Publikationen des German Institute of Development and Sustainability (IDOS)
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Mon, 13/04/2015 - 08:00
Bonn, 13.04.2015. Flucht und Vertreibung bleiben ein dominierendes Thema der öffentlichen Wahrnehmung und des politischen Diskurses in Deutschland und Europa. Das äußert sich unter anderem im andauernden Streit zwischen Bund und Ländern über vermeintlich unrealistische Flüchtlingszahl-Prognosen, der Fremdenhass-Debatte nach dem Brandanschlag auf eine designierte Flüchtlingsunterkunft in Sachsen-Anhalt oder in der Drohung des griechischen Verteidigungsministers, Flüchtlinge nach Deutschland „weiterzuleiten“.
Auf den ersten Blick hat dies nur wenig mit den Bemühungen der Europäischen Union (EU) zu tun, die Finanzmärkte neu zu regulieren. Aktuell berät der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss über eine Neufassung und Erweiterung der Richtlinie zu Zahlungsdiensten und der Verordnung über grenzüberschreitende Zahlungen (Payment Settlements Directive II). Diese betrifft auch Rücküberweisungen, also Bargeldtransfers von Migranten und Flüchtlingen an ihre Familien in den jeweiligen Herkunftsländern. Eine Neufassung dieser Richtlinie, welche die teilweise sehr hohen Gebühren für Rücküberweisungen senken würde, könnte einen großen entwicklungspolitischen Beitrag leisten. Gerade Deutschland sollte hier eine Schlüsselrolle einnehmen.
Das Volumen von Rücküberweisungen in Entwicklungsländer wird 2015 geschätzte 450 Mrd. USD erreichen und übertrifft damit bei Weitem die internationale Entwicklungshilfe. Auch Flüchtlinge selbst tragen zu diesen Geldflüssen bei, indem sie Rücküberweisungen tätigen und ihre Verwandten sowohl in den Herkunftsländern als auch in Asyl gewährenden Nachbarländern unterstützen. Der Libanon, Jordanien und auch Syrien selbst weisen seit 2011 stark gestiegene Rücküberweisungen aufgrund des Bürgerkrieges in Syrien auf. Rücküberweisungen werden dabei nicht nur für den Erwerb von Lebensmitteln verwendet. Sie werden auch für Gesundheits- und Bildungsausgaben sowie für die Kompensation von Schäden und Verlusten, die durch Konflikte aber auch Wirtschaftskrisen oder Umweltkatastrophen entstanden sind, genutzt. Rücküberweisungen sind in der Regel antizyklisch: Sie steigen in Zeiten politischer und wirtschaftlicher Krisen, da Migranten gerade dann ihre Familien in den Herkunftsländern verstärkt unterstützen. In dauerhaft instabilen Ländern sind Rücküberweisungen geradezu überlebenswichtig.
Wenn die rechtliche Situation oder die Arbeits- und Lebensbedingungen von Migranten und Flüchtlingen prekär sind, fällt es ihnen allerdings schwer, die Entwicklung in ihren Herkunftsländern mithilfe von Rücküberweisungen zu unterstützen. Die positiven Effekte von Rücküberweisungen werden aber auch sehr durch hohe Transaktionskosten beeinträchtigt. In Deutschland liegen diese Kosten im Durchschnitt bei 9 %, was nur leicht über dem Mittelwert aller G20-Länder von etwa 8 % liegt. Allerdings sind die Gebühren für den Geldtransfer in bestimmte Länder deutlich höher. Für den Transfer von 140 € von Deutschland in den Libanon mussten beispielsweise Ende 2014 im Schnitt – gemessen an den Angeboten der verschiedenen Finanzdienstleister –rund 23 € an Gebühren ausgeben werden. Die oft ohnehin schon relativ niedrigen Bargeldtransfers werden so stark geschmälert.
Ein Großteil der Rücküberweisungen wird von Anbietern von Bargeldtransfers wie zum Beispiel Western Union durchgeführt. Zur Abwicklung der Zahlung müssen diese Institutionen Zugang zum inländischen Zahlungssystem haben. Dieser erfolgt entweder direkt oder indirekt über ein Konto bei einer Bank, die dem Zahlungssystem angehört. Daher könnten ein verbesserter Zugang der Anbieter von Bargeldtransfers zu den Zahlungssystemen, eine konsistente Regulierung aller Zahlungsdienstleister und ein damit verbundener stärkerer Wettbewerb zu einer weiteren Reduzierung der Kosten für Rücküberweisungen führen. Eine entsprechende Neufassung der ‚Zahlungsdiensterichtlinie‘ hätte hier enormes Potential und auch eine weltweite Signalwirkung.
Deutschland sollte dabei mit gutem Beispiel vorangehen. Denn Deutschland steht in der Liste der Länder, aus denen laut Angaben der Weltbank weltweit die meisten Gelder von Migranten in ihre Herkunftsländer fließen, auf einem beachtlichen fünften Platz mit über 20 Mrd. USD. Das beantwortet – ein weiteres Mal – die seit Jahren diskutierte Frage, ob Deutschland denn ein Einwanderungsland sei, mit einem eindeutigen „ja“. Es zeigt aber auch, dass Zuwanderung ebenfalls eine enorme Bedeutung für die Herkunftsländer der Migranten und Flüchtlinge hat. Leider neigen gerade die Deutschen dazu, die Auswirkungen von Migration und Flucht auf die eigene Gesellschaft und Volkswirtschaft zu reduzieren. Die Transaktionskosten für Rücküberweisungen zu senken, wäre ein wichtiges entwicklungspolitisches Signal. Es würde unterstreichen, dass Deutschland sein Streben nach mehr globaler Verantwortung nicht nur militärisch interpretieren möchte. Und für Europa wäre es ein Schritt, der wegführt von einer Flüchtlingspolitik, die nur auf Abschreckung setzt.
Tue, 07/04/2015 - 10:01
Bonn, 07.04.2015. Drei zukunftsweisende Gipfel der Vereinten Nationen (UN) in diesem Jahr sollen die globale Agenda bis zum Ende des kommenden Jahrzehnts prägen. Der erste Gipfel findet im Juli in Addis Abeba statt und beschließt, wie die globale Entwicklungsagenda von der internationalen Gemeinschaft finanziert und durch Technologietransfer und andere Mittel umgesetzt werden soll. Während der UN-Generalversammlung im September in New York wird die globale Post-2015-Agenda mit voraussichtlich 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) konkretisiert, die für alle Länder bis 2030 gelten sollen. Im Dezember steht in Paris schließlich die UN-Klimakonferenz an, auf der die Staaten einen neuen, allgemein gültigen Klimavertrag verabschieden wollen.
Da diese multilateralen Großereignisse die ganze Welt betreffen, müssen die G7 ihren Teil zum Gelingen beitragen. Die deutsche Präsidentschaft des G7-Gipfels im Juni auf Schloss Elmau muss dazu genutzt werden, die neue globale Agenda und die vorgesehenen Ziele für nachhaltige Entwicklung auf drei Ebenen zu unterstützen – in den G7-Staaten selbst, in Entwicklungsländern und auf globaler Ebene.
Vor der eigenen Haustür kehren
Erstens sollten die G7 Veränderungen anregen, die bedeutende globale Auswirkungen haben. Während die Millenniumsentwicklungsziele (Millennium Development Goals, MDGs) nahezu ausschließlich Veränderungen in Ländern geringen und mittleren Einkommens betrafen, sollen die neuen Ziele für nachhaltige Entwicklung eine globale Transformation bewirken. Das bedeutet, alle Regierungen, auch die der G7, müssen zu Hause handeln und ihre nationale Politik auf die neue globale Agenda für nachhaltige Entwicklung abstimmen. Deshalb sind nationale SDG-Umsetzungspläne notwendig, um über den Stand der Umsetzung Rechenschaft abzulegen. Gerade die wohlhabenden Industrienationen müssen im Rahmen der G7 stärkere Verantwortung für nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster übernehmen, indem sie beispielsweise Unternehmen für die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards zur Rechenschaft ziehen und die Ressourceneffizienz deutlich verbessern. Außerdem sind die G7-Staaten aufgefordert, ihre nationalen Beiträge zur Eindämmung der Erderwärmung auf maximal 2°C zeitlich und inhaltlich zu konkretisieren.
In armen Ländern: Entwicklung fördern
Zweitens muss die G7 ihre Bereitschaft erklären, nachhaltige Entwicklung in Entwicklungsländern stärker zu fördern. Die G7-Länder sollten sich dazu bekennen, ihre Beiträge zu öffentlichen Entwicklungsleistungen (Official Development Assistance, ODA) substantiell zu erhöhen. Wie vom deutschen Sustainable Development Solutions Network (SDSN Germany) vorgeschlagen, sollte insbesondere die jährliche ODA der G7-Staaten an die ärmsten Länder bis 2020 verdoppelt werden und auf mehr als 50 Mrd. USD ansteigen.
Gleichermaßen müssen die G7 ihre finanziellen Versprechen zur Klimafinanzierung einhalten und mit Leben füllen. SDSN Germany schlägt vor, dass die G7 von 2020 an zunächst für fünf Jahre je 50 Mrd. USD zusätzlich für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen zur Verfügung stellen, damit der Klimawandel gemindert und seine Auswirkungen abgefedert werden können. Die G7 sollten zudem den Technologietransfer in ärmere Länder vorantreiben. In diesem Zusammenhang sollten sich die G7 für die geplante UN-Technologiebank einsetzen, die beispielsweise den Zugang der Entwicklungsländer zu neuen Technologien unterstützen soll. Angesichts der Ebola-Krise in Westafrika, auf die die internationale Gemeinschaft nicht schnell und schlagkräftig genug geantwortet hat, gilt es außerdem, nationale Gesundheitssysteme in ärmeren Ländern zu stärken und Vorsorge für weitere Krisen zu fördern. Dafür sollten die G7 substantielle Zusagen an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und für den neu geplanten Gesundheitsnotfallfonds machen.
Auf globaler Ebene: Gerechte Global Governance fördern
Drittens müssen die G7-Staaten auf globaler Ebene ihre Unterstützung für effektivere und legitimere Institutionen bekennen. Hierzu zählt die Umsetzung der vereinbarten Governance-Reformen bei den multilateralen Institutionen, wie zum Beispiel die Reform der Stimmrechte beim Internationalen Währungsfonds (IWF), die die aktuelle ökonomische Bedeutung des Südens besser widerspiegelt. Die Bereitschaft, sich für ein fair ausgestaltetes internationales Handels- und Investitionssystem einzusetzen, wäre ein weiteres starkes Signal. Konkret dürfen Abkommen zwischen den Industrieländern, wie zum Beispiel die Transatlantische Handels- und Investiti-onspartnerschaft (TTIP), Entwicklungsländer nicht marginalisieren.
Das 21. Jahrhundert ist das Zeitalter der globalen Güter und globaler Systemrisiken – ebenso wie das beispielloser globaler Entwicklungschancen. Die Einbindung der G7-Staaten in die Umsetzung der globalen Entwicklungsagenda ist daher eine sine qua non für die weltweite Sicherung des Wohlstandes im Rahmen der planetarischen Leitplanken.
Tue, 31/03/2015 - 15:13
Bonn, 31.03.2015. Syriens Machthaber Assad hat sich kürzlich in einem CBS-Fernsehinterview erneut dem Westen als politischer Partner angeboten. In den Wochen zuvor hatten der amerikanische und der deutsche Außenminister bereits angedeutet, dass das Regime wieder stärker in die Lösungsversuche einbezogen werden müsste. Doch kann das Assad-Regime deshalb wieder Partner des Westens sein?
Alle politischen Verhandlungen mit dem Assad-Regime im Rahmen der Vereinten Nationen scheiterten bislang. An bereits erreichte Vereinbarungen (‚Genf I‘) sah Assad sich in der Folge nicht mehr gebunden. Weitere internationale Lösungsversuche (‚Genf II‘, Moskau I‘) scheiterten, weil minimale Erfolgsaussichten für eine politische Lösung nicht gegeben waren.
Die jetzt in die politische Öffentlichkeit lancierte Aufwertung des Regimes zum zwar unartigen, aber vielleicht durchsetzungsfähigen ‚Ordnungshüter‘ würde indes nicht einmal die fortwährende Brutalisierung des Konflikts oder auch nur die Ausbreitung des selbst ernannten ‚Islamischen Staates‘ (IS) stoppen. Leider geschähe das Gegenteil: Der militärisch schon überraschend starke ’IS‘ würde erst durch die westliche Wiederannäherung an Assad zusätzlich zur politischen Großmacht aufgewertet. Mehr Reputation und weitere Gefolgschaft kann ‚IS‘ sich gar nicht selbst verschaffen: Nämlich die Position seiner faktischen Unabhängigkeit von politischer Patronage und Unabhängigkeit von massiver finanzieller Zuwendung von außen demonstrieren zu können. Darüber verfügen in der Region gerade einmal noch die Ordnungsmächte Saudi-Arabien, Türkei, Katar und Iran. Die ‚islamisch‘ als ‚Kalifat‘ behauptete Souveränität von ‚IS‘ kommt vor der Abhängigkeit des Assad-Regimes von äußerer Anerkennung noch besser zum Tragen. Schon jetzt ist das politisch gescheiterte Regime in Damaskus abhängig von der Waffenhilfe Russlands sowie von direkter paramilitärischer Unterstützung aus dem Iran und durch die libanesischen Hisbollah-Milizen. Dabei ist Souveränität das politische Alleinstellungsmerkmal in der Region – nicht nur in den Augen der Kämpfer für den vermeintlichen ‚Heiligen Krieg/Jihad‘.
Aus Sicht der Jihadisten tritt dagegen in den Hintergrund, dass ‚IS‘ der Aufstieg nur aufgrund der vorherigen Schwächung der Gesellschaften wegen des Bürgerkriegs in Syrien und der US-Intervention im Irak gelang. Und, nicht zu vergessen: Weil Assad die späteren Anführer des ‚IS‘ aus seinen eigenen Kerkern entlassen hatte. Kaum abschreckend, und offenbar eher attraktiv, wirkt im Kreis der ‚IS‘-Sympathisanten dessen gewaltökonomisches Geschäftsmodell: von politischer Repression und Verfolgung von Minderheiten, Raub, Schutz- und Lösegelderpressung sowie Ressourcendiebstahl und Verkauf antiker Kulturgüter.
Die Politik in Europa und den USA sollte nicht mehr bereit sein, sich von Machthabern und einzelnen Gewaltunternehmern erneut das bekannte nahöstliche Theaterstück aufführen zu lassen. Das Stück von der ‚islami(st)ischen Gefahr‘ oder gar der vermeintlichen ‚Demokratie-Unfähigkeit der Araber/Muslime‘. Der arabische Frühling 2011 hat das Stück als hohle Kulissenschieberei entlarvt. Tunesien ist ein zwar sehr gefährdetes, aber politisch eindrucksvolles Gegenbeispiel – trotz des jüngsten Anschlages auf das Nationalmuseum von Bardo.
Unbestreitbar geht eine reale Gefahr von Akteuren wie ‚IS‘, diversen al-Qa’eda-Ablegern, Jihadisten – vielleicht sogar von Muslimbrüdern selbst aus. Im gleichen Maß aber auch davon, dass ihre Existenz den Autokraten in der Region im Westen zu politischem Ansehen und gar wirtschaftlicher Unterstützung verhilft. Das wäre verhängnisvoll. Denn diese Strategie verdeckt abermals, wie seinerzeit vor dem arabischen Frühling, die Ursachen der Konflikte und mögliche Lösungswege aufzeigen zu können. Auch werden die Kosten kurzsichtiger Politik zuerst von Menschen in der Region getragen. Von denen, die trotz politischer Repression, terroristischer Bedrohung durch das eigene Regime, durch Gewaltunternehmer und durch ausländische Kämpfer den Mut aufbringen, für eine Vision des friedlichen Wandels und des Zusammenlebens aller einzutreten.
Westliche Sicherheits-, Außen- und Entwicklungspolitik muss an der Seite dieser Menschen stehen. Die Konflikte selbst kann der Westen nicht lösen. Im Kleinen müssen wir (Über-)leben und Perspektiven sichern für die Flüchtlinge, für die aufnehmenden Gemeinden und die Nachbarländer. Die heutige Ankündigung von Bundesminister Gerd Müller, 155 Mio. € für die syrische Flüchtlingskrise zur Verfügung zu stellen, ist hierzu ein wichtiger Beitrag. Im Großen heißt das, auch den widerstreitenden Interessen von Großmächten in der Region den Weg zum Verhandlungstisch zu bahnen. Längst ist keine der syrischen Konfliktparteien mehr souverän genug, auch nur, den Kernkonflikt um den Wiederaufbau der Gesellschaft und die Neudefinition von Politik zu lösen. Es geht dabei besonders um die Verwobenheit von innergesellschaftlichen mit zwischenstaatlichen Interessengegensätzen und Konflikten. Das gilt auch für die aktuellen Krisen im Irak, im Jemen und in Israel/Palästina. Jetzt ist die Zeit gekommen, die alte und doch aktuelle Vision einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im gesamten Nahen und Mittleren Osten wieder aufzunehmen und fortzuentwickeln.
Fri, 27/03/2015 - 12:32
Bonn, Kairo, 30.03.2015. Vom 13.-15. März 2015 organisierte die ägyptische Regierung eine internationale Großveranstaltung, die „Egypt Economic Development Conference“. Ziel war es, das Land auf der Agenda der Investoren neu zu positionieren und so die Wirtschaft zu stabilisieren. Die Ergebnisse dieser Konferenz sind ermutigend, zeigen aber auch, wie wichtig es für Ägypten ist, für eine Agenda des Wandels das notwendige Engagement unter Beweis zu stellen.
Ägyptens Transformation zu einer nachhaltigen Entwicklungsökonomie könnte zu einer notwendigen Bedingung für seine wirtschaftliche und politische Stabilität werden. Die Bevölkerung hat sich in den vergangenen vier Jahrzehnten mehr als verdoppelt; sie lebt auf weniger als sieben Prozent des Staatsgebiets. Die Herausforderungen sind gewaltig: ein bescheidenes Pro-Kopf-Einkommen, 40 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze und die Jugendarbeitslosigkeit ist höher als je zuvor. Die Probleme werden durch abnehmende Wettbewerbsfähigkeit, schwindende Energie-, Wasser- und Ernährungssicherheit, g
eringe Investitionen und einen geschwächten Industriesektor noch verschärft. Die Last historisch hoher und wenig zielgenauer Subventionen für fossile Brennstoffe hat die Energiekrise weiter zugespitzt. Ausgaben für soziale und wirtschaftliche Zwecke werden verhindert und Investitionen in saubere Energietechnologien gehemmt. Der Wandel muss mitten in einer politischen Übergangsphase und in einer prekären Wirtschaftslage stattfinden, die durch anhaltende politische Unruhen noch verstärkt wird.
Das Ziel der Konferenz, neues Licht auf Ägyptens großes Entwicklungspotenzial zu werfen und Investitionen in Großprojekte anzuziehen, scheint erreicht. Die ägyptische Regierung hat erste Schritte zur Stabilisierung der Wirtschaft vorgestellt, darunter Subventions- und Steuerreformen sowie Pläne für große Infrastrukturprojekte. Am Ende der dreitägigen Veranstaltung wurden Abkommen und Absichtserklärungen mit internationalen Unternehmen unterzeichnet, die auf 150-170 Mrd. USD geschätzt werden. Die meisten Projekte betreffen die Sektoren Energie, Immobilien, Nahrungsmittel und Infrastruktur. Die Veranstaltung zeigte das Interesse von Investoren am ägyptischen Markt und läutete eine neue Entwicklungsphase ein, die die Probleme der Vergangenheit angehen soll.
Doch tut die ägyptische Regierung genug für nachhaltige Entwicklung? Beispiel Energiesektor: obwohl einige Investitionen in saubere Energien vereinbart wurden, gibt es mehr Projekte für konventionelle Energien – entsprechend der Energiemix-Strategie der Regierung, die auf geringe Kosten abzielt. Ein großes Projekt der Landgewinnung und die diskutierte Entwicklung der Suezkanal-Region scheinen sich des Problems der Bevölkerungsverteilung anzunehmen. Doch es ist fraglich, ob diese kapitalintensiven Investitionen auch die Arbeitslosigkeit verringern können. Die neuen Immobilienprojekte, welche die urbane Bevölkerungsdichte regulieren sollen, sind ebenso umstritten, z. B. die neue Verwaltungshauptstadt.
Der ägyptischen Regierung scheint bewusst zu sein, dass die Konferenz nicht der einzige Anstoß sein kann. So wurde parallel ein Programm zur Unterstützung von kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) aufgelegt. Allerdings müssen die Verbindungen zwischen den verschiedenen Aktionslinien und ihre gegenseitige Verstärkung deutlicher werden. Eine langfristige Strategie nachhaltiger Entwicklung muss noch erarbeitet werden. Einmal entwickelt, hängt ihr Erfolg entscheidend von der Umsetzung ab.
Der beabsichtigte Wandel erfordert das Handeln eines starken und leistungsfähigen Staates, der in der Lage ist, unvermeidbare Ungleichgewichte und für Übergangsphasen typische Engpässe vorherzusehen und mit ihnen umzugehen. Der Staat muss fähig sein, frühere Fehler zu reflektieren, systematisches Lernen in seinen Entscheidungsfindungsprozess zu integrieren und eine langfristige Perspektive zu verfolgen. Um stark und leistungsfähig zu sein, sollte er auf inklusive Lösungen abzielen und auf den Widerstand von Gruppen eingestellt sein, die an der Aufrechterhaltung des Status quo interessiert sind. Sein Handeln sollte sich nicht an der derzeit vorherrschenden Denkschule orientieren, nach der die ungleiche Verteilung von Reichtum zu einer unvermeidbaren Phase gehört, die schließlich zu einem ‚Durchsickern‘ führt.
Der Erfolg der Konferenz bei der Mobilisierung von Investitionen lässt daher einige wichtige Fragen offen: Wie kann der Wandel zu nachhaltiger Entwicklung sowohl die Probleme der Vergangenheit bewältigen als auch eine Zukunftsperspektive eröffnen? Wie können Investoren, die im Allgemeinen auf niedriges Risiko und hohen kurzfristigen Profit aus sind, in den Prozess eingebunden werden? Wie können solche Investitionen auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und soziale Integration ausgerichtet werden? Wie kann die Regierung Fragen der Energiesicherheit angehen und dabei vermeiden, auf konventionelle Brennstoffe zu setzen? Allgemeiner gefragt, welche Schritte sollten Regierungen unternehmen, um staatliche Kapazität aufzubauen und sicherzustellen, dass künftiges Wachstum auf inklusiver Governance beruht?
Wed, 25/03/2015 - 14:06
Bonn, 25 March 2015. The Declaration of Principles on the Grand Ethiopian Renaissance Dam (GERD) signed by the three Eastern Nile countries (Egypt, Ethiopia and Sudan) on 23 March 2015 in Khartoum has sparked much controversy among experts and commentators in Egypt. Some consider it a breakthrough between Egypt and Ethiopia after four years of tensions. Others opine that Egypt is bound to lose from this declaration, because it does not include a clear reference to Egypt’s historical rights in the Nile waters and does not ensure any reduction of the huge storage capacity of the GERD. The declaration is a positive step towards reaching a compromise on the largest dam project in an upstream Nile country. However, only the translation of this declaration into balanced technical agreements can build the missing trust between Egypt and Ethiopia and pave the way for sharing the dam’s benefits and reducing its potential negative impacts on downstream countries.
A realistic compromise on a complex dilemma
The Declaration cannot be evaluated without taking into account the current political context and the historical relations in the Nile basin. During the last decade the balance of power in the Nile basin has been changing in favor of Ethiopia. After decades of Egyptian domination, Ethiopia has managed to combine the hydrological advantage of its position as an upstream country that controls 86 % of the Nile waters and the economic advantage of sustained economic growth. This comes at a time when Egypt, which depends on the Nile for more than 90 % of its water needs, is struggling to sustain its economy after four years of instability. Trapped by its domestic political instability and economic challenges, Egypt was forced to accept the GERD as a fact on the ground. Although the International Panel of Experts that examined the dam recommended conducting more comprehensive studies on the impact of the project on downstream countries, Ethiopia has rejected freezing the construction of the dam until these studies are finalized. Historical mistrust and threats of using force by both sides have raised tensions and brought a halt to technical negotiations.
In this context, the Declaration is a realistic compromise on a complex historical dilemma and a true reflection of the current balance of power. On its positive side, the declaration states that the three countries will cooperate to implement the recommendations of the International Panel of Experts, and to reach an agreement on the guidelines of filling and operating the dam. It sets a timeframe of 15 fifteen months from the start of preparing the required studies on the dam for the conclusion of this agreement. Ethiopia is committed, according to the declaration, to take the necessary steps to avoid causing a significant harm to Egypt and Sudan, to mitigate this harm in case it happens, and to discuss compensation “whenever convenient”. However, the Declaration includes no reference to historical agreements or to Egypt’s acquired share in the Nile waters. Furthermore, it did not commit Ethiopia to reconsider the size of the dam and the 74 billion cubic meters storage capacity of the reservoir, a size that several experts considered as technically unnecessary and economically irrational.
What next
Much effort and good will is needed to build trust between the three Eastern Nile countries, in particular between Egypt and Ethiopia. The implementation of the recommendations of the international consultancy firm, which will conduct the required studies on the dam, and the resulting technical agreements that will be reached in light of the Declaration will be a necessary step in this direction. Any financial support for the project by international donors and organizations should remain conditional on this implementation. Only these technical agreements and the political will to implement them will determine if the GERD will provide a new example of win-win projects on shared rivers or a quest for development in one riparian state at the expense of others.
Rawia Tawfik is currently Guest Researcher at the German Development Institut / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) and Lecturer at Cairo University.
Mon, 23/03/2015 - 10:47
Bonn, 23.03.2015. In der vergangenen Woche haben mehrere europäische Länder bekannt gegeben, dass sie sich an der Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) beteiligen werden. Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und andere Länder werden sich an einer Entwicklungsbank beteiligen, deren größter Anteilseigner China sein wird und deren Hauptsitz Peking ist. Das ist ein – wenngleich zunächst symbolischer – Schritt zu einer veränderten Struktur des multilateralen Finanzsystems. Aus der Verschiebung des weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Gewichts in Richtung Asien ergeben sich nun auch institutionelle Konsequenzen. Mit der Gründung dieser Bank sowie der New Development Bank (BRICS-Bank) in Shanghai setzt China Zeichen, dass es seine wirtschaftliche Stärke auch mit einer Führungsrolle in regionalen und plurilateralen Institutionen zum Ausdruck bringen will.
Die US-Regierung hat seit Monaten versucht, hinter den Kulissen Einfluss auf Ihre Verbündeten zu nehmen, um dies zu verhindern. Bei der Gründungszeremonie in Peking im Oktober 2014 traten jedoch bereits 21 asiatische Länder der Bank bei (nicht dabei: Japan, Südkorea und Australien). Die Zahl der Gründungsmitglieder wird sich durch die Beteiligung der Europäer jetzt rasch erhöhen und möglicherweise bald die Größenordnung der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) erreichen, die mit 67 Mitgliedsländern (davon 19 von außerhalb Asiens) und 162 Mrd. USD gezeichnetem Kapital Projekte in einer Größenordnung von jährlich 20 Mrd. USD finanziert. China hat zunächst ein gezeichnetes Kapital von 100 Mrd. USD für die AIIB vorgeschlagen. Da davon nur ein kleiner Teil – vielleicht nur 10 % – eingezahlt werden muss, kann sich dieser Betrag durch die Beteiligung der Europäer durchaus noch erhöhen. Die Gründung einer Entwicklungsbank ist einfach und nicht besonders teuer.
Man kann die Gründung der AIIB als Signal für das Ende der US-Hegemonie im internationalen System der Entwicklungsbanken interpretieren. Man kann diese Bankengründung allerdings auch als einen Schritt zur Normalisierung verstehen, nämlich hin zu einer stärkeren Regionalisierung der Entwicklungsfinanzierung. Auch Europa hat zwei plurilaterale Entwicklungsbanken: die Europäische Investitionsbank (EIB) in Luxemburg (28 Mitgliedsländer, 243 Mrd. € gezeichnetes Kapital, 70 Mrd. € jährliche Ausleihungen) und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) in London (64 Mitglieder, 30 Mrd. € gezeichnetes Kapital, 8,5 Mrd. € jährliche Ausleihungen). Die EBRD ist offen für nicht-europäische Mitglieder. Die USA, Japan, Südkorea halten Minderheitsanteile. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch China Anteile an der EBRD erwirbt, wie bereits bei der Afrikanischen und Interamerikanischen Entwicklungsbank geschehen. Die Regionalisierung ist also verbunden mit einer Offenheit gegenüber nicht-regionalen Mitgliedsländern, die ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen durch den Erwerb von Minderheitsanteilen zum Ausdruck bringen. Ein ganz normaler Vorgang also.
Die Regionalisierung bezieht sich dabei allerdings im Wesentlichen auf die Governance der Banken: Die Mehrheitsanteile und damit auch die entscheidenden Führungspositionen werden von regionalen Mitgliedern gehalten. Wer von Anfang an dabei ist, kann sich einen höheren Anteil sichern. Nicht-regionale Minderheitseigentümer sind in den Gremien vertreten und können versuchen, durch Bildung von Koalitionen und mit guten Argumenten Einfluss zu nehmen. Das Kapital für die Refinanzierung von Krediten kommt von den internationalen Kapitalmärkten. Da schon jetzt und in Zukunft noch mehr Kapitalüberschüsse in Asien erzeugt werden, liegt es auf der Hand, dass die Asiaten dies nicht nur in New York, London und Luxemburg investieren wollen.
Viel diskutiert wird die Frage der Standards für Kredite der AIIB. Vor allem die Europäer haben sich beeilt zu versichern, dass sie als Gründungsmitglieder auf hohe Umwelt-, Sozial- und Governance-Standards bei den Projekten hinwirken werden, die von der AIIB finanziert werden. Wünschenswert wäre, dass die AIIB die Standards der Weltbankgruppe übernimmt, die schließlich von allen Mitgliedern der Weltbank, einschließlich Chinas, mitgetragen werden. Es wäre fatal, wenn die internationalen Entwicklungsbanken in diesem Bereich gegeneinander konkurrieren würden. Der nächste G20-Gipfel in der Türkei sollte hierzu ein klares Bekenntnis abgeben.
Die neue Bank wird aber aller Voraussicht nach die Umsetzung der Standards gegenüber der bestehenden Praxis der internationalen Entwicklungsbanken vereinfachen. Durch den Druck von Mitgliedsländern und von zivilgesellschaftlichen Organisationen sind die Kontrollverfahren der Entwicklungsbanken inzwischen so teuer und zeitaufwändig geworden, dass die Kredite zu langsam bewilligt werden und zu spät abfließen. Hier ist ohnehin eine Verlagerung von Kontrollen auf die Empfängerländer notwendig, wo durch öffentliche Einrichtungen und die Zivilgesellschaft die Umsetzung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Standards bei großen Investitionsprojekten eingefordert werden muss. Auch dies wäre ein Schritt zur Normalisierung, zu dem die AIIB beitragen kann.
Thu, 19/03/2015 - 09:30
Bonn, 19.03.2015. Den diesjährigen Weltwassertag am 22. März haben die Vereinten Nationen unter das Motto „Water and Sustainable Development – Wasser und nachhaltige Entwicklung“ gestellt. Der Weltwassertag soll daran erinnern, dass eine menschliche, soziale und wirtschaftliche Entwicklung ohne Wasser nicht möglich ist – se
i es für die Gesundheits- und Sanitärversorgung, die Nahrungsmittel- und Energieerzeugung oder die Industrialisierung.
Grenzüberschreitende Flüsse und Entwicklung: Chancen nutzen
Liegen mehrere Länder an einem Fluss, dürfen die Entwicklung und vor allem die Armutsbekämpfung eines Landes nicht auf Kosten der Nachbarländer gehen, die dieselbe Ressource nutzen. Anrainerstaaten müssen kooperieren und die Vorteile aus der Wassernutzung aufteilen. Nicht allen Anrainerstaaten gelingt es in gleicher Weise, die Ressource so zu nutzen, dass sie den Wohlstand ihrer Bevölkerung steigert. Ein Paradebeispiel ist der Nil, der längste Fluss der Welt. Er fließt durch elf Länder: Tansania, Ruanda, Burundi, die Demokratische Republik Kongo, Uganda, Kenia, Äthiopien, Eritrea, Südsudan, Sudan und Ägypten. Die meisten stromaufwärts gelegenen Nil-Anrainerstaaten sind Länder mit einem niedrigen Entwicklungsgrad. So reicht der Bevölkerungsanteil ohne Zugang zu Elektrizität von 77% in Äthiopien bis 92% in Uganda. Nahezu 72% der äthiopischen Bevölkerung leben auf degradiertem Land, in Kenia sind es 31%, in Uganda 23%.
Um die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern und die Nahrungsmittel- und Energieerzeugung zu steigern, haben vor allem Äthiopien, Sudan und Uganda in jüngster Vergangenheit Wasserkraft- und Bewässerungsprojekte im Nilbecken angeschoben. Derzeit sind in Äthiopien, aus dem 86% des Nilwassers stammen, 17 Staudämme in Planung oder im Bau, in der Mehrzahl an grenzüberschreitenden Flüssen. Der größte dieser Dämme ist der
Grand Ethiopian Renaissance Dam am Blauen Nil. Bei seiner Fertigstellung 2017 wird er eine Kapazität von 6.000 Megawatt und eine Speicherkapazität von 74 Mrd. Kubikmetern haben.
Äthiopien will mit diesen Projekten eine Vision verwirklichen: 2020-2023 will es zu den Ländern mit mittlerem Einkommen gehören. Doch die unilaterale Planung und Umsetzung von Projekten an grenzüberschreitenden Flüssen kann unerwünschte Folgen für die Unterlieger-Staaten haben. So kam ein internationales Expertengremium nach Prüfung des äthiopischen Vorhabens zu dem Schluss, dass der Damm, wenn der Stausee in der Trockenzeit gefüllt ist, die Wasserversorgung Ägyptens und die Stromerzeugung am Assuan-Staudamm beeinträchtigt. Das alarmierte die ägyptischen Behörden: Ägypten ist abhängig vom Nil, der mehr als 90% des Wasserbedarfs des Landes deckt. Hinzu kommen geplante städtische Umsiedlungsprojekte und die Erschließung neuer Ländereien, mit denen das Land seiner Wirtschaft nach vier Jahren der Instabilität wieder auf die Beine helfen will. Es bleibt abzuwarten, ob das Abkommen, das am kommenden Montag zwischen Ägypten, Sudan und Äthiopien zu GERD unterzeichnet wird - Einzelheiten wurden noch nicht veröffentlicht -, die negativen Auswirkungen des Projekts reduziert. Aber auch Ägypten, das jetzt Äthiopien wegen der einseitigen Planung von Staudämmen kritisiert, hat in der Vergangenheit Projekte und Bewässerungssysteme durchgeführt, ohne sich mit den anderen Anrainerstaaten abzustimmen. Wenn man daraus ein Fazit ziehen will, dann dieses: Die Staaten müssen kooperieren und das Potenzial gemeinsam ausschöpfen, wenn man die Entwicklung aller Beteiligten sicherstellen will.
Nachhaltige Entwicklung für alle
Eine Kooperation von Anrainerstaaten ist nicht nur wichtig, damit alle Länder in einem Einzugsgebiet ihre Entwicklungsziele erreichen können. Sie können so auch gemeinsamen Herausforderungen begegnen. Hochrechnungen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) zufolge wird das Nilbecken bis 2025 immer mehr unter Trockenzeiten leiden, wobei die pro Person und Jahr zur Verfügung stehende Wassermenge unter 1.700 Kubikmeter fallen dürfte. Außerdem wird der Klimawandel den jährlichen Wasserdurchfluss des Nils zunehmend unkalkulierbar machen, was alle Sektoren betrifft, die auf sein Wasser angewiesen sind. Angesichts dieser Perspektiven empfiehlt es sich, gemeinsam geeignete Anpassungsmaßnahmen zu diskutieren und verstärkt umzusetzen. Internationale Geber und Organisationen wiederum sollten durch technische und finanzielle Unterstützung Anreize für Gemeinschaftsprojekte schaffen, die zur langfristigen Entwicklung beitragen – von Flüssen und Anrainerstaaten.
Rawia Tawfik ist derzeit Gastwissenschaftlerin am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE).
Mon, 16/03/2015 - 08:00
Die Verhandlungspartner arbeiten daran, auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen Ende September 2015 eine neue Post-2015-Agenda mit universellen Zielen nachhaltiger Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs), zu verabschieden. Eine intergouvernementale Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen hat einen umfassenden Vorschlag von 17 Zielen und 169 Unterzielen für nachhaltige Entwicklung vorgelegt.
Bonn, 16.03.2015. Laut Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) sind aktuell ein Viertel der ärmsten Länder so hoch verschuldet, dass für sie ein erhöhtes Risiko einer Schuldenkrise besteht. Im Verhältnis zur Wirtschaftskraft des Landes gelten ihre Schulden als nicht „tragfähig“. Gemäß dem von der Open Working Group (OWG) der Vereinten Nationen vorgeschlagenen Unterziel 17.4 soll die internationale Gemeinschaft zukünftig, „mit einer koordinierten Politik im Bereich der Schuldenumstrukturierung die Entwicklungsländer dabei unterstützen, langfristig Schuldentragfähigkeit zu erreichen…“. Damit knüpft dieses Unterziel des 17. SDGs (Stärkung der Umsetzungsmittel und Wiederbelebung der globalen Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung) an die von den Vereinten Nationen durchgeführten Initiativen zur Umstrukturierung von Staatsschulden sowie zur verantwortlichen Kreditvergabe und Kreditaufnahme an.
In der Vergangenheit hat sich eine mangelnde Schuldentragfähigkeit als zentrales Entwicklungshemmnis erwiesen. Stark verschuldete Länder haben beispielsweise ihre Sozialausgaben und Investitionen in Infrastruktur wegen der hohen Schuldendienstzahlungen oft drastisch kürzen müssen. Bisherige ad-hoc-Entschuldungsinitiativen für Entwicklungsländer in den letzten zwei Dekaden haben die Verschuldung zwar erheblich gesenkt, aber die Schuldenproblematik nicht grundsätzlich gelöst. Ein aktuelles Beispiel hierfür aus den Reihen der Industrieländer stellt Griechenland dar, wo die Sozialausgaben massiv zugunsten der Schuldendienste gestrichen wurden.
Allerdings benennt die Open Working Group keine Instrumente zur Vermeidung und Bewältigung von Schuldenkrisen. Als Antwort auf den OWG-Vorschlag legte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon im September 2014 einen Synthesebericht vor. Darin wurde er hinsichtlich der Reform der Instrumente des Global-Debt-Governance-Systems etwas spezifischer. Der Generalsekretär hat ein informelles Forum für die Schulden souveräner Staaten vorgeschlagen. Aber hier bleibt auch der Generalsekretär sehr vage. Was heißt informelles Forum? Welche Aufgaben soll dieses Forum übernehmen? Nach dem derzeit bekanntesten Vorschlag von zwei Ökonomen des amerikanischen Think Tanks Centre for International Governance Innovation soll ein informelles „Sovereign Debt Forum“ als Beratungs- und Analyseplattform für Gläubiger und Schuldner dienen.
Aber ist ein informelles Forum zur Behandlung von Schulden souveräner Staaten wirklich ausreichend, um Verschuldungskrisen in Entwicklungs- und Schwellenländern zu verhindern und zu bewältigen? Nein, das hat auch die Griechenlandkrise gezeigt. Die Verschuldungskrise im Land der Akropolis hätte mit einem informellen Forum weder verhindert noch bewältigt werden können. Es fehlen also weitere Instrumente, um langfristig Schuldentragfähigkeit zu erreichen. Insbesondere sollte die Chance, nachhaltige Entwicklungsziele zu formulieren, dazu genutzt werden, die Prinzipien der United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) für die verantwortliche staatliche Kreditvergabe und -aufnahme sowie die Idee eines Insolvenzverfahrens für Staaten zu fördern. Die UNCTAD-Prinzipien beinhalten eine freiwillige Selbstverpflichtung zur verantwortlichen Kreditvergabe an Staaten und Kreditaufnahme durch Staaten. Die Prinzipien sind allerdings rechtlich nicht bindend und es bleibt unklar, inwieweit ihre Umsetzung überprüft wird.
Dagegen könnte ein Staateninsolvenzverfahren international verbindliche Regeln zur Bewältigung von Schuldenkrisen für alle Gläubiger schaffen. Die Notwendigkeit dafür haben die Klagen verschiedener Geier- und Hedgefonds in Sub-Sahara Afrika und Lateinamerika bewiesen. Diese Investoren kaufen die Wertpapiere zu einem sehr niedrigen Preis und klagen ihren höheren Nennwert dann ein. Beispielsweise hat der Rechtsstreit zwischen dem Hedgefonds NML Capital und dem argentinischen Staat im September 2014 die geordnete und gerechte Umstrukturierung der argentinischen Schulden verhindert. Vor diesem Hintergrund verabschiedete die UN-Generalversammlung eine Resolution, auf deren Grundlage bis Ende 2015 ein rechtlicher Rahmen für die Restrukturierung von Staatsschulden ausgearbeitet werden soll.
Die politische Umsetzbarkeit eines solchen Staateninsolvenzverfahrens erscheint derzeit begrenzt. Während insbesondere die G77-Staaten die UN-Resolution befürworteten, stimmten einflussreiche Länder wie die USA, Großbritannien und Deutschland dagegen. Dies könnte ein Grund dafür sein, weshalb der UN-Generalsekretär in seinem Synthesebericht zur Post-2015-Agenda lediglich ein informelles Forum vorschlägt.
Zur Sicherstellung von Schuldentragfähigkeit ist es allerdings notwendig, konkrete Instrumente zur Vermeidung und Bewältigung von Verschuldungskrisen in den SDGs zu etablieren und zu überprüfen. Ansonsten bleibt dieses Unterziel ein inhaltsloses Versprechen.
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