und mit klaren Selbstverpflichtungen vorangehen? Öffentlich über die Wege zu den SDGs streiten Aber auch die Nachhaltigkeitsbewegten müssen umdenken und sollten die Parteien nicht mehr links liegen lassen. Zivilgesellschaft darf nicht nur Regierung und Wirtschaft, sie muss genauso die Parteien herausfordern. Auch die Nachhaltigkeitsforschung darf die Parteien nicht länger vernachlässigen, sondern muss deren Rolle zum Gegenstand politikwissenschaftlicher Analysen und Empfehlungen machen. Wahlkämpfe leben von Unterschieden und Unterscheidung. Nachhaltige Entwicklung ist eine gemeinsame Aufgabe, die vom öffentlichen Bekenntnis lebt. Auf beides ist unsere Demokratie angewiesen. Jetzt sind die Spitzen der Parteien gefragt! Dieselben Politiker, die sich in Geleitworten von Nachhaltigkeitsstrategien, in Bundestag oder Europarlament, bei den Vereinten Nationen oder bei G7 und G20 zur Universalität der Agenda 2030 bekannt haben, müssen dies nun kraftvoll auch auf ihren Parteitagen tun und in den Wahlprogrammen verbindlich ausdrücken.

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